Wilhelm Fischer
Frühlingsleid
Wilhelm Fischer

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IV.

Balder aber war auf die Gasse gekommen, er wußte nicht, wie. Er stand unter dem gewitterhaften Himmel, an dem die Wolken dunkel herauf gezogen kamen. Des hatte er wenig acht, sein Unmut war zu schwer, als daß er den Blick erhoben hätte; er sah vielmehr zu Boden. Da hörte er plötzlich einen seltsam süßen Ton durch die Lüfte klingen, der ihm wohlbekannt war. Er mahnte ihn an einen herrlichen Garten, wo er mit Rene gewandelt war und an ein altes Haus mit dunkler Thüre, durch die er in die 111 wundersame Gegend gekommen war. Nun blickte er jäh auf und sah einige Schritte vor sich Herrn Maypeter auf der Gasse schreiten in seinem langen, grünen Rock mit aufrechtem Kragen, und aus einer der Hintertaschen ragte das Muschelhorn hervor. Das schillerte nicht, weil ihm das Sonnenlicht fehlte, aber hatte doch schön gedämpfte Farben. Baldern war es, als ob ihn der Ton gerufen hätte, und er mußte folgen. So ging er hinter Herrn Maypeter her, der sich nicht umdrehte, durch mehrere Gassen, die ihm immer unbekannter schienen, bis sie endlich auf einen viereckigen Platz kamen, der von Häusern umschlossen war, und hier wandte sich Herr Maypeter um und winkte ihn zu sich heran.

Er trat befangen näher, und da Herr Maypeter seinen hohen weißen Hut etwas gegen das Hinterhaupt gestülpt trug, so konnte Balder genau die zusammen gewachsenen Brauen über den runden Augen sehen, was ihm kein traulicher Anblick war, sondern unheimlich schien. Herr Maypeter sah ihm scharf ins Gesicht und sagte: »Zeig mir, Bürschlein, wo ist dein Kopf?«

112 »Hier.«

»Und dein Herz?«

»Hier.«

»Richtig. Nun siehst du, Kopf und Herz sind ziemlich weit von einander entfernt. Aber da drinnen giebt es eine eiserne Leiter, auf der das Geistchen des Kopfes und das Geistchen des Herzens zusammen kommen können. Und wenn das geschieht und die beiden Geisterchen beisammen sind, so giebt es einen gar wundersam süßen Klang, wie der meines Muschelhorns, das ich da habe. Aber nicht in allen Menschen ist die Leiter ganz. Da fehlen viele Sprossen, und Herz und Kopf kommen nicht zusammen. Wollen sie dennoch, giebt es nur Mißklang. Verstehst du das?«

»Kopf und Herz müssen zusammen sein, das verstehe ich,« sagte Balder. »Aber daß es eine Leiter da drinnen giebt, das hab' ich nicht gewußt. Woher mag denn das Eisen dazu kommen?«

»Aus dem Blute, Bürschlein. Da liegt genug darin, um die Leiter zu bauen. Und wie steht es bei dir? Ist die Leiter vorhanden?«

»Ich weiß nicht«, sagte Balder kleinlaut.

113 »Nun, das sollst du erfahren«, erwiderte Herr Maypeter. »Ich habe einen blauen Sittich, der fliegt zu den Sternen hinauf. Dort ist alles genau beschrieben, was einer da drinnen in der Brust trägt. Das will ich von meinem Sittich nachlesen lassen – er kann nämlich lesen – wie es mit dir bestellt ist, und dir es einmal bei Gelegenheit wieder sagen. Gehab dich wohl!«

Herr Maypeter verschwand, denn er war in ein Haus getreten, und Balder stand auf dem Platze allein. Er wußte aber nicht, wohin Herr Maypeter gekommen war, denn er hatte seinen letzten Worten sinnend mit gesenktem Kopfe zugehört. Als er aufblickte, sah er den blauen Sittich über dem Platze kreisen, sich herabsenken, gleich als wollte er nach seinem Herrn suchen. Da er aber diesen nicht fand, erhob er sich wieder in die schwere Gewitterluft, aus der unaufhörlich Blitze zuckten, die sein blaues Gefieder wundersam erschimmern ließen, und entschwand über den First des nächsten Hauses.

Nun war aber das Gewitter immer näher gekommen und sandte als seinen Boten den sausenden 114 Wind voraus, der mit Staubwirbel einherzog. Balder wollte nach Hause eilen, aber die Gegend wo er sich befand, war ihm fremd. Doch gedachte er sich zurecht zu finden und mochte die Leute nicht um Auskunft fragen, die ohnedies an ihm vorüber eilten, um sich vor dem nahenden Gewitter zu bergen. So lenkte er aufs Geratewohl in eine Gasse ein und dann in eine andere, die in der Richtung seines Heimes lag, wie er meinte. Aber nun begann der Donner über seinem Haupte zu rollen, die Blitze folgten sich so rasch, daß die Häuser in einem fahlen Licht erglänzten, und der Regen strömte wuchtig herab. Unverdrossen schritt er dahin; denn ihm war der Gewitterhimmel mit seinen zuckenden Blitzen ein schöner Anblick, wenn er ihn sonst vom Fenster aus geborgen betrachten konnte. Deshalb kam ihn auch jetzt kein Mißmut an, wo er den strömenden Regen mit in den Kauf nehmen mußte. Zudem gelangte er bald in ein enges Gäßchen, das eine Art gedeckten Bogenganges bildete, wo er geschützt warten konnte, bis sich das Unwetter verzogen hatte. Doch dies dauerte noch eine Weile. Er 115 sah von dort in die Herrengasse hinaus, und da stäubte der Regen einher, als würde er von Unholden mit Besen gekehrt, und die Bäche schossen in den Rinnsalen dahin.

Endlich nahm es ab, und der Schein der Sonne, die selber nicht sichtbar war, fiel in die Gasse. Nun sprühte ein feiner Goldregen herab, und ein schönes, altes Haus wurde draußen wundersam beglänzt, so daß es herrlich aus dem Grau der Umgebung ragte, mit schimmernden Fenstern, deren jedes von einem schlanken Säulchen in zwei Hälften geteilt wurde. Und an einem der Thore stand ein schmucker Geselle in Stein ausgehauen, der trug Waffen, lächelte aber ganz friedlich auf Balder herüber, als wollte er ihm sagen: Komm nur immer! Das Wetter ist vorbei und die Sonne beglänzt uns wieder.

Da trat er auf die Gasse hinaus, die ihm plötzlich bekannt schien, und durch die er leicht heim finden konnte. Als er zuhause ankam, fand er seine Mutter in Sorge. Sie hatte beim Nahen des Unwetters Ploni mit einem Regenschirme zu 116 Rene hinüber geschickt, um Balder abzuholen. Diese war aber bis jetzt nicht wiedergekommen. Balder erzählte nun, daß er die Gesellschaft voreilig verlassen habe, nicht aber, warum er es gethan. Das konnte sich seine Mutter ohnehin denken, denn die empfindliche Art ihres Söhnleins war ihr nicht fremd. Sie liebte ihn jedoch zu sehr, um ihn nun anders als mit stillem Vorwurf anzublicken. Dabei hätte sie ihn gerne in die Arme geschlossen, um ihn über ein Leid zu trösten, das ihn vielleicht betroffen, aber sie mochte es nicht thun, denn Balder ließ solches nicht gerne über sich ergehen. Sie wäre oft durch ein zärtliches Wort aus seinem Munde, durch eine Liebkosung beglückt gewesen, wie andere Kinder es thun; aber Balder liebte seine Mutter, zeigte es ihr jedoch nicht. Sonst sah er ihr überraschend ähnlich, die noch eine junge, schöne Frau war, und hatte ihre hellen Augen und ihr lichtes Haar. Aber alles helle an ihm war trotz seiner Kindlichkeit von innen heraus umschattet, so daß sich die Mutter oft darüber verwunderte und sich wohl auch bekümmert fragte: Wie wird 117 der einst mit seiner unzugänglichen Art in der Welt fortkommen!

Spät, als es schon dunkelte, kam Ploni. Sie war gänzlich durchnäßt. Sie hatte Balder drüben nicht gefunden und ihn überall gesucht wie eine Stecknadel in einem Heuschober, sagte sie. Zuerst hatte sie gedacht, er könne nicht weit sein, dann war sie immer weiter gegangen und immer im strömenden Regen. Die arme Seele hatte sich nun erkältet, zitterte vor Frost und mußte zu Bette. Das geschah jedoch mit aller Freude, weil sie Balder wieder heil und gesund vor sich sah, den sie so lange gesucht.



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