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VI

Rosemarie machte sich auf den Weg nach Monte Carlo, so verdrießlich, wie sie es überhaupt zuwege brachte. Sie fuhr den holprigen Berg nach La Turbie hinauf zu einem alten Gaumont-Atelier, das sich im Stadium des Wiederaufbaus befand, und als sie vor dem Gittertor stand und den Bescheid auf ihre hineingeschickte Visitenkarte erwartete, war es, als sähe sie Hollywood. Sie erblickte die bizarren Überreste eines kürzlich gedrehten Filmes, eine verfallene Straßenszene in Indien, einen großen Walfisch aus Pappe, einen ungeheueren Baum mit Kirschen, groß wie Basketbälle, der, einem exotischen Walten zufolge, dort wuchs und ebenso heimisch war wie das blasse Tausendschönchen, die Mimose, die Korkeiche oder die Zwergpinie. Eine Schnellimbißbude und zwei scheunenähnliche Gerüste befanden sich da und, auf dem ganzen Gelände verstreut, Gruppen von wartenden, hoffnungsvollen, geschminkten Menschen.

Nach zehn Minuten kam ein junger Mann, dessen Haarfarbe dem Gefieder eines Kanarienvogels glich, eilig zum Tor gelaufen.

»Treten Sie näher, Fräulein Hoyt. Herr Brady ist gerade bei der Aufnahme, doch will er Sie durchaus sehen. Es tut mir leid, daß Sie haben warten müssen, aber Sie wissen ja, wie manche französischen Dämchen es verstehen, sich hereinzuschmuggeln –«

Der Studioleiter öffnete eine kleine Tür in der glatten Wand des Ateliers, und Rosemarie folgte ihm mit plötzlicher glücklicher Vertrautheit in das Halbdunkel. Hier und da hoben sich Gestalten aus dem Dämmerlicht ab, richteten sich aschgraue Gesichter zu ihr empor, wie arme Seelen im Fegefeuer, die einen Sterblichen vorübergehen sehen. Geflüster und leise Stimmen waren zu vernehmen und, anscheinend aus weiter Ferne, das sanfte Tremolo einer kleinen Singstimme. Als sie die von einigen Häuserkulissen gebildete Ecke umschritten, gelangten sie in die weiße, knisternde Glut einer Bühne, auf der sich ein französischer Schauspieler mit leuchtend rosafarbener Hemdbrust, Kragen und Manschetten und eine amerikanische Schauspielerin bewegungslos gegenüberstanden. Sie starrten sich unentwegt in die Augen, als wenn sie schon seit Stunden die gleiche Stellung innehätten, und doch geschah lange Zeit gar nichts, und keiner bewegte sich. Eine Lichterwand erlosch mit wütendem Gezisch und flammte wieder auf; das traurige Klopfen eines Hammers bat irgendwo in der Ferne um Einlaß; ein blaues Gesicht erschien oben zwischen den blendenden Lichtern und rief etwas Unverständliches in die darüberliegende Finsternis. Dann wurde, unmittelbar vor Rosemarie, das Schweigen durch eine Stimme unterbrochen:

»Baby, zieh die Strümpfe nicht aus, du kannst ruhig noch zehn Paar ruinieren. Das Kostüm kostet fünfzehn Pfund.«

Als der Sprecher einen Schritt zurücktrat, stieß er mit Rosemarie zusammen, worauf hin der Studioleiter sagte: »Hoppla, Earl – Fräulein Hoyt.«

Sie sahen sich zum erstenmal. Brady war lebhaft und betriebsam. Als er ihre Hand ergriff, merkte sie, wie er sie prüfend von Kopf bis Fuß betrachtete, eine Abschätzung, die ihr vertraut war und unter der sie sich heimisch fühlte, wenn sie ihr auch jedesmal ein Gefühl der Überlegenheit vermittelte über den, der sie vornahm. Wenn ihre Person schon ein Vermögen darstellte, so konnte sie jeden Vorteil wahrnehmen, der sich aus diesem Besitz ergab.

»Ich dachte mir schon, Sie würden dieser Tage einmal kommen«, sagte Brady in einem Tonfall, der für den Privatgebrauch etwas zu unwiderstehlich klang und dem ein leicht herausfordernder Cockney-Akzent anhaftete. »Gute Reise gehabt?«

»Ja, aber wir sind froh, daß es wieder nach Hause geht.«

»Nein, nein!« protestierte er. »Bleiben Sie noch etwas – ich muß Sie sprechen. Ich muß Ihnen sagen, Ihr Film ›Vatis Mädelchen‹, das war ein Film. Ich habe ihn in Paris gesehen. Ich habe damals sofort zur Küste telegraphiert, um zu erfahren, ob Sie sich schon wieder verpflichtet hätten.«

»Das hatte ich – es tut mir leid.«

»Mein Gott, was für ein Film!«

Da Rosemarie keine Lust hatte, töricht-zustimmend zu lächeln, runzelte sie die Stirn.

»Man möchte ja nicht nur um eines einzigen Filmes willen im Gedächtnis der Leute bleiben«, sagte sie.

»Selbstverständlich – das ist richtig. Was haben Sie für Pläne?«

»Mutter war der Meinung, ich hätte eine Erholung nötig. Wenn ich zurück bin, werden wir wahrscheinlich entweder mit der First National abschließen oder bei der Famous bleiben.«

»Wer ist wir?«

»Meine Mutter. Sie gibt den Ausschlag in geschäftlichen Dingen. Ich könnte ohne sie nicht auskommen.«

Wieder musterte er sie eingehend, und als er es tat, fühlte sich etwas in ihr zu ihm hingezogen. Es war keine Zuneigung, nichts von der spontanen Bewunderung, die sie am Morgen für den Mann am Strand empfunden hatte. Sie hatte einfach Feuer gefangen. Er begehrte sie, und was ihre mädchenhaften Gefühle anbetraf, so sah sie einer Hingabe mit Gleichmut entgegen. Doch wußte sie, daß sie ihn eine halbe Stunde nach dem Abschied vergessen würde – wie einen Schauspieler, den man beim Filmen küßt.

»Wo sind Sie abgestiegen?« fragte Brady. »Ach, richtig, bei Gausse. Also, meine Pläne für dieses Jahr liegen ebenfalls fest, aber was ich Ihnen in meinem Brief schrieb, hat weiter Gültigkeit. Möchte lieber einen Film mit Ihnen machen als mit irgendeinem anderen Mädchen, seit Connie Talmadge ein Dreikäsehoch war.«

»Mir wär' es recht. Warum kommen Sie nicht nach Hollywood zurück?«

»Ich kann das verdammte Nest nicht ausstehen. Hier fühle ich mich tadellos. Warten Sie diese Aufnahme ab, dann führe ich Sie herum.«

Er ging zur Bühne und fing an, mit leiser, ruhiger Stimme auf den französischen Schauspieler einzureden.

Fünf Minuten vergingen – Brady sprach immer noch, während der Franzose von Zeit zu Zeit seine Fußstellung veränderte und mit dem Kopf nickte. Unvermittelt brach Brady ab und rief etwas in Richtung der Lampen, die unversehens in summendem, blendendem Licht aufflammten. Lärmend erstand jetzt Los Angeles vor Rosemarie. Es war ihr, als bewege sie sich wiederum gleichmütig durch die Stadt aus dünnen Bretterverschlägen, und sie wünschte, wirklich dort zu sein. Aber sie hatte keine Lust, Brady in der Gemütsverfassung wiederzusehen, in der er, wie sie es sich ausmalte, nach Beendigung der Aufnahme sein würde, und verließ, noch ganz verzaubert, das Filmgelände. Die Mittelmeer-Welt war jetzt weniger still, seit sie wußte, daß das Studio dort war. Die Menschen auf der Straße gefielen ihr, und sie kaufte sich auf dem Weg zum Bahnhof ein Paar weiße Leinenschuhe.

 

Ihre Mutter war zufrieden, daß sie sich so verhalten hatte, wie es ihr gesagt worden war, aber sie wollte gern noch etwas allein bleiben. Frau Speers war zwar dem Aussehen nach frisch, aber sie war müde; Totenbetten machen die Menschen fürwahr müde, und sie hatte an zweien gewacht.


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