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5

Er mußte zwölftausend Francs haben, oder er würde Madame Arnoux nicht wiedersehen; und bis jetzt war ihm eine unversiegbare Hoffnung geblieben. War sie nicht der Traum seines Herzens, der Inhalt seines Lebens? Einige Minuten ging er wankend weiter auf dem Trottoir, von Angst verzehrt, und war doch glücklich, daß er nicht mehr bei der andern war.

Wie das Geld herbeischaffen? Frédéric wußte aus eigener Erfahrung, wie schwer es war, es sich, um welchen Preis auch, zu verschaffen. Eine einzige Person konnte ihm helfen, Madame Dambreuse. Sie hatte in ihrem Schreibtisch immer einige Banknoten. Er ging zu ihr, und in keckem Ton fragte er: »Kannst du mir zwölftausend Francs leihen?«

»Wozu?«

Es sei das Geheimnis eines andern. Sie wollte es wissen. Er gab nicht nach. Beide waren hartnäckig. Schließlich erklärte sie, daß sie nichts geben werde, ehe sie nicht wisse, zu welchem Zweck es sei. Frédéric wurde sehr rot. Einer seiner Kameraden hätte einen Diebstahl begangen. Die Summe müßte heute zurückerstattet werden.

»Wie heißt er? Sein Name? Nun, wie ist sein Name?«

»Dussardier!«

Und er warf sich ihr zu Füßen und beschwor sie, nichts davon zu verraten.

»Wie kannst du mir das zutrauen?« erwiderte Madame Dambreuse. »Man könnte glauben, du seist der Schuldige. Laß doch diese tragische Miene! Hier, da sind sie! und mögen sie ihm Gutes bringen!«

Er eilte zu Arnoux. Der Kaufmann war nicht in seinem Laden. Aber er wohne noch immer Rue Paradis, denn er hätte zwei Wohnungen.

In der Rue Paradis beteuerte der Portier, daß Monsieur Arnoux seit dem gestrigen Tage abwesend sei; über Madame dagegen wage er nichts zu sagen; und nachdem er wie ein Blitz die Treppe hinaufgestürmt war, legte Frédéric sein Ohr an das Schloß. Endlich wurde geöffnet. Madame sei mit Monsieur abgereist. Das Mädchen wußte nicht, wann sie wiederkommen wollten; ihr Lohn wäre bezahlt, und sie ginge fort.

Plötzlich vernahm man das Knarren einer Tür.

»Aber da ist doch jemand?«

»O nein, das ist der Wind!«

Nun kehrte er um. Doch ein so rasches Verschwinden war ihm unerklärlich.

Regimbart, der mit Mignot intim befreundet war, konnte es vielleicht aufklären? Und Frédéric fuhr nach Montmartre, Rue de l'Empereur, zu ihm.

Sein Haus hatte ein Gärtchen an jeder Seite, durch ein Gitter abgeschlossen, dessen Zwischenräume mit Eisenblech ausgefüllt waren. Ein Vorplatz mit drei Stufen belebte die weiße Fassade, und im Vorbeigehen sah man vom Trottoir aus zwei Räume des Erdgeschosses, einen Salon mit Roben auf allen Möbeln und die Arbeitsstube, in der sich die Arbeiterinnen von Madame Regimbart aufhielten.

Alle waren überzeugt davon, daß Monsieur große Geschäfte, vornehme Verbindungen habe, daß er ein unvergleichlicher Mensch sei. Wenn er mit seinem breitkrempigen Hut, dem langen Gesicht und seinem grünen Überrock durch den Flur ging, unterbrachen sie ihre Arbeit. Überdies versäumte er nie, einige ermutigende Worte an sie zu richten, eine liebenswürdige Bemerkung zu machen – und später in ihrer Häuslichkeit fühlten sie sich unglücklich, weil sie ihr Ideal in ihm sahen.

Keine jedoch liebte ihn wie Madame Regimbart, eine kleine intelligente Person, die ihn durch ihr Geschäft unterhielt.

Nachdem Monsieur Moreau seinen Namen genannt hatte, kam sie eiligst, ihn zu empfangen, da sie durch die Dienstboten wußte, wie er mit Madame Dambreuse stand. Ihr Mann »wäre soeben zurückgekommen«; Frédéric folgte ihr und bewunderte das Aussehen der Wohnung und den Überfluß von Wachsleinwand überall. Dann wartete er einige Minuten in einer Art Büro, wohin der Citoyen sich zurückzog, um nachzudenken.

Sein Empfang war weniger barsch als sonst.

Er erzählte die Geschichte Arnoux'. Der ehemalige Fayencen-Fabrikant hatte Mignot, einen Patrioten, Besitzer von hundert Aktien des »Siècle«, beschwatzt, indem er ihm auseinandersetzte, daß vom demokratischen Gesichtspunkt aus die Geschäftsführung und die Redaktion des Blattes geändert werden müßten; und unter dem Vorwand, seinen Antrag bei der nächsten Versammlung der Aktionäre durchsetzen zu können, hatte er fünfzig Aktien von ihm gefordert und gesagt, daß er sie sicheren Freunden übergeben wolle, die ihn mit ihrer Stimme unterstützen würden; Mignot würde keine Verantwortung haben und sich mit niemand überwerfen; dann, nach erfolgtem Gelingen, würde er ihm in der Verwaltung eine gute Stelle mit wenigstens fünf- bis sechstausend Francs verschaffen. Die Aktien wurden ausgeliefert. Aber Arnoux hatte sie sofort verkauft und sich mit dem Gelde an einem Geschäft mit kirchlichen Gegenständen beteiligt. Darauf kamen Reklamationen Mignots und Verzögerungen Arnoux'; schließlich hatte der Patriot ihm mit einer Klage wegen Betruges gedroht, wenn er ihm nicht die Papiere oder die gleichwertige Summe, fünfzigtausend Francs, zurückerstatte.

Frédéric blickte verzweifelt drein.

»Das ist noch nicht alles,« sagte der Citoyen. »Mignot, der ein braver Mensch ist, hat sich auf ein Viertel beschränkt. Hierauf neue Versprechungen Arnoux', neue Kniffe natürlich. Kurz, vorgestern hat Mignot ihn gerichtlich ausfordern lassen, ihm binnen vierundzwanzig Stunden zwölftausend Francs zu zahlen.«

»Aber ich habe sie!« sagte Frédéric.

Der Citoyen wandte sich langsam um:

»Schwindler!«

»Bitte! Sie sind in meiner Tasche. Ich habe sie mitgebracht.«

»Wie Sie drauf losgehen! Himmeldonnerwetter! Übrigens ist es zu spät, die Klage ist eingereicht und Arnoux abgereist.«

»Allein?«

»Nein! mit seiner Frau. Sie wurden auf dem Havrer Bahnhof gesehen.«

Frédéric wurde ganz bleich. Madame Regimbart glaubte, daß er ohnmächtig würde. Er bezwang sich jedoch und hatte selbst die Kraft, zwei oder drei Fragen über die Angelegenheit zu stellen. Regimbart tat es leid, da solche Dinge der Demokratie schadeten. Arnoux habe niemals Lebensart und Charakter bewiesen.

»Ein wahrer Strohkopf! Er brannte das Licht an beiden Enden an! Die Weiber haben ihn verdorben! Ihn bedauere ich nicht, sondern seine arme Frau!« Denn der Citoyen bewunderte die tugendhaften Frauen und hielt viel von Madame Arnoux. »Sie muß schön gelitten haben!«

Frédéric wußte ihm Dank für diese Sympathie und schüttelte ihm warm die Hand, als hätte er ihm einen Dienst erwiesen.

»Hast du alle notwendigen Gänge gemacht?« fragte Rosanette, als sie ihn wiedersah.

Er habe nicht den Mut dazu gehabt, erwiderte er, und wäre aufs Geratewohl durch die Straßen gegangen, um sich zu betäuben.

Um acht Uhr gingen sie ins Speisezimmer, aber sie saßen einander schweigend gegenüber, stießen dann und wann einen tiefen Seufzer aus und schickten das Essen wieder hinaus. Frédéric trank Branntwein. Er fühlte sich ganz zerrüttet, zerschlagen, vernichtet, und empfand nichts als eine außerordentliche Müdigkeit.

Sie holte das Porträt. Rot, Gelb, Grün und Indigo in harten Flecken nebeneinander gaben dem Ganzen etwas Abstoßendes, Abgeschmacktes.

Außerdem war der kleine Tote jetzt unkenntlich. Der violette Ton seiner Lippen erhöhte noch die Weiße der Haut; die Nasenflügel waren noch winziger geworden, die Augen mehr eingesunken; und sein Köpfchen ruhte auf einem Kissen von blauem Taft zwischen Kamelienblättern, Herbstrosen und Veilchen; dies war eine Idee des Hausmädchens, und sie hatten es beide fromm so arrangiert. Auf dem Kamin, der mit einer Spitzendecke verhangen war, standen abwechselnd vergoldete Leuchter und geweihte Buchsbaumsträuße; an den Ecken in beiden Vasen brannten Räucherkerzen, alles dies bildete mit der Wiege eine Art Ruhealtar, und Frédéric erinnerte sich seiner Nachtwache bei Monsieur Dambreuse.

Alle Viertelstunde etwa öffnete Rosanette die Vorhänge, um ihr Kind zu betrachten. Sie sah es vor sich, wie es einige Monate später zu gehen begann, dann in der Schule, auf dem Hof beim Spiel; darauf, zwanzig Jahre alt, als jungen Mann; und alle diese Bilder, die sie schuf, waren ihr wie ebensoviele Söhne, die sie verloren, – so steigerte das Übermaß des Schmerzes ihr Muttergefühl.

Frédéric saß regungslos in dem andern Sessel; er dachte an Madame Arnoux.

Sie war jetzt wohl in der Eisenbahn, das Gesicht an den Scheiben des Wagenfensters, und blickte auf das Land hinter sich, das nach Paris zu entschwand, oder auch auf Deck eines Dampfschiffes, wie das erste Mal, als er ihr begegnet war; aber diesmal ging es in unbestimmte Gegenden, die sie nicht wieder verließ. Dann sah er sie in einem Gasthauszimmer mit Koffern auf der Erde und zerfetzten Tapeten, der Wind rüttelte an der Tür. Und dann? was wurde aus ihr? Eine Erzieherin, Gesellschaftsdame, eine Kammerfrau vielleicht? Sie war allen Zufälligkeiten des Elends ausgesetzt. Diese Ungewißheit ihres Geschicks quälte ihn. Er hätte sich ihrer Flucht widersetzen oder ihr nachreisen sollen. War er nicht ihr wahrer Gatte? Und den Gedanken, daß er sie niemals wiederfinden würde, daß alles zu Ende, daß sie unwiderdringlich verloren war, empfand er wie eine Vernichtung seines Selbst; die Tränen, die er seit dem Morgen zurückgedrängt hatte, flossen über.

Rosanette bemerkte es.

»Ach! du weinst wie ich! Hast du Kummer?«

»Ja! ja! ich habe Kummer! ...«

Er drückte sie an sein Herz, und alle beide schluchzten, indem sie sich umschlungen hielten.

Auch Madame Dambreuse weinte, auf ihr Bett hingestreckt, den Kopf in den Händen.

Olympe Regimbart, die am Morgen gekommen war, um ihr ein erstes farbiges Kleid anzuprobieren, hatte von Frédérics Besuch erzählt und auch, daß er zwölftausend Francs bereit hatte, die für Monsieur Arnoux bestimmt waren.

Also dieses Geld, ihr eigenes Geld, sollte die Abreise der anderen verhindern, um sich eine Geliebte zu erhalten!

Sie hatte zuerst einen Wutanfall, – war entschlossen, ihn wie einen Lakai fortzujagen. Ein Strom von Tränen beruhigte sie. Es war besser, alles im Herzen zu verschließen, nichts zu sagen.

Frédéric brachte am nächsten Tage die zwölftausend Francs zurück.

Sie bat ihn, das Geld für seinen Freund zu behalten, falls er dessen bedurfte, und erkundigte sich eingehend nach ihm. Wer hatte ihn nur zu einem solchen Vertrauensbruch getrieben? Eine Frau sicherlich! »Die Frauen bringen euch zu jedem Verbrechen.«

Dieser spöttelnde Ton brachte Frédéric aus der Fassung. Er empfand große Gewissensbisse wegen seiner Verleumdung. Ihn beruhigte nur, daß Madame Dambreuse die Wahrheit nicht kennen konnte.

Sie blieb aber hartnäckig dabei, denn am übernächsten Tage fragte sie wiederum nach seinem Freunde, dann nach einem andern, nach Deslauriers.

»Ist er ein zuverlässiger und intelligenter Mensch?«

Frédéric lobte ihn.

»Bitte ihn, an einem der nächsten Vormittage herzukommen, ich würde ihn gern in einer Sache um Rat fragen.«

Sie hatte eine Papierrolle gefunden, die protestierte Wechsel Arnoux' enthielt, unter die Madame Arnoux ihren Namen gesetzt hatte. Dieser selben Wechsel wegen war Frédéric einmal während des Frühstücks zu Monsieur Dambreuse gekommen; und obwohl der Bankier die Rückzahlung nicht einfordern wollte, hatte er vom Handelsgericht nicht nur Arnoux verurteilen lassen, sondern auch seine Frau, die nichts davon wußte, da ihr Mann es nicht für ratsam gehalten hatte, sie davon zu benachrichtigen.

Das war eine Waffe! Madame Dambreuse zweifelte nicht daran. Aber ihr Notar würde ihr vielleicht raten, zu verzichten; sie zog einen Unbekannten vor; und nun erinnerte sie sich dieses langen Menschen mit der frechen Miene, der ihr seine Dienste angeboten hatte.

Frédéric richtete ihren Auftrag harmlos aus.

Der Advokat war entzückt, mit einer so vornehmen Dame in Verbindung zu treten. Er eilte zu ihr.

Sie teilte ihm mit, daß alles zur Erbschaft ihrer Nichte gehöre, ein Grund mehr, diese ausstehenden Schulden zu liquidieren, die sie wiedererstatten würde, da ihr daran liege, das Ehepaar Martinon durch tadellose Handlungsweise zu beschämen.

Deslauriers begriff, daß ein Geheimnis dahinter steckte; er überlegte, indem er die Wechsel prüfte. Der Name von Madame Arnoux, von ihr selbst geschrieben, brachte ihm ihre ganze Person und die Beleidigung in Erinnerung, die sie ihm zugefügt hatte. Da die Gelegenheit zur Rache sich jetzt bot, warum sie nicht ergreifen?

Er riet darum Madame Dambreuse, die aussichtslosen, zur Erbmasse gehörigen Schuldforderungen dem Meistbietenden verkaufen zu lassen. Ein Strohmann würde sie unter der Hand wiederkaufen und einklagen. Er übernahm es, diesen Mann ausfindig zu machen.

Gegen Ende November, als Frédéric durch die Straße von Madame Arnoux ging, blickte er zu ihren Fenstern hinauf und bemerkte an der Tür ein Plakat, auf dem in großen Buchstaben stand:

»Versteigerung eines reichen Mobiliars, bestehend aus Kücheneinrichtung, Leib- und Bettwäsche, Hemden, Spitzen, Unterröcken, Beinkleidern, französischen und indischen Kaschmirs, einem Erard-Flügel, zwei Eichentruhen, Renaissance, venetianischen Spiegeln, chinesischen und japanischen Töpfereien.«

»Es ist ihre Einrichtung!« sagte sich Frédéric; und der Portier bestätigte seinen Argwohn.

Wer sie versteigern ließ, wußte er nicht. Aber der Taxator, Maitre Berthelot, würde vielleicht Auskunft geben können.

Der Beamte wollte anfangs durchaus nicht sagen, welcher Gläubiger die Versteigerung angeordnet hatte, Frédéric bestand darauf. Es wäre ein Herr Sénécal, Agent; und Maître Berthelot trieb sein Entgegenkommen sogar so weit, daß er ihm sein Blatt »Petites-Affiches« lieh. Als Frédéric zu Rosanette kam, warf er es offen auf den Tisch.

»Da lies!«

»Nun, was denn?« sagte sie mit so sanftem Gesicht, daß er entrüstet war.

»Ach! geh mit deiner Unschuld!«

»Ich verstehe nicht!«

»Bist du es, die die Sachen von Madame Arnoux versteigern läßt?«

Sie las die Anzeige noch einmal.

»Wo steht ihr Name?«

»Es ist ihr Mobiliar! Du weißt es besser als ich!«

»Was geht das mich an?« sagte Rosanette, die Achseln zuckend.

»Was es dich angeht? Du rächst dich eben, das ist es! Das ist die Frucht deiner Verfolgung! Hast du sie nicht soweit beleidigt, daß du sogar zu ihr gingst! Du, ein Mädchen von niedriger Herkunft. Die heiligste, reizendste, beste Frau! Warum legst du es darauf an, sie zu ruinieren?«

»Du irrst, ich versichere dich!«

»Ach, geh doch! Als ob du nicht Sénécal vorgeschoben hättest!«

»Was für ein Unsinn!«

Da riß die Wut ihn wieder hin.

»Du lügst! du lügst. Elende! Du bist eifersüchtig auf sie! Du besitzest ein Straferkenntnis gegen ihren Mann. Sénécal hat sich schon einmal in deine Angelegenheiten gemischt! Er verabscheut Arnoux, euer beider Haß vereinigt sich. Ich sah seine Freude, als du deinen Prozeß mit der Kaolin-Gesellschaft gewannst. Leugnest du es?«

»Ich gebe dir mein Wort ...«

»O! das kenne ich! Dein Wort!«

Und Frédéric erinnerte sie an ihre Liebhaber, nannte ihre Namen und alle kleinen Einzelheiten dabei. Rosanette wurde blaß und fuhr zurück.

»Das überrascht dich! Du hieltest mich für blind, weil ich die Augen schloß. Jetzt habe ich genug davon! Man stirbt nicht am Verrat einer Frau von deiner Sorte. Wenn es zu arg wird, zieht man sich zurück; es hieße sich erniedrigen, wenn man sie strafte.«

Sie rang die Hände.

»Mein Gott, was hat dich denn so verwandelt?«

»Niemand als du selbst!«

»Und all das wegen Madame Arnoux!...« rief Rosanette weinend.

Er erwiderte kalt:

»Ich habe immer nur sie geliebt!«

Bei dieser Kränkung stockten ihre Tränen.

»Das beweist deinen guten Geschmack! Eine Person reifen Alters mit lakritzenfarbenem Teint, plumper Figur, Augen so groß wie Kellerfenster und leer wie sie! Wenn dir das gefällt, geh doch zu ihr zurück!«

»Darauf habe ich gewartet! Danke!«

Rosanette stand regungslos, starr über dieses ungewöhnliche Gebaren. Sie ließ selbst die Tür wieder zufallen; dann war sie mit einem Satz im Vorzimmer und umschlang ihn mit den Armen:

»Aber du bist toll! du bist toll! das ist ja albern! ich liebe dich!« Sie beschwor ihn: »Mein Gott, im Namen unseres Kindchens!«

»Gestehe, daß du es warst, die diesen Streich gespielt hat!« sagte Frédéric.

Sie beteuerte nochmals ihre Unschuld.

»Du willst es nicht eingestehen?«

»Nein!«

»Gut, adieu dann! und für immer!«

»Hör mich an!«

Frédéric wandte sich um.

»Wenn du mich besser kenntest, müßtest du wissen, daß mein Entschluß unwiderruflich ist.«

»O! Du kommst doch zurück zu mir!«

»Nie im Leben!«

Und er schlug heftig die Tür zu. Rosanette schrieb an Deslauriers, daß sie seinen Rat sofort brauche.

Fünf Tage später kam er eines Abends an; und als sie ihm von ihrem Bruch erzählt hatte, sagte er:

»Ist's weiter nichts! Was ist denn das für ein Unglück!«

Sie hatte anfangs geglaubt, er würde Frédéric wieder zurückbringen können, jetzt war alles verloren. Sie hatte durch seinen Hausmeister von seiner bevorstehenden Heirat mit Madame Dambreuse gehört.

Deslauriers sprach ihr Mut zu, er selbst war sonderbar munter und lustig dabei; und da es sehr spät geworden war, bat er sie um Erlaubnis, die Nacht in einem Lehnstuhl zubringen zu dürfen. Am nächsten Morgen wollte er nach Nogent zurück und sagte ihr, daß er nicht wisse, wann sie sich wiedersehen würden; in kurzem würde vielleicht eine große Veränderung in seinem Leben eintreten.

Zwei Stunden nach seiner Rückkehr war die Stadt in Aufregung. Man sagte, daß Frédéric Madame Dambreuse heiraten werde. Die drei Fräulein Auger hielten es nun nicht mehr aus, sie begaben sich zu Madame Moreau, die diese Nachricht mit Stolz bestätigte. Vater Roque wurde krank. Louise schloß sich ein. Es ging sogar das Gerücht, daß sie den Verstand verloren hätte.

Indessen konnte Frédéric seine Traurigkeit nicht verbergen. Madame Dambreuse verdoppelte, wahrscheinlich um ihn zu zerstreuen, ihre Aufmerksamkeiten. Jeden Nachmittag machte sie Spazierfahrten in ihrem Wagen mit ihm; und einmal, als sie über die Place de la Bourse fuhren, kam sie auf die Idee, zum Spaß in das Versteigerungslokal zu gehen.

Es war der 1. Dezember, der Tag, an dem die Versteigerung der Sachen Madame Arnoux' stattfinden sollte. Er erinnerte sich des Datums und gestand seinen Widerwillen, hineinzugehen, erklärte, daß der Ort wegen des Lärms und der Menge unerträglich sei. Sie wünschte nur einen Blick hineinzuwerfen. Das Coupé hielt. Er mußte ihr folgen. Man sah im Hof Waschtische ohne Schüsseln, Fauteuilgestelle, alte Körbe, Porzellanscherben, leere Flaschen und Matratzen; und Männer in Blusen und schmutzigen Röcken, ganz grau von Staub, mit gemeinen Gesichtern, einige mit Leinensäcken auf der Schulter, plauderten in getrennten Gruppen oder schrien durcheinander.

Frédéric fand es unangenehm, weiterzugehen.

»Ach was!«

Sie stiegen die Treppe hinauf.

Im ersten Saal, rechts, prüften Herren mit dem Katalog in der Hand Bilder; in einem andern wurde eine Sammlung chinesischer Waffen verkauft; Madame Dambreuse wollte wieder hinuntergehen. Sie blickte nach den Nummern über den Türen und führte ihn bis ans Ende des Ganges in einen Raum, der voll von Menschen war.

Er erkannte sofort die beiden Etageren aus der »Kunsthandlung«, ihren Arbeitstisch, alle ihre Möbel.

Im Hintergrunde, der Größe nach aufgestapelt, bildeten sie von der Diele bis zum Fenster einen breiten Aufbau; und an der andern Seite des Zimmers hingen Teppiche und Vorhänge gerade an den Wänden. Darunter waren Stufen, auf denen alte Männer saßen und schliefen. Links war eine Art Pult errichtet, auf dem der Auktionator in weißer Krawatte leicht einen kleinen Hammer schwang. Ein junger Mann neben ihm schrieb; und weiter unten rief ein robuster Kerl, halb Handlungsreisender, halb Zwischenhändler, die Möbel aus. Drei Burschen trugen sie auf einen Tisch vor einer Reihe Trödler und Hökerinnen, die dort saßen. Die Menge bewegte sich hinter ihnen hin und her.

Als Frédéric eintrat, waren die Unterröcke, die Fichus, die Taschentücher, ja, selbst die Hemden von Hand zu Hand gegangen und wieder zurückgegeben; mitunter warf man sie sich von weitem zu, und plötzlich durchflog etwas Weißes die Luft. Dann wurden ihre Kleider versteigert, darauf einer ihrer Hüte, dessen Feder geknickt herabfiel, dann ihr Pelzwerk, zuletzt drei Paar Schuhe; – und die Verteilung dieser Heiligtümer, in denen er dunkel die Formen ihrer Mieder wiederfand, schien ihm eine Grausamkeit, als hätte er Raben ihren Leichnam zerfleischen sehen. Die mit den Ausdünstungen des Atems durchtränkte Atmosphäre des Saales ekelte ihn. Madame Dambreuse bot ihm ihr Flakon an; sie unterhielt sich sehr gut, wie sie sagte.

Man zeigte die Möbel ihres Schlafzimmers.

Maître Berthelot verkündete den Preis. Der Ausrufer wiederholte ihn gleich darauf lauter; und die drei Gehilfen warteten ruhig den Schlag des Hammers ab und trugen den Gegenstand dann in einen angrenzenden Raum. So verschwanden nacheinander der große blaue Teppich mit darüber verstreuten Kamelien, den ihre kleinen Füßchen gestreift, wenn sie ihm entgegenkam, der kleine gestickte Sessel, auf dem er ihr immer gegenübersaß, wenn sie allein waren, die beiden Ofenschirme, deren Elfenbein die Berührung ihrer Hände zarter gemacht hatten, ein Samt-Nähkissen, das noch von Nadeln starrte. Es war, als ob diese Sachen Teile seines Herzens mit sich nähmen; und die Eintönigkeit der Stimmen und der immer gleichen Geberden wirkten lähmend auf ihn, betäubten ihn bis zur Erschöpfung.

Seide knitterte an seinem Ohr; Rosanette berührte ihn. Sie hatte durch Frédéric selbst von dieser Versteigerung erfahren. Nachdem sie ihren Schmerz überwunden hatte, war ihr die Idee gekommen, Nutzen für sich daraus zu ziehen. Siegesbewußt stand sie da in einer weißen Atlasjacke mit Perlenknöpfen, einer Robe mit Falbeln und enganliegenden Handschuhen.

Er erbleichte vor Zorn. Sie betrachtete die Frau, die ihn begleitete.

Madame Dambreuse hatte sie erkannt; und eine Minute musterten sie sich eingehend von oben bis unten, um einen Fehler, einen Mangel zu entdecken, – die eine beneidete die andere vielleicht um ihre Jugend, und diese ärgerte sich über den erlesenen Geschmack, die aristokratische Einfachheit ihrer Rivalin.

Endlich wandte Madame Dambreuse mit einem Lächeln unaussprechlichen Hochmuts den Kopf ab. Der Ausrufer hatte den Flügel geöffnet – ihren Flügel! Stehend spielte er mit der rechten Hand eine Tonleiter und setzte den Preis für das Instrument mit zwölfhundert Francs an, ging dann auf tausend herunter, auf achthundert, auf siebenhundert.

Madame Dambreuse moquierte sich mit mutwilligem Ton über den Kasten.

Man setzte ein kleines Kästchen mit silbernen Medaillons, Beschlägen und Schließen vor die Trödler, dasselbe, das er bei seinem ersten Besuch in der Rue Choiseul gesehen hatte, das dann bei Rosanette gewesen und wieder zu Madame Arnoux zurückgekommen war; oft hatten seine Augen bei ihren Unterhaltungen darauf geruht; es war mit feinen teuersten Erinnerungen verknüpft, und seine Seele zerfloß in Traurigkeit, als Madame Dambreuse plötzlich sagte:

»Warte! ich kaufe es!«

»Aber es ist nichts Seltenes,« erwiderte er.

Sie fand es im Gegenteil sehr hübsch; und der Ausrufer pries seine Feinheit.

»Ein Kleinod der Renaissance! Achthundert Francs, meine Herren! Fast ganz aus Silber! Mit ein wenig Kreide wird es wieder blank!«

Und als sie sich durch die Menge drängte, sagte Frédéric:

»Welch seltsame Idee!«

»Bist du böse darüber?«

»Nein, aber was fängt man mit dieser Nippsache an?«

»Wer weiß, vielleicht legt man Liebesbriefe hinein.«

Ihr Blick machte die Anspielung sehr klar.

»Ein Grund mehr, Toten nicht ihre Geheimnisse zu rauben.«

»Ich hielt sie nicht für tot.« Sie fügte deutlich hinzu: »Achthundertachtzig Francs!«

»Was du tust, ist nicht recht,« murmelte Frédéric.

Sie lachte.

»Meine Liebe, es ist meine erste Bitte an dich.« »Du wirst kein liebenswürdiger Ehemann sein, weißt du?«

Jemand machte eben ein höheres Gebot; sie hob die Hand:

»Neunhundert Francs!«

»Neunhundert Francs!« wiederholte Maître Berthelot.

»Neunhundertzehn ... fünfzehn ... zwanzig ... dreißig!« kreischte der Ausrufer und blickte mit kurzem Kopfnicken auf die Bietenden.

»Gib mir den Beweis, daß meine Frau vernünftig ist,« sagte Frédéric.

Und er zog sie sanft nach der Tür hin.

Der Auktionator fuhr fort:

»Weiter, weiter, meine Herren, neunhundertdreißig! Ist ein Käufer für neunhundertdreißig da?«

Madame Dambreuse, die bis zur Schwelle gekommen war, blieb stehen und rief mit lauter Stimme:

»Tausend Francs!«

Ein Schauer ging durch die Versammlung, ein Schweigen.

»Tausend Francs, meine Herren, tausend Francs! Niemand erhebt Einspruch? Tausend Francs!«

Der Elfenbeinhammer fiel.

Sie reichte ihre Karte hin, man übergab ihr das Kästchen. Sie versenkte es in ihren Muff.

Frédéric fühlte eine große Kälte sein Herz durchströmen.

Madame Dambreuse hatte seinen Arm nicht losgelassen, und sie wagte nicht, ihm ins Gesicht zu sehen, bis sie auf der Straße waren, wo der Wagen sie erwartete.

Sie warf sich hinein wie ein Dieb, der entflieht, und wandte sich, als sie saß, nach Frédéric um. Er hatte seinen Hut in der Hand.

»Du steigst nicht ein?«

»Nein, Madame!«

Er grüßte kalt und schloß den Wagenschlag, dann gab er dem Kutscher ein Zeichen, abzufahren.

Er empfand anfangs ein Gefühl der Freude und wiedergewonnener Unabhängigkeit. Er war stolz darauf, Madame Arnoux gerächt zu haben, indem er ihr ein Vermögen opferte; dann aber wunderte er sich über seine Tat, und eine unendliche Niedergeschlagenheit übermannte ihn.

Am nächsten Morgen brachte sein Diener ihm Neuigkeiten. Der Belagerungszustand sei erklärt, die National-Versammlung aufgelöst und ein Teil der Volksvertreter in Mazas. Die öffentlichen Angelegenheiten ließen ihn gleichgültig, so sehr beschäftigten ihn die seinigen.

Er schrieb an Lieferanten, um mehrere Einkäufe, die er im Hinblick auf seine Verheiratung gemacht hatte, abzubestellen. Diese Heirat erschien ihm jetzt wie eine fast niedrige Spekulation, und er verabscheute Madame Dambreuse, weil er ihretwegen beinahe eine Gemeinheit begangen hätte. Er vergaß darüber die Marschallin, beunruhigte sich nicht einmal wegen Madame Arnoux', – versunken in die Trümmer seiner Träume, krank, voll Schmerz und Mutlosigkeit, dachte er nur an sich, an sich allein; und in Haß gegen das künstliche Milieu, wo er soviel gelitten, sehnte er sich nach der Frische des Grases, der Ruhe der Provinz, einem beschaulichen Leben mit harmlosen Wesen im Schutz des Vaterhauses. Am Mittwoch Abend endlich ging er aus.

Zahlreiche Gruppen standen auf dem Boulevard. Von Zeit zu Zeit zerstreute sie eine Patrouille; hinter ihr bildeten sie sich von neuem. Man sprach frei heraus, man rief den Trupps Scherze und Schimpfworte nach, weiter nichts.

»Wird wieder gekämpft werden?« fragte Frédéric einen Arbeiter.

Der Mann in der Bluse erwiderte:

»Wir sind nicht so dumm, uns für die Bürger töten zu lassen! Mögen sie sich selber helfen!«

Und ein Herr brummte, indem er zu dem Vorstädter hinüberblickte:

»Kanaillen von Sozialisten! Ob man sie diesmal nicht ausrotten könnte?«

Frédéric begriff diese Rachsucht und Albernheit nicht. Sein Widerwille gegen Paris wuchs; und am übernächsten Tage reiste er mit dem ersten Zuge nach Nogent.

Die Häuser verschwanden bald, das flache Land breitete sich vor ihm aus. Allein in seinem Abteil, mit den Füßen auf der Bank, durchlebte er noch einmal die letzten Tage, seine ganze Vergangenheit. Die Erinnerung an Louise erwachte von neuem.

»Sie liebte mich! Ich tat unrecht, das Glück nicht zu ergreifen ... Ach, denken wir nicht mehr daran!«

Dann, fünf Minuten später:

»Wer weiß, indessen? ... später, warum nicht?«

Seine Träumerei wie seine Blicke tauchten in unbestimmte Fernen.

»Sie war naiv, eine Bäuerin, fast eine Wilde, aber so gut!«

Je mehr er sich Nogent näherte, desto deutlicher sah er sie vor sich. Angesichts der Wiesen von Sourdun meinte er sie wie ehemals Binsen unter den Pappeln am Rande der Wassertümpel schneiden zu sehen. Der Zug hielt, er stieg aus.

Dann lehnte er sich an die Brücke, um die Insel und den Garten zu betrachten, wo sie an einem sonnigen Tage spazieren gegangen waren; – und von der Reise und der frischen Luft betäubt, durch eine Schwäche, die ihm nach den letzten Aufregungen geblieben war, geriet er in eine Art Exaltation und sagte sich:

»Sie ist vielleicht ausgegangen; ob ich ihr begegnen werde?«

Die Glocke von Saint-Laurent läutete; und auf dem Platz vor der Kirche war eine Ansammlung von Armen um eine Kalesche, der einzigen des Orts (die für Hochzeiten benutzt wurde), als plötzlich unter dem Portal in einer Menge von Bürgern in weißen Krawatten zwei Neuvermählte erschienen.

Er glaubte, eine Halluzination zu haben. Doch nein! Sie war es wirklich, Louise! – in einen weißen Schleier gehüllt, der von ihrem roten Haar bis zu den Füßen herabfiel; und er, das war Deslauriers! – in einem blauen, silbergestickten Rock, der Tracht des Präfekten. Warum nur?

Frédéric verbarg sich hinter einer Hausecke, um den Zug vorbei zu lassen.

Beschämt, besiegt, vernichtet kehrte er zur Bahnstation zurück und fuhr wieder nach Paris.

Sein Droschkenkutscher versicherte, daß vom Château d'Eau bis zum Gymnase Barrikaden errichtet seien, und fuhr durch das Faubourg Saint-Martin. An der Ecke der Rue de Provence stieg Frédéric aus, um die Boulevards zu erreichen.

Es war fünf Uhr, ein feiner Regen fiel. Bürger besetzten das Trottoir an der Seite der Oper. Die Häuser gegenüber waren geschlossen. Niemand an den Fenstern. In der ganzen Breite der Boulevards galoppierten Dragoner in schärfster Gangart mit bloßem Säbel, über ihre Pferde gebückt; und die Roßschweife an ihren Helmen und die weiten weißen Mäntel, die hinter ihnen aufflogen, glitten im Licht der Gasflammen vorüber, die im Winde in dem dichten Nebel flackerten. Stumm sah ihnen die Menge mit entsetzten Blicken nach.

Außer den Reiterposten kamen Trupps von Polizisten dazu, um die Menge in den Straßen auseinanderzutreiben.

Aber auf den Stufen von Tortoni blieb ein Mann stehen – Dussardier, – von fern an seiner hohen Gestalt kenntlich, ohne sich zu regen, wie eine Karyatide.

Einer der Polizisten, der an der Spitze marschierte, den Dreispitz tief über den Augen, drohte ihm mit dem Degen.

Der andere trat darauf einen Schritt vor und rief:

»Es lebe die Republik!«

Er fiel auf den Rücken, die Arme ausgebreitet.

Ein Schreckensgeheul erhob sich in der Menge.

Der Polizist blickte sich im Kreise um, und Frédéric, starr vor Staunen, erkannte Sénécal.


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