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2

Frédéric fand an der Ecke der Rue Rumfort eine kleine Wohnung und kaufte sich gleichzeitig ein Coupé, ein Pferd, Möbel und von Arnoux zwei Jardinièren, die er zu beiden Seiten der Tür in seinem Salon aufstellte. An diesen schloß sich ein Zimmer und ein Kabinett. Ihm kam der Gedanke, Deslauriers dort einzuquartieren. Aber wie würde er dann sie, seine zukünftige Geliebte, empfangen? Die Gegenwart eines Freundes würde stören. Er ließ die Zwischenwand entfernen, um den Salon zu vergrößern, und machte aus dem Kabinett ein Rauchzimmer.

Er kaufte die Dichter, die er liebte, Reisebeschreibungen, Atlanten, Wörterbücher, denn er hatte Arbeitspläne ohne Zahl; er drängte die Handwerker, lief in den Läden umher, und in seiner Ungeduld, zu genießen, nahm er alles ohne zu feilschen.

Infolge der Rechnungen der Lieferanten merkte Frédéric, daß er in kurzem etwa vierzigtausend Francs auszugeben haben würde, die Abgaben für die Erbschaft, die siebentausend Francs überstiegen, nicht mit inbegriffen; da sein Vermögen meist in Grundstücken bestand, beauftragte er seinen Notar in Havre, einen Teil davon zu verkaufen, damit er sich von seinen Schulden befreien und etwas Geld zur Verfügung haben konnte. Dann, um endlich dieses vage, schillernde, undefinierbare Etwas, das man » Welt« nennt, kennen zu lernen, fragte er mit einem Billet bei den Dambreuses an, ob sie ihn empfangen könnten. Madame Dambreuse antwortete, daß sie am folgenden Tage auf seinen Besuch hofften.

Es war ihr Empfangstag. Wagen standen im Hof. Zwei Diener stürzten unter dem Schutzdach hervor, und ein dritter oben auf der Treppe schritt ihm voran.

Er ging durch ein Vorzimmer, einen zweiten Raum, darauf einen Saal mit hohen Fenstern, wo auf einem monumentalen Kamin eine Stutzuhr in Gestalt einer Himmelskugel nebst zwei ungeheuren Porzellanvasen stand, in denen zwei Bündel Lichthülsen wie goldene Büschel starrten. An der Wand hingen Gemälde in der Manier des Spagnoletto; majestätisch wallten die schweren gestickten Portieren herab, und die Fauteuils, die Konsolen, die Tische, das ganze Mobiliar hatte etwas Imposantes, Gediegenes. Frédéric lächelte unwillkürlich vor Vergnügen.

Endlich gelangte er in einen ovalen, mit Rosenholz getäfelten und mit winzigen Möbeln vollgepfropften Raum, der nur durch ein einziges Fenster, das auf den Garten ging, erhellt wurde. Madame Dambreuse saß neben dem Kamin, etwa ein Dutzend Personen bildeten einen Kreis um sie. Mit einem liebenswürdigen Wort forderte sie ihn auf, Platz zu nehmen, aber ohne zu zeigen, daß sie überrascht war, daß sie ihn so lange nicht gesehen hatte.

Als er eintrat, rühmte man die Beredsamkeit des Abbé Coeur. Dann klagte man anläßlich eines von einem Kammerdiener begangenen Diebstahls über die Korruption der Dienstboten, und das Geplauder nahm seinen Gang. Die alte Madame de Sommery habe einen Katarrh, Mademoiselle de Turvisot verheirate sich, die Montcharrons würden vor Ende Januar nicht wiederkommen, Bretancourts ebenfalls nicht; diese Armseligkeit der Unterhaltung wurde durch den Luxus der Gegenstände ringsum noch erhöht; aber was gesagt wurde, war weniger geistlos als die Art, zwecklos ohne Zusammenhang und ohne Interesse zu plaudern. Es waren dabei Männer unter ihnen, die sich im Leben bewährt hatten, ein ehemaliger Minister, der Pastor einer großen Gemeinde, zwei oder drei hohe Regierungsbeamte; doch sie hielten sich alle an die abgedroschensten Gemeinplätze. Einige schienen gleichgiltige vornehme Witwen, andere hatten das Gebaren von Hochstaplern; und Greise begleiteten ihre Frauen, als deren Großväter sie gelten konnten.

Madame Dambreuse empfing alle mit Anmut. Sprach man von einem Kranken, so zog sie die Brauen schmerzlich zusammen und nahm eine heitere Miene an, wenn von Bällen und Soireen die Rede war. Sie würde bald gezwungen sein, sich solche zu versagen, denn sie wollte eine Nichte ihres Mannes, eine Waise, aus der Pension zu sich nehmen. Man pries ihre Aufopferung, das hieße sich als wahre Familienmutter zeigen.

Frédéric beobachtete sie. Die matte Haut ihres Gesichts schien gespannt und von einer Frische ohne Schmelz, wie die einer konservierten Frucht. Aber ihr Haar, auf englische Art in langen, spiralförmigen Locken, war feiner als Seide, ihre Augen von glänzendem Azurblau, alle ihre Bewegungen zart. Auf der Causeuse im Hintergrund sitzend, strich sie über die roten Quasten eines japanischen Wandschirmes, offenbar um ihre Hände, lange, schmale, ein wenig magere Hände mit hochgebogenen Fingerspitzen, zur Geltung zu bringen. Sie trug ein hohes Kleid aus grauem Moíré wie eine Puritanerin.

Frédéric fragte sie, ob sie in diesem Jahr nicht nach la Fortelle käme. Madame Dambreuse wußte es nicht. Er könne das übrigens verstehen: Rogent müsse sie ja langweilen. Die Besucher wurden zahlreicher. Es war ein fortwährendes Rauschen von Kleidern auf den Teppichen; die auf dem Rande der Stühle sitzenden Damen lächelten, sagten zwei oder drei Worte und gingen nach Verlauf von fünf Minuten mit ihren jungen Töchtern wieder fort. Bald war es unmöglich, der Unterhaltung zu folgen, und Frédéric verabschiedete sich, als Madame Dambreuse zu ihm sagte:

»Jeden Mittwoch, nicht wahr, Monsieur Moreau?« und diese Phrase wog die Gleichgültigkeit wieder auf, die sie vorher gezeigt hatte.

Er war zufrieden. Nichtsdestoweniger atmete er auf der Straße tief auf; und in dem Bedürfnis nach einem weniger künstlichen Milieu erinnerte er sich, daß er der Marschallin einen Besuch schuldig war.

Die Tür des Vorzimmers war offen. Zwei Havaneser Hündchen liefen herbei. Eine Stimme rief:

»Delphine! Delphine! – Sind Sie es, Felix?«

Er blieb stehen und die beiden Hündchen kläfften. Endlich erschien Rosanette, in einen spitzenbesetzten Pudermantel von weißem Musseline gehüllt, die nackten Füße in Pantoffeln.

»Ach! verzeihen Sie! Ich hielt Sie für den Friseur. Eine Minute. Ich komme sofort!«

Und er blieb allein im Eßzimmer.

Die Vorhänge waren geschlossen. Frédéric schaute sich um und erinnerte sich des Lärms damals in der Nacht, als er mitten auf dem Tisch einen Herrenhut, einen alten, fettigen, unsaubern, verbeulten Filzhut, bemerkte. Wem gehörte wohl dieser Hut? Er zeigte unverschämt das abgetrennte Hutfutter, als wollte er damit sagen: »Daraus mache ich mir nichts! Ich bin hier der Herr!«

Die Marschallin kam zurück. Sie nahm ihn, öffnete das Treibhaus, warf ihn hinaus, schloß die Tür wieder (gleichzeitig wurden andere Türen geöffnet und geschlossen), und führte Frédéric durch die Küche in ihr Ankleidezimmer. Man sah sofort, daß dies der meist benutzte Raum des Hauses war, höchstwahrscheinlich sein eigentlicher Mittelpunkt. Die Wände, Sessel und der breite Divan waren mit dunkelblauem, großgeblümtem Tuch bezogen, auf einem weißen Marmortisch standen zwei Waschbecken aus blauer Fayence; das Kristallwandbrett darüber war mit Flaschen, Bürsten, Kämmen, Schminkbüchsen und Puderschachteln vollgestellt; das Feuer spiegelte sich in einem hohen Stehspiegel; über der Badewanne hing ein Handtuch, und ein Geruch von Mandeln und Benzoë-Paste verbreitete sich.

»Sie werden die Unordnung entschuldigen! Ich bin heute abend ausgebeten.«

Und als sie sich umwand, hätte sie beinahe eins der Hündchen zertreten. Frédéric fand sie reizend. Sie hob beide auf und hielt ihm die schwarzen Schnauzen hin.

»Nun, macht schön, gebt dem Herrn einen Kuß!«

Ein Mann in schmutzigem Überrock mit Pelzkragen trat lärmend herein.

»Felix, mein Guter,« sagte sie. »Sie erhalten Ihr Bild bestimmt am nächsten Sonntag.«

Der Mann begann sie zu frisieren. Er brachte ihr Neuigkeiten von ihren Freundinnen. Madame de Rochegune, Madame de Saint-Florentin, Madame Lombard, alle waren vornehm wie im Hotel Dambreuse. Dann sprach er vom Theater: abends würde im Ambigu eine Sondervorstellung gegeben.

»Gehen Sie hin?«

»Nein, sicher nicht! Ich bleibe zu Haus!«

Delphine erschien und wurde gescholten, weil sie ohne Erlaubnis ausgegangen war. Sie schwor, daß sie vom Einkaufen zurückgekommen sei.

»Gut, bringen Sie mir Ihr Buch! – Sie erlauben, nicht wahr?«

Und halblaut das Heft durchlesend, machte Rosanette Bemerkungen über jeden Gegenstand. Es war falsch zusammengerechnet.

»Geben Sie mir vier Sous wieder!«

Delphine tat es, und als sie entlassen war, klagte sie: »Ach! Heilige Jungfrau! Was hat man doch zu leiden mit diesen Leuten!«

Frédéric störte diese Äußerung. Sie erinnerte ihn zu sehr an die der anderen und schuf zwischen den beiden Häusern gewissermaßen eine unliebsame Übereinstimmung.

Delphine, die wieder hereingekommen war, näherte sich der Marschallin, um ihr ein Wort ins Ohr zu flüstern.

»Ach nein, ich will nicht!«

Delphine erschien abermals.

»Madame, sie besteht darauf.«

»Ach, wie widerwärtig! Wirf sie doch hinaus!«

Im selben Augenblick öffnete eine alte, schwarz gekleidete Frau die Tür. Frédéric sah nichts, verstand nichts; Rosanette war zu ihr ins Zimmer gestürzt.

Als sie zurückkam, hatte sie rote Flecke auf den Wangen, ohne zu sprechen setzte sie sich in einen Fauteuil. Eine Träne rollte über ihre Wange, dann sagte sie sanft, zu dem jungen Manne gewandt:

»Wie ist Ihr Vorname?«

»Frédéric.«

»Ach! Frédéric! Sie haben nichts dagegen, wenn ich Sie so nenne?«

Und sie sah ihn einschmeichelnd, fast verliebt an. Plötzlich stieß sie beim Anblick der Batnaz einen Freudenschrei aus.

Diese geschäftige Frau hatte keine Zeit zu verlieren, da sie pünktlich um sechs Uhr ihrem Mittagstisch vorstehen sollte, und sie war außer Atem, konnte nicht mehr. Zuerst zog sie aus ihrem Beutel eine Uhrkette mit einem Papier, dann verschiedene Gegenstände, lauter Einkäufe.

»Du mußt wissen, daß es Rue Joubert prachtvolle Schweden zu sechsunddreißig Sous gibt! Dein Färber bittet noch um acht Tage Zeit. Wegen der Guipure würde wieder angefragt werden, sagte ich. Bugneaux hat die Rechnung erhalten. Das ist wohl alles? Du schuldest mir hundertundfünfundachtzig Francs!«

Rosanette holte aus einem Schubfach zehn Napoléons. Keine von beiden hatte Kleingeld, Frédéric bot ihnen welches an.

»Ich gebe es Ihnen wieder!« sagte die Vatnaz, die fünfzehn Francs in ihren Beutel steckend. »Aber Sie sind ein Bösewicht. Ich mag Sie nicht mehr leiden, Sie haben neulich nicht ein einziges Mal mit mir getanzt! – Ach! meine Liebe, ich habe am Quai Voltaire in einem Laden einen Rahmen mit ausgestopften Kolibris gesehen, die entzückend sind. An deiner Stelle würde ich sie mir kaufen. Sieh! wie findest du das?«

Und sie zeigte einen alten Rest rosa Seide, die sie im Temple gekauft hatte, um ein mittelalterliches Wams für Delmar daraus zu machen.

»Er ist heute hiergewesen, nicht wahr?«

»Nein!«

»Das ist sonderbar!«

Und eine Minute darauf fügte sie hinzu:

»Wohin gehst du heute abend?«

»Zu Alphonsine,« sagte Rosanette; es war die dritte Version über die Art, wie sie den Abend verbringen würde.

Die Vatnaz erwiderte:

»Und was gibt es Neues von dem Alten vom Berge?«

Durch ein lebhaftes Augenzwinkern gebot die Marschallin ihr zu schweigen; und sie begleitete Frédéric bis ins Vorzimmer, um zu erfahren, ob er Arnoux bald sehen werde.

»Bitten Sie ihn doch, zu kommen; nicht vor seiner Frau, natürlich!«

Oben an der Treppe stand ein Regenschirm, neben ein Paar Überschuhen an die Wand gelehnt.

»Die Gummischuhe der Vatnaz,« sagte Rosanette. »Welch ein Fuß, was? Meine kleine Freundin ist kräftig!«

Und mit einem melodramatischen Ton, wobei sie den zweiten Buchstaben rollen ließ, fuhr sie fort:

»Der ist nicht zu trrrauen!«

Durch diese Art Vertrauen kühn gemacht, wollte Frédéric sie auf den Hals küssen. Sie sagte kalt:

»Oh! tun Sie es nur. Es kostet nichts!«

Ihm war leicht zu Mute, als er fortging, und er zweifelte nicht, daß die Marschallin bald seine Geliebte werden würde. Doch dieser Wunsch erweckte einen andern; und trotz einer Art von Groll, den er gegen sie hegte, verlangte es ihn, Madame Arnoux zu sehen.

Übrigens mußte er wegen des Auftrags der Rosanette hingehen.

»Aber jetzt«, dachte er (es schlug sechs Uhr), »jetzt ist Arnoux sicher zu Haus.«

Er verschob seinen Besuch auf den folgenden Tag.

Sie saß in derselben Stellung wie das erste Mal und nähte an einem Kinderhemdchen. Der kleine Knabe spielte zu ihren Füßen mit einer Menagerie aus Holz. Etwas weiter fort saß Marthe und schrieb.

Er machte ihr Komplimente über ihre Kinder. Sie antwortete ohne die geringste Übertreibung mütterlicher Eitelkeit.

Das Zimmer machte einen friedlichen Eindruck. Heller Sonnenschein fiel durch die Scheiben, daß die Kanten der Möbel glänzten, und da Madame Arnoux am Fenster saß, durchleuchtete ein breiter Sonnenstrahl, der die Nackenlöckchen streifte, ihre Bernstein-Haut mit einem Strom von Gold. Er sagte:

»Diese junge Dame hier ist in den drei Jahren sehr groß geworden! – Erinnern Sie sich, Mademoiselle, wie Sie im Wagen auf meinen Knien schliefen?«. Marthe erinnerte sich nicht. »Eines Abends bei der Rückkehr von St. Cloud?«

Madame Arnoux blickte seltsam traurig. War es, um jede Anspielung auf ihre gemeinsame Erinnerung abzuweisen?

Ihre schönen schwarzen Augen mit den glänzenden Augäpfeln bewegten sich leicht unter ihren ein wenig schweren Lidern, und tief in ihrem Blick lag eine unendliche Güte. Eine grenzenlose Liebe, stärker denn je, ergriff ihn wieder. Es war ein Anblick, der ihn betäubte. Aber er wehrte sich dennoch dagegen. Wie sich zur Geltung bringen? durch welche Mittel? Und nachdem er lange gesucht hatte, fand Frédéric nichts Besseres als das Geld. Er begann damit, vom Wetter zu sprechen, das in Havre weniger kalt sei.

»Sie sind dort gewesen?«

»Ja, wegen einer – Familienangelegenheit – einer Erbschaft.«

»Ah! das freut mich sehr,« erwiderte sie mit einem Ausdruck so wahren Vergnügens, daß er davon gerührt war wie von einem großen Opfer.

Dann fragte sie ihn, was er tun wolle, ein Mann müsse sich doch mit etwas beschäftigen. Er erinnerte sich seiner Lüge und sagte, daß er hoffe, durch den Deputierten Monsieur Dambreuse in den Staatsrat zu kommen.

»Sie kennen ihn vielleicht?«

»Nur dem Namen nach.«

Dann fuhr sie mit leiser Stimme fort:

»Er hat Sie neulich auf den Ball geführt, nicht wahr?

Frédéric schwieg.

»Das wollte ich nur wissen, danke.«

Darauf stellte sie zwei, drei diskrete Fragen über seine Familie und seine Provinz an ihn. Es wäre sehr liebenswürdig, daß er sie nach so langer Abwesenheit nicht vergessen habe.

– »Aber ... konnte ich denn?« erwiderte er. »Zweifelten Sie daran?«

Madame Arnoux erhob sich.

»Ich glaube, daß Sie wahre, offene Freundschaft für uns hegen. – Adieu,... auf Wiedersehn!«

Und sie reichte ihm freimütig und herzlich die Hand. War das nicht eine Aufforderung, ein Versprechen? Frédéric empfand wahre Freude am Leben; er mußte sich zurückhalten, um nicht zu singen, er hatte das Bedürfnis, sich zu betätigen, Wohltaten und Almosen zu spenden. Er blickte um sich, ob nicht jemand da war, dem er helfen könnte Kein Bettler kam vorüber, und seine Anwandlung von Aufopferung schwand hin, denn er war nicht der Mann, die Gelegenheit in der Ferne zu suchen.

Dann erinnerte er sich seiner Freunde. Der erste, an den er dachte, war Hussonnet, der zweite Pellerin. Die untergeordnete Stellung Dussardiers gebot natürlich Zurückhaltung; was Cisy anbetraf, freute er sich, ihn sein Vermögen ein wenig sehen zu lassen. Er lud daher alle vier am nächsten Sonntag pünktlich um elf Uhr zu einem Einweihungsschmaus ein und beauftragte Deslauriers, Sénécal mitzubringen.

Der Hilfslehrer war aus seiner dritten Pension entlassen worden, weil er keine Verteilung von Preisen mehr zuließ, einen Brauch, den er für die Gleichheit als unheilvoll betrachtete. Er war jetzt bei einem Maschinenbauer und wohnte seit sechs Monaten nicht mehr bei Deslauriers.

Ihre Trennung hatte nichts Peinliches gehabt, Sénécal hatte in der letzten Zeit Männer in Blusen empfangen, lauter Patrioten, lauter Arbeiter und brave Leute, deren Gesellschaft dem Advokaten aber langweilig erschien. Überdies mißfielen ihm gewisse, als Kriegswaffen vortreffliche Ideen seines Freundes. Er schwieg aus Ehrgeiz, wollte ihn schonen, um ihn zu leiten, denn er erwartete mit Ungeduld einen großen Umsturz, wobei er rechnete, sein Schäfchen ins Trockne zu bringen, eine Stellung zu finden.

Die Denkweise Sénécals war uneigennütziger. Jeden Abend, wenn seine Arbeit beendet war, suchte er seine Mansarde auf und forschte in den Büchern nach einer Rechtfertigung seiner Ideen. Er hatte Anmerkungen zum »Contrat social« gemacht. Er verschlang die »Revue Indépendante«. Er kannte Mably, Morelly, Fourier, Saint-Simon, Comte, Cabet, Louis Blanc, den ganzen Haufen sozialistischer Schriftsteller, diejenigen, die das Niveau der Kasernen für die Menschheit fordern, die sie in einem Bordell belustigen wollen oder an ein Kontor gewöhnen; und aus einer Mischung all dessen hatte er sich ein Ideal tugendreicher Demokratie zurecht gemacht mit der doppelten Aussicht auf ein kleines Pachtgut und eine große Spinnerei, einer Art von amerikanischem Lacedämonien, wo das Individuum nur existiert, um der Gesellschaft zu dienen, die viel allmächtiger, absoluter, unfehlbarer und göttlicher ist als die großen Lamas und Nebukadnezars. Er zweifelte nicht an der baldigen Verwirklichung dieses Planes; und alles, was er für feindlich hielt, griff Sénécal mit mathematischen Schlüssen und dem festen Glauben des Forschers an. Adels-Titel, Orden, Federbüsche und besonders Livreen, selbst zu volltönende Namen empörten ihn, – um so mehr, als seine Studien wie seine Leiden täglich seinen gründlichen Haß gegen jede Auszeichnung oder irgendwelche Vorrechte auffrischten.

Als Deslauriers das Billet Frédérics übergab, sagte er:

»Welche Verpflichtung habe ich eigentlich, höflich gegen diesen Herrn zu sein? Wenn er mich haben will, mag er zu mir kommen!«

Deslauriers zog ihn mit sich fort.

Sie fanden ihren Freund in seinem Schlafzimmer. Stores, doppelte Vorhänge, venetianische Spiegel, nichts fehlte; Frédéric in einer Samtjoppe saß in einem Sessel zurückgelehnt und rauchte Zigaretten von türkischem Tabak.

Sénécal machte eine finstere Miene wie ein Mucker, den man an einen Vergnügungsort bringt. Deslauriers umfaßte alles mit einem einzigen Blick; dann sagte er, sich tief verneigend:

»Euer Gnaden, ich bringe Euch meine Hochachtung dar!«

Dussardier fiel ihm um den Hals.

»Sie sind also jetzt reich? Ach, umso besser, Donnerwerter, umso besser!«

Cisy erschien mit Flor um seinen Hut. Seit dem Tode seiner Großmutter erfreute er sich eines beträchtlichen Vermögens und gab weniger darauf, sich zu amüsieren, als sich von den anderen zu unterscheiden, nicht wie alle Welt zu sein, kurz, »Schliff« zu haben, wie sein Wahlspruch war.

Es war jetzt indessen zwölf Uhr und alle gähnten. Frédéric erwartete noch jemand. Bei dem Namen Arnoux schnitt Pellerin eine Grimasse. Er betrachtete ihn als Renegat, seit er der Kunst abtrünnig geworben war.

»Wenn man auf ihn verzichtete? Was meinen Sie dazu?«

Alle stimmten zu.

Ein Diener in hohen Gamaschen öffnete die Tür, und man sah den Speisesaal mit seinem hohen Eichengetäfel in erhabenem Gold und den beiden mit Geschirr beladenen Anrichtetischen. Die Weinflaschen wurden auf dem Ofen angewärmt; die Klingen der neuen Messer blinkten neben den Austern; in dem milchigen Ton der feinen Gläser war etwas Einladendes, und die Tafel verschwand unter Wildbret, Früchten und erlesenen Dingen. Für alles das hatte Sénécal keinen Blick.

Er verlangte vor allem einfaches Brot (so hart wie möglich) und sprach bei dieser Gelegenheit von den Mordtaten Buzançais und der Lebensmittelkrise.

Es wäre niemals so weit gekommen, wenn man den Ackerbau mehr unterstützte, wenn nicht alles der Konkurrenz, der Anarchie, dem erbärmlichen Grundsatz des »laissez faire, laissez passer« überliefert wäre! So kam die Geldherrschaft ans Ruder, die schlimmer ist als jede andere. Aber man müsse auf der Hut sein! Das Volk wird es schließlich müde werden und könnte die Kapitalisten ihre Leiden, sei es durch blutigen Zwang oder Plünderung ihrer Häuser, entgelten lassen.

Wie unter einem Wetterleuchten sah Frédéric einen Strom von Männern mit bloßen Armen in den großen Saal von Madame Dambreuse eindringen und die Spiegel mit Pikenstößen zertrümmern.

Sénécal fuhr fort: in Anbetracht der unzulänglichen Löhne sei der Arbeiter unglücklicher als der Helot, der Neger und der Paria, zumal wenn er Kinder habe.

»Soll er sie ersticken, wie es ihm ich weiß nicht welch englischer aus der Schule von Malthus hervorgegangener Arzt rät?«

Und zu Cisy gewendet, fuhr er fort:

»Sollen wir zu den abscheulichen Lehren des Malthus zurückkehren?«

Cisy, der von der Trostlosigkeit und selbst von der Existenz des Malthus nichts wußte, erwiderte, »daß man dennoch vielem Elend abhelfen könnte, und daß die höheren Klassen...«

»Ach! die höheren Klassen!« sagte hohnlachend der Sozialist. »Erstens gibt es keine höheren Klassen; nur das Herz adelt! Wir wollen keine Almosen, verstehen Sie? sondern Gleichheit, gerechte Verteilung der Produkte.«

Was er fordere, sei, daß der Arbeiter Kapitalist werden könne wie der Soldat Oberst. Die Zünfte wenigstens verhinderten durch die Einschränkung der Zahl der Lehrlinge einen allzugroßen Zudrang von Arbeitern, und das Gefühl der Brüderlichkeit würde durch Innungsfeste und Banner erhalten bleiben.

Hussonet als Dichter bedauerte das Verschwinden der Banner, Pellerin ebenfalls; die Vorliebe dafür war ihm im Café Dagneaux gekommen, als er von der Phalanstère hatte reden hören. Er erklärte Fourier für einen großen Mann.

»Ach was!« sagte Deslauriers. »Ein alter Tropf! der im Sturz des Kaiserreichs die Wirkung göttlicher Rache sieht! Das ist gerade wie der Herr Saint Simon und seine Kirche mit dem Haß auf die französische Revolution: ein Haufen Possenreißer, die uns den Katholizismus gern wieder mundgerecht machen wollen!«

Monsieur de Cisy sagte kleinlaut, offenbar um sich aufzuklären oder eine gute Meinung von sich zu erwecken:

»Diese beiden Gelehrten teilen also nicht die Ansicht Voltaires?«

»Den überlasse ich Ihnen!« erwiderte Sénécal.

»Wie? ich, ich glaubte ...«

»O nein! er liebte das Volk nicht!«

Dann kam das Gespräch auf zeitgenössische Ereignisse: die spanischen Heiraten, die Verschwendungen Rocheforts, das neue Stift von Saint-Denis, das eine Verdoppelung der Angaben herbeiführen würde. Nach Sénécals Ansicht zahlte man deren schon genug.

»Und wofür, mein Gott! Um den Affen vom Museum neue Paläste zu erbauen, auf unseren Plätzen einen glänzenden Regimentsstab paradieren zu lassen oder unter den Schloßbedienten eine altfränkische Etikette aufrechtzuerhalten.

»Ich habe in » la Mode« gelesen,« sagte Cisy, »daß am St. Ferdinandstag beim Tuilerienball alle als Harlekins verkleidet kamen.«

»Wenn das nicht erbärmlich ist,« sagte der Sozialist mit verächtlichem Achselzucken.

»Und das Museum von Versailles!« rief Pellerin, »Sprechen wir einmal von dem! Diese Dummköpfe haben einen Delacroix verstümmelt und einen Gros angeflickt. Im Louvre wurden alle Gemälde so gut restauriert, abgekratzt und verschmiert, daß vielleicht in zehn Jahren nicht eines mehr übrig sein wird. Was die Irrtümer im Katalog betrifft, so hat ein Deutscher ein ganzes Buch darüber geschrieben. Die Fremden machen sich über uns lustig, mein Wort darauf!«

»Ja, wir sind das Gespött Europas,« sagte Sénécal.

»Und zwar, weil die Kunst vollständig in der Gewalt der Krone ist.«

»Solange Ihr nicht das allgemeine Stimmrecht habt...«

»Erlauben Sie!« rief der Künstler, der seit zwanzig Jahren von allen Salons zurückgewiesen wurde und entrüstet über die Regierung war. »Man soll uns in Frieden lassen! Ich für mein Teil verlange nichts weiter! Nur sollten die Kammern für die Interessen der Kunst etwas festsetzen. Es müßte ein Lehrstuhl für Ästhetik errichtet werden, dessen Professor, einem praktischen und zugleich philosophischen Manne, es hoffentlich gelingen würde, die Menge zu leiten. – Sie täten gut, Hussonnet, es mit einem Wort in Ihrem Blatt zu erwähnen.«

»Sind die Zeitungen denn frei? Sind wir es denn?« sagte Deslauriers aufbrausend. »Wenn man bedenkt, daß beinahe achtundzwanzig Formalitäten notwendig sind, ein kleines Flußschiff einzurichten, bekomme ich Lust, bei den Menschenfressern zu leben! Die Regierung verschlingt uns! Alles gehört ihr, die Philosophie, das Recht, die Kunst, Gottes freie Luft! Und Frankreich röchelt unter dem Tritt der Gendarmen und der Soutane der Pfaffen.«

So schüttete der zukünftige Mirabeau seine Galle gründlich aus. Endlich ergriff er sein Glas, erhob sich, und die Hand in die Seite gestemmt, sagte er mit glühenden Augen:

»Ich trinke auf die vollständige Zerstörung der gegenwärtigen Zustände, das heißt alles dessen, was man Privilegium, Monopol, Direktion, Hierarchie, Autorität, Staat nennt!« und mit erhobener Stimme: »die ich zerschmettern möchte wie dieses!« wobei er ein schönes Fußglas auf den Tisch schleuderte, daß es in tausend Stücke zersprang.

Alle applaudierten, besonders Dussardier.

Die Vorstellung all der Ungerechtigkeiten brachte ihn außer sich. Er beunruhigte sich wegen Barbès; er gehörte zu denen, die sich unter den Wagen warfen, um gestürzten Pferden zu Hilfe zu kommen. Seine Gelehrsamkeit beschränkte sich auf zwei Werke, das eine »Verbrechen der Könige« betitelt, das andere »Geheimnisse des Vatikans«. Er hatte dem Advokaten mit offenem Munde, mit Wollust zugehört. Schließlich konnte er sich nicht mehr halten:

»Was ich Louis-Philippe vorwerfe, ist, daß er Polen im Stich gelassen hat.«

»Einen Augenblick!« erwiderte Hussonnet. »Erstens existiert Polen nicht mehr; das ist eine Erfindung von Lafayette! Fast alle Polen stammen aus dem Faubourg Saint-Marceau, da die echten mit Poniatowski ertrunken sind.« Kurz, es gebe dort keine mehr, dahinter wäre er längst gekommen! Es wäre wie mit der Seeschlange, der Aufhebung des Edikts von Nantes und jenem alten Märchen von der Bartholomäusnacht.

Sénécal nahm, ohne die Polen zu verteidigen, die letzten Worte des Literaten auf. Man hätte die Päpste verleumdet, die immerhin das Volk verteidigt haben, und er nannte die Liga »das Morgenrot der Demokratie, eine große Gleichheitsbewegung gegen den Individualismus der Protestanten«.

Frédéric war ein wenig erstaunt über diese Ideen. Sie langweilten Cisy wahrscheinlich, denn er brachte das Gespräch auf die lebenden Bilder des Gymnase, die damals viele Leute anzogen.

Sénécal bedauerte es. Derartige Schauspiele verderbten die Töchter des Proletariats; man sähe sie danach einen unerhörten Luxus entfalten. Er gab auch den bayerischen Studenten recht, die die Lola Montès beschimpft hatten. Wie Rousseau machte er mehr Aufhebens von der Frau eines Köhlers als von der Maitresse eines Königs.

»Sie unterschätzen die Trüffeln!« entgegnete Hussonnet würdevoll, und er übernahm die Verteidigung dieser Damen zugunsten der Rosanette. Dann, als er von ihrem Ball und dem Kostüm Arnoux' sprach, sagte Pellerin:

»Man behauptet, daß es mit ihm unsicher stehe.«

Der Kunsthändler hätte eben einen Prozeß wegen seiner Grundstücke in Belleville gehabt und gehöre augenblicklich mit anderen Galgenvögeln seiner Art zu einer Kaolin-Gesellschaft in der Nieder-Bretagne.

Dussardier wußte mehr darüber, denn sein Chef, Monsieur Moussinot, hatte bei dem Bankier Oskar Lefebvre Erkundigungen über Arnoux eingezogen, dieser hatte erwidert, daß er ihn für wenig solid halte, da er einige seiner Neugründungen kannte.

Das Dessert war beendet, man ging in den Salon, der wie jener der Marschallin in gelbem Damast im Stile Ludwigs XVI. gehalten war.

Pellerin tadelte Frédéric, daß er nicht lieber den Empire-Stil gewählt hatte; Sénécal rieb Streichhölzer an den Tapeten an; Deslauriers machte keine Bemerkungen. Er tat es aber in der Bibliothek, die er eine Bibliothek für junge Mädchen nannte. Die Mehrzahl der zeitgenössischen Schriftsteller waren darin zu finden. Es war unmöglich, von ihren Werken zu sprechen, denn Hussonnet erzählte gleich Anekdoten über ihre Persönlichkeit, kritisierte ihre Gesichter, ihre Sitten, ihr Kostüm, indem er die Geister fünfzehnter Klasse pries, die erster Klasse verleumdete und selbstverständlich den modernen Verfall beklagte. Ein Volksliedchen enthalte allein mehr Poesie als alle Lyrik des 19. Jahrhunderts; Balzac würde überschätzt, Byron wäre zerrüttet, Hugo verstehe nichts vom Theater und so weiter.

»Warum«, sagte Sénécal, »haben Sie denn nicht die Werke unserer Arbeiter-Dichter?«

Und Monsieur de Cisy, der sich mit Literatur beschäftigte, wunderte sich, auf Frédérics Tisch nicht einige jener neuen Physiologien zu sehen, wie »Physiologie des Rauchers, des Anglers, des Zollbeamten«.

Sie reizten ihn schließlich derartig, daß er Lust hatte, sie bei den Schultern zu nehmen und hinauszuwerfen. »Aber ich werde toll!« Dann nahm er Dussardier beiseite und fragte ihn, ob er ihm mit etwas helfen könne.

Der brave Bursche war gerührt. Mit seinem Gehalt als Kassierer brauchte er nichts.

Darauf führte Frédéric Deslauriers in sein Zimmer, nahm zweitausend Francs aus seinem Schreibtisch und sagte:

»Nimm, mein Lieber, steck ein! Das ist der Rest meiner alten Schulden.«

»Aber – und die Zeitung?« sagte der Advokat.

»Ich habe Hussonnet davon gesagt, wie du wohl weißt!« Und als Frédéric erwiderte, »er befände sich augenblicklich ein wenig in Verlegenheit«, hatte der andere ein böses Lächeln.

Nach den Likören wurde Bier getrunken; nach dem Bier Grog; man rauchte wieder Pfeifen. Endlich, um fünf Uhr abends, gingen alle; und sie schritten, ohne zu sprechen, einer hinter dem andern her, als Dussardier plötzlich sagte, daß Frédéric sie ausgezeichnet aufgenommen hätte. Alle stimmten darin überein.

Hussonnet erklärte sein Frühstück für ein wenig zu schwer, Sénécal tadelte die Seichtheit seiner Einrichtung. Cisy dachte ebenso. Es fehlte absolut jede »Eigenart«.

»Ich finde,« sagte Pellerin, »er hätte gut ein Bild bei mir bestellen können.«

Deslauriers schwieg, da er in seiner Hosentasche die Banknoten hatte.

Frédéric war allein geblieben. Er dachte an seine Freunde und fühlte zwischen sich und ihnen eine tiefe, dunkle Kluft, die sie trennte. Er hatte ihnen doch die Hand entgegengestreckt, und sie hatten die Freimütigkeit seines Herzens nicht erwidert.

Er erinnerte sich der Bemerkungen Pellerins und Dussardiers über Arnoux. Es war ohne Zweifel eine Erfindung, eine Verleumdung. Aber warum? Und er sah Madame Arnoux vor sich, ruiniert, weinend, im Begriff, ihre Möbel zu verkaufen. Dieser Gedanke peinigte ihn die ganze Nacht; am nächsten Tage sprach er bei ihr vor.

Da er nicht wußte, wie er es anfangen sollte, ihr mitzuteilen, was er gehört hatte, fragte er sie gesprächsweise, ob Arnoux noch seine Terrains in Belleville besäße.

»Ja, noch immer.«

»Ich denke, er ist jetzt in einer Kaolin-Gesellschaft in der Bretagne?«

»Das ist wahr.«

»Seine Fabrik geht sehr gut, nicht wahr?«

»Ja ... ich vermute es.«

Und als er zögerte, fragte sie:

»Was haben Sie denn? Sie ängstigen mich!«

Er erzählte ihr die Geschichte der neuen Gründungen. Sie senkte den Kopf und sagte:

»Ich vermutete es!«

In der Tat hatte Arnoux, um eine gute Spekulation zu machen, sich geweigert, seine Terrains zu verkaufen, hatte viel Geld darauf geliehen und, da er keine Käufer fand, sich durch die Gründung einer Fabrik wieder aufzuhelfen geglaubt. Die Kosten hatten die Anschläge überstiegen. Mehr wußte sie nicht; er wiche jeder Frage aus und versicherte stets, daß »es sehr gut ginge«.

Frédéric versuchte, sie zu beruhigen. Es wären vielleicht nur momentane Verlegenheiten. Übrigens, wenn er etwas erführe, wolle er es ihr mitteilen.

»Ach ja! nicht wahr?« sagte sie, mit einer reizend flehenden Miene beide Hände faltend.

Er konnte ihr also nützlich sein. Nun nahm er einen Platz in ihrem Dasein, in ihrem Herzen ein!

Arnoux erschien.

»Ah! wie nett, mich zum Diner abzuholen!«

Frédéric schwieg.

Arnoux sprach von gleichgiltigen Dingen, teilte dann seiner Frau mit, daß er sehr spät zurückkommen werde, da er eine Zusammenkunft mit Monsieur Oudry habe.

»Bei ihm?«

»Aber gewiß, bei ihm.«

Als sie die Treppe hinuntergingen, gestand er, daß sie, da die Marschallin frei sei, zusammen einen schönen Abend im Moulin-Rouge verleben wollten; und da er immer jemand brauchte, dem er sein Herz ausschütten konnte, ließ er sich von Frédéric bis zur Tür begleiten.

Anstatt einzutreten ging er auf dem Trottoir auf und ab, indem er die Fenster der zweiten Etage beobachtete. Plötzlich teilten sich die Vorhänge.

»Ah! bravo! Vater Oudry ist nicht mehr da. Guten Abend!«

So wurde sie also von dem alten Oudry unterhalten? Frédéric wußte nicht, was er davon denken sollte. Von diesem Tage an war Arnoux noch herzlicher als ehedem; er lud ihn zum Diner zu seiner Geliebten ein, und bald ging er in beiden Häusern aus und ein.

Bei Rosanette amüsierte er sich. Man ging dort abends nach dem Klub oder dem Theater hin; man trank eine Tasse Tee, spielte eine Partie Lotto; am Sonntag wurden Charaden aufgeführt; Rosanette, ausgelassener als die anderen, zeichnete sich durch drollige Einfälle aus, wie auf allen Vieren zu laufen oder sich mit einer Kattunkappe zu vermummen. Um zum Fenster hinaus auf die Passanten zu sehen, trug sie einen Hut von gelbem Leder, sie rauchte aus einem Tschibuk und sang Tiroler-Lieder. Am Nachmittag schnitt sie zum Zeitvertreib Blumen aus einem Stück persischer Leinwand, klebte sie selber auf ihre Scheiben, schminkte ihre kleinen Hündchen, ließ Räucherkerzen verbrennen oder legte sich die Karten. Unfähig, sich einen Wunsch zu versagen, versteifte sie sich auf eine Nippsache, die sie gesehen, schlief nicht darüber, lief hin, um sie zu kaufen, tauschte sie gegen eine andere ein und verschleuderte Stoffe, verlor ihre Kleinodien, vergeudete ihr Geld, hätte ihr Hemd für eine Proszeniumloge verkauft. Oftmals bat sie Frédéric um die Erklärung eines Wortes, das sie gelesen, hörte aber nicht auf seine Antwort, denn sie sprang schnell zu einer andern Idee über und hatte immer neue Fragen. Nach Ausbrüchen von Fröhlichkeit kam es zu kindlichen Zornesszenen; oder sie träumte auch vor dem Kamin am Boden sitzend, den Kopf gesenkt, das Knie in beiden Händen, regungsloser als eine erstarrte Natter. Ohne sich an ihn zu kehren, kleidete sie sich vor ihm aus, zog gemächlich ihre seidenen Strümpfe an, wusch sich dann mit viel Wasser das Gesicht, wobei sie sich hintenüber beugte wie eine fröstelnde Najade, und das Lachen ihrer weißen Zähne, das Funkeln ihrer Augen, ihre Schönheit, ihr Frohsinn blendeten Frédéric und peitschten seine Nerven.

Madame Arnoux fand er fast immer dabei, ihren kleinen Jungen lesen zu lehren, oder hinter Marthes Stuhl, die Tonleitern auf ihrem Klavier übte; arbeitete sie einmal an einer Näherei, so war es für ihn ein großes Glück, zuweilen ihre Schere aufheben zu dürfen. Alle ihre Bewegungen waren von einer ruhigen Majestät; ihre kleinen Hände schienen dazu geschaffen, Almosen zu spenden, Tränen zu trocknen; und ihre Stimme, von Natur etwas gedämpft, hatte einen zärtlichen Klang, sanft wie ein Windhauch.

Sie begeisterte sich gar nicht für Literatur, aber ihr Geist bezauberte durch einfache, eindringliche Worte. Sie liebte Reisen, das Rauschen des Windes im Walde und ging gern mit bloßem Kopf im Regen. Frédéric hörte diesen lieblichen Dingen zu und glaubte eine Unbezwungenheit zu bemerken, die jetzt begann.

Der Umgang mit diesen beiden Frauen brachte in sein Leben zweierlei Musik: die eine mutwillig, wild, unterhaltend, die andere ernst, fast religiös; und gleichzeitig erklingend, tönten sie verstärkt und verschmolzen ineinander; – denn sobald Madame Arnoux ihn nur mit dem Finger berührte, zeigte das Bild der andern sich sogleich seinem Verlangen, weil er von dieser Seite mehr Aussichten hatte, – und in der Gesellschaft der Rosanette dachte er, sobald er innerlich bewegt war, an seine große Liebe.

Diese Verwirrung entstand durch Ähnlichkeiten zwischen den beiden Wohnungen. Eine der Truhen, die vormals am Boulevard Montmartre zu sehen gewesen, schmückte jetzt den Speisesaal der Rosanette, die andere den von Madame Arnoux. In beiden Häusern war das gleiche Tafelgeschirr, und man fand alles bis auf dieselben Samtschutzdecken, die auf den Lehnsesseln lagen; eine Menge kleiner Geschenke, Ofenschirme, Kästchen, Fächer kamen und gingen von der Maitresse zur Gattin, denn ohne sich den geringsten Zwang anzutun, nahm Arnoux oft zurück, was er einer gegeben, um es der andern zu schenken.

Die Marschallin lachte mit Frédéric über seine schlechten Manieren. Eines Sonntags nach Tisch führte sie ihn hinter die Tür und zeigte ihm in seiner Paletottasche eine Düte mit Kuchen, die er von der Tafel beiseite geschafft hatte, offenbar um damit seine kleine Familie zu traktieren. Arnoux' Eulenspiegeleien streiften zuweilen dicht an Gaunerei. Für ihn war es eine Pflicht, beim Zoll zu schmuggeln; er ging niemals für Geld ins Schauspiel, verstand es immer, mit einem Billet für den zweiten Rang in den ersten zu gelangen, und erzählte es wie einen ausgezeichneten Spaß, daß er bei den kalten Bädern die Gewohnheit hätte, in die Wärterbüchse einen Hosenknopf anstatt eines Zehnsousstücks zu werfen, was aber die Marschallin durchaus nicht hinderte, ihn zu lieben.

Allein eines Tages, als sie von ihm sprach, sagte sie:

»Ach! er langweilt mich schließlich! Ich habe genug von ihm! Mein Gott, ich kann mir nicht helfen, ich finde schon einen andern!«

Frédéric glaubte, »der andere« sei schon gefunden und hieße Monsieur Oudry.

»Nun,« sagte Rosanette, »was tut das?«

Dann fuhr sie mit Tränen in der Stimme fort:

»Ich verlange doch gewiß wenig von ihm, allein er will nicht, der Esel! Er will nicht! Im Versprechen, o! das ist etwas anderes!«

Er hatte ihr sogar ein Viertel seines Gewinns an den berühmten Kaolin-Minen versprochen; es war aber kein Gewinn zu sehen, ebensowenig der Kaschmir, mit dem er sie seit sechs Monaten hinhielt.

Frédéric dachte sofort daran, ihr damit ein Geschenk zu machen. Arnoux aber konnte es für einen Tadel nehmen und sich ärgern.

Doch er war sehr gutmütig, seine Frau selber sagte es. Aber so töricht! Anstatt Gäste zum Diner zu sich einzuladen, bewirtete er seine Bekannten jetzt täglich im Restaurant. Er kaufte vollkommen unnütze Dinge, wie goldene Ketten, Uhren, Wirtschaftsgegenstände.

Madame Arnoux zeigte Frédéric im Flur sogar einen enormen Vorrat an Kochkesseln, Schüsselwärmern und Samowars. Endlich gestand sie eines Tages ihre Unruhe. Arnoux hatte sie einen Wechsel, an die Ordre von Monsieur Dambreuse gestellt, unterschreiben lassen.

Allein Frédéric betrachtete es sich selbst gegenüber als eine Art Ehrensache, bei seinen literarischen Plänen zu bleiben. Er wollte eine Geschichte der Ästhetik schreiben, das Resultat seiner Gespräche mit Pellerin, darauf verschiedene Epochen der französischen Revolution dramatisieren und, durch Deslauriers und Hussonnet angeregt, eine große Komödie verfassen. Mitten bei der Arbeit zog oft das Antlitz der einen oder der andern an ihm vorüber; er kämpfte gegen die Lust, sie zu sehen, säumte nicht, ihr nachzugeben; und war noch niedergeschlagener, wenn er von Madame Arnoux zurückkam.

Eines Morgens, als er schwermütig in der Kaminecke brütete, trat Deslauriers ein. Die aufrührerischen Reden Sénécals hatten den Maschinenbauer, in dessen Hause er war, beunruhigt, und er befand sich wieder einmal ohne alle Hilfsquellen.

»Was soll ich dabei machen?« sagte Frédéric.

»Nichts! ich weiß, du hast kein Geld. Aber das wird dich nicht hindern, ihm eine neue Stellung zu verschaffen, sei es durch Monsieur Dambreuse oder auch Arnoux?«

Dieser konnte in seinem Etablissement Ingenieure gebrauchen. Frédéric kam eine Idee: Sénécal konnte ihn von der Anwesenheit des Gatten benachrichtigen, Briefe besorgen, ihm bei tausend Gelegenheiten helfen, die sich bieten würden. Unter Männern leistete man sich immer solche Dienste. Überdies könnte er Mittel finden, ihn zu benutzen, ohne daß er es ahnte. Der Zufall bot ihm ein Hilfsmittel, es war günstig, er mußte zugreifen; und Gleichgültigkeit heuchelnd, erwiderte er, daß die Sache sich vielleicht machen ließe und er sich damit beschäftigen wolle.

Er tat es sofort. Arnoux gab sich mit seiner Fabrik viel Mühe. Er suchte das Kupferrot der Chinesen; aber seine Farben verdunsteten beim Brennen. Um das Springen seines Porzellans zu vermeiden, mischte er seinen Ton mit Kalk; aber die meisten der Stücke platzten, das Email seiner Malereien auf dem Ungebrannten warf Blasen, und seine großen Platten warfen sich; und da er seine Mißerfolge der schlechten Ausrüstung seiner Fabrik zuschrieb, wollte er sich neue Reibemühlen, andere Trockenkammern einrichten lassen. Frédéric entsann sich einiger dieser Dinge und ging zu ihm, um ihm mitzuteilen, daß er einen sehr tüchtigen Menschen entdeckt hätte, der fähig wäre, sein berühmtes Rot zu finden. Arnoux sprang auf, und als er ihn gehört hatte, erwiderte er, daß er niemand brauche.

Frédéric pries die erstaunlichen Kenntnisse Sénécals, der Ingenieur, Chemiker und Rechner zugleich wäre, da er ein Mathematiker ersten Ranges sei.

Der Fabrikant willigte ein, ihn zu sehen.

Beide stritten sich wegen des Gehalts. Frédéric legte sich ins Mittel und brachte es am Ende der Woche dahin, daß sie einen Vergleich schlossen.

Aber die Fabrik lag in Creil, Sénécal konnte ihm in nichts helfen. Diese sehr einfache Erwägung entmutigte ihn wie ein Mißgeschick.

Er dachte, je mehr Arnoux sich von seiner Frau abwandte, desto mehr Aussichten hätte er bei ihr. Dann fing er an, Rosanette fortwährend zu verteidigen; er stellte ihm all sein Unrecht ihr gegenüber vor, erzählte von den unbestimmten Drohungen neulich und sprach sogar von dem Kaschmir, ohne zu verschweigen, daß sie ihn des Geizes beschuldigte.

Arnoux, der verletzt war und außerdem Verdacht schöpfte, brachte Rosanette den Kaschmir, schalt sie aber, weil sie sich bei Frédéric beklagt hatte; als sie sagte, daß sie ihn hundertmal an sein Versprechen erinnert hätte, behauptete er, sich dessen nicht zu entsinnen, da er sehr beschäftigt sei.

Am nächsten Tage fand Frédéric sich bei ihr ein. Obwohl es zwei Uhr war, lag die Marschallin noch im Bett; und an dem Kopfende verspeiste Delmar, vor einem Tischchen sitzend, eine Scheibe Gänseleberpastete. Sie rief ihm von weitem zu: »Ich habe ihn, ich habe ihn,« dann nahm sie ihn bei den Ohren, küßte ihn auf die Stirn, dankte ihm vielmals, duzte ihn, wollte ihn sogar auf ihrem Bett sitzen haben. Ihre schönen, sanften Augen funkelten, ihr feuchter Mund lächelte, ihre beiden runden Arme sahen aus ihrem Hemd hervor, das keine Ärmel hatte; und ab und zu fühlte er durch den Battist die festen Umrisse ihres Körpers. Delmar saß dabei und rollte die Augen.

»Aber, meine Liebe, meine Liebe!« ...

Ebenso war es die folgenden Male. Sobald Frédéric eintrat, stieg sie auf ein Kissen, damit er sie besser küssen konnte, nannte ihn ihren Liebling, ihren Schatz, steckte ihm eine Blume ins Knopfloch, ordnete seine Krawatte; diese Zärtlichkeiten verdoppelten sich stets, wenn Delmar zugegen war.

War das ein Entgegenkommen? Frédéric nahm es an. Galt es, einen Freund zu betrügen, so hätte Arnoux sich an seiner Stelle auch nicht geniert! Und er hatte wohl das Recht, mit seiner Geliebten nicht tugendhaft zu sein, wie er es immer bei seiner Frau gewesen; denn er glaubte es gewesen zu sein oder hätte es sich wenigstens gern eingeredet, um seine unglaubliche Feigheit zu rechtfertigen. Trotzdem fand er sich einfältig und war entschlossen, bei der Marschallin nun mutig zuzufassen.

Da, eines Nachmittags, als sie sich vor ihrer Kommode bückte, näherte er sich ihr mit einer so deutlichen Geberde, daß sie sich ganz purpurrot erhob. Er wiederholte es noch einmal, da brach sie in Tränen aus und sagte, daß sie sehr unglücklich sei, das aber wäre kein Grund sie zu verachten.

Er erneuerte seine Versuche. Da schlug sie eine andere Tonart an und lachte jedesmal. Er hielt sich für schlau, wenn er im selben Ton erwiderte und ihn übertrieb. Aber er zeigte sich viel zu lustig, als daß sie ihn für aufrichtig halten konnte; und ihre Kameradschaft war ein Hindernis für eine Annäherung wahrhaft ernster Natur. Endlich erwiderte sie eines Tages, daß sie sich nicht mit dem begnüge, was eine andere übrig ließe.

»Welche andere?«

»Nun ja! geh doch zu Madame Arnoux zurück!«

Denn Frédéric sprach oft von ihr, und Arnoux hatte ebenfalls diese Manie; es machte sie schließlich ungeduldig, immer diese Frau rühmen zu hören; und ihre Anspielung war eine Art Rache.

Frédéric grollte ihr darum.

Außerdem begann sie ihn stark zu erregen. Manchmal sprach sie, sich als Sachverständige aufspielend, von der Bitterkeit der Liebe mit einem so skeptischen Lächeln, daß es ihn reizte, sie zu ohrfeigen. Eine Viertelstunde darauf erklärte sie sie für das einzige, was es auf Erden gab, und die Arme auf der Brust kreuzend, wie um jemand an sich zu pressen, murmelte sie mit halbgeschlossenen Lidern und fast trunken vor Wonne: »Oh! das ist schön! das ist so schön!« Es war unmöglich, klug aus ihr zu werden, zum Beispiel zu wissen, ob sie Arnoux liebte, denn sie machte sich über ihn lustig und schien eifersüchtig auf ihn. Ebenso auf die Vatnaz, die sie eine Elende nannte, ein andermal ihre beste Freundin. Endlich lag über ihrer ganzen Person bis zum Zurückwerfen ihres Haares etwas Unaussprechliches, das einer Herausforderung glich; – und er begehrte sie hauptsächlich aus dem Verlangen, sie zu bezwingen und zu beherrschen.

Wie aber dazu gelangen? denn oft schickte sie ihn ohne Umstände fort, erschien eine Minute zwischen zwei Türen um zu flüstern: »Ich bin beschäftigt, bis heute abend!« oder er traf sie auch in Gesellschaft von einem Dutzend Menschen; und waren sie allein, so hätte man eine Wette eingehen können, daß ein Hindernis dem andern folgte. Er lud sie zum Diner ein, sie schlug es ab; einmal nahm sie es an, kam aber nicht.

Eine hinterlistige Idee kam ihm in den Sinn.

Da er durch Dussardier wußte, daß Pellerin sich über ihn beklagt hatte, dachte er daran, bei ihm das Porträt der Marschallin zu bestellen, ein Porträt in Lebensgröße, das viele Sitzungen erforderte; er würde nicht eine einzige verfehlen; die Unpünktlichkeit des Künstlers würde ihr intimes Zusammensein erleichtern. Er forderte daher Rosanette auf, sich malen zu lassen, um ihrem lieben Arnoux ihr Bild zu schenken. Sie willigte ein, denn sie sah sich bereits mitten im großen »Salon« auf dem Ehrenplatz, von einer Menge umringt, die Zeitungen würden davon reden, und sie mit einem Schlage »gemacht« sein.

Pellerin ging natürlich begierig auf den Vorschlag ein. Dieses Porträt sollte einen großen Mann aus ihm machen, sollte ein Meisterwerk werden.

Er ließ im Geiste alle Meister-Porträts, die er kannte, an sich vorüberziehen und entschied sich schließlich für einen Tizian, der durch den Prunk eines Veronese noch gehoben werden sollte. Er wollte das Bild dann ohne künstliche Schatten anlegen, in vollem Licht, das das Fleisch in einem einzigen Ton erhellte und die Nebensachen aufleuchten ließ.

»Ob ich«, dachte er, »ein Gewand aus rosa Seide mit einem orientalischen Burnus für sie wähle? Aber, nein! zum Teufel mit dem Burnus! oder ob ich sie lieber in blauen Samt kleide, auf grauem, sehr farbigem Hintergrund? Man könnte ihr auch einen weißen Guipure-Kragen, einen schwarzen Fächer geben und einen scharlachroten Vorhang dahinter!«

Und indem er so überlegte, wurden seine Entwürfe zu seinem Erstaunen täglich zahlreicher.

Ihm klopfte das Herz, als Rosanette, von Frédéric begleitet, zur ersten Sitzung zu ihm kam. Er wies ihr mitten im Raume eine Art Tritt an, und indem er sich über das Licht beklagte und den Verlust seines alten Ateliers bedauerte, ließ er sie zuerst an einen Sockel gelehnt stehen, setzte sie dann in einen Fauteuil, und sich abwechselnd von ihr entfernend und sich ihr wieder nähernd, um mit einem Griff die Falten ihres Kleides zu ordnen, betrachtete er sie mit halbgeschlossenen Lidern und fragte Frédéric um seinen Rat.

»Nein, nein!« rief er. »Ich komme auf meine Idee zurück! Ich mache Sie zur Venetianerin!«

Sie müßte ein Gewand aus hochrotem Samt mit einem goldgeschmiedeten Gürtel haben, und der breite, mit Hermelin verbrämte Ärmel sollte ihren nackten Arm sehen lassen, der sich auf die Balustrade einer hinter ihr aufsteigenden Treppe stützte. Zu ihrer Linken würde eine große Säule bis zur Höhe der Leinwand gehen und sich der Architektur anschließen, die einen Bogen beschrieb. Darunter bemerkte man vage massive, fast schwarze Orangenbäume, von denen sich ein blauer, von weißen Wolken durchzogener Himmel scharf abzeichnen sollte. Auf der mit einem Teppich bedeckten Balustrade müßte eine silberne Schale mit einem Blumenstrauß, einem Rosenkranz aus Bernstein, einem Dolch stehen und ein Kästchen aus altem, etwas vergilbten Elfenbein, das mit Goldmünzen angefüllt war; einige davon sollten, auf den Boden gerollt, eine Reihe glänzender Flecken bilden, um das Auge auf die Spitze ihres Fußes zu lenken, denn er sollte in vollem Licht in natürlicher Bewegung auf der vorletzten Stufe ruhen.

Er holte eine Bilderkiste herbei, die er auf den Tritt stellte, um die Stufe darzustellen; darauf legte er auf einen Schemel, der die Balustrade vorstellen sollte, seine Joppe, einen Schild, eine Sardinenbüchse, einen Federbusch, ein Messer, und nachdem er vor Rosanette ein Dutzend blanke Sous verstreut hatte, bat er sie, ihre Stellung einzunehmen.

»Stellen Sie sich vor, daß die Dinge Reichtümer, kostbare Geschenke seien. Den Kopf ein wenig nach rechts! Ausgezeichnet! und rühren Sie sich nicht! Diese majestätische Stellung paßt gut zu Ihrer Art von Schönheit.«

Sie trug ein schottisches Kleid mit breitem Muff und hielt an sich, um nicht zu lachen.

»In den Kopfputz nehmen wir eine Perlenschnur: das gibt immer einen guten Effekt in rotem Haar.«

Die Marschallin sagte entrüstet, sie habe kein rotes Haar.

»Lassen Sie's gut sein! Das Rot der Maler ist nicht das der Spießbürger!«

Er begann die Anordnung der Massen zu skizzieren; und die großen Künstler der Renaissance beschäftigten ihn so sehr, daß er von ihnen zu sprechen anfing. Eine Stunde lang träumte er laut von diesen herrlichen Existenzen voll Genie, Ruhm und Pracht, von ihren Triumph-Einzügen in den Städten und Festen bei Fackelschein inmitten halbnackter, göttlich schöner Frauen.

»Sie wären wie geschaffen, in jener Zeit zu leben. Ein Wesen wie Sie hätte einen Fürsten verdient!«

Rosanette fand seine Komplimente reizend. Der Tag der nächsten Sitzung wurde festgesetzt; Frédéric übernahm es, das Zubehör zu besorgen.

Da die Ofenwärme sie ein wenig erschöpft hatte, kehrten sie zu Fuß durch die Rue du Bac zurück und kamen auf den Pont Royal.

Das Wetter war frisch und schön. Die Sonne ging unter; einige Fenster an den Häusern in der Stadt glänzten in der Ferne wie Goldplatten, während sich dahinter rechts die Türme von Notre Dame schwarz auf dem blauen Himmel abzeichneten und am Horizont weich, in grauem Dunst verschwanden. Ein Wind wehte; und da Rosanette erklärt hatte, daß sie hungrig sei, traten sie in eine englische Kuchenbäckerei ein.

Junge Frauen aßen mit ihren Kindern stehend an dem Marmor-Büffet, auf dem dicht gedrängt die Teller mit kleinen Kuchen standen. Rosanette verschlang zwei Creme-Törtchen. Der Streuzucker bildete in ihren Mundwinkeln zwei kleine Schnurrbarte. Von Zeit zu Zeit zog sie, um sie abzuwischen, ihr Taschentuch aus dem Muff, und ihr Gesicht glich unter ihrer grünseidenen Kapotte einer aufgeblühten Rose in ihren Blättern.

Sie setzten ihren Weg fort; in der Rue de la Paix blieb sie vor dem Laden eines Goldschmieds stehen, um ein Armband zu betrachten; Frédéric wollte ihr ein Geschenk damit machen.

»Nein,« sagte sie, »behalte dein Geld.«

Diese Worte verletzten ihn.

»Was hat mein Junge? Bist du traurig?«

Und nachdem die Unterhaltung wieder angeknüpft war, kam es wie gewöhnlich wieder zu Liebesbeteuerungen.

»Du weißt doch, daß es unmöglich ist!«

»Warum?«

»Ach, weil ...«

Sie gingen dicht nebeneinander, sie auf seinen Arm gestützt, und die Falbeln ihres Kleides schlugen an seine Beine. Da erinnerte er sich einer Dämmerstunde im Winter, wo auf demselben Trottoir Madame Arnoux an seiner Seite gegangen war; und die Erinnerung beschäftigte ihn dergestalt, daß er Rosanette nicht mehr bemerkte und nicht an sie dachte.

Sie blickte vor sich ins Leere, indem sie sich wie ein träges Kind ein wenig ziehen ließ. Es war die Stunde, wo man vom Spaziergang zurückkehrt, und Equipagen fuhren in schneller Fahrt auf dem trocknen Pflaster vorüber. Offenbar kamen ihr die Schmeicheleien Pellerins ins Gedächtnis, sie stieß einen Seufzer aus.

»Ach! es gibt Glückliche! Ich bin entschieden für einen reichen Mann geschaffen.«

Er erwiderte in brutalem Ton:

»Sie haben ja einen!« denn Monsieur Oudry galt für einen dreifachen Millionär.

Sie hatte keinen größeren Wunsch, als ihn los zu werden.

»Wer hindert Sie daran?«

Und er erging sich in bitteren Scherzen über diesen alten Spießbürger mit seiner Perücke, erklärte ihr, daß ein solches Verhältnis unwürdig wäre und daß sie es lösen müsse!

»Ja,« erwiderte die Marschallin, wie zu sich selber sprechend. »Das werde ich schließlich sicher auch tun!«

Frédéric war entzückt von dieser Uneigennützigkeit. Sie gingen langsamer, er glaubte, sie sei ermüdet. Sie schlug es ab einen Wagen zu nehmen und verabschiedete sich dann vor ihrer Tür von ihm, indem sie ihm eine Kußhand zuwarf.

»O! wie schade! Und zu denken, daß Dummköpfe mich für reich halten!«

Er war verstimmt, als er zu Haus anlangte.

Hussonnet und Deslauriers erwarteten ihn.

Der Bohémien zeichnete, an einem Tisch sitzend, Türkenköpfe, und der Advokat schlief mit schmutzigen Stiefeln auf dem Diwan.

»Ah! endlich,« rief er. »Aber welch finsteres Gesicht! Kannst du mich anhören?«

Sein Ruf als Hilfslehrer nahm ab, denn er pfropfte seine Schüler für das Examen mit ungeeigneten Theorien voll. Er hatte zwei- oder dreimal plaidiert, hatte verloren, und jede neue Enttäuschung trieb ihn immer stärker zu seinem alten Traum zurück: ein Blatt zu gründen, in dem er sich betätigen, sich rächen, seine Galle und seine Ideen ausfließen lassen konnte. Ansehen und Vermögen würden folgen. Auf diese Hoffnung hin hatte er den Bohémien für sich zu gewinnen gesucht, da Hussonnet ein Blatt besaß.

Augenblicklich ließ er auf rosa Papier drucken; er erfand schnurrige Geschichten, verfaßte Rebusse, versuchte Polemiken einzuleiten und wollte sogar (obwohl der Raum fehlte) Konzerte veranstalten: das Jahresabonnement »gewährte das Recht auf einen Orchesterplatz in einem der Haupttheater von Paris, die Redaktion übernahm es, den verehrlichen Fremden alle wünschenswerten künstlerischen und anderen Auskünfte zu erteilen«. Jedoch der Drucker drohte, man schuldete dem Hauseigentümer die Miete für drei Quartale, allerlei Verlegenheiten häuften sich; und Hussonnet hätte »Die Kunst« ohne die Ermahnungen des Advokaten, der ihm täglich Strafpredigten hielt, eingehen lassen. Er hatte ihn mitgenommen, um seinem Vorgehen mehr Nachdruck zu geben.

»Wir kommen wegen der Zeitung,« sagte er.

»Wie, du denkst noch daran?« entgegnete Frédéric in zerstreutem Tone.

»Gewiß denke ich daran!«

Und er setzte seinen Plan von neuem auseinander. Durch Börsenberichte würden sie mit Geldleuten in Verbindung kommen und so die notwendigen hunderttausend Francs Kaution erhalten. Aber um das Blatt in eine politische Zeitung umzuwandeln, sei es notwendig, vorher einen großen Leserkreis zu haben und sich darum zu einigen Ausgaben zu entschließen, um die Kosten des Papiers, der Druckerei, der Büros zu bestreiten, kurz, eine Summe von fünfzehntausend Francs zu haben.

»Ich habe kein Vermögen,« sagte Frédéric.

»Und wir?« sagte Deslauriers, die Arme kreuzend.

Durch diese Geste verletzt, entgegnete Frédéric:

»Kann ich dafür?«

Ah! Sehr gut! Sie haben Holz in Ihrem Kamin, Trüffeln auf Ihrem Tisch, ein gutes Bett, eine Bibliothek, Wagen, alle Annehmlichkeiten! Daß aber einem andern unterm Schieferdach die Zähne klappern, er zu zwanzig Sous zu Mittag speist, wie ein Sträfling arbeitet und im Elend verkommt! ist das Ihre Schuld?«

Und er wiederholte dieses »ist das Ihre Schuld?« mit einer ciceronianischen Ironie, die nach dem Gerichtshof schmeckte. Frédéric wollte sprechen.

»Übrigens begreife ich, man hat ... aristokratische Bedürfnisse; denn ... irgendeine Frau ... ohne Zweifel ...«

»Nun, und wenn dem so wäre? Bin ich nicht frei?«

»O! sehr frei!«

Und nach einer Minute des Schweigens:

»Sie sind so bequem, die Versprechungen.«

»Mein Gott, ich leugne sie nicht!« sagte Frédéric.

Der Advokat fuhr fort:

»Im Gymnasium schwört man, eine Gemeinschaft zu gründen, es den »Dreizehn« des Balzac gleichzutun! Dann, wenn man sich wiedertrifft: Guten Abend, alter Junge, geh zum Teufel! Denn, der dem andern dienen könnte, behält sorgsam alles für sich allein.«

»Wie?«

»Jawohl, du hast uns nicht einmal bei den Dambreuses eingeführt!«

Frédéric sah ihn an; mit seinem armseligen Überrock, seinen trüben Brillengläsern, dem bleichen Gesicht machte er den Eindruck eines richtigen Schulfuchses, so daß Frédéric ein verächtliches Lächeln auf den Lippen nicht unterdrücken konnte. Deslauriers bemerkte es und errötete.

Er hatte bereits den Hut auf, um zu gehen. Hussonnet versuchte voll Unruhe, ihn durch flehende Blicke zu besänftigen, und als Frédéric ihm den Rücken zukehrte, sagte er:

»Hören Sie, mein Lieber! Seien Sie unser Mäcen! Beschützen Sie die Kunst!«

In einem plötzlichen Gefühl von Resignation nahm Frédéric ein Blatt Papier und reichte es ihm, nachdem er einige Zeilen darauf gekritzelt hatte. Das Gesicht des Bohémien erhellte sich. Dann gab er den Brief an Deslauriers weiter und sagte:

»Bitten Sie ab, mein Herr!

»Ihr Freund beauftragte seinen Notar, ihm so schnell wie möglich fünfzehntausend Francs zu schicken.«

»Ah! daran erkenne ich dich wieder!« sagte Deslauriers.

»Auf Ehre!« fügte der Bohémien hinzu, »Sie sind gut. man sollte Sie in die Galerie der Wohltäter aufnehmen!«

Der Advokat fuhr fort:

»Du wirst nichts dabei einbüßen, die Spekulation ist ausgezeichnet.«

»Bei Gott!« rief Hussonnet, »ich würde meinen Kopf dafür aufs Schafott legen.«

Und er brachte so viele Torheiten hervor, versprach so viele Wunder (an die er vielleicht selber glaubte), daß Frédéric nicht wußte, ob es geschah, um sich über die anderen oder über sich selbst lustig zu machen.

An diesem Abend erhielt er einen Brief von seiner Mutter.

Sie wunderte sich, ihn noch nicht als Minister zu sehen, und neckte ihn ein wenig damit. Dann sprach sie von ihrer Gesundheit und teilte ihm mit, daß Monsieur Roque jetzt bei ihr verkehre. »Seitdem er Witwer ist, halte ich es nicht für unpassend, ihn zu empfangen. Louise hat sich sehr zu ihrem Vorteil verändert.« Und eine Nachschrift: »Du sagst mir nichts von deiner angenehmen Bekanntschaft mit Monsieur Dambreuse; an deiner Stelle würde ich sie ausnutzen.«

Warum nicht? Seine intellektuellen Bestrebungen hatte er aufgegeben, und sein Vermögen war (er sah es wohl) unzureichend; denn wenn seine Schulden bezahlt waren und die versprochene Summe den anderen eingehändigt, würden seine Einkünfte sich wenigstens um viertausend Francs verringern! Außerdem fühlte er das Bedürfnis, diese Existenz aufzugeben, sich an etwas anzuklammern. Am nächsten Tage, als er bei Madame Arnoux speiste, sagte er, daß seine Mutter ihn dränge, einen Beruf zu ergreifen.

»Aber ich glaubte,« entgegnete sie, »daß Monsieur Dambreuse Ihnen dazu verhelfen wollte, in den Staatsrat einzutreten? Das würde sehr gut für Sie passen.«

Sie wollte es also. Er gehorchte.

Der Bankier saß wie das erste Mal an seinem Schreibtisch und bat ihn mit einer Geberde, einige Minuten zu warten, da ein Herr, der den Rücken der Tür zukehrte, ernste Dinge mit ihm zu besprechen hätte. Es handelte sich um Steinkohlen und um eine Fusion verschiedener Gesellschaften.

Die Bildnisse des Generals Foy und Louis-Philippes hingen als Pendants zu beiden Seiten des Spiegels; Schubfächer stiegen an dem Getäfel bis zur Decke empor, und es standen sechs Rohrstühle da, denn Monsieur Dambreuse brauchte für seine Geschäfte kein schöneres Zimmer; ebenso wie in dunklen Küchen oft die größten Schmausereien zubereitet werden. Besonders fielen Frédéric zwei ungeheure Geldschränke auf, die in einer Wandnische aufgestellt waren. Er fragte sich, wie viele Millionen sie wohl fassen könnten. Der Bankier öffnete den einen, die Eisenplatte hob sich und ließ von dem Inhalt nichts als Hefte in blauem Umschlag sehen.

Endlich ging der andere Herr an Frédéric vorüber. Es war der alte Oudry. Beide grüßten sich errötend, was Monsieur Dambreuse zu überraschen schien. Übrigens zeigte er sich sehr liebenswürdig. Nichts sei leichter, als seinen jungen Freund dem Justizminister zu empfehlen. Man würde froh sein, ihn zu haben; und er schloß seine Höflichkeiten damit, daß er ihn zu einer Abendgesellschaft einlud, die er in einigen Tagen geben wollte.

Frédéric bestieg ein Coupé, um sich dahin zu begeben, als ein Billet der Marschallin eintraf. Beim Laternenschein las er:

»Lieber, ich habe Ihren Rat befolgt. Ich habe meinen Unhold soeben verabschiedet. Von morgen abend ab Freiheit! Sagen Sie, ob ich nicht tapfer bin.«

Weiter nichts! Aber das war eine Aufforderung für ihn, den vakanten Platz einzunehmen; ein Ausruf entfuhr ihm, er steckte das Billet in die Tasche und machte sich auf den Weg.

Zwei Polizisten zu Pferde hielten auf der Straße. Eine Reihe von Lämpchen brannte in den beiden Torwegen; und die Diener im Hof riefen den Wagen zu, bis zum Fuß der Freitreppe unter das Schutzdach vorzufahren. Dann verstummte der Lärm plötzlich im Vestibül.

Große Topfgewächse füllten das Treppenhaus, Porzellanglocken verbreiteten ein Licht, das sich wie weißer Seidenmoiré auf der Wand wellte.

Frédéric stieg schnell die Stufen hinan. Ein Diener rief seinen Namen; Monsieur Dambreuse reichte ihm die Hand; fast gleichzeitig erschien Madame Dambreuse. Sie trug ein malvenfarbiges, mit Spitzen garniertes Kleid, eine reichere Fülle von Locken als sonst und kein einziges Schmuckstück.

Um irgend etwas zu sagen über seine seltenen Besuche, machte sie ihm Vorwürfe. Die Gäste kamen, beim Grüßen bogen sie ihren Oberkörper seitwärts, verbeugten sich oder neigten nur das Gesicht; dann ging ein Ehepaar vorüber oder eine Familie, und alle zerstreuten sich in dem bereits gefüllten Saal.

Unter dem Kronleuchter, in der Mitte, stand auf einem enormen Puff eine Jardiniere, deren Blumen sich wie Federbüsche über die Köpfe der ringsherumsitzenden Frauen neigten; andere saßen auf Polsterbänken, die zwei gerade Reihen bildeten, von hohen, hellroten »Ach was!«

»Ja, ja!«

Der Kreis mußte sich öffnen, um einen Diener mit einem Präsentierbrett durchzulassen, der versuchte, in den Spielsaal einzutreten.

Unter dem grünlichen Licht der Wachskerzen bedeckten Reihen von Karten und Goldstücken den Tisch. Frédéric blieb vor einem derselben stehen, verlor fünfzehn Napoléons, die er in der Tasche hatte, drehte sich um und befand sich auf der Schwelle des Boudoirs, in dem er Madame Dambreuse damals angetroffen hatte. Es war voll von Damen, die dicht nebeneinander auf Sitzen ohne Lehne saßen. Ihre langen, bauschigen Röcke glichen Wogen, aus denen ihr Oberkörper emportauchte, und die Busen in den Ausschnitten der Mieder boten sich den Blicken dar. Fast alle hatten ein Veilchenbukett in der Hand. Der matte Ton ihrer Handschuhe hob das Weiß ihrer Arme hervor; Fransen und Gräser hingen ihnen von den Schultern herab, und man glaubte zuweilen, wenn ein Frösteln sie überlief, daß das Kleid herabfallen würde. Aber die Zurückhaltung der Gesichter milderte das Herausfordernde der Kostüme; einige zeigten sogar eine fast animalische Gelassenheit, und diese Ansammlung halb-nackter Frauen gemahnte an das Innere eines Harems; dem jungen Manne kam sogar ein gröberer Vergleich in den Sinn. In der Tat fanden sich hier alle Arten von Schönheit: Engländerinnen mit dem Profil » keepsake«, eine Italienerin, deren schwarze Augen blitzten wie ein Vesuv, drei blaugekleidete Schwestern, drei Normanninnen, frisch wie Apfelblüten im April, eine große Rothaarige mit einem Amethystenschmuck; – und das weiße Glitzern der Diamantnadeln, die in den Haaren zitterten, die leuchtenden Punkte der über die Busen verstreuten Edelsteine, der sanfte Glanz der Perlen, verbunden mit dem der Gesichter, vermischte sich mit dem Flimmern der goldenen Ringe, der Spitzen, dem Puder, den Federn, dem Zinnoberrot der zarten Mündchen und dem Schmelz der Zähne. Die Decke, wie eine Kuppel »Waren Sie auf dem letzten Wohltätigkeitsfest im Hotel Lambert, mein Fräulein?«

»Nein, mein Herr!«

»Es ist jetzt hier eine Hitze!«

»Oh! es ist wahr, zum Ersticken!«

»Von wem ist doch diese Polka?«

»Ich weiß es nicht, Madame!«

Und hinter ihm flüsterten sich drei alte Soldaten, die in der Türöffnung standen, obszöne Bemerkungen zu; andere sprachen über Eisenbahn und Freihandel; ein Sportsmann erzählte eine Jagdgeschichte; ein Legitimist stritt mit einem Orleanisten.

Von Gruppe zu Gruppe irrend, gelangte er in den Spielsaal, wo er in einem Kreise ernster Männer Martinon erkannte, der jetzt im Dienste der Staatsanwaltschaft der Hauptstadt stand.

Sein volles, wachsfarbenes Gesicht füllte angemessen seine Halsbinde aus, die ein wahres Wunder war, so gleichmäßig liefen die schwarzen Fäden des Stoffes; und die Mitte zwischen der Eleganz, die durch sein Alter bedingt war und die seine Stellung erforderte, einhaltend, steckte er nach Brauch der Stutzer den Daumen in die Achselhöhle und darauf den Arm nach Art der Politiker in die Weste. Obwohl er übermäßig blanke Stiefel trug, waren seine Schläfen doch rasiert, um sich eine Denkerstirn zu geben.

Nach einigen kühl hingeworfenen Worten wandte er sich wieder seinen Genossen zu. Ein Hausbesitzer sagte:

»Das ist eine Klasse von Menschen, die von dem Umsturz der Gesellschaft träumen!«

»Sie fordern Organisation der Arbeit!« fiel ein anderer ein. »Ist das zu begreifen?«

»Was wollen Sie!« sagte ein Dritter, »wenn man Monsieur de Genoude dem ›Siècle‹ die Hand reichen sieht!«

»Und die Konservativen, die sich selbst fortschrittlich nennen! Um was für uns herbeizuführen? Die Republik! Als ob sie in Frankreich möglich wäre!«

Alle erklärten, daß die Republik für Frankreich unmöglich sei.

»Tut nichts,« bemerkte ein Herr ganz laut. »Man beschäftigt sich zuviel mit der Revolution; es werden darüber eine Unmasse von Geschichten, von Büchern veröffentlicht!«

»Ohne zu bedenken,« sagte Martinon, »daß es vielleicht viel ernstere Stoffe zum Studium gibt!«

Ein Ministerial-Beamter fing an, von Theater-Skandalen zu reden:

»So übersteigt zum Beispiel das neue Drama »La Reine Margot« wirklich alle Grenzen! Wozu braucht man uns von den Valois zu sprechen? Das alles zeigt uns das Königtum in ungünstigem Licht! Es ist damit wie mit Ihrer Presse! Man hat gut sagen, die September-Gesetze seien viel zu milde! Ich für mein Teil bin für Kriegsmaßnahmen, um die Journalisten zum Schweigen zu bringen! Bei der geringsten Unverschämtheit vor das Kriegsgericht! sage ich Ihnen.«

»O! Hüten Sie sich, mein Herr, hüten Sie sich!« sagte ein Professor, »greifen Sie nicht unsere kostbarsten Errungenschaften von 1830 an! respektieren wir unsere Freiheiten. Es wäre eher notwendig, zu dezentralisieren, den Überschuß der Städte auf das Land zu verteilen.«

»Aber sie sind verderbt!« rief ein Katholik. »Sorgt dafür, daß die Religion wieder gefestigt werde!«

Martinon beeilte sich zu sagen:

»Das ist tatsächlich ein Hemmnis!«

»Das ganze Übel besteht in dem modernen Gelüst, sich über seine Klasse zu erheben, im Luxus zu leben.«

»Allein«, warf ein Industrieller ein, »der Luxus begünstigt den Handel. Ich stimme auch dem Herzog von Nemours bei, der Kniehosen für seine Soiréen fordert.«

»Monsieur Thiers ist in langen Beinkleidern hingegangen. Kennen Sie seine Bemerkung darüber?«

»Ja, famos! Aber er wird demagogisch, und seine Rede in der Frage der Unvereinbarkeit ist nicht ohne Einfluß auf das Attentat vom 12. Mai gewesen.« »Ach was!«

»Ja, ja!«

Der Kreis mußte sich öffnen, um einen Diener mit einem Präsentierbrett durchzulassen, der versuchte, in den Spielsaal einzutreten.

Unter dem grünlichen Licht der Wachskerzen bedeckten Reihen von Karten und Goldstücken den Tisch. Frédéric blieb vor einem derselben stehen, verlor fünfzehn Napoléons, die er in der Tasche hatte, drehte sich um und befand sich auf der Schwelle des Boudoirs, in dem er Madame Dambreuse damals angetroffen hatte. Es war voll von Damen, die dicht nebeneinander auf Sitzen ohne Lehne saßen. Ihre langen, bauschigen Röcke glichen Wogen, aus denen ihr Oberkörper emportauchte, und die Busen in den Ausschnitten der Mieder boten sich den Blicken dar. Fast alle hatten ein Veilchenbukett in der Hand. Der matte Ton ihrer Handschuhe hob das Weiß ihrer Arme hervor; Fransen und Gräser hingen ihnen von den Schultern herab, und man glaubte zuweilen, wenn ein Frösteln sie überlief, daß das Kleid herabfallen würde. Aber die Zurückhaltung der Gesichter milderte das Herausfordernde der Kostüme; einige zeigten sogar eine fast animalische Gelassenheit, und diese Ansammlung halb-nackter Frauen gemahnte an das Innere eines Harems; dem jungen Manne kam sogar ein gröberer Vergleich in den Sinn. In der Tat fanden sich hier alle Arten von Schönheit: Engländerinnen mit dem Profil » keepsake«, eine Italienerin, deren schwarze Augen blitzten wie ein Vesuv, drei blaugekleidete Schwestern, drei Normanninnen, frisch wie Apfelblüten im April, eine große Rothaarige mit einem Amethystenschmuck; – und das weiße Glitzern der Diamantnadeln, die in den Haaren zitterten, die leuchtenden Punkte der über die Busen verstreuten Edelsteine, der sanfte Glanz der Perlen, verbunden mit dem der Gesichter, vermischte sich mit dem Flimmern der goldenen Ringe, der Spitzen, dem Puder, den Federn, dem Zinnoberrot der zarten Mündchen und dem Schmelz der Zähne. Die Decke, wie eine Kuppel gerundet, gab dem Boudoir die Form eines Korbes; und ein Strom parfümierter Luft verbreitete sich durch das Fächeln.

Frédéric, der sich mit dem Monocle im Auge hinter sie gestellt hatte, prüfte nicht alle diese tadellosen Schultern; er dachte an die Marschallin, was sein Verlangen zurückdrängte oder ihn darüber tröstete.

Indessen betrachtete er Madame Dambreuse, und er fand sie reizend trotz ihres etwas zu großen Mundes und ihrer zu weiten Nasenlöcher. Sie hatte eine eigene Grazie. Ihre Locken gaben ihr etwas Schmachtendes und Leidenschaftliches, und ihre alabasterweiße Stirn schien vielerlei zu bergen und verriet Überlegenheit.

Sie hatte die Nichte ihres Mannes, eine junge, ziemlich häßliche Person neben sich gesetzt. Von Zeit zu Zeit stand sie auf, um die Eintretenden zu empfangen; und das zunehmende Gemurmel weiblicher Stimmen glich Vogelgezwitscher.

Es war die Rede von tunesischen Gesandten und ihren Sitten. Eine Dame hatte der letzten Akademiesitzung beigewohnt; eine andere sprach von Molières Don Juan, der kürzlich am Français aufgeführt worden war. Ihre Nichte mit einem Blick streifend, legte Madame Dambreuse einen Finger an ihre Lippen, aber ein Lächeln, das ihr entschlüpfte, hob die Strenge wieder auf.

Plötzlich erschien Martinon gegenüber in der andern Tür. Sie erhob sich. Er bot ihr den Arm. Um ihn seine Galanterien fortsetzen zu sehen, ging Frédéric an den Spieltischen vorüber und schloß sich ihnen im großen Salon an; Madame Dambreuse verließ ihren Kavalier alsbald und unterhielt sich vertraulich mit ihm.

Sie begriff, daß er nicht spielte, nicht tanzte.

»In der Jugend ist man schwermütig!« Darauf fuhr sie mit einem Blick auf die Gäste fort:

»Übrigens ist dies alles nicht zum Lachen; wenigstens für gewisse Naturen nicht!«

Und dann blieb sie vor einer Reihe Fauteuils stehen und streute hier und da ein liebenswürdiges Wort ein, während die alten Herren mit ihren Brillen herankamen, um ihr den Hof zu machen. Sie stellte Frédéric einigen vor. Monsieur Dambreuse berührte ihn leise am Ellbogen und führte ihn auf die Terrasse hinaus.

Er hatte den Minister gesprochen. Die Sache wäre nicht leicht. Bevor man als Auditeur beim Staatsrat angestellt werde, müsse man ein Examen machen. Von einem unerklärlichen Selbstvertrauen beseelt, erwiderte Frédéric, daß er die Materie beherrsche.

Der Geldmann war nach den Lobreden, die Monsieur Roque über ihn gehalten hatte, nicht erstaunt darüber.

Bei diesem Namen sah Frédéric die kleine Louise, sein Haus, sein Zimmer wieder vor sich; und er erinnerte sich ähnlicher Nächte, da er am Fenster gestanden und auf die Fuhrleute gehört hatte, die vorüberkamen.

Die Erinnerung an sein Leiden lenkte seine Gedanken auf Madame Arnoux. Schweigend fuhr er fort, auf der Terrasse hin und her zu gehen. Die Fenster sahen inmitten der Dunkelheit aus wie lange rote Platten; der Lärm des Balles verstummte, die Wagen begannen davonzufahren.

»Warum eigentlich«, fing Monsieur Dambreuse wieder an, »wollen Sie in den Staatsrat?«

Und er versicherte im Ton eines Liberalen, daß Beamtentätigkeit zu nichts führe, er wisse etwas davon; Geschäfte seien wertvoller. Frédéric wandte die Schwierigkeit ein, sie zu erlernen.

»Ach! in kurzer Zeit würde ich Sie einführen!«

Wollte er ihn an seinen Unternehmungen beteiligen?

Der junge Mann sah wie in einem Blitz ein ungeheures Vermögen, das kommen würde.

»Lassen Sie uns wieder hineingehen,« sagte der Bankier. »Sie speisen mit uns, nicht wahr?«

Es war drei Uhr, die meisten brachen auf. Im Speisesaal erwartete ein gedeckter Tisch die Intimen.

Monsieur Dambreuse bemerkte Martinon, näherte sich seiner Frau und sagte leise:

»Hast du ihn eingeladen?«

Sie erwiderte trocken:

»Gewiß!«

Die Nichte war nicht da. Es wurde viel getrunken und laut gelacht: und gelegentliche Witze wurden von niemand beanstandet; alle empfanden die Erleichterung, die einem etwas langwährenden Zwange folgt. Nur Martinon blieb ernst; er weigerte sich, Champagner zu trinken, war sonst aber zugänglich und sehr höflich, denn als Monsieur Dambreuse, der engbrüstig war, über Beklemmungen klagte, erkundigte er sich wiederholt nach seinem Befinden; dann richtete er seine bläulichen Augen auf Madame Dambreuse.

Sie fragte Frédéric, welche von den jungen Damen ihm gefallen hätte. Er hätte keine beachtet, erwiderte er, und zöge überdies dreißigjährige Frauen vor.

»Das ist vielleicht gar nicht so dumm!« entgegnete sie.

Dann, als sie die Paletots und Pelze anzogen, sagte Monsieur Dambreuse zu ihm:

»Besuchen Sie mich an einem dieser Tage, wir reden dann miteinander!«

Martinon zündete am Fuße der Treppe eine Zigarre an, und er bot, als er daran zog, ein so massiges Profil, daß sein Gefährte ausrief:

»Du hast einen guten Kopf, auf mein Wort!«

»Er hat ihn schon so manchem verdreht!« erwiderte der junge Beamte selbstbewußt und ärgerlich zugleich.

Beim Schlafengehen überdachte Frédéric den Abend nochmals. Zuerst seine Toilette (er hatte sich mehrmals im Spiegel beobachtet), die vom Schnitt seines Rockes bis zur Schleife seiner Tanzschuhe nichts zu wünschen übrigließ; er hatte mit bedeutenden Männern gesprochen, hatte reiche Frauen in der Nähe gesehen, Monsieur Dambreuse war liebenswürdig gewesen, Madame Dambreuse fast verbindlich. Er wägte jedes einzige ihrer Worte, ihrer Blicke, tausend unanalysierbare und doch ausdrucksvolle Dinge. Es mußte herrlich sein, eine solche Geliebte zu haben! Warum übrigens nicht? Er galt genau so viel wie ein anderer! Vielleicht war sie gar nicht so anspruchsvoll? Dann fiel ihm Martinon ein; und beim Einschlafen lächelte er mitleidig über den guten Jungen.

Der Gedanke an die Marschallin weckte ihn; die Worte in ihrem Billet: »Von morgen abend ab«, bedeuteten ja ein Rendezvous für diesen Tag. Er wartete bis neun Uhr und eilte dann zu ihr.

Jemand, der vor ihm die Treppe hinaufging, schloß oben die Tür. Er zog die Glocke; Delphine öffnete und versicherte, daß Madame nicht zu Haus sei.

Frédéric ließ sich nicht abweisen. Er habe ihr etwas sehr Ernstes mitzuteilen, ein Wort nur. Endlich gab ein Fünffrankstück den Ausschlag, und das Mädchen ließ ihn im Vorzimmer allein.

Rosanette erschien. Sie war im Hemd, das Haar aufgelöst, und den Kopf schüttelnd, machte sie von weitem mit beiden Armen eine Gebärde, die ausdrückte, daß sie ihn nicht empfangen könne.

Frédéric ging langsam die Treppe hinunter. Diese Laune überstieg alle anderen. Er begriff es nicht.

Vor der Portierloge hielt die Vatnaz ihn an:

»Sie hat Sie empfangen?«

»Nein!«

»Sie wurden fortgeschickt?«

»Woher wissen Sie?«

»Man sieht es! Aber kommen Sie! Lassen Sie uns hinausgehen! Ich ersticke!«

Sie führte ihn auf die Straße. Sie keuchte. Er fühlte ihren mageren Arm auf dem seinen zittern. Plötzlich rief sie aus:

»O! der Elende!«

»Wer denn?«

»Aber er ist es! er! Delmar!«

Diese Eröffnung demütigte Frédéric; er erwiderte:

»Sind Sie dessen gewiß?«

»Aber wenn ich Ihnen sage, daß ich ihm gefolgt bin!« rief die Vatnaz, »ich sah ihn hineingehen! Begreifen Sie jetzt? Ich hätte übrigens darauf gefaßt sein müssen; ich selber habe ihn in meiner Dummheit bei ihr eingeführt; und wenn Sie wüßten, mein Gott! Ich habe ihn aufgenommen, ihn ernährt, gekleidet; und alle meine Bemühungen mit den Zeitungen! Ich liebte ihn wie eine Mutter!« Dann mit Hohnlächeln: »Aber der Herr wünscht jetzt Samtkleider zu haben! eine Spekulation von ihm! wissen Sie! Und sie! Wenn man bedenkt, daß ich sie als Konfektioneuse in einem Wäschegeschäft gekannt habe! Ohne mich wäre sie mehr als zwanzigmal in den Kot geraten. Aber ich werde sie hineinstoßen! Jawohl! Ich will, daß sie im Spital verkommt! Alles sollen Sie erfahren!«

Und wie ein Strom von Spülwasser, der den Kehricht mit sich reißt, wühlte ihre Empörung die Schändlichkeiten ihrer Rivalin vor ihm auf.

»Sie hat mit Jumillac geschlafen, mit Flacourt, mit dem kleinen Allard, mit Bertineaux und Saint-Valery, dem Blatternarbigen. Nein! mit dem andern! Es sind zwei Brüder, na, ganz gleich! Und wenn sie in Verlegenheit war, ordnete ich alles. Was war mein Gewinn? Sie ist so geizig! Und dann, Sie werden verstehen, war es eine große Gefälligkeit, mit ihr umzugehen, denn wir gehören nicht denselben Kreisen an! Bin ich eine Dirne? Verkaufe ich mich! und obendrein ist sie stockdumm! Sie schreibt Kategorie mit einem th. Übrigens passen sie gut zusammen, sie sind doch ebenbürtig, obwohl er sich Künstler nennt und sich für ein Genie hält! Aber, mein Gott, wenn er Intelligenz besäße, hätte er nicht eine solche Infamie begehen können! Man verläßt nicht eine gebildete Frau um einer Dirne willen! Schließlich mache ich mir nichts daraus. Er wird häßlich werden! Ich verabscheue ihn! Wenn ich ihm begegne, würde ich ihm wahrhaftig ins Gesicht speien!« Sie spie aus. »Ja, so werde ich es machen! Und Arnoux? Ist es nicht abscheulich? Er hat ihr so oft verziehen! Man kann sich keine Vorstellung von seiner Aufopferung machen! Sie müßte ihm die Füße küssen! Er ist so großmütig, so gut!«

Frédéric tat es wohl, Delmar verleumden zu hören. Mit Arnoux hatte er sichs gefallen lassen. Diese Falschheit der Rosanette jedoch schien ihm unnatürlich, unrecht; und von der Erregung des alten Mädchens betroffen, hatte er fast Mitleid mit ihm. Plötzlich befand er sich vor Arnoux' Tür; die Vatnaz war mit ihm, ohne daß er es merkte, das Faubourg Poissonnière hinuntergegangen.

»Da sind wir,« sagte sie. »Ich kann nicht mit hinaufgehen. Aber Sie, Sie hindert nichts!«

»Um was zu tun?«

»Um ihm alles zu sagen, mein Gott!«

Wie aus dem Schlafe auffahrend, erkannte Frédéric, zu welcher Gemeinheit er getrieben wurde.

»Nun?« fragte sie.

Er blickte zur zweiten Etage empor. Die Lampe Madame Arnoux' brannte. Nichts in der Tat hinderte ihn daran, hinaufzugehen.

»Ich warte hier auf Sie. So gehen Sie doch!«

Dieser Befehl kühlte ihn gänzlich ab und er sagte:

»Ich werde lange oben bleiben. Sie täten besser, umzukehren. Ich komme morgen zu Ihnen.«

»Nein, nein,« erwiderte die Vatnaz, mit dem Fuße aufstampfend. »Bringen Sie ihn mit! führen Sie ihn hin! Mag er sie überraschen!«

»Aber Delmar wird nicht mehr dort sein!«

Sie senkte den Kopf.

»Ja, das ist vielleicht richtig!«

Und sie blieb, ohne zu sprechen, mitten auf der Straße zwischen den Wagen stehen; dann heftete sie die Wildkatzenaugen auf ihn:

»Ich kann mich auf Sie verlassen, nicht wahr? Es ist abgemacht zwischen uns beiden! Tun Sie es. Auf morgen!«

Frédéric hörte, als er den Korridor durchschritt, zwei Stimmen. Madame Arnoux sagte:

»Lüge nicht! so lüge doch nicht!«

Er trat ein. Sie verstummten.

Arnoux schritt auf und ab, Madame saß auf dem kleinen Stuhl am Kamin; sie war außerordentlich blaß, das Auge starr. Frédéric machte eine Bewegung, wie um sich zurückzuziehen. Arnoux ergriff seine Hand, glücklich über die Hilfe, die ihm kam.

»Aber ich fürchte ...« sagte Frédéric.

»Bleiben Sie doch!« flüsterte Arnoux ihm ins Ohr. Madame Arnoux erwiderte:

»Sie müssen nachsichtig sein, Monsieur Moreau! Das sind Dinge, die in Familien zuweilen vorkommen.«

»Das heißt, man bringt sie hinein,« sagte Arnoux schalkhaft. »Die Frauen haben manchmal Einfälle! Diese hier zwar ist nicht schlecht. Nein, im Gegenteil! Aber sie macht sich seit einer Stunde das Vergnügen, mich mit einer Menge Geschichten zu quälen!«

»Sie sind wahr!« erwiderte Madame Arnoux ungeduldig. »Denn du hast ihn doch gekauft.«

»Ich?«

»Ja, du selbst! im Perser-Bazar!«

»Der Kaschmir!« dachte Frédéric.

Er fühlte sich schuldig und ward unsicher.

Sie fügte darauf hinzu:

»Es war im vorigen Monat, ein Sonnabend, der vierzehnte!«

»Ah! An dem Tage gerade war ich in Creil! Da siehst du also!«

»Durchaus nicht! Denn wir waren am 14. bei den Bertins zu Tisch.«

»Am 14. ...?« fragte Arnoux und blickte auf, wie um sich auf ein Datum zu besinnen.

»Und der Kommis, der ihn dir verkaufte, war blond.«

»Wie soll ich mich denn des Kommis erinnern!«

»Aber er hat nach deinem Diktat doch die Adresse: 18, Rue de Laval, geschrieben.«

»Woher weißt du das?« fragte Arnoux bestürzt.

Sie zuckte die Achseln.

»O, das ist sehr einfach: Ich war dort, um meinen Kaschmir reparieren zu lassen, und der Leiter der Abteilung teilte mir mit, daß soeben ein gleicher an Madame Arnoux geschickt worden sei.«

»Kann ich dafür, daß in der Straße auch eine Madame Arnoux wohnt?«

»Ja! aber nicht Jacques Arnoux,« erwiderte sie.

Da begann er auszuweichen, seine Unschuld zu beteuern. Es sei ein Irrtum, ein Zufall, eines dieser unerklärlichen Dinge, wie sie vorkommen. Man dürfe niemand auf den bloßen Argwohn, auf Anzeichen hin verdammen, und er zitierte das Beispiel des unglücklichen Lesurques.

»Kurz, ich versichere dich, du täuschest dich! Willst du, daß ich dir mein Ehrenwort gebe?«

»Das ist nicht der Mühe wert!«

»Warum?«

Sie sah ihm, ohne etwas zu sagen, ins Gesicht; dann streckte sie die Hand aus, nahm das silberne Kästchen vom Kamin und reichte ihm eine offene Rechnung.

Arnoux wurde rot bis über die Ohren, und seine entstellten Züge verzerrten sich.

»Nun?«

»Aber ...«, erwiderte er langsam, »was beweist das?«

»Ah!« sagte sie mit seltsamem Klang voll Schmerz und Ironie in der Stimme. »Ah!«

Arnoux behielt die Rechnung in den Händen und drehte sie, indem er die Augen nicht davon wandte, nach allen Seiten, als hoffe er darin die Lösung eines großen Problems zu finden.

»Ja, ja, ja, ja, ich erinnere mich,« sagte er endlich. »Es war ein Auftrag. – Sie müßten es noch wissen, Frédéric?« Frédéric schwieg. »Ein Auftrag, der mir gegeben wurde ... von ... Vater Oudry.«

»Und für wen?«

»Für seine Geliebte!«

»Für die deine!« schrie Madame Arnoux, sich gerade aufrichtend.

»Ich schwöre dir ...«

»Fange nicht wieder damit an. Ich weiß alles!«

»Ah! sehr gut! Also, mir wird nachspioniert!«

Sie erwiderte kalt:

»Das verletzt vielleicht dein Zartgefühl?«

»Von dem Augenblick an, wo man sich hinreißen läßt,« entgegnete Arnoux, seinen Hut suchend, »nützt es nichts, weiter zu reden!«

Dann sagte er mit einem tiefen Seufzer:

»Heiraten Sie nicht, mein Freund, nein, glauben Sie mir!«

Und er ging fort, um Luft zu schöpfen.

Ein tiefes Schweigen entstand darauf, und alles im Zimmer schien unbeweglich. Ein leuchtender Kreis erhellte die Decke über der Lampe, während der Schatten sich in den Ecken wie übereinandergelegte schwarze Gaze verbreitete; man vernahm das Ticktack der Uhr und das Prasseln des Feuers.

Madame Arnoux hatte sich an der andern Seite des Kamins in den Fauteuil gesetzt; die Zähne schlugen zusammen, sie nagte an den Lippen; ihre beiden Hände hoben sich, ein Seufzer entrang sich ihr, sie weinte.

Er setzte sich auf den kleinen Stuhl und sagte mit zärtlicher Stimme, wie einer Kranken gegenüber:

»Sie zweifeln doch nicht daran, daß ich nicht dabei beteiligt bin?«

Sie erwiderte nichts, fuhr aber laut in ihren Betrachtungen fort:

»Ich gebe ihm doch Freiheit. Er brauchte nicht zu lügen!«

»Gewiß,« sagte Frédéric.

»Das ist ohne Zweifel die Folge seiner Gewohnheiten, er hatte nicht daran gedacht, und in ernsteren Dingen vielleicht ...«

»Was gibt es denn Ernsteres?«

»Ach, nichts!«

Frédéric verneigte sich mit einem gehorsamen Lächeln. Arnoux besäße trotz allem aber gewisse Eigenschaften; er liebte seine Kinder.

»Ach! und tut alles, sie zu ruinieren!«

Das käme von seiner zu leichten Gemütsart; er sei doch ein guter Mensch.

Sie rief:

»Aber was will denn das sagen, ein guter Mensch!«

So verteidigte er ihn auf diese unbestimmte Art, und während er sie beklagte, war er im Grunde seiner Seele erfreut und beglückt. Aus Rache oder dem Bedürfnis nach Liebe flüchtete sie sich zu ihm. Seine übermäßig gesteigerte Hoffnung erhöhte seine Liebe.

Niemals war sie ihm so fesselnd, so unergründlich schön erschienen. Ab und zu hob ein Atemzug ihre Brust; ihre beiden starren Augen schienen durch eine innere Vision erweitert, und ihr Mund blieb stumm, um ihre Seele reden zu lassen. Zuweilen preßte sie das Taschentuch fest darauf; er hätte dieses Stückchen von Tränen getränkter Battist sein mögen. Wider Willen sah er auf das Bett im Hintergrunde des Alkovens und stellte sich ihren Kopf auf dem Kissen vor; und er sah ihn so deutlich, daß er sich zurückhalten mußte, um sie nicht in die Arme zu schließen.

Matt und ergeben schloß sie die Lider. Da näherte er sich ihr und betrachtete, über sie gebeugt, begehrlich ihr Gesicht. Ein Geräusch von Tritten ertönte im Flur, es war der andere. Sie hörten ihn die Tür seines Zimmers schließen. Frédéric fragte Madame Arnoux durch ein Zeichen, ob er hinausgehen solle.

Sie erwiderte auf dieselbe Weise »ja«; und dieser stumme Gedankenaustausch war wie ein Einverständnis, ein Beginn von Ehebruch.

Arnoux, im Begriff schlafen zu gehen, knöpfte seinen Rock auf.

»Nun, wie geht es ihr?«

»O, besser!« sagte Frédéric. »Es wird vorübergehen.« Aber Arnoux war bedrückt.

»Sie kennen sie nicht! Sie hat jetzt Nerven ...! Dieser Esel von Kommis! Das kommt davon, wenn man zu gut ist! Hätte ich Rosanette diesen verwünschten Schal nicht geschenkt!«

»Bedauern Sie es nicht! Man kann nicht dankbarer sein, als sie Ihnen ist!«

»Glauben Sie?«

Frédéric zweifelte nicht daran. »Der Beweis dafür ist, daß sie Vater Oudry hat laufen lassen.«

»Ach, armes Ding!«

Und im Übermaß seiner Bewegung wollte Arnoux zu ihr eilen.

»Es hat keinen Zweck! Ich komme von ihr. Sie ist krank!«

»Um so mehr!«

Eilig zog er den Rock wieder an und nahm seinen Wachsstock. Frédéric verwünschte seine Dummheit und stellte ihm vor, daß er anstandshalber diesen Abend bei seiner Frau bleiben müsse. Er dürfe sie nicht verlassen, es wäre sehr falsch.

»Frei heraus gesagt, Sie täten unrecht! Nichts drängt dort! Sie werden morgen hingehen! Hören Sie, tun Sie es um meinetwillen.«

Arnoux stellte den Wachsstock wieder hin und sagte, ihn umarmend:

»Sie sind ein guter Kerl!«


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