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»Um Himmels willen, Herr Baron, was ist das?« Mit diesen Worten fuhr Brehm entsetzt von seinem Schmerzenslager in einem schäbigen Hotel Kairos empor und rüttelte den Baron wach, der matt und kraftlos in halber Ohnmacht neben ihm lag. Beide hatten sich auf der Nilfahrt von Alexandria nach Kairo einen heftigen Sonnenstich geholt und mußten unter wahnsinnigen Kopfschmerzen und häufigen Ohnmachtsanfällen dessen Folgen tragen. Entsetzliche Schwüle herrschte in der Luft. Plötzlich vernahmen die sich mühsam aufrichtenden Kranken ein donnerähnliches Rollen, Geschrei und Wehklagen auf der Straße, Gebrüll von Tieren und eiliges Laufen auf den Korridoren; die Bettgestelle schwankten, die Türen des Zimmers flogen auf und zu, klirrende Fensterscheiben und zerbrechende Gläser stürzten auf den Fußboden herab, an einzelnen Stellen des Zimmers löste sich der Mörtel von den Wänden und fiel polternd herunter, aber die unerfahrenen Europäer wußten sich die Erscheinung nicht zu erklären. Ein neuer, stärkerer Stoß folgte dem ersten, man hörte das Einstürzen von Mauern in unmittelbarer Nähe und fühlte, wie das Haus in seinen Grundfesten schwankte. Da wurde den beiden Deutschen das Phänomen entsetzlich klar: ein Erdbeben erschütterte die ägyptische Hauptstadt! Und ohne Hilfe lagen sie krank und elend allein in ihren Betten, nicht imstande, gleich den anderen Reisenden hinaus ins Freie zu flüchten. Ihre Lage war in der Tat gräßlich. Die Naturerscheinung währte kaum eine Minute, und doch wurde ihnen diese kurze Zeitspanne zu einer wahren Ewigkeit. Der geängstigte Geist erging sich in den schauderhaftesten Vorstellungen, die Augen folgten mit Todesangst den Rissen der zersprungenen Mauern, und verzweiflungsvoll ergab sich die Seele dem bevorstehenden schrecklichen Schicksal. Aber das von Europäern gebaute Haus hielt die starke Erschütterung aus. Nach wenigen Minuten verkündigte ein herbeieilender Diener, daß die Gefahr vorüber sei. In unmittelbarer Nähe des Gasthofes waren jedoch 17 Menschen unter den Trümmern ihrer Behausungen begraben worden.
Nur langsam machte die Genesung unseres jungen Freundes Fortschritte, zumal der griechische Quacksalber, der beide behandelte, ihn dreimal zur Ader ließ und ihm durch 64 Blutegel so viel Blut abzapfte, daß er ganz schwach wurde. Aber dann wuchsen mit steigenden Kräften auch Lebensmut und Lebenslust wieder, und auf zahlreichen Eselritten lernte nun Brehm die Märchenstadt Kairo, die ihn so ungastlich empfangen hatte, mit ihrem bunten, echt orientalischen Leben und Treiben kennen. Sie ist seitdem seine Lieblingsstadt geblieben, und keiner hat das buntscheckige Gewühl ihrer Gassen und Märkte so meisterhaft zu schildern gewußt wie er. Brehm besaß überhaupt in hervorragendem Maße die Gabe, sich in fremde Verhältnisse einzuleben, sich den Sitten und Gewohnheiten anderer Völker anzuschmiegen, ohne doch jemals seiner Würde als Deutscher auch nur das Geringste zu vergeben. Er hat dem deutschen Namen auch in fernen Ländern stets nur Ehre gemacht. Gerade die Länder des Islams hatten es ihm angetan, und in die Denk-, Anschauungs- und Sprechweise ihrer Bewohner wußte er sich so zu vertiefen, sie sich in so hohem Maße zu eigen zu machen, wie selten einer. Niemals hat er es versäumt, neben der Tierwelt der von ihm bereisten Länder mit gleichem Eifer auch ihre Menschen zu studieren und den Einfluß von Klima, Landschaft und Geschichte auf die Entwicklung ihrer Eigenart klarzulegen. Der mohammedanischen Religion brachte er so viel Achtung und ein so weitgehendes Verständnis entgegen, daß er in Europäerkreisen vielfach schon als Renegat galt. Aber bei Türken und Arabern erfreute er sich trotz seiner Jugend großen Ansehens und allgemeiner Beliebtheit. Viel schlechter als die Bekenner des Propheten kommen in seinem Tagebuch die wenigen Europäer und Levantiner weg, die sich schon damals im Sudan ansässig gemacht hatten und die allerdings bis auf wenige Ausnahmen den Abschaum ihrer Länder darstellten. Für das charakterlose Mischvolk der sog. Levantiner zum Beispiel hat er nur unverhohlene Verachtung, so sehr er auch der Schönheit ihrer Frauen Gerechtigkeit angedeihen läßt. Sein Herz gehörte den freien, bettelarmen, aber stolzen Beduinenstämmen der Wüste, die er liebte, wie er alles Unabhängige und wahrhaft Männliche liebte:
»Sie sind in der Freiheit der Wüste geboren und groß geworden, sie leben und sterben dort; sie denken und handeln frei und edel wie jeder Freigeborene. Noch haben sich bei ihnen die alten Sitten ihrer Vorfahren erhalten, noch hegen sie dieselben Gefühle für Recht und Unrecht, welche die Patriarchen hegten; noch sind sie wie jene mit Herz und Hand bereit, ihr gutes Recht sich zu erhalten oder zu verschaffen. Der Beduine, das Kind der hochhehren Wüste, ist noch der Sohn der alten und für ihn ewig neuen Freiheit. Er ist der unverdorbene Nachkomme seiner tapferen und edlen Ahnen. Der Beduine lügt nie, er bestiehlt oder betrügt niemanden, wohl aber tritt er mit der Waffe in der Faust als kühner Räuber hervor, um sich seinen Lebensunterhalt zu erringen. Er beraubt den friedlich durch die Wüste pilgernden Kaufmann nicht als ein nach unseren Begriffen verächtlicher Wegelagerer, sondern als mutiger, streitbarer Mann; er wird ihn nie berauben, wenn dieser ihn, den Herrn der unbegrenzten Wüste, erst um sicheres Geleit ersuchte, sein Gebiet durchwandern zu dürfen. Treu dem Freunde das gegebene Versprechen haltend, geht er für seine Schutzbefohlenen ohne Zögern in den Tod, furchtbaren Kampf dem Feinde schwörend, hält er das Gesetz der Blutrache für das hochheiligste seines Stammes. Er vergibt keine Beleidigung, er vergißt keine Wohltat, seinen letzten Bissen Brot teilt er mit seinem Gastfreunde, den letzten Wassertrunk spendet er dem Verschmachtenden. Er ist in seiner Treue groß, in seiner Rache furchtbar. Keinen Herrn über sich erkennend als das selbstgewählte Stammesoberhaupt, verteidigt er seine weite Heimat mutig und tapfer gegen jeden Feind. Ohne Hoffnung auf Ersatz unterhält er den, der sich hungernd und dürstend in seinem Zelte einfindet, ohne Dank zu fordern, bringt er ihn in seine Heimat zurück. Sein Pferd ist ebenso edel und treu wie er selbst, es ist sein ständiger Begleiter, er liebt es wie Weib und Kind.«
Brehm hat sich wiederholt lange Zeit in Chartum aufgehalten, nicht immer ganz freiwillig, sondern weil empfindlicher Geldmangel ihm die Fortsetzung der Reise unmöglich machte. In solchem Falle wurde dann ein eigenes Häuschen gemietet und in dessen Hof ein Tiergarten eingerichtet. Der türkische Generalstatthalter des Sudan, der in dem noch jungen Chartum seinen Sitz hatte, schickte als Grundlage dazu gleich in den ersten Tagen geschenkweise zwei Strauße, denen sich bald ein paar junge Hyänen sowie etliche Affen und Gazellen und ein sehr herrschsüchtiger Marabu beigesellten. Die Eingeborenen brachten überhaupt, nachdem die Absichten der beiden Deutschen in den Kaffeehäusern und auf den Juks sich herumgesprochen hatten, allerlei lebendes und totes Getier angeschleppt, das gern aufgekauft und zur Bereicherung der Sammlungen verwendet wurde. So entwickelte sich bald eine förmliche Naturalienbörse, aber sonstige Unterhaltung bot die volkreiche Hauptstadt des Sudan kaum. Immerhin konnte man hier nach so langen Entbehrungen in der Wildnis doch auch mal wieder mit halbwegs gebildeten und gesitteten Menschen zusammen sein, wenngleich man in dieser Hinsicht in Chartum nur sehr bescheidene Ansprüche stellen durfte und öfters beide Augen zudrücken mußte. Auch Briefe und Zeitungen gab es dann und wann einmal, und mit Erstaunen erfuhr Brehm nach der Rückkehr aus Kordofan aus ihnen, welch gewaltige Umwälzungen sich im Frühjahr 1848 in Europa vollzogen hatten, während er fieberkrank in den Wäldern und Steppen Kordofans weilte. Der völlige Mangel an Lesestoff war ja bisher nicht die geringste der vielen Entbehrungen gewesen. Gierig las man zu wiederholten Malen jeden mit den geliebten Lauten der Muttersprache bedeckten Papierfetzen, und der elendste Schundroman würde Hochgenuß gewährt haben. Nun aber erhielt Brehm in Chartum von verständnisvoller, feinfühliger Mutterhand sogar einige der von ihm so glühend geliebten Werke unserer Klassiker, wie durfte er da schwelgen! Erst in der weiten Ferne, in der geistlosen Fremde halbkultivierter Länder, unter Vertretern krassester Selbstsucht und Geldgier würdigt man so recht die heimische Dichtkunst, erst da empfindet man ihre ganze Kraft. Wer die Gesänge unserer Dichter völlig in sich aufnehmen will, der muß sie lesen, wo er sie keinem andern, sondern nur seinem eigenen Selbst mitteilen kann. Dann wird sich ihr Wert und ihre Wirkung verdoppeln.
»Bachida! Pfui! Du Teufelsvieh! wirst du wohl auslassen! wirst du wohl artig sein! Bachida! Pfui!« So erscholl Brehms zornige Stimme in einer der staubumhüllten Gassen Chartums, und mit erhobener Peitsche eilte er auf eine Löwin zu, die ein gerade friedlich vorübertrottendes Schaf gepackt hatte, ergriff sie wie weiland Simson am Kopfe, riß ihr den Rachen auf, erfaßte das arme Wolltier und schleuderte es mit einem Fußtritt weit fort. Ein paar derbe Hiebe mit der Nilpferdpeitsche klatschten auf das gelbe Löwenfell, aber die »Tochter Fathmes«, wie die Sudanesen die weiblichen Löwen nennen, nahm die Züchtigung ruhig hin, in dem Bewußtsein, für ihren Übergriff eine Strafe verdient zu haben. Es war ja »Bachida« (die Glückliche), die berühmte zahme Löwin Brehms, die er als kaum pudelgroßes Jungtier von seinem Gönner Latief Pascha zum Geschenk erhalten und auf das sorgfältigste erzogen hatte. Innige Freundschaft verband beide. Lachida liebte ihren Herrn zärtlich, folgte ihm in Haus und Hof, auf der Straße und im Freien gehorsam wie ein Hund, liebkoste ihn bei jeder Gelegenheit und wurde nur dadurch bisweilen lästig, daß sie nachts auf den Einfall kam, ihn auf seinem Lager aufzusuchen und durch ihre Liebkosungen aufzuwecken, sie ersetzte zugleich den schärfsten Wachhund, denn lästiges Gesindel wagte sich nicht auf das von einem Löwen behütete Gehöft, und sogar die Kamele vorüberziehender Karawanen gingen unter dem Fluchen und Schreien der Treiber oft durch, wenn sie durch eine Mauerlücke das ihnen so furchtbare Tier erblickten. Zu den zahmen Antilopen durfte die Löwin überhaupt nicht gelassen werden, obwohl sie ihnen wahrscheinlich nichts zuleide getan hätte, da die Horntiere bei ihrem Erscheinen verzweiflungsvoll gegen die Wände rannten und sich dabei selbst verletzten. Im übrigen hatte sich Bachida natürlich bald zur Beherrscherin und Tyrannin alles auf dem Hofe sich tummelnden Getiers aufgeworfen. So liebenswürdig und gutmütig sie auch war, so war sie doch ein wahrer Ausbund von Übermut und Necklust und liebte es sehr, andere Lebewesen durch plötzliches Anspringen zu erschrecken, und namentlich an den Affen und Raubvögeln kühlte sie gern ihr Lüstchen.
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Anfangs, solange sie nach klein war, setzte ein alter, urdrolliger Pavian ihrem Übermut gewisse Schranken. Auch er zitterte zwar bei ihrem Erscheinen und verzog das Maul auf grauenvolle Weise, griff sie dann aber ohne weiteres mutvoll mit den Händen und rieb ihr die Ohren derartig um den Kopf herum, daß ihr Hören und Sehen vergehen mochte und sie angstvoll das Weite suchte. Mit der Zeit jedoch wurde die Löwin so stark, daß auch der Pavian ihrer nicht mehr Herr zu werden vermochte. Doch an seine Stelle trat nun ein alter, mürrischer Marabu. Bachida sah sich die barocke Philosophengestalt ganz starr vor Neugierde an und gedachte dann nach ihrer Art den Langbeiner durch plötzliches Anspringen zu erschrecken. Aber der verstand das falsch, ging mit weiten Schritten und halbgelüfteten Schwingen unerschrocken auf das Raubtier los, versetzte ihm rasch hintereinander mit seinem gewaltigen Keilschnabel mehrere so nachdrückliche Püffe und wiederholte diese Lektion mehrfach so gründlich, daß Bachida unter Wutgebrüll das Hasenpanier ergreifen mußte, grimmig verfolgt von dem schnabelklappernden Sieger. Seitdem ließ sie den wehrhaften Storchenvogel achtungsvoll in Ruhe, aber mit den übrigen Tieren trieb sie es nach wie vor.
Wirkliche Ausschreitungen kamen bei alledem nur äußerst selten vor. so wurde ihr schönes Freundschaftsverhältnis zu einem mutigen Widder, mit dem sie besonders gern spielte, jäh zerrissen. Der Widder, dessen Hornstöße sie sonst gutmütig ertrug, mochte einmal gar zu grob zugestoßen haben, denn plötzlich geriet die Löwin in Zorn und schmetterte ihn mit ein paar derben Tatzenschlägen zu Boden. Am nächsten Morgen war der Spielgefährte tot. Schlimmer war der folgende Fall, der zugleich eine harte Kraftprobe für das Verhältnis zwischen Mensch und Raubtier bedeutete. Bachida hatte den Lieblingsaffen Brehms erst mißhandelt, dann getötet und schließlich aufgefressen. Als Brehm Kopf und Schwanz als die einzigen Überbleibsel des armen Opfers fand, wurde er doch recht zornig, prügelte die Löwin tüchtig ab und verfolgte die Flüchtende bis in den äußersten Winkel des Gehöfts. Als sie hier nicht entrinnen konnte, nahm sie plötzlich eine andere Miene an als früher und setzte sich kräftig zur Wehr. Wäre Brehm nur einen Schritt zurückgewichen, so würde die im höchsten Grad erzürnte Löwin ihn sicherlich angesprungen und wahrscheinlich erheblich verletzt haben. Brehm war aber klug genug, fest stehen zu bleiben und unentwegt weiter zu prügeln, zugleich aber auch eine Lücke freizulassen, durch die Bachida entwischen konnte. Schon eine halbe Stunde später war ihr Zorn verraucht, und schmeichelnd rieb sie sich nach Katzenart wieder an ihrem Herrn, als wollte sie um Verzeihung bitten. Dies war der einzige Streit, den beide jemals miteinander gehabt haben; nie erlaubte sich Bachida sonst irgendwelche Unart, nie bekundete sie irgendwie Wildheit und Blutdurst des Raubtieren
Viel Spaß machte Brehm und seinen Freunden folgender Streich der übermütigen Löwin. Im gleichen Hause wohnte ein fetter griechischer Sklavenhändler und Wucherer. Dieser wollte einmal in der Regenzeit, als der ganze Hof mehr einem Moraste glich, nach dem Stall gehen, um seinen Reitesel zu besteigen. Da er dem Statthalter Latief Pascha seine Aufwartung zu machen gedachte, war er in einen glänzend weißen, neuen Seidenburnus gehüllt. Bachida lag gerade im dicksten Schmutz und betrachtete verblüfft die weiße, ängstlich zwischen den Pfützen sich durchwindende Gestalt. Dann duckte sie sich und sprang in einigen furchtbaren Sätzen auf den Griechen zu, der vor Schreck stolpernd in den Schmutz fiel und auch noch die Dummheit beging, laut zu schreien. Die neckische Bachida faßte das als eine willkommene Aufforderung zur Fortsetzung dieses unterhaltsamen Spieles auf, brachte durch einen zweiten Satz den dicken Mann völlig zum Liegen, setzte sich ihm mit Beifallsgebrüll auf den Schmerbauch, umarmte ihn sehr zärtlich, wälzte ihn aber dabei derartig im Kote herum, daß von der strahlenden Kleidung auch nicht ein Fleckchen mehr ohne Schlammkruste blieb. Lachend befreite Brehm ihn, der nicht im geringsten verletzt war, aus den Tatzen seines Peinigers. Der Grieche aber schwur Rache und beklagte sich beim Statthalter. Da mußte er nun freilich die Erfahrung machen, daß auch bei den Türken das Sprichwort gilt: »Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.«
Ernster war ein Zwischenfall, der sich auf der Heimreise zutrug, wo Bachida abends stets an Land gelassen wurde, um sich ein wenig auszutollen und zu entleeren, was das reinliche Tier in dem engen Schiffskäfig grundsätzlich nicht tat. So war die Löwin einmal an einer der Säulen des Tempels von Luxor angefesselt und ringsum von einer zudringlichen und neugierigen Menschenmenge umgeben. Plötzlich stob alles unter entsetzlichem Geschrei und Geheul, Fluchen und Jammern auseinander, und Brehm erfuhr von den zu ihm Eilenden, daß »das Scheusal« soeben einen kleinen Negerknaben gepackt habe und gerade im Begriff sei, ihn zu verschlingen. Es sei zwar nur ein Sklave, aber er habe immerhin einen Geldwert von 1000 Piastern, die der Herr des gefräßigen Raubtieres bezahlen müsse. Schleunigst rannte Brehm zu der Unglücksstätte, um den gefangenen Buben zu befreien. Bachida spielte mit ihm wie die Katze mit der Maus, drehte ihn in ihren Pranken hin und her, beroch ihn, zog ihn zu sich heran, ließ ihn wieder los, um ihn augenblicklich von neuem zu halten, hatte ihm aber bis dahin nicht das geringste Leid zugefügt und ihm nirgends auch nur die Haut geritzt. Brehms Ankunft brachte ihr augenblicklich zur Besinnung, daß der schwarze Schreihals kein Spielzeug für sie sei. Sie gab den Bengel sofort freiwillig her.
Im bescheidenen Pfarrhause zu Renthendorf war natürlich kein Platz für eine leibhaftige afrikanische Löwin, und so mußte Bachida in den Berliner Tiergarten wandern. Brehms Abschied von dem treuen Tiere war wahrhaft schmerzlich, und rührend das Wiedersehen zwischen beiden nach zweijähriger Trennung. Bachida erkannte ihren früheren Herrn trotz der völlig veränderten Kleidung sofort an der Stimme und war vor Freude ganz außer sich.
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»Warum, Herrin meiner Seele, erschrickst du? Und warum willst du mir das Licht des Vollmondes, dein Antlitz, entziehen? Weißt du nicht, daß ich ein Franke bin? In meiner Heimat verhüllen die Wolken wohl oft die Sonne am Himmel, aber die Wolken des Schleiers nicht die Sonnen auf Erden. Ich bin gewohnt, unseren lieblichen Töchtern der Erzmutter Eva frei ins Angesicht zu schauen, warum willst du, Sonne, dich mir verbergen?«
»Dein Land ist nicht mein Land, deine Sitte ist nicht meine Sitte, o Herr! Im Lande der Franken ist die Frau frei, hier ist sie Sklavin. Bedenke das, du Guter! Möge deine Nacht glücklich sein!«
»Halt, Herrin, warum willst du davoneilen? Hast du mich noch nicht gesehen?«
»Oh, schon sehr oft, gleich bei deiner Ankunft sah ich dich und seitdem alle Tage.«
»Nun wohl, fürchtest du dich vor mir?«
»Nein, aber die Sitte gestattet mir nicht, mit dir zu reden. Glückliche Nacht!«
»Warum entfliehst du, Licht meiner Augen? Bleibe, ich bitte dich!«
»Ich darf nicht!«
»So sage mir wenigstens deinen Namen, du liebliche Gazelle!«
»Ich heiße Warde« (Rose).
»Wirst du wieder hierher kommen?«
»Ich darf nicht, gute Nacht, Herr!«
Die anmutige Mädchengestalt, die noch von dem ganzen Reize kindlicher Lieblichkeit umflossen war, huschte davon. Aber sie kam doch wieder. Jeden Abend erschien sie auf dem flachen Dache ihres elterlichen Hauses, das mit dem Haus Brehms zusammenstieß und nur durch eine niedrige Mauer von ihm getrennt war. So erblühte dem Zwanzigjährigen die Rose des Morgenlandes.
»Was willst du eigentlich von mir, o Fremdling?« frug sie in ihrer kindlichen Unschuld.
»Reden will ich mit dir, du schlanke Gazelle. Meine Augen bedürfen deines Lichtes, meine Seele bedarf deines Odems. Die Muscheln meiner Ohren sind bereit, die Perlen deiner Worte in sich aufzunehmen.«
»Allah sei gelobt, ja!«
»Hast du Schwestern?«
»Ja, eine einzige. Aber sie ist weit, weit von hier und meine Eltern auch und alle, die ich liebe. Ich bin ganz allein hier in der Fremde.«
»O du Armer, so will ich deine Schwester sein. Nenne mich Schwester, und ich werde dich Bruder nennen.«
Es folgten berauschend schöne Tropenabende. Brehm lernte verstehen, was das arabische Wort »Leila« (Nacht) bedeutet. Noch in späteren Jahren klang es ihm wie Musik. Manchmal durfte er Warde auch »Habihbti« (Geliebte) nennen. Der alte Scheich, den er als Sprachlehrer aufgenommen hatte, lehrte ihn Worte, wie sie in den Büchern standen, Warde lehrte ihn solche, wie sie das frisch erblühende Leben bedurfte. Die Rose duftete für ihn, doch die Tage flogen dahin, und die Abschiedsstunde nahte.
»Die Betrübnis ist eingezogen bei uns,« sagte Warde traurig, »und der Schmerz ist zwischen uns getreten, mein Bruder, mein Freund, mein Herr! Aber du kannst mich ja mit dir nehmen, o Lust meiner Seele!«
»Nein, Warde, das kann ich nicht.«
»Und warum nicht, mein Gebieter?«
»Seele meines Lebens, ich kann nicht, ich darf nicht. Es wäre Sünde an dir und deinem Leben, Habihbti! Und dann, wie soll ich dich mit mir nehmen, Warde?«
»Als dein Weib, Mann!«
»In meinem Lande heiratet man nicht so früh. Ich zähle noch zu wenig Jahre, als daß ich mir eine Frau nehmen könnte. Das bedenke, o Gute!«
»So nimm mich mit dir als deine Dienerin, als deine Sklavin! Befiehl mir, was ich sein soll, und ich werde dir gehorchen!«
»Es geht nicht, es ist unmöglich, Warde, es wäre eine Sünde an dir! Aber denke an mich, wenn ich in der Ferne bin!«
»Oh, du wirst meiner gedenken, wenn das Unglück in dein Zelt tritt und die Krankheit sich auf dein Lager legt.«
»Ich werde deiner immer gedenken, Warde!«
Sie antwortete nichts mehr: sie weinte.
»Allah behüte dich, und Issa (Jesus) sei mit dir, du lieber, böser, fremder Mann!«
Das waren die letzten Worte, die Brehm von ihr vernahm.
Selten ist wohl ein Liebesverhältnis zwischen Europäer und Afrikanerin mit duftigerer Zartheit geschildert worden als dieses. Brehm war überhaupt ein Typ männlicher Keuschheit, so wie sie Gottfried August Bürger so schön besungen hat. Er war ganz gewiß kein Philister oder Spielverderber oder Lebensverächter, aber nie kam im Familienkreise ein unanständiges Wort über seine Lippen, selbst nicht beim Becherklang inmitten vertrauter Freunde.
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Die Verhältnisse Brehms in Chartum hatten sich inzwischen immer peinlicher und unangenehmer gestaltet. Um seine geradezu verzweifelte Lage zu verstehen, müssen wir einiges nachholen. Nach der geschilderten Überwindung der Stromschnellen von Wadi-Halfa waren Baron Müller und Brehm noch gemeinsam nilabwärts nach Alexandria gereist, und hier schiffte sich der Baron nach Europa ein und eilte der deutschen Heimat zu, während Brehm allein im schwarzen Erdteil zurückblieb. Der Baron wollte in Deutschland die nötige Ausrüstung beschaffen für eine sehr großartig von ihm angekündigte Forschungsreise nach den Nilquellen, die ja damals das große geographische Problem waren, und wollte noch weitere Teilnehmer dazu anwerben, um dann sobald als möglich zurückzukehren und an der Spitze der neuen Expedition ins unerforschte Innere von Afrika zu ziehen. Brehm sollte derweil auch seinerseits allerlei Vorbereitungen treffen und die übrigen Teilnehmer in Unterägypten erwarten, die Zwischenzeit aber durch Jagen und Sammeln an dem 45 Quadratmeilen großen, aber nur metertiefen Menzaleh-See ausnutzen, in dem er eine großartige Winterherberge und Durchzugsstation osteuropäischen und westasiatischen Sumpf- und Wassergeflügels entdeckt hatte.
Er mußte viele Monate warten, war schon in Geldverlegenheit und deshalb sehr ungeduldig, aber endlich langten doch drei weitere Reiseteilnehmer mit einer freilich sehr bescheidenen Ausrüstung an. Der Klügste von ihnen trat sofort zurück, als er bemerkte, wie völlig ungenügend die so großspurig angekündigte Expedition finanziert war. Es blieben der Dr. med. Richard Vierthaler aus Cöthen, der auf eigene Kosten reiste, und -- Brehms eigener, um sechs Jahre älterer Stiefbruder Oskar. Die Freude des Wiedersehens war natürlich groß, die Geldsumme aber, die Oskar dem jüngeren Bruder als dem vorläufigen Expeditionsleiter aushändigte, war so gering, daß sie kaum zur Bestreitung der Reisekosten bis Chartum ausreichte. Indessen hatte ja der Baron fest versprochen, baldmöglichst nachzukommen und reichliche Geldmittel mitzubringen oder auch nach Chartum vorauszusenden. Für Alfred Brehm, der trotz aller schlimmen Erfahrungen dem Baron immer noch rückhaltlos vertraute, gab es daher kein Zögern, und er entschied sich für sofortigen Aufbruch; sehnte er sich doch mit allen Fasern seines Herzens danach, endlich aus dem langweiligen Unterägypten fortzukommen und wieder in wirklich wilde Länder mit urwüchsigem Tierleben zu gelangen, war man doch jetzt zu dritt und konnte vereint alle Hemmnisse mit gemeinsamer Kraft leichter überwinden als allein. Aber weder Dr. Vierthaler noch Oskar Brehm haben die Heimat wiedergesehen. Jener erlag dem mörderischen Klima, und dieser ertrank am 8. Mai 1850 bei Dongola vor den Augen des verzweifelnden Bruders im Nil, ohne daß ihm rechtzeitig Hilfe gebracht werden konnte. Es war ein schwerer Schlag für Alfred Brehm, unsern jungen Freund. Unter einer einsamen Palme in der Wüste, eine Viertelstunde vom Nil entfernt, erhebt sich Oskar Brehms schmuckloser Grabhügel.
Nach beschwerlicher Reise kam Brehm ohne den geliebten Bruder abermals in Chartum an, nahm seine Sammeltätigkeit wieder auf und wartete geduldig auf den Baron oder doch wenigstens auf eine größere Geldsumme, die die Weiterreise der »Expedition« ins Innere ermöglichen würde. Aber es kam nichts, höchstens dann und wann ein grober Brief mit Vorwürfen darüber, daß die Expedition noch nicht zum Oberlauf des Blauen Flusses vorgedrungen sei. Ja, wie hätte sie denn das ohne alle Geldmittel tun sollen? Auch in Afrika ist das Reisen nicht umsonst, im Gegenteil um das Vielfache teurer als in Europa. Trotzdem zog es auch Brehm mächtig in die geheimnisvollen Urwälder am Blauen Nil, und er wollte wenigstens einen Versuch unbedingt wagen, ehe das ungesunde Klima Chartums seine körperlichen Kräfte wieder allzu sehr geschwächt haben würde. Er hatte schon kleinere Schulden machen müssen und entschloß sich nun zur Aufnahme eines größeren Darlehens, um seinen Plan durchführen zu können. Er wandte sich an einen reichen Armenier, der mit schönen Sklavinnen handelte und auch dafür bekannt war, daß er Wuchergeschäfte machte. Der mochte den Deutschen wohl schon erwartet haben und empfing ihn sehr freundlich:
»Sie wünschen von mir Geld zu haben, verehrtester Herr. Ich bin gerne erbötig, Ihren Wunsch zu erfüllen. Aber ich bin Kaufmann, und sie werden sich nicht wundern, wenn ich Ihnen sage, daß ich nur gegen Zinsen ein Darlehen gewähren kann. Auch glaube ich, daß es für Sie am zweckmäßigsten wäre, wenn sie zu Ihrer bevorstehenden Reise meine Barke benutzen würden, die ich Ihnen für die Mietsumme von monatlich 700 Piastern überlassen will, wieviel Piaster haben sie nötig?«
Brehm nannte die Summe von 3000 Piastern. Der Gauner forderte 60 Prozent Zinsen und für seine elende Barke das Doppelte des üblichen Mietpreises. Das waren furchtbare Bedingungen, in deren Erfüllung Brehm seinen völligen Untergang voraussah. Er kochte innerlich vor Wut, aber er biß die Zähne zusammen und fügte sich, weil er sich eben fügen mußte, weil der Ertrinkende in seiner Verzweiflung auch nach einem Strohhalm greift. Als aber bei Ausstellung des Schuldscheins und Berechnung der Geldsorten der Armenier den bedauernswerten Forscher um weitere 20 Prozent zu betrügen versuchte, blieb der Deutsche seiner Entrüstung nicht länger Herr. Mit starker Hand hielt er den Schurken an seinem langen Barte fest und prügelte ihn mit der Nilpferdpeitsche, so lange er seinen rechten Arm rühren konnte, und das dauerte sehr lange, denn dieser Arm war jung und kräftig. Der getreue Ali hütete derweil mit gespannter Pistole die Tür des Diwan, Empfangszimmer für Männer so daß die Dienerschaft ihrem jämmerlich um Hilfe rufenden Herrn keine Unterstützung bringen konnte. Endlich entwand sich der Gauner Brehms ermattenden Händen, flüchtete in seinen Harem und schrie: »Maladetto, jetzt sieh, wo du Geld herbekommst!« Ohne ein weiteres Wort verließ Brehm den Diwan des bestraften Wucherers.
Der gestrenge Oberstatthalter des Sudan, Latief Pascha, soll herzlich gelacht haben, als ihm dies Geschichtchen zugetragen wurde, denn der echte Türke mag ja den Armenier nicht ausstehen. Darauf fußend, wagte es der verzweifelnde Brehm, den Pascha selbst in einer Bittschrift um ein Darlehen von 5000 Piastern auf vier Monate anzugehen, bis dahin würde er sicherlich Geld durch Baron Müller erhalten haben, schon am nächsten Tage hielt er eine Anweisung auf das Schatzamt in Händen: »Wir haben das Gesuch des Deutschen Chalil Effendi So wurde Brehm von Arabern und Türken genannt zu genehmigen beschlossen und befehlen euch, ihm 5000 Piaster ohne Zinsen auf vier Monate vorzustrecken. Laßt euch von ihm einen Empfangsschein geben. Sollte der Herr aber nach Verlauf von vier Monaten noch nicht imstande sein, das ihm geliehene Geld an die Kasse der Regierung zurückzuzahlen, so sendet uns seinen Empfangsschein zu und rechnet uns die Summe von 5000 Piastern auf unsere Apanagen.«
So großmütig, wahrhaft königlich handelte der Türke. Als Brehm seinem Gönner einen Dankbesuch abstattete, wurde er mit Worten empfangen, die fast wie ein Vorwurf klangen: »Es war unrecht von dir, Chalil Effendi, daß du mir deine Verlegenheit nicht schon früher angezeigt hast. Ich würde sie längst beendigt haben. Wie konntest du aber auch erst zu einem dieser schurkischen Christen gehen, statt gleich zu einem Mohammedaner?«
Die Reise nach dem Oberlauf des Blauen Flusses konnte also angetreten werden, sie gestaltete sich zu einer der glücklichsten und erfolgreichsten, die Brehm je gemacht hat, zumal er dabei von den tückischen Fieberanfällen so ziemlich verschont blieb. Er konnte diesmal weit tiefer ins Innere vordringen als früher mit Baron Müller. Erst als der Schießbedarf zu Ende ging und sich die Ausbeute zu stark anhäufte, kehrte er um. Jetzt lernte er überdies die überwältigende Formen- und Farbenfülle der Tropen erst in ihrem ganzen Umfang kennen und wurde mit den sagenhaftesten Gestalten der Urwälder und Sümpfe innig vertraut, hier lebt auch der riesenhafte, vorsintflutlich anmutende Watvogel, den die Araber Abu Markub nennen, d. h. Vater des Schuhs, denn in der Tat hat sein absonderlicher Schnabel die größte Ähnlichkeit mit den plumpen Schuhen, wie sie die ägyptischen Bauern tragen. Aufregende jagdliche Abenteuer gab es in Hülle und Fülle, und einmal wäre Brehm um Haaresbreite van einem wütenden Nilpferd getötet worden; nur seine Schwimmkunst rettete ihm das Leben. Mit einer Ausbeute von nicht weniger als 1400 seltenen und wertvollen Vogelbälgen kehrte der Forscher glücklich nach Chartum zurück.
Hier erwarteten ihn wohl Nachrichten aus dem Elternhause, aber von Baron Müller waren weder Briefe noch Wechsel noch sonst ein Lebenszeichen eingetroffen. Es kam auch künftig nichts mehr. Damit begann die alte Geldverlegenheit mit all ihrem aufreibenden Elend von neuem. Brehm mußte sich aufs äußerste einschränken, aber er arbeitete unverdrossen weiter an der Vervollständigung seiner Sammlungen, weil nur durch Arbeit seine entsetzliche Lage erträglicher wurde, weil nur die Natur Genüsse bot, die ihn das Elend seiner häuslichen Umstände vergessen ließen. Schließlich erfuhr er durch den österreichischen Konsul von Kairo auf Anfrage, daß Baron Müller bankerott sei. Damit war der letzte Hoffnungsstrahl geschwunden! Verlassen und verraten im Innern Afrikas! Ohne Mittel zur Heimkehr! Nur wer selbst gleich dem Schreiber dieser Zeilen eine ähnliche Lage durchgemacht hat, wird ermessen können, was sie bedeutet. Dazu stellte sich das »Geschenk des Teufels«, die Malaria, wieder ein und steigerte sich zu immer heftigeren und in immer kürzeren Zwischenräumen wiederkehrenden Anfällen. Aber die wissenschaftliche Ausbeute durfte trotzdem nicht notleiden, alles Entbehrliche wurde für sie verwendet. Brehm vertauschte seine silberne Uhr gegen acht Pfund Schießpulver, er verkaufte Kleider, Waffen, Bücher, Kisten, Wäsche, den wenigen Schmuck, den er besaß, kurz alles, was sich irgend verkaufen ließ. Er bat in seiner Not den Pascha um etwas Schießpulver. »Gebt dem Herrn 6000 Stück Militärpatronen zum Einkaufspreise der Regierung!« lautete die an den Aufseher des Pulvermagazins zu überbringende Antwort. Das Pulver war freilich schlecht, aber das Pfund kostete auf diese Weise auch nur fünf Piaster, und die Bleikugeln waren umsonst. Brehm goß Schrote aus ihnen. Natürlich konnte er dem Pascha auch die entliehenen 5000 Piaster vorläufig nicht zurückzahlen und bat deshalb brieflich um Verlängerung der Frist. »Zwischen dir und mir gibt es keine beschwerlichen Dinge«, schrieb der Türke einfach zurück.
Ich kannte früher ein rührendes Gedicht Brehms aus dieser Leidenszeit, betitelt »Meine letzten drei Freunde«, Alle meine Bemühungen, es wieder aufzutreiben, sind leider vergeblich gewesen unter denen er seine vielerprobte Büchse, seinen treuen Diener Ali und seine zahme Löwin Bachida verstand. Und wurde unserem Freunde das Herz einmal gar zu kummerschwer, und war der Dämon des Fiebers einmal auf Stunden von ihm gewichen, dann schulterte er sein Gewehr und zog hinaus in die freie Natur, sich neu zu kräftigen und zu stärken. Wer in der Natur Trost zu finden weiß, der kann ja niemals ganz unglücklich werden!
Um diese kritische Zeit kam ein deutscher Großkaufmann aus Petersburg, namens Bauerhorst, nach Chartum, um dort Handelsbeziehungen anzuknüpfen. Er war ein anständiger Mensch, befreundete sich bald mit Brehm, und erbot sich, ihn nach Abwicklung seiner Geschäfte bis nach Kairo mitzunehmen. Ein Ausweg? Es fragte sich, ob der Pascha als Brehms Hauptgläubiger die Erlaubnis zu dessen Abreise vor Bezahlung der Schuld geben würde. Beide gingen deshalb zu ihm, Bauerhorst, um Abschied zu nehmen, Brehm, um zu bitten, seine Schuld von Kairo aus zahlen zu dürfen.
Der Pascha war schlechter Laune und anfangs sehr kalt. Brehm übersetzte zuerst Bauerhorsts Abschiedsworte und kam dann zu seiner Bitte: »Herrlichkeit, ich muß zugrunde gehen, wenn ich noch länger hier verweile. Nach Aussage der Ärzte ist mein geschwächter Körper nicht mehr fähig, neuen Fieberanfällen Widerstand zu leisten. Ich muß eilen, ein gesundes Klima zu erreichen; auch möchte ich gerne die Lieben im Vaterlande wiedersehen, von denen ich so lange getrennt gewesen bin.«
»Aber wer hält dich denn hier zurück, Chalil Effendi? So ziehe doch in Frieden deiner Heimat zu!«
»Herrlichkeit, mich hält einzig und allein mein gegebenes Wort zurück. Ich bin dein Schuldner und freue mich, es zu sein, weil ich dadurch deine Großmut erkennen lernte. Es ist mir aber unmöglich, mein Wort hier zu lösen, wie ich es versprochen habe. Ich kann es nur in Kairo, willst du mir erlauben, daß ich dahin abreisen darf, so wirst du das Maß deiner gegen den Fremdling reichlich bewiesenen Güte übervoll machen.«
»Zum Teufel! Was denkst du von mir, Chalil Effendi? Bezahle zwei Monate nach deiner Ankunft an deinen Konsul in Kairo; ich werde das Geld dort erheben lassen. Aber wie willst du nach Kairo gelangen? Das ist ein Weg von mehreren hundert Meilen, wo willst du die Reisekosten hernehmen?«
»Mein Freund Bauerhorst hat versprochen, sie bis nach Kairo auszulegen.«
»Ganz gut, Chalil Effendi, aber ich will dir noch eine Lehre geben. Du bist noch jung und kannst noch nicht die Menschenkenntnis besitzen, die ich mir durch lange Erfahrung im Geschäftsleben erworben habe. Glaube mir, der beste Freund verwandelt sich allgemach in einen Feind, wenn man ihn fortwährend um Geld anzusprechen gezwungen ist. Ich kann verhüten, daß auch du diese Erfahrung machst, und ich will es. Ich werde verfügen, daß man dir noch 5000 Piaster aus der Schatzkammer ausbezahlt. Du bist dann 10000 Piaster schuldig. Zahle sie an deinen Konsul in Kairo zurück!«
Brehm, für den diese Worte eine glänzende Erlösung aus seinem Elend und die endliche Rückkehr in die Heimat bedeuteten, fand anfangs kaum Worte, seinen Dank auszudrücken. Endlich stammelte er: »Herrlichkeit, deine Gnade drückt mich zu Boden. Ich werde deinen Edelmut nie vergessen.« In dem feuchten Blick des beglückten Deutschen mochte der Pascha wohl lesen, daß er seine Großmut an keinen Unwürdigen verschwendet habe. Freundlich entließ er ihn. Brehm hat mit Hilfe seiner Verwandten die Schuld pünktlich zurückgezahlt. Der Pascha schrieb später dem alten Brehm nach einen sehr netten Brief, worin er ihn zu diesem Sohn beglückwünscht
Nun ging es also wirklich an die Zurüstungen zu der langwierigen Heimfahrt, die bei der Menge der angesammelten wissenschaftlichen Ausbeute und der großen Anzahl Tiere, die lebendig mitgeführt werden mußten, recht umständlich waren. In Kairo traf Brehm zufällig mit seinem berühmten Landsmann Theodor von Heuglin zusammen, und beide machten gemeinsam noch einen Abstecher nach dem Sinai. Es ist bezeichnend für Brehm, daß er, obwohl es ihn begreiflicherweise mit allen Fasern seines Herzens nach der trauten Heimat zog, doch diese Gelegenheit nicht versäumen wollte, nun auch noch die zwar spärliche, aber sehr eigenartige Tierwelt des Sinai kennenzulernen, um sie mit der ägyptischen vergleichen zu können. Am 16. Juli 1852 drückte Alfred Brehm nach mehr als fünfjähriger Abwesenheit seine treuen Eltern wieder ans Herz. Ein unreifer Jüngling war nach Afrika hinausgezogen, ein weit über seine Jahre gereifter, ernster, ganzer Mann kehrte zurück.