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V

Die Angelegenheit wurde ohne ihr Zutun entschieden. Das Ehepaar McKisco war noch nicht da, und kaum hatte sie ihren Badeumhang ausgebreitet, als zwei Männer, der mit der Jockeimütze und der große Blonde – der Vergnügen darin fand, Kellner in zwei Hälften zu zersägen –, die Gruppe verließen und auf sie zukamen.

»Guten Morgen«, sagte Dick Diver. Er ließ sich nieder. »Hören Sie – Sonnenbrand hin, Sonnenbrand her, warum sind Sie gestern weggeblieben? Wir haben uns Sorgen um Sie gemacht.«

Sie setzte sich auf, und ihr glückliches kleines Lachen hieß die Eindringlinge willkommen.

» Wir möchten gern«, sagte Dick Diver, »daß Sie heute vormittag zu uns kommen. Wir gehen hinüber und essen und trinken etwas, es ist also eine nahrhafte Einladung.«

Er schien freundlich und bezaubernd zu sein – seine Stimme klang, als wenn er sich für sie interessierte, als wenn er ihr künftig ganz neue Welten eröffnen und eine endlose Reihe von Möglichkeiten vor ihr aufrollen würde. Bei der Vorstellung vermied er es geschickt, ihren Namen zu erwähnen, und gab ihr dann beiläufig zu erkennen, daß alle wußten, wer sie war, jedoch die Unantastbarkeit ihres Privatlebens respektierten – eine Rücksicht, der sie seit ihrem Erfolg lediglich bei Berufskollegen begegnet war.

Nicole Diver, deren Perlen über ihren braunen Rücken hingen, suchte in einem Kochbuch nach Hühnchen auf Maryland-Art. Sie war etwa vierundzwanzig Jahre alt, taxierte Rosemarie; ihr Gesicht hätte landläufig als hübsch bezeichnet werden können, aber es erweckte den Eindruck, als wäre es zunächst in heroischer Manier – stark in Struktur und Zeichnung – angelegt worden, als wären die Züge und die Lebendigkeit des Ausdrucks und der Tönung, alles was sich für uns mit Temperament und Charakter verbindet, in Anlehnung an Rodin geformt und dann mit dem Meißel auf Hübschheit hin bearbeitet worden, bis zu einem Punkt, wo ein einziges Abgleiten des Stahles die Kraft und den Wert des Ausdrucks unwiederbringlich verkleinert hätte. Mit dem Mund war der Bildhauer etwas gewagt verfahren: es war der Amorbogen vom Titelblatt eines Magazins, und dennoch hatte der Mund teil an der Würde des Ganzen.

»Sind Sie für lange hier?« fragte Nicole.

Plötzlich spielte Rosemarie mit dem Gedanken, daß sie eine Woche länger bleiben könnten.

»Nicht sehr lange«, entgegnete sie unbestimmt. »Wir sind schon ewig im Ausland – im März sind wir auf Sizilien gelandet und langsam nach Norden vorgedrungen. Ich hatte mir im Januar beim Filmen eine Lungenentzündung zugezogen und mußte mich erholen.«

»O weh! Wie ist das geschehen?«

»Ach, beim Schwimmen.« Rosemarie ließ sich nur widerstrebend auf persönliche Enthüllungen ein. »Eines Tages hatte ich Grippe, ohne es zu wissen, und es wurde eine Szene gedreht, in der ich in einen Kanal in Venedig springen mußte. Es war eine sehr kostspielige Aufnahme, darum mußte ich den ganzen Vormittag tauchen, tauchen und wieder tauchen. Mutter hatte einen Arzt dabei, aber es half nichts – ich bekam Lungenentzündung.« Entschlossen wechselte sie das Thema, bevor die anderen etwas sagen konnten. »Gefällt es Ihnen hier – ich meine, an diesem Ort?«

»Es muß ihnen gefallen«, sagte Abe North gemächlich. »Sie haben ihn erfunden.« Langsam drehte er seinen vornehmen Kopf, so daß seine Augen voll Zärtlichkeit und Liebe auf dem Ehepaar Diver ruhten.

»Ach, wirklich?«

»Es ist erst das zweitemal, daß das Hotel im Sommer geöffnet ist«, erklärte Nicole. »Wir haben Gausse überredet, einen Koch, einen Kellner und einen Bedienten zu behalten – es hat sich bezahlt gemacht, und in diesem Jahr geht es noch besser.«

»Aber Sie wohnen nicht im Hotel?«

»Wir haben ein Haus gebaut, oben in Tarmes.«

»Die Sache liegt so«, sagte Dick, indem er einen Schirm anders stellte, um einen Sonnenfleck von Rosemaries Schulter zu beseitigen, »daß sich die Russen und Engländer, alle, denen die Kälte nichts ausmacht, Badeorte im Norden, wie zum Beispiel Deauville, ausgesucht haben, wogegen die Hälfte aller Amerikaner aus tropischen Gegenden stammt – darum haben wir angefangen hierherzukommen.«

Der junge Mann von romanischem Typ hatte im New York Herald geblättert.

»Was für Landsleute sind das wohl?« fragte er unvermittelt und las in leicht französischem Tonfall vor: »›Im Palast-Hotel in Vevey trugen sich ein: Mr. Pandely Vlasco, Mme. Bonneasse‹ – ich übertreibe nicht – ›Corinna Medonca, Mme. Pasche, Seraphim Tullio, Maria Amalia Roto Mais, Moises Teubel, Mme. Paragoris, Apostle Alexandre, Yolanda Yosfuglu und Genoveva de Momus!‹ Die reizt mich am meisten – Genoveva de Momus. Es würde sich fast lohnen, nach Vevey zu fahren, um Genoveva de Momus in Augenschein zu nehmen.«

In plötzlicher Ruhelosigkeit stand er auf und streckte sich mit einer ruckartigen Bewegung. Er war einige Jahre jünger als Diver oder North. Er war groß, sein Körper sehnig und übermäßig mager bis auf die geballte Kraft in seinen Schultern und Oberarmen. Auf den ersten Blick schien er in landläufigem Sinne schön – aber sein Gesicht zeigte dauernd einen Anflug von Überdruß, der den vollen feurigen Glanz seiner braunen Augen beeinträchtigte. Und doch erinnerte man sich ihrer später, wenn man die Unfähigkeit des Mundes, Blasiertheit zu verbergen, und die junge Stirn mit ihren verdrießlichen und nutzlosen Sorgenfalten vergessen hatte.

»Wir haben vorige Woche ein paar feine Namen von Amerikanern in der Zeitung gefunden«, sagte Nicole. »Mrs. Evelyn Oyster und – wie hießen die anderen noch?«

»Da war Mr. S. Flesh«, sagte Diver und erhob sich ebenfalls. Er nahm den Rechen zur Hand und ging mit ernstem Gesicht daran, kleine Steine aus dem Sand zu entfernen.

»Richtig – S. Flesh – da kriegt man doch direkt eine Gänsehaut!«

Mit Nicole allein war es geruhsam – Rosemarie fand es sogar geruhsamer als mit ihrer Mutter. Abe North und Barban, der Franzose, unterhielten sich über Marokko, und Nicole nahm, nachdem sie das Rezept abgeschrieben hatte, eine Näharbeit zur Hand. Rosemarie betrachtete prüfend ihre »Einrichtung« – vier große Sonnenschirme, die ein schattiges Dach bildeten, ein transportables Badehaus zum Umziehen, ein mit Luft gefülltes Gummipferd, neuartige Dinge, wie Rosemarie sie noch nie gesehen hatte, die ersten Auswüchse der Luxusindustrie nach dem Krieg und wahrscheinlich im Besitz der ersten Käufer. Sie hatte den Eindruck gewonnen, es mit reichen Leuten zu tun zu haben, aber obwohl ihre Mutter ihr beigebracht hatte, solche Menschen als Drohnen zu betrachten, hatte sie hier dieses Gefühl nicht. Selbst in ihrer völligen Bewegungslosigkeit, die der Morgenstille glich, spürte sie einen Zweck, ein Beschäftigtsein, eine innere Einstellung, eine schöpferische Tat, anders als alles, was sie bisher kennengelernt hatte. Ihr noch kindliches Gemüt stellte keine Mutmaßungen über die Natur ihrer gegenseitigen Beziehungen an, sie interessierte sich nur für ihr Verhalten ihr selbst gegenüber – aber sie spürte die Fäden eines guten Einvernehmens und faßte das in dem Gedanken zusammen, daß sie sich sehr gut zu amüsieren schienen.

Sie sah sich die drei Männer der Reihe nach an und ergriff sozusagen Besitz von ihnen. Alle drei waren, jeder in seiner Art, von angenehmem Äußeren; alle waren von besonderer Liebenswürdigkeit, die ein Teil ihres Lebens, des vergangenen und zukünftigen, war und durchaus nicht durch irgendwelche äußeren Umstände hervorgerufen, so gar nicht wie die Umgangsformen der Schauspieler, und überdies stellte sie ein weitgehendes Zartgefühl fest, das sich von der ungehobelten Kameradschaftlichkeit der Regisseure unterschied, die in ihrem Leben die Intelligenz darstellten. Schauspieler und Regisseure – das waren die einzigen Männer, die sie kennengelernt hatte, außer der heterogenen, zusammengewürfelten Masse der Studenten, die sich nur für Liebe auf den ersten Blick interessierten und denen sie im vorigen Herbst auf dem Ball in Yale begegnet war.

Diese drei waren anders. Barban war weniger zivilisiert, skeptischer und spöttisch, seine Manieren waren förmlich, fast schablonenhaft. Abe North besaß neben seiner Schüchternheit einen trockenen Humor, der sie belustigte, aber auch verwirrte. Ihre ernsthafte Natur ließ sie daran zweifeln, daß sie imstande sein würde, einen starken Eindruck auf ihn zu machen.

Dick Diver jedoch – war aus einem Guß. Im stillen bewunderte sie ihn. Seine Hautfarbe war rötlich, vom Wetter gegerbt, und rötlich war auch das Haar, das in einem feinen Flaum auf seinen Armen und Händen wuchs. Seine Augen waren von einem strahlenden, harten Blau, seine Nase war ziemlich spitz, und man war niemals im Zweifel darüber, wen er ansah oder mit wem er sprach – und das ist eine sehr angenehme Eigenschaft, denn wer sieht uns schon richtig an? Blicke, neugierige oder gleichgültige, treffen uns, nichts weiter. Seine Stimme, in der ein schwacher irischer Akzent mitklang, war einschmeichelnd, und dennoch spürte Rosemarie Züge von Härte in ihm, von Beherrschtheit und Selbstdisziplin, die auch ihre Tugenden waren. Ja, er gefiel ihr, und Nicole, die ihren Kopf hob, sah, daß er ihr gefiel, und hörte den kleinen Seufzer darüber, daß er bereits vergeben war.

Gegen Mittag kamen die beiden McKiscos, Frau Abrams, Herr Dumphry und Signor Campion an den Strand. Sie hatten einen neuen Schirm mitgebracht, den sie mit Seitenblicken auf die Divers aufstellten und unter dem sie sich mit zufriedenen Mienen niederließen – außer Herrn McKisco, der mit spöttischem Gesicht draußen blieb. Beim Harken war Dick nahe bei ihnen vorbeigekommen und kehrte nun zu seinen Schirmen zurück.

»Die beiden jungen Männer lesen zusammen im Buch des guten Tones«, sagte er leise.

»Wahrscheinlich beabsichtigen sie, mit der vornehmen Welt zu verkehren«, sagte Abe.

Mary North, die braungebrannte junge Frau, der Rosemarie am ersten Tag auf dem Floß begegnet war, kam vom Schwimmen zurück und sagte mit einem Lächeln, das wie ein verwegener Lichtstrahl war:

»Also sind Herr und Frau Unverzagt angekommen?«

»Es sind die Freunde dieses Mannes«, ermahnte Nicole sie, auf Abe zeigend. »Warum geht er nicht hin und spricht mit ihnen? Findest du sie nicht sympathisch?«

»Ich finde, sie sind sehr sympathisch«, stimmte Abe zu. »Ich finde nur eben nicht, daß sie sympathisch sind, das ist alles.«

»Na, ich bin schon lange der Ansicht, daß diesen Sommer zu viele Leute am Strand sind«, gestand Nicole. »An unserem Strand, den Dick aus einem Steinhaufen gemacht hat.« Sie blickte sich um, dann dämpfte sie die Stimme, so daß das Kinderwärterinnen-Trio, das hinter ihnen unter einem anderen Schirm saß, sie nicht hören konnte. »Und doch sind sie erträglicher als die Engländer vom vorigen Sommer, die andauernd riefen: ›Ach, wie blau ist die See! Wie weiß ist der Himmel! Wie rot ist Klein-Nellies Nase!‹«

Rosemarie dachte, daß sie Nicole nicht zur Feindin hätte haben mögen.

»Sie haben die Balgerei nicht gesehen«, fuhr Nicole fort. »Am Tag, bevor Sie ankamen, hat der verheiratete Mann, der so heißt wie ein Benzin- oder Butterersatz –«

»McKisco?«

»Ja – also sie zankten sich, und sie warf ihm Sand ins Gesicht. Natürlich saß er sofort auf ihr und stupste ihr Gesicht in den Sand. Wir waren wie elektrisiert. Ich wollte, daß sich Dick ins Mittel legte.«

»Ich denke«, sagte Dick Diver und starrte geistesabwesend auf die Strohmatte, »ich gehe hinüber und lade sie zum Dinner ein.«

»Nein, das wirst du nicht tun«, sagte Nicole schnell.

»Ich glaube, es wäre eine feine Sache. Sie sind nun einmal hier – wir wollen mit den Wölfen heulen.«

»Wir heulen doch ganz hübsch«, beharrte sie lachend. »Ich werde mich nicht mit der Nase in den Stand stupsen lassen. Ich bin eine unangenehme, schwierige Frau«, erklärte sie Rosemarie, dann erhob sie die Stimme: »Kinder, zieht die Badeanzüge an!«

Rosemarie ahnte, daß dieses Schwimmen etwas Typisches in ihrem Leben bedeuten, daß es immer in ihrer Erinnerung auftauchen würde, wenn man vom Schwimmen spräche. Die ganze Gesellschaft begab sich gleichzeitig ins Wasser, übereifrig, nach der langen, erzwungenen Untätigkeit aus der Hitze in die Kühle hinüberzuwechseln, und mit der Genüßlichkeit, mit der man zu einem scharfen Currygericht kalten Weißwein trinkt. Die Tage der Divers verliefen so wie die früherer Zivilisationen, indem man aus dem Gegebenen soviel wie möglich herausholte und alle Übergänge richtig auskostete, und Rosemarie wußte nicht, daß sogleich ein neuer Übergang stattfinden würde, nämlich von der völligen Hingegebenheit an das Schwimmen zu der Geschwätzigkeit der provenzalischen Lunchstunde. Aber wieder hatte sie das Gefühl, als ob Dick sich für sie interessierte, und voller Entzücken ging sie auf die zufällige Regung ein, als wäre sie ein Befehl gewesen.

Nicole reichte ihrem Mann das merkwürdige Kleidungsstück, an dem sie gearbeitet hatte. Er ging in das Umkleidezelt und erregte Aufsehen, als er kurz darauf in durchbrochenen schwarzen Spitzenbadehosen erschien. Bei näherer Betrachtung stellte es sich allerdings heraus, daß sie mit fleischfarbenem Stoff unterlegt waren.

»Was ist denn das für 'ne Nuttenmode!« stieß McKisco verächtlich hervor – dann drehte er sich hastig zu Herrn Dumphry und Herrn Campion um und fügte hinzu: »Bitte um Entschuldigung!«

Rosemarie gluckste vor Vergnügen über die Badehose. In ihrer Naivität stimmte sie der kostspieligen Einfachheit der Divers aus vollem Herzen zu, ohne deren Kompliziertheit und den Mangel an Ursprünglichkeit zu bemerken, ohne zu wissen, daß es sich für diese Leute beim Ansturm auf das Warenhaus Weist lediglich um Qualität, nicht um Quantität handelte; und ebenso, daß die Einfachheit des Benehmens, der kindliche Friede und das Wohlwollen sowie die Betonung der schlichten Tugenden nur Teil eines verzweifelten Abkommens mit den Göttern darstellten und nur mit Hilfe von Kämpfen erreicht worden waren, von denen sie nichts ahnen konnte. Zu dieser Zeit repräsentierten die Divers äußerlich die höchste Entwicklungsstufe einer Klasse, so daß die meisten anderen Menschen gegen sie abfielen – in Wahrheit hatte bereits eine innere Wandlung eingesetzt, die für Rosemarie völlig unsichtbar blieb.

Sie stand bei ihnen, während sie Sherry tranken und Keks aßen. Dick Diver sah sie mit seinen blauen Augen prüfend an; sein guter, starker Mund sprach nachdenklich und bedächtig:

»Sie sind seit langer Zeit das erste junge Mädchen, das wirklich etwas von einer Blüte an sich hat.«

 

Später verbarg Rosemarie das Gesicht im Schoß ihrer Mutter und weinte.

»Ich liebe ihn, Mutter. Ich bin irrsinnig in ihn verliebt – ich habe gar nicht gewußt, daß ich so für jemand empfinden könnte. Und er ist verheiratet, und sie liebe ich auch – es ist ganz hoffnungslos. Oh, wie ich ihn liebe!«

»Ich bin gespannt darauf, ihn kennenzulernen.«

»Sie hat uns zum Freitag zum Dinner eingeladen.«

»Wenn du verliebt bist, müßte dich das glücklich machen. Du müßtest lachen.«

Rosemarie blickte auf, ein winziges, schönes Zittern lief über ihr Gesicht, sie lachte. Ihre Mutter hatte von jeher großen Einfluß auf sie gehabt.


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