Wilhelm Fischer
Frühlingsleid
Wilhelm Fischer

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II.

Der andere Tag war ein lichter Sonntagsmorgen, und der Vater der Nestvögelein sang vor seinem Fenster gar hell und wohlgemut, so daß er davon erwachte. Er stand auf, kleidete sich an, bekam seine Frühstücksmilch und saß bald über einem weißen Blatte Papier, worauf er zur Kurzweil allerlei Gestalten zeichnete. Das konnte er überraschend gut, obgleich er es von niemand gelernt hatte; es sei denn, daß er seiner Mutter manches abgeguckt, die sich damit in ihren freien Stunden beschäftigte. Sonst gab sie Unterricht in fremden Sprachen, wie im Englischen und Französischen und führte damit ihr Hauswesen. 86 Früher war sie nicht darauf angewiesen, als ihr Mann noch zugegen war, und konnte sich wie andere freie Frauen gebahren; aber nun mußte sie dem Erwerbe emsig nachgehen. Das that sie auch mit gutem Willen, wenn auch oft mit geheimer Traurigkeit, und dies weniger der auferlegten Arbeit wegen, als aus Sehnsucht nach dem abwesenden Manne.

Balder zeichnete allerlei liebliche Gestalten, die trugen aber alle ein Antlitz, das eines Mägdleins, und es dünkte ihm selber wunderlich, daß dem so wäre. Deshalb verbarg er auch rasch das Papier, als ein überaus zierliches Kind hereintrat. Sie war in sonntäglicher Tracht und trug ihr weißes Kleidchen so, als wüßte sie darum, daß es ihr gut stehe. Sie war die einzige Tochter des stattlichen Hauses gegenüber, das dem reichen Kaufmanne gehörte, der Enzenbrunner hieß. Nun war sie in besonderer Angelegenheit herüber gekommen. Sie mußte an diesem Sonntage ihren Onkel besuchen, um ihm einen Blumenstrauß mit Glückwunsch zu überreichen, denn es war sein Namenstag. Sie mochte aber mit niemanden 87 lieber gehen als mit der Magd Ploni, die bei Balders Mutter diente, obgleich im eigenen Hause Mägde genug waren und auch ein Diener in langem, blauem Rock mit Metallknöpfen. Aber sie war in die Ploni verliebt, weil diese einen eigenen Klang in der Stimme hatte, der ihr gefiel, und noch dazu ein paar herzensgute Augen. Wie oft hatte sie die Mama gebeten, sie solle Ploni in ihren Dienst nehmen; aber diese mochte nicht Balders Mutter verlassen, auch nicht um höhern Lohn, weil sie der duldenden Frau anhänglich war. Jene, sagte sie bei sich, die Enzenbrunner haben das viele Geld, was den Menschen gefällt, aber meine Frau hat nichts anderes als was Gott gefällt. Ich bleibe bei ihr.

Doch hatte sie das Mägdlein Rene auch liebgewonnen und that ihr alles zu Willen, was sie nur konnte. Deshalb war sie auch gerne bereit, mit ihr zu gehen, nachdem sie sich die Erlaubnis der Frau ausgebeten hatte. Weil aber diese den Vormittag aus dem Hause ging ihrem Berufe nach und Balder nicht allein bleiben sollte, nahm sie auch ihn mit, was dem Mägdlein recht war.

88 So gingen sie alle drei zufrieden in sonntäglicher Tracht ihres Weges, um den Oheim aufzusuchen. Dieser war ein reicher Hagestolz, der sich bereits von allen Geschäften zurückgezogen hatte, da er sich ältlich anließ, und hieß Herr Maypeter. Renes Eltern hatten, wie dies gemeiniglich geschieht, große Achtung vor ihm und dem Gelde, das er ihnen einst hinterlassen sollte. Er wohnte in einem sehr alten Hause, dessen unteres Geschoß das feste und dunkle Gewölbe eines ehemaligen Stadtthores bildete. Darin befanden sich viele dämmerige Gänge und Winkel und Balder fürchtete sich beinahe, als sie die schmale finstere Treppe hinan stiegen. Rene aber war nicht das erste Mal da und ging wohlgemut voran. Es fand sich aber, daß die großen Stuben der Wohnung, durch welche sie schritten, alle behaglich eingerichtet waren, wie es einem wohlhabenden Manne geziemte. Auch ließen die Fenster unbehindert einen guten Teil des Tageslichtes ein. Alte gebauchte Kästen mit vielen Lädchen, hohe dunkle Schränke und schöne Truhen füllten mit anderm Hausgeräte die Wohnung warm 89 und wohlig aus. Den Boden deckten weiche farbige Teppiche, die mit den vielen alten Bildern an den Wänden freundlich zusammen stimmten. Auch der Oheim war ein ältlicher Herr, vor dem Balder schier erschrak, als er ihn erblickte. Dies geschah deshalb, weil ein großer ausgestopfter Uhu auf einem Schranke stand und es ihm schien, daß Herrn Maypeters Gesicht viel Ähnlichkeit mit diesem Vogel hatte.

Dazu kam noch etwas, was der Uhu nicht besaß, wohl aber der Oheim: nämlich die Brauen waren ihm in einem Strich über der scharfen Nase zusammen gewachsen, so daß die großen runden Augen noch größer erschienen, als sie waren. Sonst stand er auf kurzen Beinen mit gedrungenem Leibe und trug einen langen grünen Rock mit hohem umgestülptem Kragen.

Rene überreichte ihm ihren Blumenstrauß und wünschte ihm zu seinem Namenstage Glück, Gesundheit und langes Leben. Das that sie unbefangen und lächelnd wie in gewohnter Weise einem alten Onkel gegenüber, dessen Gesicht auch freundlicher ward, als er ihr für den Wunsch 90 dankte. Dann rief er der Wirtschafterin und ließ den Kindern Gebäck vorsetzen und dazu jedem ein feines Gläschen stellen, das die Größe eines Fingerhutes hatte, aber mit gutem, süßem Weine gefüllt war, und kümmerte sich nicht weiter um sie. Da auch Ploni sich entfernen mußte, um einer Besorgung willen, die sie für das Haus machen mußte, so saßen die Kinder an einem runden Tischchen über ihrem Gebäcke allein und ließen es sich schmecken. Dazu nippten sie auch fleißig von dem köstlichen Weine.

Baldern wurde es dabei wieder ganz behaglich zu Mute, zumal Rene immer scherzte und plauderte, als wäre sie daheim. Nur blickte er verstohlen nach dem Zimmer, in das sich Herr Maypeter inzwischen entfernt hatte. Er meinte, jetzt müsse etwas wundersames kommen, etwas was er noch nicht gesehen hatte. In der Stube tickte eine große Wanduhr, die aber nur ihr würdevolles Antlitz zeigte; denn alles andere war in einem langen schmalen Kasten verborgen, der schier wie ein menschlicher Leib geschnitzt war. Auch traten andere Geräte mit bestimmten Gesichtszügen aus 91 den dunklen Winkeln des Gemaches hervor, die er vorhin nicht bemerkt hatte: es waren dies große Vasen aus fernen Ländern, die ihre Köpfe auf kurzem Hals über dicken Bäuchen erhoben.

Dann zog etwas wie ein feines Singen und Klingen durch die Stube, und wenn er genau hinhorchte, schwand es vor ihm wie in die weite Luft zurück. Und Rene dünkte ihm immer lieblicher zu sein, so oft er sie anblickte; das machte die dunkle Umgebung, aus der sie alles Licht mit ihrem weißen Kleidchen an sich gezogen hatte. Aber das Klingen hub wieder an. Da blickte er erstaunt, wie die dunkel getäfelte Wand zurückwich, als ob sich dort eine verborgene Thüre geöffnet hätte, und er sah weit hinaus wie in einen Garten, der mit Licht und Blumen erfüllt war und den kleine Vögel durchschwebten, deren Gefieder golden und bläulich erschimmerte. Es war ihm, als hätte er geträumt, denn im nächsten Augenblicke stand wieder das dunkle Getäfel wie vorher, und Licht und Blumen, und die fremd gefiederten Geschöpfe waren verschwunden. Er teilte Renen seine Verwunderung mit, doch diese 92 fand nichts besonderes daran: ihr Oheim hätte eine große Stube, wo er Blumen und Vögel hielt, die von weit her gekommen waren und die er niemandem zeigte; sie selber war nur einmal zufällig hinein gekommen. Aber nun wollte sie nach ihm schauen, der in das Nebenzimmer gegangen war.

Sie erhob sich von dem Tischlein, an dem sie saßen, und huschte in das anstoßende Gemach, kam aber bald wieder zurück und berichtete, der Oheim lese in einem schweren Buche, das vorne ein goldenes Schloß trage, und da dürfe man ihn nicht stören. Sie schlug Baldern vor, das Haus ein wenig zu besichtigen; allein habe sie sich bisher nicht getraut, es zu thun, da es so viel dunkle Gänge gebe, aber mit Balder werde sie es schon wagen. Dieser war dazu bereit, und sie gingen leise aus dem Gemach. Sie kamen in der That in dunkle Gänge und Winkel, die hoch gewölbt waren, so daß selbst die leichten Kinderschritte seltsam wiederhallten.

Hier und da fiel das Tageslicht durch ein Fensterchen dämmerig herein, so daß sie sich in 93 das Gesicht sehen konnten. Und das war ihnen genug; denn sie sahen, daß sie beide guten Mutes waren. Aber als sie so dahin gingen und leise mit einander sprachen, was wohl jetzt kommen werde, da hielten sie plötzlich betroffen den Schritt an. Ein weites dunkles Gewölbe umgab sie, in welchem noch aus der Ferne sonderbare Gestalten auftauchten: große Männer, die aus der Dämmerung ragten und etwas wie ein Schwert in der Hand hielten. Da fürchtete sich Rene und wollte rasch umkehren, aber Balder zeigte sich jetzt als der Mutigere und sagte: »Komm nur! Sie thun uns nichts, sie sind ja von Stein«; und Rene atmete erleichtert auf. Als sie nahe kamen, waren es wirklich alte Steingestalten, die dort friedlich standen und das Schwert schon seit undenklichen Zeiten genau so in Händen hielten wie jetzt. Auch fehlte dem einen die Nase, der andere hatte gar, als sie näher zusahen, den Kopf verloren und wußte sich nicht zu helfen. Auch befanden sich andere seltsame Steine dort mit Buchstaben, die ihnen fremd waren, obgleich sie beide schon gut lesen konnten, und es ward ihnen schier 94 unheimlich zu Mute in dieser unbekannten Gegend.

Rene wollte wieder umkehren, und Balder wollte es nun auch um ihretwillen. Aber sie fanden den Ausgang nicht und kamen nur in ein anderes Gewölbe, das noch dunkler war als das vorige, und Rene ward immer ängstlicher, so daß ihr schon das Weinen nahe kam, was Balder an ihrer Stimme merkte, als sie seufzte: »O was wird meine Mama sagen, wenn ich nicht heim komme!« Sie schmiegte sich dabei enger an ihn, und er umschlang sie beschützend und tröstete sie: »Fürchte dich nicht, Rene, wir kommen schon hinaus.« Er sah nämlich einen Lichtschein durch eine Ritze blinken und leitete sie dahin. Er bemerkte, daß es die Fuge einer Thüre sei, deren Klinke er nach einigem Suchen fand. Er drückte darauf mit aller Kraft; es war eine schwere Arbeit; aber endlich gab die Thüre nach und öffnete sich. Licht, so viel Licht strömte plötzlich in ihre Augen, daß sie sie schließen mußten und gar nichts sahen.

Aber als sie sie wieder aufmachen konnten, da lag etwas Wunderbares vor ihnen.

95 Ein Garten mit lichtem Scheine that sich vor ihnen auf, der war so von Blumen durchblüht und von Bäumen durchlaubt, daß der Kinder Herzen vor Freude erpochten. Sie traten hinein und gingen Hand in Hand dahin. Immer weiter erstreckte sich der Garten und enthüllte seine Lieblichkeit immer reicher vor ihren Augen. Jeder blühende Strauch stand wie ein kleiner Fürst in seinem Gebiete, abgesondert von den übrigen und ließ sich's wohlig sein im klaren Sonnenscheine. Aber alle waren friedliche wohlhabende Nachbarn, die sich gegenseitig köstliche Farbe und würzigen Duft liehen, und wieder wie Bruder und Schwester aus einem Hause prangten in Feierkleidern, um einen Festtag zu begehen: den ihrer Mutter Sonne, die strahlte milde auf sie herab aus blauer Höhe. Die Kinder fühlten im Herzen eine goldene Sonnenstimmung aufleuchten, daß ihre Blicke davon erglänzten, und sie sahen sich eins das andere überrascht und freudig an. Der ganze Garten schien ihnen in einen goldenen Festmantel gehüllt zu sein, der nicht zu greifen und nicht zu fassen war, und ein Zipfel davon 96 umhüllte auch sie selbst, daß sie sich eng aneinander schmiegten unter seiner wohligen Berührung, und sie dünkten sich selber mit dem schönsten Festkleide geschmückt zu gehen.

Sie kamen an ein großes mit Stein eingefaßtes Becken, dessen Wasser reichlich mit breiten Blättern bedeckt war, die wie grüne Teller auf der glitzernden Fläche schwammen und weiße Blüten zur Augenweide darboten. Blaue Schmetterlinge nippten von dieser Speise und andere wundersame Geschöpfe mit durchsichtig schillernden Flügeln umschwebten die weißen Kelche, die auf den grünen Tellern standen. Die Sonne strahlte überall darauf ihre Funken, die auftauchten, verschwanden und wiederkamen, wie ein Reigentanz goldener Elfen. Dann meinten die Kinder wieder, es seien doch nur die goldenen und silbernen Fischlein im grünen Wassersaal, die mit solchem Tanz den Festtag feierten.

Sie standen lange davor, aber da war drüben im Garten ein ganzes Wäldchen, das sie auch zu sich rief mit leise wehenden Wipfeln in seinen grünen Schatten. Sie folgten dem Rufe und 97 traten andächtig hinein, weil sie glaubten, daß sich Frau Sonne aus all den schönsten Bäumen eine Kirche gebaut habe, um darin ihren Festtag zu begehen. Da gab es auch hellen freudigen Gesang in Fülle, und die Vöglein, die ihn anstimmten, saßen unsichtbar im Laube oder schwebten nur auf Augenblicke sichtbar durch das Gezweige dahin, das sich als grüne mit Goldtropfen betupfte Decke über ihnen wölbte. Gänge führten nach vielen Seiten dahin, und am Ende jedes Ganges blitzte wie ein Altarbild die ganze Sonnenherrlichkeit auf. Das merkwürdigste war aber ein großmächtiger Glasschrein, wie ein Reliquienkasten, der statt toter Gebeine herrliche Palmen barg und fremdartig schimmernde Blumen, die wie Schmetterlinge in köstlichen Sammetfarben durch die Luft zu schweben schienen.

Vor dem Schreine hielt ein Baum Wacht wie ein Riese, der stand unter einem Baldachin, den zwölf Säulen trugen, und alle die Säulen waren die Kinder des einen Riesen. Es war rings umher stille; nur klang es wie entferntes Läuten durch die Halle: dem lauschten auch die 98 Vögelein, und darum war es stille. Auch ein hoher, wie den Kindern dünkte, hundertarmiger Leuchter ragte vor ihnen, der aus dem Grunde schmaler langer Blätter empor gewachsen war und gar herrlich leuchtete mit seinen goldgelben Blütenflammen. Nun schien es, daß auch die Vögelein dieses wundersame Gebilde neugierig betrachteten, als wäre es ihnen etwas Fremdes, und da bemerkte Balder, daß es Finken, Zeisige, Meisen und andere bekannte Vögel wären, die das Hälslein reckten und neugierige Äuglein machten. Vorhin aber, als er aus dem Gemache, wo sie an dem Tische saßen, einen Blick in Herrn Maypeters Garten gethan hatte, waren sie mit blau schillerndem, grünem und goldenem Gefieder dahin geschwebt. Er sagte nun zu Rene: »Sieh, in deines Onkels Garten giebt es auch gewöhnliche Finken und Zeisige, und sie thun so, als wenn sie hier daheim wären.«

Rene hörte erstaunt zu und erwiderte: »Onkels Garten ist in einem großen Zimmer, und dies hier ist ein wirklicher Garten.«

99 »Wie?« fragte Balder, »gehört dieser nicht deinem Onkel?«

»Wie magst du nur so fragen, Balder? Diesen Garten hat ein Prinz bauen lassen und nicht mein Onkel.«

»Ein Prinz?« wiederholte Balder erstaunt, »das habe ich nicht gewußt. Ah, er hat ihn für sich bauen lassen, weil er Prinz ist, das mag sein.«

»Nicht für sich,« sagte Rene.

»Für wen denn sonst?«

»Da, kannst du lesen?« Sie deutete auf ein Täfelchen, das sich nahe den Blättern des hohen Leuchters auf einem Stabe befand. »Kannst du lesen? Ja? Nun lies, was steht dort?«

Balder las: »Agave americana.«

»Nun siehst du, einen solchen Namen kannst du überall auf den Täfelchen geschrieben finden. Denn das ist ein Garten, wo die großen Studenten hereinkommen, um zu lernen, wie alle die Blumen und Bäume heißen.«

Sie blickte Balder überlegen an, der sich schämte, so wenig davon gewußt zu haben. Aber er 100 faßte sich rasch und sagte: »Ich weiß, was das heißt americana

»Woher weißt du es?« fragte Rene mißtrauisch.

»Es ist ein großes Land, weit über dem Meere, heißt Amerika, und mein Vater lebt darin.«

Nun fragte Rene erstaunt: »Wie ist er dahin gekommen?«

»In einem Schiffe, Rene. Ich hab' es von meiner Mutter gehört.«

»Und was thut er dort?«

»Er zeigt es andern Leuten, wie sie in einem Berge in die Tiefe graben müssen, um vieles zu gewinnen, was man um Geld verkaufen kann.«

»Gold?« fragte Rene. »Das wächst im Berge, das weiß ich.«

»Vielleicht auch das, aber gewiß Eisen und noch andere Dinge, deren Namen ich vergessen habe. Wenn er wiederkommt, sind wir alle reich, und meine Mutter braucht nicht mehr Stunden zu geben, wie sie es jetzt thut.«

101 »Was ist denn dein Vater, daß er so weit weg gräbt?«

»Ja, Rene, willst du es wissen: er ist Ingenieur.«

Sie wiederholte das Wort, das ihr nicht recht geläufig war, und fragte dann: »Kann er nicht hier graben?«

»Hier war er beim Militär, Rene, wo es viele giebt, die Ingenieure sind. Aber einer war noch mehr Ingenieur als er, mit goldenem Kragen, und der hat meinen Vater beleidigt. Deshalb ist er weg und bis Amerika gefahren und will nicht eher wiederkommen, bis er genug reich ist, um sein eigener Herr zu sein. Bis dahin ist es aber noch lange, und meine Mutter ist oft traurig, weil es so ist.«

»Das glaube ich,« sagte Rene.

Inzwischen ließ sich Plonis Stimme vernehmen, die nach den Kindern suchte und sich schon Sorgen machte, weil sie ihr abhanden gekommen waren. Auf ihre Frage, wie sie da herein gekommen, antwortete Rene: »Durch eine Thüre aus des Onkels Hause, wo es ganz finster 102 war;« und Ploni verwunderte sich, da sie keine solche Thüre kannte.

Aber nun mahnte sie die Kinder zur Heimkehr, und sie kamen durch ein Gitterthor, das sich leicht öffnen ließ, auf die Straße, wo Häuser standen und Menschen gingen.

Es war den Kindern, als wenn sie wieder in eine bekannte Welt gekommen wären. Sie befanden sich vor dem alten Hause, wo Onkel Maypeter im obern Stockwerk wohnte, und unten gähnte das einstige Stadtthor wie ein dunkler Rachen. Da zog ein fremdartiges Klingen durch die Luft, es kam wie aus weiter Ferne und ward doch hell und süß vernommen. Sie blickten auf und sahen den Onkel oben am offenen Fenster stehen, der in ein schön gewundenes Muschelhorn blies, das seltsam im Sonnenlichte schillerte. Und Rene sagte: »Horch, der Onkel ruft, ich muß mich bei ihm empfehlen. Wartet ein bißchen, ich komme gleich wieder,« und lief hinein. Sie warteten.

Vor dem Hause erstreckte sich noch die alte Stadtmauer mit vorspringenden Ecken und einer 103 Bastei, auf der Baumwipfel wehten aus einem hübschen Gärtchen, das oben in fruchtbares Erdreich gepflanzt war. Weiter hinaus blitzte die Mur, die die Stadtmauer bespülte im Sonnenlichte, und noch weiter über den jenseitigen Häusern blickten schön gerandete Waldberge herein und schlossen den Sehkreis ab. Ein blauer Vogel schwebte von dort heran, den Balder mit Erstaunen bemerkte, denn er war größer als alle, die er kannte, und wie er daher flog, schimmerten seine Federn wundersam. Es war ein blauer Sittich. Er ließ sich herab und flatterte zierlich und freudig durch das offene Fenster zu Onkel Maypeter hinein.

Inzwischen war Rene wieder gekommen und lachte: »Wenn du wüßtest, Ploni, was der Onkel zu mir gesagt hat!«

»Was?«

»Ich will's dir sagen, Ploni, aber nur dir allein. Du darfst es aber niemandem weiter sagen.«

»Nein, niemandem.«

Ploni neigte ihr Ohr zu dem Kinde herab, 104 und es flüsterte: »Als ich mich beim Onkel empfohlen habe, da sagte er mir: Höre, du Kleine! Wenn du einmal groß wirst und heiratest, das Bürschlein da unten wird nicht dein Mann sein.«

»Geh, du spaßiges Fräulein,« erwiderte Ploni, »so hat er nicht geredet.«

»Wohl, auf Ehre, Ploni! Aber bst!« lachte Rene und sie legte den Finger an den Mund und blickte auf Balder mit vergnügtem Gesichtchen. Dann setzten sie alle ihren Weg fort und kehrten friedlich heim.



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