Wilhelm Fischer
Frühlingsleid
Wilhelm Fischer

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VI.

»Willst du mitkommen?« fragte Ploni, die wieder wohlauf war, den Knaben und hatte eine Gartenscheere in der Hand. »Ich soll drüben den Obstbäumen ein bißchen von ihrem Safte helfen, da sie zu üppig sind.« Balder war bereit und sie gingen hinüber.

In einer Ecke des Obstgartens war ein schattiges Fichtengehölz mit einer schlichten Bank. Dort saß Rene, und Balder setzte sich zu ihr, während Ploni ihrem Werke nachging, die überschüssigen Triebe an den Fruchtzweigen der Aprikosen abzuspitzen. Sie hatte das oft daheim im Dorfe geübt, wo ihr Vater einen Bauernhof mit Obstgelände besaß. Inzwischen plauderte Rene traulich mit Balder. Sie teilte ihm mit, daß Irgs Mama nächstens ein Kinderfest in ihrem 124 Sommerhause geben werde. Diese sei eine so gute Freundin von ihrer eigenen Mama, daß Rene zu ihr Tante sagte, obgleich sie eigentlich nicht ihre Tante war, sondern nur Frau von Niederhold hieß. »Aber bei ihr ist's schön, Balder! Das Haus liegt im Zuserlthale, und geht man hoch hinauf wie auf einen Berg, und überall, so weit man sieht, ist es grün, und Bäume giebt es genug. Steht man aber ganz oben, so kann man gar weit sehen, wo lauter hohe Berge sind, und einige davon scheinen blau, andere wieder grün zu sein. Und paß auf, Balder! jetzt will ich dir etwas ganz besonderes sagen. Wir werden oben Kindertheater spielen, und du sollst mitthun.«

»Ich?« fragte Balder. »Was soll ich spielen?«

»Etwas schönes. Einen Prinzen. Den wollte Irg gerne für sich haben. Aber ich habe Mama gebeten, daß du der Prinz sein darfst, und Irg soll einen lustigen Knaben spielen, der auch vorkommt. Mama wird es schon erlauben, sie hat gesagt: Wir wollen es uns überlegen, Rene. – Nun höre, das Theater haben wir Mädchen 125 zusammengedichtet, Mama hat etwas dabei geholfen, aber nicht viel. Ich kann dir nicht alles daraus erzählen, nur etwas. Also höre. – Da ist ein Land mit einem Prinzen, und dem Lande geht es nicht ganz gut. Nun beraten sie, wie das zu machen sei, daß es ihnen ganz gut gehe. Ein paar weise Männer stehen auf und sprechen, daß sie in ihren Büchern nachgelesen haben, und da steht darin, daß der Prinz auf Reisen gehen muß, um eine Fee zu holen, die das Land glücklich machen wird. Aber wie die Fee aussieht, das wissen sie nicht, das muß der Prinz selber erkennen. Nun geht er auf Reisen mit einem Begleiter, der ein lustiger Knabe ist, und muß lange wandern. Das hört man gleich am Anfang, wo der lustige Knabe greint, daß er schon lange gelaufen sei und lieber daheim sitzen möchte. Aber der Prinz ist ernst und weiß was sich schickt, nämlich, so lange zu suchen, bis die rechte Fee gefunden ist.

Nun finden sie eine Fee, die hat ein Kleid aus lauter Vergißmeinnicht, das ihr sehr gut steht. Sollte es die rechte sein? denkt sich der Prinz 126 und fragt, was sie dem Lande geben könnte. Und sie antwortet: Blumen. Wenn du mich mitnimmst, wird es das Blumenland sein. – Das ist schön, denkt sich wieder der Prinz. Aber braucht das Land Blumen? Damit wird ihm nicht geholfen sein. Es muß was anderes sein. – So verneigt er sich höflich, nimmt von der Fee Abschied und sagt: Es thut mir leid, aber Sie sind die rechte nicht.

Nun gehn sie wieder weiter in eine andere Gegend. Das heißt, sie thun nur so, denn es ist derselbe Platz, wo gespielt wird. Sie gehn also weiter und treffen endlich eine Fee, die ein goldenes Kleid an hat. Diese Fee werde ich sein, und das Kleid wird nicht von Gold sein, sondern nur so ausschauen, wie das auf dem Theater geschieht. So fragt der Prinz die Fee, was sie dem Lande geben könne, wenn er sie mitnimmt. Sie sagt: Gold. Wenn du mich mitnimmst, wird es das Goldland sein. Denkt sich der Prinz: das ist die rechte. Gold ist besser als Blumen. – Er nimmt sie mit, und daheim ist große Freude. Alle tanzen zum Schluß, und dem Lande ist 127 geholfen. – Nun gefällt dir das Theater, Balder, sag'?«

»Nein,« antwortete er.

»Wie?« rief Rene bestürzt, »es gefällt dir nicht?«

»Nein. Weil Blumen schöner sind als Gold.«

»Aber Gold ist doch mehr wert als Blumen. Diese welken und das Gold nicht. Und mit Gold kann man alles kaufen, was man braucht, mit Blumen nicht. Allen hat es gefallen, das Theater so zu machen, nur dir nicht. Niemand denkt so wie du,« sagte das kleine Mädchen beleidigt.

»Mag sein. Mir gefallen halt die Blumen besser. Die kann man abzeichnen, das Gold nicht.«

»Du bist nicht gescheit, Balder. Mit dir kann kein Mensch auskommen. Du willst immer etwas anderes haben. Gut, gut, so brauchst du nicht mitzuspielen, und Irg wird den Prinzen geben; er möchte es ohnehin gern. Ich hab' geglaubt, daß es dir besser paßt. Das war auch nicht gescheit von mir,« und sie lachte.

Aber Balder bemerkte, daß ihr das Weinen viel näher stand als das Lachen. Und es fiel 128 ihm ein, wie es doch schöner wäre, wenn er als Prinz Rene in das Land heimführte, sei sie nun Goldfee oder Blumenfee, es war doch immer Rene, und er sprach begütigend: »Ich will gerne mitspielen, wenn es sein kann.«

»Aber dir gefällt ja das Theater nicht!«

»Wohl, jetzt gefällt es mir doch. Ich hab' nicht gleich gedacht, daß du die Goldfee bist, Rene. Die Blumenfee ist eine ganz andere. Und du wirst wohl die bessere sein.«

Nun lächelte sie wirklich, als er sich so mit ihr versöhnte. Sie gewann ihre Heiterkeit wieder, sprang auf und gaukelte unbetrübt um Ploni umher, die mit ihrer Baumarbeit beschäftigt war, bis sie sich trennten. Doch konnte sie das, was sie von Balder vorhin gehört, nicht gänzlich verwinden. Denn sie sagte am Abend zu ihrer Mama: »Balder ist doch nicht so gescheit, wie ich geglaubt habe. Aber er darf doch mitspielen, Mama, nicht wahr, und den Prinzen geben?«

Und diese antwortete gütig: »Wir wollen sehen.« 129



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