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XI

Der Verdruß hatte um die Zeit begonnen, als Earl Bradys Wagen an Divers Wagen vorüberfuhr, der auf der Straße hielt. Abes Bericht wurde unpersönlich, verschmolz mit der ereignisreichen Nacht – »Violet McKisco erzählte Frau Abrams etwas, was sie über die Divers in Erfahrung gebracht hatte – sie war in deren Haus nach oben gegangen und hatte etwas erlebt, was sie sehr beeindruckt hatte. Aber Tommy ist Divers Wachhund. Gewiß, Nicole ist hinreißend und flößt Respekt ein, aber das haben sie beide miteinander gemein, und das Ehepaar Diver als Ganzes genommen bedeutet für seine Freunde mehr, als viele von ihnen wissen. Natürlich ist das mit gewissen Opfern verbunden – mitunter scheinen sie nichts anderes als entzückende Gestalten in einem Ballett, die gerade so viel Aufmerksamkeit verdienen, wie man sie einem Ballett schenkt – aber dahinter steckt mehr. – Sie müßten die Vorgeschichte kennen. Jedenfalls ist Tommy einer der Männer, denen Dick Nicole anvertraut hat, und als Frau McKisco nicht aufhörte, Anspielungen zu machen, verbat er es sich. Er sagte:

›Frau McKisco, bitte sagen Sie nichts weiter über Frau Diver.‹

›Ich habe nicht mit Ihnen gesprochen‹, begehrte sie auf.

›Ich glaube, es ist besser, Divers aus dem Spiel zu lassen.‹

›Sind Sie so heilig?‹

›Lassen Sie sie aus dem Spiel. Sprechen Sie von etwas anderem.‹

Er saß auf einem der beiden kleinen Klappsitze neben Campion. Der hat mir die Geschichte erzählt.

›Sie sind unverschämt‹, fuhr Violet fort.

Sie wissen Bescheid, wie es mit Unterhaltungen nachts im Auto bestellt ist: manche Menschen sind verdrießlich, und manche sind gleichgültig, lassen sich gehen nach der Gesellschaft: oder langweilen sich oder schlafen. Kurz und gut, keiner von allen wußte, was eigentlich geschah, bis der Wagen hielt und Barban mit einer Stimme, die alle aufschreckte, einer Kasernenhofstimme, schrie:

›Sie möchten wohl gern hier aussteigen – wir sind nur einen Kilometer vom Hotel entfernt, und Sie können zu Fuß gehen, oder ich werde Sie hinschleifen. Sie haben das Maul zu halten und Ihrer Frau das Maul zu verbieten.‹

›Sie sind ein Grobian‹, sagte McKisco. ›Sie wissen, daß Sie körperlich stärker sind als ich. Aber ich habe keine Angst vor Ihnen – solche Leute gehörten vor ein Ehrengericht – ‹

Damit hatte er einen Fehler begangen; Tommy, der Franzose war, beugte sich hintenüber und gab ihm eine Ohrfeige, und dann fuhr der Chauffeur weiter. Das war, als Sie vorbeifuhren. Dann legten die Frauen los. Und so war die Situation, als der Wagen beim Hotel anlangte.

Tommy rief einen Mann in Cannes an und bat ihn, als Sekundant zu fungieren, und McKisco sagte, er werde sich nicht von Campion sekundieren lassen, der im übrigen gar nicht wild darauf war, darum rief er mich an und schärfte mir ein, nichts zu sagen, sondern augenblicklich herunterzukommen. Violet McKisco erlitt einen Zusammenbruch, und Frau Abrams nahm sie mit in ihr Zimmer und gab ihr ein Brompräparat, woraufhin sie auf dem Bett friedlich einschlief. Als ich ankam, versuchte ich bei Tommy zum Guten zu reden, aber er wollte sich nur auf eine Bitte um Entschuldigung einlassen, und McKisco, einigermaßen gereizt, wollte nichts davon wissen.«

 

Als Abe geendet hatte, fragte Rosemarie nachdenklich:

»Wissen Divers, daß es um ihretwillen geschieht?«

»Nein – und sie sollen niemals erfahren, daß sie etwas damit zu tun haben. Dieser verflixte Campion hatte nichts Besseres zu tun, als mit Ihnen darüber zu sprechen, aber daran ist nun nichts zu ändern. Dem Chauffeur habe ich gesagt, ich würde die alte singende Säge hervorholen, wenn er nur ein Wort darüber verlauten ließe. Dieser Kampf findet zwischen zwei Männern statt – was Tommy nottut, ist ein ordentlicher Krieg.«

»Hoffentlich kommen Divers nicht dahinter«, sagte Rosemarie.

Abe warf einen Blick auf die Uhr.

»Ich muß zu McKisco hinauf – kommen Sie mit? Er fühlt sich ziemlich einsam – ich möchte wetten, er hat nicht geschlafen.«

Rosemarie machte sich ein Bild von der verzweifelten Nacht, die dieser reizbare, unbeherrschte Mann durchwacht haben mochte. Nachdem sie einen Augenblick zwischen Mitleid und Widerwillen geschwankt hatte, willigte sie ein und stürmte mit morgendlicher Frische neben Abe die Treppe hinauf.

McKisco saß auf seinem Bett, seine alkoholbedingte Kampflust war verschwunden, obwohl er ein Sektglas in der Hand hielt. Er sah sehr zerknirscht, mürrisch und blaß aus. Augenscheinlich hatte er die ganze Nacht geschrieben und getrunken. Er blickte Abe und Rosemarie verwirrt an und fragte:

»Ist es so weit?«

»Nein, erst in einer halben Stunde.«

Der Tisch war mit Papieren übersät, die er mit einiger Mühe zu einem Brief vereinigte; die Handschrift auf den letzten Seiten war sehr groß und unleserlich. Beim verblassenden Licht der elektrischen Lampen kritzelte er seinen Namen darunter, stopfte das Ganze in einen Umschlag und reichte ihn Abe. »Für meine Frau.«

»Sie sollten Ihren Kopf in kaltes Wasser tauchen«, schlug Abe vor.

»Ja, meinen Sie?« fragte McKisco unschlüssig. »Ich möchte nicht zu nüchtern werden.«

»Na, jetzt sehen Sie erbärmlich aus.«

Gehorsam ging McKisco ins Bad.

»Ich hinterlasse alles in einem heillosen Durcheinander«, rief er von dort. »Ich weiß nicht, wie Violet nach Amerika zurückfahren wird. Ich bin in keiner Versicherung. Dazu habe ich es nie gebracht.«

»Reden Sie kein dummes Zeug, Sie werden in einer Stunde wieder hier sein und frühstücken.«

»Ja, ja, ich weiß.« Er kam mit nassem Haar zurück und blickte Rosemarie an, als sähe er sie erst jetzt. Unversehens füllten sich seine Augen mit Tränen. »Ich habe meinen Roman nicht beendet. Das macht mich so traurig. Sie mögen mich nicht«, sagte er zu Rosemarie, »aber daran ist nichts zu ändern. Ich bin in erster Linie Literat.« Er ließ ein undeutliches, mutloses Brummen hören und schüttelte hilflos den Kopf. »Ich habe in meinem Leben eine Menge Fehler gemacht – sehr viele sogar. Aber ich war in manchen Dingen eine der führenden Persönlichkeiten –«

Er ließ das Thema fallen und zog an einer erkalteten Zigarette.

»Ich habe Sie gern«, sagte Rosemarie, »aber ich finde, Sie sollten sich nicht duellieren.«

»Ja, ja, ich hätte versuchen müssen, ihn zu verprügeln, aber jetzt ist es geschehen. Ich habe mich in etwas eingelassen und hatte kein Recht dazu. Ich bin sehr jähzornig –« Er sah Abe fest an, als erwarte er, daß dieser seiner Behauptung widersprechen würde. Dann führte er den kalten Zigarettenstummel mit einem bestürzten Lachen zum Munde. Sein Atem ging schneller.

»Das Schlimmste ist, daß ich das Duell vorgeschlagen habe – wenn Violet bloß den Mund gehalten hätte, hätte ich alles in Ordnung bringen können. Natürlich könnte ich sogar jetzt einfach abreisen oder mich zurücklehnen und über die ganze Angelegenheit lachen – aber ich glaube, daß Violet dann nie wieder Achtung vor mir haben würde.«

»Doch«, sagte Rosemarie. »Sie würde Sie nur noch mehr achten.«

»Nein – Sie kennen Violet nicht. Sie ist unerbittlich, wenn sie im Vorteil ist. Wir sind zwölf Jahre verheiratet, wir hatten eine kleine Tochter, die mit sieben Jahren starb, und Sie wissen, wie es nachher zu sein pflegt. Wir gingen jeder unsere eigenen Wege, nichts Ernstes, aber wir trieben doch auseinander – sie hat mich heute nacht da draußen einen Feigling genannt.«

Rosemarie schwieg verwirrt.

»Jedenfalls wollen wir zusehen, daß so wenig Schaden wie möglich angerichtet wird«, sagte Abe. Er öffnete das Lederfutteral. »Dies sind Barbans Duellpistolen – ich habe sie von ihm ausgeliehen, damit Sie sich mit ihnen vertraut machen können. Er trägt sie im Handkoffer mit sich herum.« Er wog eine der altertümlichen Waffen in der Hand. Rosemarie stieß einen Ausruf des Unbehagens aus, und McKisco sah die Pistolen ängstlich an.

»Nun, es ist ja nicht so, daß wir uns hinstellen und mit langläufigen Gewehren aufeinander losschießen«, sagte er.

»Ich weiß nicht«, meinte Abe ungerührt. »Die Sache ist die, daß es sich mit einem langen Lauf besser zielen läßt.«

»Welche Entfernung?« fragte McKisco.

»Ich habe mich erkundigt. Wenn einer der beiden Partner endgültig ausscheiden soll, werden acht Schritte genommen. Wenn es nichts gar zu Ernstes ist, zwanzig, und wenn nur die Ehre verteidigt werden soll, vierzig. Sein Sekundant war einverstanden damit, daß wir vierzig nehmen.«

»Das ist gut.«

»In einem Roman von Puschkin kommt ein wunderbares Duell vor«, entsann sich Abe. »Jeder der Partner stand am Rande eines Abgrunds, so daß es um sie geschehen gewesen wäre, wenn sie sich überhaupt getroffen hätten.«

Das erschien McKisco, der ihn anstierte, sehr abwegig und akademisch, und er fragte: »Wieso?«

»Wollen Sie nicht noch schnell baden gehen, damit Sie frisch werden?«

»N–nein, ich könnte nicht schwimmen.« Er seufzte. »Ich sehe den Zweck des Ganzen nicht ein«, sagte er hilflos. »Ich sehe nicht ein, warum ich es tue.«

Es war die erste Tat seines Lebens. In Wirklichkeit gehörte er zu den Menschen, für die die sinnlich wahrnehmbare Welt nicht existiert, und da er nun vor eine konkrete Tatsache gestellt war, stand er ihr fassungslos gegenüber.

»Wir können ebensogut gehen«, sagte Abe, als er ihn schwach werden sah.

»Gut.« Er nahm einen tüchtigen Schluck Branntwein, steckte die Flasche in die Tasche und sagte mit nahezu wildem Gesichtsausdruck: »Was geschieht, wenn ich ihn töte? Wird man mich ins Gefängnis stecken?«

»Ich bringe Sie über die italienische Grenze!«

Er warf einen Blick auf Rosemarie – dann sagte er entschuldigend zu Abe:

»Bevor wir aufbrechen, möchte ich noch etwas mit Ihnen allein besprechen.«

»Hoffentlich wird keiner von Ihnen verwundet«, sagte Rosemarie. »Ich halte es für sehr töricht, und Sie sollten versuchen, es rückgängig zu machen.«


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