Wilhelm Fischer
Frühlingsleid
Wilhelm Fischer

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V.

Als Rene am andern Tage erfahren hatte, daß Ploni krank sei und im Bette liege, so hielt sie nichts zurück: sie mußte hinüber und den bösen Unfall beklagen, obgleich die Magd versicherte, daß ihr eigentlich nichts fehle. Das bißchen Heiserkeit und was drum und dran 118 hänge, werde bald vorüber sein, und sie wieder auf den Beinen stehen. Aber Rene ließ es sich nicht nehmen, an ihrem Bette zu weilen und ihr in kindlicher Weise Trost zuzusprechen. Und als Balder aus der Schule kam und auch nichts eiligeres zu thun hatte als in das Kämmerlein zu stürmen, wo Ploni lag, um zu fragen, wie es ihr gehe, da sah er Rene vor sich. Er hielt befangen den eiligen Schritt an, denn er fühlte sich schuldbewußt. Aber auch Rene war bei seinem Anblick etwas betroffen; denn sie hatte soeben der Magd erzählt, wie Balder sich ohne Gruß und Abschied am vorigen Tag entfernt und daß ihre Mama ihn einen unartigen Knaben genannt, den man nicht mehr einladen könne. Doch Ploni, die beide Kinder lieb hatte, rief Balder zu sich und meinte gutmütig: »Schau, da sitzt Rene, die du herb gemacht hast. Jetzt ist sie wieder gut, weil sie nicht anders als gut sein kann, mein' ich. Gieb ihr die Hand und sag', du wirst es nimmer thun. Gott geb', daß ich Euch alleweil freudig vor mir sehe!«

Balder blieb noch immer stumm, bis ihm 119 das kleine Mädchen zuerst die Hand reichte, dann sagte er: »Grüß dich Gott, Rene! Unsere Ploni ist krank, daran bin ich schuld, weil sie mich gesucht hat.«

Dagegen verwahrte sich Ploni. Er war nicht schuld, nur sie selbst, weil sie so unvernünftig lange im Regen gegangen sei. Es wäre jedoch alles nicht der Rede wert. Und dann sagte sie zu Rene: »Schau, Kind! Balder ist nicht immer unfreundlich, nur manchmal. Und gegen dich trägt er ein gutes Herz im Leibe, sonst hätt' er dich nicht so schön abgezeichnet, wie er es gethan.«

Nun erstaunte Rene und fragte: »Abgezeichnet? Mich? Kann er das?«

»Ja wohl kann er das« erwiderte Ploni, »und wie ein Großer. Jetzt bring es her, deine Zeichnung, Balder, und zeig es ihr auch, dem herzigen Kinde, daß es seine Freude daran hat.«

Er war rot geworden und rief vorwurfsvoll: »Warum hast du das gesagt, Ploni?«

»Ist doch nichts ungutes dabei!« erwiderte 120 sie. »Wenn einer etwas kann, darf man davon reden.«

Balder stand noch immer unschlüssig, aber nun bat ihn auch Rene: »Zeig' es mir, wie ich aussehe, willst du? Ja! Ja! Ploni will es auch.«

Da ging er und kam mit dem begehrten Gegenstande zurück. Rene nahm das starke, weiße Blatt in die Hand, blickte hinein und betrachtete sich wie in einem Spiegel. Und es schien ihr, daß ihr Bild ihr noch viel schöner entgegen blickte als im Spiegel, obgleich es nur eine Bleistiftzeichnung war. Sie rief verwundert: »Das bin ich!« und errötete vor Freude. Dann umhalste sie plötzlich Balder und küßte ihn auf den Mund. Seiner bemächtigte sich ein Stolz wie nie zuvor in seinem Knabenleben, und er hätte in diesem Augenblicke mit keinem Königssohn getauscht. Dabei war auch er wieder rot geworden und stand freudig verlegen da.

Ploni rief zufrieden: »So ist's recht. Das heiß' ich eine Versöhnung, Kinder!«

Rene lächelte nun über sich selbst, daß sie 121 so eilig gewesen; aber weil sie es war, so wollte sie auch etwas dafür haben und sie fragte mit halb geneigtem Köpfchen und schelmisch emporblickend: »Schenkst du mir das, Balder?«

»Gewiß,« rief er, »gern, Rene!«

»Nun schönen Dank! das will ich meiner Mama zeigen.«

Sprach's und lief davon.

Sie zeigte es der Mama. Diese betrachtete es auch verwundert. Es war nur ein kindliches Werk, das merkte sie; aber sie erstaunte über die Ähnlichkeit und über einen Zug der Schönheit, der in dem Antlitz ihres Töchterleins lag, und den sie am Urbilde so eindringlich niemals bemerkt hatte. »Schau, schau!« sagte sie, »kann er das, so muß ihm manches andere verziehen werden, so auch, daß er sich nicht artig benommen hat.«

»Nicht wahr, Mama?« rief Rene. »Ich darf ihn wieder einladen mit den andern, nicht wahr?«

Renes Mutter lächelte. »Wenn dir darum zu thun ist, so mag es vielleicht noch geschehen.« 122 Er muß doch ein feiner Knabe sein, wenn er es auch nicht immer zeigt, dachte sie sich.

So hatte Balder durch seine kindliche Kunst auch das Herz der Mama wieder gütig gestimmt, und Rene freute sich darüber. Aber sie hatte noch viel auszustehen. Balder kam mit den andern, war zuerst fröhlich und wohlgemut, vertrug sich auch mit Männlein und Fräulein, meinte jedoch ein besonderes Anrecht auf Renes Freundlichkeit zu haben, und ward sofort unmutig, wenn sie auch andere, besonders Irg, damit bedachte. Sie begriff nicht, wie sie hätte anders thun sollen, als gegen jedes ihrer Gäste hold zu sein, und begriff auch nicht Balders plötzliche Laune, sich auf einmal wieder abseits zu halten und ein finsteres Gesicht zu machen. Dieser selbst konnte nichts dagegen thun; es lag dies in seiner Natur, und er merkte darum auch nie, daß es auch anders sein könnte. Aber Rene verzieh ihm immer wieder, wenn er ihr irgendwie Leid geschaffen hatte, und dachte sich: er wird schon wieder froh werden. Denn Balder konnte auch zu Zeiten allen Mägdlein und Knaben gefallen, wenn er heiter war und 123 seinem Mißmut Urlaub gab. So kam Rene mit ihm, dem sie doch ein lieblicheres Antlitz zuwandte als allen andern, nur leidlich aus.



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