Egid Filek
Wienerwald
Egid Filek

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X.

Winter.

Der Schöpfl.

Draußen funkelt der herrlichste Wintertag. Die vertrauten Stimmen des weißglitzernden Waldes raunen mir zu: laß die parfümierten Damen und die Gecken mit dem Gürtel um kraftlose Hüften, laß den Lärm, den Staub, die Unrast, die Gier und den Geiz, komm, komm heraus, wo reine Luft dich gesunden läßt!

Im Gepäcknetz liegen die Skier und der Rucksack, der treueste aller Begleiter. – Ein früher Winternachmittag glänzt auf die tief verschneite Station Rekawinkel, wo der Zug nach scharfem Anstieg zu kurzer Atempause anhält; dort steige ich aus; ein paar Schritte bergan – und versunken Bahn und Stationsgebäude, Häuser und alles, was an Menschen mahnt. Still und feierlich umragt mich der Hochwald. Blaue, lange Schatten werfen die hohen Stämme der Buchen und Fichten auf den dichten Schnee. Silberne Dämmerung erfüllt den einsamen Wald und doch trinken 154 die Baumwipfel das Lichtwunder des Tages, des Wintertages, der sonnig, kalt und klar und aller Tage Krone ist.

Leise, leise glitten die Skier bergauf. In die tiefe Stille hinein fiel manchmal mit seltsam dumpfem Laut eine Schneelast von den Bäumen. Wie die Stille wohltat! Langsam versank alle Unrast in den Nebel, der sich im Wiental sammelte. Schon war der Hochwald dem offenen Schneehang gewichen und die Aussicht frei.

Weiter, höher hinauf, näher der sich neigenden Sonne! In der Tiefe lagen, ganz eingewickelt in Schneelaken, die Häuser des Schwabendörfels; ein blauer Rauchfaden stieg empor. Freundlicher Hauch! Entströmst du friedlich gehüteten Herden oder entweichst auch du aus Übel und Trug in die Klarheit?

Wonnig und leicht gleiten die Skier, wohl das schönste Geschenk, das der Norden uns gab, über den breiten Kamm dahin. Nordwärts dacht er vielgeböscht ab in die Täler von Eichgraben; dahinter wieder blaue, schneegefleckte, langhingestreckte Berge. Sie begleiten die starre Linie des Horizontes mit wohllautenden Linien, so wie sich die auf- und absteigende Arabeske der Geigen um die Endlosigkeit des Orgelpunktes schmiegt, den ein tiefer Baß geruhsam hält. Erst ganz weit draußen, wohl schon über der Donau, strecken sich die Berglinien zur Wagrechten. Aber dann liegen sie im Blau der Ferne und locken und winken und erzählen von Schönheiten der Heimat, die sie in ihren Falten bergen, von alten Kirchen und Schlössern, von Bildern, braun von der Zeit, von altem Hausrat, von bemalten Truhen, in denen Urgroßmutter ihren Brautschmuck bewahrte. Wohnt dort in der Ferne das Glück, 156 wohnt dort die dunkle geheimnisvolle Frau, die uns den wunschlosen Frieden gibt, wenn unser Kopf an ihrer Brust ruht?

Oder ist der Friede südwärts, dort wo die Hänge im Waldmeer versinken, das immer höhere dunkle Wellen schlägt, bis es sich jäh aufbäumt zur stolzen, eisgepanzerten Zackenburg des Hochgebirges? Darüber steht ein ganz unwirklich klarer Himmel, der Alpenhimmel. Oder ist es der Süden, der wieder seinen Gruß herüberschickt, über den ganzen Alpenwall, über diese ganze Wirrnis von Graten und Kämmen, Schluchten und Tälern?

Häuser tauchen auf, ganz tief geduckt hinter Schneewälle und fast erstickt unter schwerlastenden Schneemassen. Hochstraß, die höchste geschlossene Siedlung im Wienerwald. Seltsam klar leuchten die Farben der Hauswände, eine gelb, die andere grün, jene grau, die andere fast rosig. Aber wie rein die Farben, wie mächtig entwickelt jede Form! Das ist ja Winters Eigenart, das ist ja seine eigentlichste Schönheit, daß er mit gewaltig stilisierender Hand alles Beiwerk ausschaltet. Reizvoll mag dieses wohl sein, aber doch nicht wichtig. Und so, wenn es vom Schnee verdeckt ist, bleibt das Wesentliche stehen. Vom Nebensächlichen befreit atmet es auf und wirkt froh und frei in sieghafter Gewalt. Monumental im besten Sinn des Wortes ist daher ein Wintertag und der Linienschwung einer Landschaft, ihr innerstes Wesen, tritt nie so klar und rein hervor, als wenn tiefer Schnee sie deckt.

Von beiden Seiten tritt Wald heran. Bald ist es nur Jungwald, bald hochstämmiger Forst.

Dem Kamm bleibe ich treu, der bergauf, bergab mit mir wandert. Aus der Tiefe, von Süden herauf, steigt eine 157 gelbe Wegmarkierung empor. Von Klausen-Leopoldsdorf kommt sie. Einer der jüngsten Wienerwaldorte ist es. Kaiser Leopold I. baute dort für die Holzgewinnung verschiedene Wehren und Schleusen und zu ihrer Bedienung siedelte er 1680 älplerische Holzknechte an. Aber schon 1683 brannte der Türke ihre waldumschlossenen Heime nieder und es dauerte bis 1755, bis der langsam wieder erstehende Ort zur Pfarre erweitert werden konnte. Seltsam ist es, daß die türkischen Reiter bis in die entlegensten Winkel des Wienerwaldes gelangten. Zwangen sie Einheimische zum Führerdienste oder war der Verrat der heimatlichen Erde schon damals um feiles Gold zu haben?

Wieder bleibt der Wald zurück. Wie aus der dämmerigen Kühle eines gotischen Domes trete ich auf weite Wiesen hinaus. Jenseits, wo der dunkle Wald wieder seine Arme dehnt, liegt ein stilles Forsthaus. Kein Hund bellt, keines Menschen Stimme tönt durch den Winterabend.

Südwärts aber steigt die blauschattende Waldwand des Schöpfl steil empor.

Rasch, rasch, hinauf auf den Gipfel, ehe die Sonne sinkt! Steil und mühsam ist dieser letzte Anstieg, denn die Nordseite birgt reichlichen Pulverschnee. Traurig entragen ihm die letzten Reste des Franz-Krebs-Schutzhauses. Wie traulich war es hier an geruhsamen Wochentagen. Wie schön saß es sich im Speisezimmer mit dem weiten Blick nach Norden! Vor zwei Jahren raubte die neidische Flamme dem Wanderer dieses wichtige Heim.

Zwischen hohen Buchen steht die Warte; 890 m hoch ist der Platz, dem sie entragt, der höchste Punkt des Wienerwaldes. 158

Die Skier herunter und die Warte hinauf! Oben! Frei, los von den Menschen! Der Höchste in weiter Runde!

Alle Gluten des scheidenden Tages umstrahlen mich. Dem Westen entglüht loderndes Gelb, violettes Rot umsäumt den östlichen Horizont. Im Süden aber leuchten riesige Fanale. Lodernd in höchster Reinheit entragen den Waldtiefen, die schon in die Dämmerung versunken sind, die Hochgipfel. Vom Schneeberg bis zum Großen Priel glühen sie mir entgegen, in jäh aufgebäumtem Schwung, dann wieder in stolz gebändigter Linie, die kühnen, die herrlichen, die einzigen Wächter der Heimat.

Was kommt euch nahe, euch Ewigen, Beglückenden, euch Hehrsten und Reinsten, reiner als alles andere auf der Welt? Mit trotziger Gebärde schüttelt ihr den Schmutz von euch, aber liebend neigt ihr euch dem Einsamen, der Ruhe und Trost suchend sich in euren Falten verbirgt. Opferaltäre seid ihr und der trunkene Blick, 160 der euch entgegenstrahlt, ist das frömmste Dankopfer, das je auf Erden dem Überirdischen von schwacher Menschenhand gebracht wurde!

Feierlich rieselt das scheidende Licht an den blauschattigen Wänden und Hängen herab. Über den Gipfeln spannt sich, alle Weite umfassend, die unsagbar hohe Himmelsglocke. Glühend in Liebe und Sehnsucht ist sie im Süden und Westen; stahlblau wesenlos im Zenith und wie in mystischen Polarlichtern versinkt sie im Osten.

Und endlich gleitet das weite Land in den Purpur der Nacht. Mit blauen Fingern greift sie höher und höher und still verlöscht sie ein Licht nach dem andern. Jetzt wird die Reisalpe ganz dämmerig, dann schweigt das kecke Horn des Gippel; noch glüht der Göller; dann versinkt auch er. Lange leuchten noch die Lichter von Schneeberg und Ötscher hinaus in die Niederungen. Grüße der Himmlischen an die Staubgeborenen. Dann auch dort Nacht. Nur im Westen brennt einsam, ganz verlassen in der violetten Einsamkeit ein hoher, ferner Berg.

Ist dort die himmlische Flamme, die Prometheus niederholte zu den Menschen?

Dann wird es ganz still, ganz dunkel. Später erst stickt eine unsichtbare Hand in wundersamen Figuren Stern auf Stern in die Nachtbläue und im flachen Land erglimmt da ein Licht, dort wieder eines; da sind einige gesellig beisammen, dort stehen sie übereinander, dort im Dreieck, willkürlich, ordnungslos: Menschenwerk. Im Osten ein schwacher, trüber Schein, das ferne Licht der großen Stadt.

Wie oft verträumte ich den Rest des Abends im Franz-Krebs-Schutzhaus. Jetzt hockt zwischen seinen Trümmern 161 das grausige Schweigen der Winternacht und starrt mit grünfunkelnden Augen in die Weite.

Hinab mußte ich, durch Nacht und finsteren, steilen Wald nach dem Örtchen St. Corona – eine tolle Skifahrt!

Da ragte ein Zweig hindernd in den Weg, jäh entstieg dem Dunkel, das in den Augen schmerzte, ein Baumstamm. Kobolde kicherten von rechts, von links, hinter mir lachte es; ein boshafter Waldkauz äffte von vorne. Eine Schneelast fiel dumpf auf mich. Durch die Zweige sprang mit seltsamem Laut ein Tier. Waren es seine Augen, die dort unten glühten, oder waren es Schneekristalle, welche das Licht eines fernen Sternes widerstrahlten? Schweigen, atembeengendes Schweigen ringsum, und doch ein Fluten nicht zu erfassender Laute. Ein Pianissimo-Scherzo holzbläsernder Kobolde durchkicherte den Wald, jagte im tollsten Staccato durch die Stämme, überstürzte sich auf dem Schneeboden und huschte die Bäume empor. Dort aber, wo jene dem Sternenlicht Raum ließen, klang ein weiches, süßgedämpftes Adagio. Dann flitzten die Kobolde wieder heran, es kicherte und quiekte, ächzte und raschelte, summte und harfte. Aus dem nächtlichen Dunkel lösten sich phantastische Gebilde. Dort am Boden bäumte sich ein Riesenwurm, aus den Bäumen dort trat der seltsam behelmte Hüter des Waldes, dort hockten die Nornen. 162

Mühsam glitten die Skier bergab. Da trat plötzlich der Wald auf beiden Seiten zurück, im hellen Mondlicht lag eine weite Wiese, überragt von einer schwarzen Bergwand.

Vor ihr aber glühten die spärlichen Lichter von Sankt Corona . . .

Im Morgenlicht war alles so klar, so einfach. Wo waren die Kobolde und die gespenstischen Tiere der Nacht? Sind sie nur Ausgeburten der in der Finsternis besonders erregbaren Sinne oder lebt noch immer in Baum und Strauch Gott Pan und sein Geschlecht?

Wie nüchtern dagegen der Tag, der blasse Alltag, wenn auch hier in diesen Waldeinsamkeiten noch Poesie leise mitschwingt. Doch dem nachdenklichen Betrachter erstehen in dem wehmütig verklärenden Glanz der Ferne längst entschwundene Zeiten und Menschen. Die gute, alte Zeit! Auch die unsere wird es dereinst sein. Vielleicht bei dem rastlos vorwärtshastenden Tempo schon früher, als wir glauben; vielleicht schon in 40 Jahren, oder schon in 30, kaum, daß der Hügel sich über uns geschlossen hat.

Dann nimmt der Enkel die Blätter, die diese erste Niederschrift tragen, mit verträumter Miene zur Hand und ein Hauch rasch entschwundener Zeit wird ihn streifen. »Gute, alte, liebe Kinderzeit« wird er still sagen, so wie es uns jetzt noch warm in der Brust wird, wenn wir Schuberts gedenken und des ganzen trauten Wien vor Achtundvierzig. 163

Auf grauer Hauswand traf ich einst einen alten Spruch: »Glück und Unglück, beides trag' in Ruh', alles geht vorüber – und auch du.« –

In die Südhänge des Schöpflgebirges schmiegen sich zwei Orte: Sankt Corona und Klein-Mariazell. In Sankt Corona stand seit den Tagen der Gotik eine hölzerne Kapelle. Über sie bauten fromme Hände im Jahre 1744 die jetzige Kirche. Aber der zweite Name des Ortes, wahrscheinlich der ursprünglichere, klingt noch bis in unsere Tage: zum heiligen Brunnen. Eine modern-gotische Kapelle, die am Fuß des Kirchenhügels steht, umschließt hütend das heilige Wasser.

Ungleich älter und interessanter ist Klein-Mariazell. Ein tragisches Schicksal waltete über diesem Ort, der sich rühmen kann, älter zu sein als das steirische Mariazell. Denn schon 21 Jahre früher, 1136, gründeten Markgraf Leopold der Heilige und die Grafen Schwarzburg den Ort und das Stift, welches sie Benediktinern übergaben.

Wohl kündet aus dieser Zeit kein Stein und kein Epitaph. Aber das wohlerhaltene romanische Portal weist dennoch in sehr ferne Jahre zurück. Denn spätestens um 1250 muß es entstanden sein, wenn nicht die Reinheit seiner Formen die Entstehung noch einige Jahrzehnte früher ansetzen läßt. Herrlich sind daran die feinen Knospenkapitelle und die wundersamen, echt romanischen Blattverschlingungen. Die reiche Ornamentik der Bogenfriese ähnelt in Details dem Riesentor von Sankt Stephan.

Die Kirche ist als ehemalige Stiftskirche groß und prächtig. Die schönen Deckenfresken malte zur Zeit Maria Theresias Johann Bergl. 164

Die Geschichte des Ortes berichtet nur Unglücksfälle. Ein Jahrhundert nach der Gründung zerstörten magyarische Horden Ort und Stift. 1257 wurde das Kloster von neuem geweiht, aber schon 1410 vernichteten aufrührerische Sektierer den jungen Wohlstand. Den Rest gaben 1529 die Türken und dann blieb das Kloster Ruine, deren Stille nur das Klopfen eines Binders durchdrang. Milde Spenden ermöglichten eine notdürftige Herstellung, aber 1603 wütete ein verderblicher Brand und 1683 fiel die Ansiedlung dem Grimm der Moslemin zum Opfer. Erst gegen 1730 konnte sich Stift und Ort etwas erholen. Aber da wurde 1782 das Stiftsgut in eine Religionsherrschaft umgewandelt, das Kloster aufgehoben und später an Private verkauft.

Der geschlossene Ort ist verschwunden. Zerstreut liegen die wenigen, armen Häuser am Klosterbach und in den Seitengräben.

Gegen Süden aber entragen der Furche des Triestingtales im gleißenden Winterkleid die scharf gezeichneten Gipfel der Voralpen . . . eine andere Welt.

 


 


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