Wilhelm Fischer
Frühlingsleid
Wilhelm Fischer

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III.

Rene hatte von Zeit zu Zeit Kindergesellschaft, die sie bewirten durfte: das waren Kinder befreundeter Familien, die mit ihren Eltern auf gleichem Fuße standen, und Balder war noch nie dabei gewesen. Nun bat sie ihre Mutter, auch ihn mit den andern laden zu dürfen. Die Mutter verwunderte sich darüber und fragte: 105 »Wie kommst du darauf? Gefällt er dir?« Und Rene antwortete freimütig. »Wohl, er gefällt mir.« So hatte die Mutter nichts gegen den Wunsch des Kindes einzuwenden, und Balder ward zur Gesellschaft geladen.

Am bestimmten Tage fand sich eine Schar wohlgekleideter zierlicher Knaben und Mädchen zusammen, die von Rene freundlich und würdevoll empfangen wurden, wobei ihr die Mutter half. Hinter dem Hause war ein Plan mit Bäumen besetzt und mit Gesträuchen bepflanzt, zwischen welchen sich reinliche Kieswege dahinwanden, und da war auch ein runder Raum zum Ballspiele, das sie nach einigen vorgänglichen Ergötzlichkeiten anhuben.

Es wurde ein Körbchen gebracht, worin sich so viele Bälle befanden als Spielgenossen anwesend waren, und die Bälle waren zur Hälfte blau und zur Hälfte rot. Jedes zog unter verhüllendem Tuche einen Ball heraus und reihte sich so, daß eine Schar mit blauen und eine andere mit roten Bällen sich gegenüber stand. Diese letztere hieß die Hölle und die andere mit 106 den blauen Bällen der Himmel. Warf nun eines aus der Himmelsschar seinen Ball in die Höhe, so mußte ein Gegner aus der Sippe der Roten trachten, ihn aufzufangen oder sonst seiner auf glimpfliche Weise habhaft zu werden. Damit war er erlöst und trat zu den Himmlischen über. Warf er dabei nach jenem mit seinem roten Ball und traf ihn, so mußte der Himmlische zu der Schar der Roten hinüber wandern und seinerseits trachten, erlöst zu werden. Traf er ihn nicht oder wollte er ihn schonen und nicht treffen, so blieb auch jener bei den Himmlischen, doch ohne Ball und konnte an dem Spiele nicht mehr selbständig teilnehmen, sondern nur als dienender Knappe des neuen himmlischen Kriegers. Das Spiel dauerte so lange bis alle erlöst waren.

Balder hatte einen blauen Ball aus dem Korbe gezogen und stand an Renes Seite, die himmlisch war, fröhlich und wohlgemut im Streite. Es fehlte ihm nicht an Gewandtheit, und lange genug gewann er stets wieder das Abzeichen seines höheren Ranges: den empor geschleuderten blauen Ball.

107 Aber ein Knabe von der entgegengesetzten Seite, der Irg hieß, hatte es auf seinen Ruhm abgesehen. Er war noch kräftiger als Balder und brachte es allerdings nach vielem Bemühen zuwege, daß Balder aus der Schar der Seligen verstoßen, zu den Verdammten wandern mußte, während Irg seine Stelle frohlockend an Renes Seite einnahm. Und allem, was Balder that, um wieder erlöst zu werden, setzt Irg Widerstand entgegen und führte seine Sache so kräftig, daß jener schließlich ganz allein in der Hölle blieb, während alle andern schon sich des himmlischen Lichts erfreuten.

Nun gab es kein anderes Mittel, ihm aus der Bedrängnis zu helfen, als daß eine bestimmte Anzahl der Seligen ihn mit mildem Spruche unter sich aufnahm. So ward ihm als Gnade zu teil, was er nicht als Recht erringen konnte, damit das Spiel zu Ende komme. Das verdroß ihn gewaltig, und sein Frohsinn war entschwunden und kam nicht wieder. Denn er dachte, daß Irg nicht immer redlich das Spiel gehandhabt habe, und daß er nur deshalb unterlegen sei. Es gab 108 wohl in dieser Kurzweil der jugendlichen Schar zuweilen leichten Zwist, aber da standen die Erwachsenen, Renes Mutter und die andern Pflegerinnen dabei, um ihn zu schlichten. Balder aber meinte, daß er um sein gutes Recht gekommen sei, und weil er darin am empfindlichsten war, denn er selbst scheute sich, jemandem unrecht zu thun, so ward er verdrießlicher als es sich in der muntern Gesellschaft geziemte.

Inzwischen war der schöne Sommernachmittag immer schwüler geworden, graue Wolken zogen herauf und deckten den blauen Himmelsschein, so daß sich die Kinder in die kühle Halle zurückzogen, die den Vorraum des Hauses bildete, um dort andere weniger bewegte Spiele zu treiben. Aber Balder blieb mißmutig und ließ sich auch nicht durch Renes freundlichen Zuspruch aufhellen, die ihn damit tröstete, daß Irg schon öfter im Ballspiel dabei war, während Balder das erste Mal daran teilgenommen hatte. Da konnte es nicht fehlen, daß ihn ein bißchen Unglück traf. Aber später würde es schon besser gehen und Irg nicht mehr Sieger sein. Das alles half nicht. Balder 109 blieb wortkarg und sein Antlitz verdrossen. Dazu kam noch, daß Rene als gute kleine Hauswirtin alle ihre Gäste liebreich behandelte und auch mit Irg freundschaftlich sprach wie mit allen andern. Das konnte Balder gar nicht verwinden und fühlte sich noch mehr zurückgesetzt, so daß, wenn Rene sich wieder holdselig an ihn wendete, den sie vor allen andern auszeichnete, er ihr einsilbige mürrische Antworten gab. Da regte sich denn auch ihre unbescholtene kleine Mädchenwürde, und sie ließ den unholden Gesellen, wo er war.

Es wurde dann auf den Tisch, der in die Halle gestellt ward, ein würziger Jausenkaffee mit schmackhaftem Gugelhopf aufgetragen, und die Kinder saßen bald herum und thaten ihm Ehre an. Als man aber genauer zusah, so fehlte einer: – es war Balder. Er hatte sich hinweggestohlen und das Haus verlassen. Unmut erfüllte Renes Kindesherz; das Lächeln, das noch soeben ihren Mund umspielte, verschwand, und etwas anderes drohte auf ihrem Gesichtchen Platz zu greifen, dessen sie sich schämte, nämlich: Weinen. Aber sie bezwang sich tapfer, denn so etwas würde sich 110 für die Hauswirtin gar nicht schicken, sagte sie sich, und behielt ihr Köpfchen und ihre häusliche Würde aufrecht. »Man muß viel von Balder leiden,« war alles, was sie noch dachte; dann nahm die Aufmerksamkeit auf ihre Gäste sie wieder völlig in Anspruch, und sie ermunterte jedes einzelne Fräulein und jeden Ritter der Tafelrunde, getrost zuzulangen. Die ließen es sich auch schmecken.



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