Egid Filek
Wienerwald
Egid Filek

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VII.

Geologischer Spaziergang.

Tullnerbach – Hochrotherd – Sulz – Heiligenkreuz – Mayerling – Alland – Raisenmarkt – Peilstein.

Wollen wir einmal eine geologische Wanderung unternehmen?

Nicht mit dem Rüstzeug des wissenschaftlichen Forschers, mit Hammer, Kompaß, Barometer, Kamera und Schichtenkarte ausgestattet – o nein, für unsere Zwecke genügt vollkommen der treue, verläßliche Wanderstab und allenfalls ein guter Feldstecher. Und das forschende, prüfende und vergleichende Auge, ohne das auch dem wissenschaftlich Gebildeten die besten Instrumente nichts nützen können.

Aus der weichen Waldwellenlandschaft des Wiener Sandsteins wollen wir in die Kalkzone in der Umgebung von Heiligenkreuz, des Peilsteins und des Eisernen Tores wandern und die Erkenntnis gewinnen, wie auch die 112 feinsten Eindrücke, welche die Landschaft auf das Gemüt macht, schließlich doch auf dem breiten, dunklen Grunde geologischer Tatsachen ruhen.

Wir wenden uns von Tullnerbach aus in der Richtung gegen Süden, wandern eine Zeitlang am Ufer des »Wienerwaldsees« und steigen sodann durch die Wolfsgräben nach Hochrotherd. Von diesem Punkte, der 521 m Meereshöhe erreicht, gehen strahlenförmig einige Gebirgszüge aus. Weißtannenbestände unterbrechen die Eintönigkeit der großen Buchenwaldungen. Keine Chronik gibt uns Auskunft über die Schicksale des Dörfchens in vergangenen Tagen; hier waltet die ungeschichtliche Natur, die allerdings den Ort mit solchen Reizen geschmückt hat, daß man Hochrotherd wohl als das schönst gelegene Dorf des Wienerwaldes bezeichnen kann. Der Ausblick von dieser Stelle, die an Höhe fast dem Hermannskogel gleichkommt, ist unvergleichlich. Am besten genießt man ihn bei einer Wanderung auf der nach Ost gerichteten Höhe, die gegen Kaltenleutgeben führt. Hier steht man an der Grenze zwischen Kalk- und Sandstein; im Nordosten schließen sich die Sandsteinberge zu einem ungeheuren Waldamphitheater zusammen; die Turmspitze von Breitenfurt ragt empor, der Rote Stadel liegt friedlich im saftigen Grün der Wiesen; zwischen dunklen Berglinien schimmert ein Stückchen Wien und ein scharfes Auge erkennt die Kuppel der Karlskirche. Deutlich siehst du, wie die vom Hauptrücken des Sandsteinzuges herabkommenden Gewässer zuerst weite Talmulden durchfließen, bevor sie in die Spaltentäler des Kalkgebietes eintreten. Im Süden tritt der zackige Kalkrücken des Eisernen Tores in mächtiger Linie 113 hervor; das herrlichste Bild aber zeigt sich im Südwesten – der Schneeberg. Rechts gibt der Sandsteinzug, links das Kalkgebirge einen äußerst wirkungsvollen Rahmen; und in stiller Majestät leuchtet das silberne Haupt des höchsten Berges von Niederösterreich, blitzend wie Kristalladern ziehen sich die weißen Schneestreifen in die Tiefe und an schönen Frühsommerabenden genießt man hier ein Schauspiel, das an das Alpenglühen des Hochalpengebiets erinnert. Die Kalkberge an der steirischen Grenze, der stumpfe Kegel des Ötschers, der blaue Himmel mit fliegenden, weißgeballten Wolken – es ist ein Hohes Lied von der Schönheit der Heimat.

Wir setzen unseren Weg nach Süden fort und kommen über die Wöglerin nach Stangau und endlich in das Dörfchen Sulz mit seinen schönen Obstgärten. Hier ist es wohl zur Zeit der Baumblüte am reizvollsten, wenn Hunderte von weißen Blütenwolken gleichsam in der warmen Luft schweben, von Bienen umsummt und von Schmetterlingen umflattert; wenn die Wiesen ihren grünen Mantel ausbreiten und der Frühling Tausende von gelben, weißen, roten und blauen Blumensternen hineinstickt. 114

Sulz entstand aus einem Jagdhof der Babenberger, wie so viele Ortschaften des südöstlichen Wienerwaldgebietes. Vielleicht war diese Gegend vor Zeiten viel reicher besiedelt als heute; wir wissen von einem Schenkungsbrief des Babenbergers Heinrich von Mödling, der Sulz samt dem Dorfe Kegelbrunn, das heute gar nicht mehr besteht, dem Stift Klosterneuburg schenkte, aus dessen Besitz es später an Heiligenkreuz überging.

Südlich und südöstlich von Sulz ändert sich das Bild der Landschaftsformen. Die großen Täler ziehen von West nach Ost, es sind deren fünf: das Schwechattal, das Tal des Sattelbaches, das Mödling-, Dürrliesing- und Reichliesingtal. Die Täler sind breit, der Boden ist mit Wiesen und Feldern bestellt, die Hügelrücken tragen Laubwald; das ist etwa das Bild der Sittendorf-Gaadener Talmulde oder des Schwechattales von Alland bis Mayerling. Die klaren Bäche, von Weidenbüschen begleitet, schlängeln sich in vielseitiger Krümmung am Boden des Tales dahin. In den engen Seitentälern dagegen gibt es steilwandige Schluchten, oft senkrechte Felswände, die sich von größeren Hochflächen herabstürzen; die Bäche führen große Steine, Schuttgeröll und Felsblöcke liegen an den Talgehängen und auch mitunter auf der Hochebene; steinerne Türme und Nadeln starren empor, auf steilen Bergen erstand manche Raubritterburg, die heute längst in Ruinen liegt, und an vielen Stellen führen Höhlen ins Innere der Kalkfelsen, Zufluchtsstätten der angstvollen Bewohner in Pestzeit und Türkennot. Solche Bilder zeigt die Umgebung von Mödling, das Peilstein- und Höllensteingebiet. Und während das Sandsteingebirge des Wienerwaldes eine ununterbrochene 115 Wasserscheide darstellt, ist der Kalk von mehreren Gewässern quer durchflossen und in einzelne Gruppen zerteilt. Dadurch erscheint die Gegend frei und offen und geistigen und wirtschaftlichen Einflüssen aller Art leichter zugänglich.

Das ist die Landschaft, in welche die Babenberger und das Stift Heiligenkreuz im Mittelalter die Kultur getragen haben, und im ganzen bestehen ihre Grundlagen bis zum heutigen Tage, so unendlich verschieden von damals auch die geistigen und wirtschaftlichen Gewalten sind, welche die Menschen unserer Zeit bewegen.

Die Zisterzienser sind ein ackerbautreibender Orden. »Benedikt liebt die Berge, Bernhard die Täler, Dominicus die Städte.« Auf Veranlassung seines Sohnes Otto von Freising, des Geschichtschreibers Friedrich Barbarossas, beruft der Babenberger Leopold der Heilige 1134 zwölf Mönche aus Morimond unter ihrem Abte Gottschalk in den Ort »Sattelbach im Waldtale« und schenkt ihnen »das ganze ihm zuständige Gebiet mit allen bereits bebauten oder noch urbar zu machenden Äckern, Wiesen, Weiden, Gewässern und Wäldern im Umkreis des Ortes Sattelbach«. Sancta Maria zum heiligen Kreuz heißt die neue Gründung. Erst 51 Jahre später ist der Bau des Klosters vollendet, obwohl die Kirche schon 1139 geweiht wurde. Weinbau wird eingeführt, der noch heute bestehende Meierhof als Musterwirtschaft für die Umgebung eingerichtet, das Kloster erhält eine feste Umfriedungsmauer mit Toren und Zinnen zum Schutz gegen Feinde, die hier mit Recht reiche Schätze vermuten. Kolonien werden ausgesendet, so Zwettl im Jahre 1159, Likador in Ungarn, Lilienfeld 1206. Die Babenberger fördern das Stift in jeder Weise; Leopold 116 der Tugendhafte bringt 1188 aus Jerusalem einen Holzsplitter vom vermeintlichen Kreuz Christi und einen Dorn aus seiner Krone in die Schatzkammer; später erbat sich die fromme Maria Theresia ein kleines Stückchen davon für ihre Hauskapelle. Friedrich der Katholische und Friedrich der Streitbare, der letzte Babenberger, haben dem Stift mancherlei Vorteile zugewendet; ihre sterblichen Reste liegen in der Babenbergergruft des »alten Klosters«. Auch die Habsburger waren den Mönchen gewogen; der Abt Nikolaus von Heiligenkreuz erscheint als geheimer Rat Kaiser Albrechts, Abt Johannes war bei der Grundsteinlegung des Stephansturmes zugegen. Dann kamen arge Zeiten; Ungarn und Türken brannten das Gebäude nieder und plünderten seine Umgebung, aber schöner als früher erhob es sich aus den Trümmern. 1631 ist ein Heiligenkreuzer, Anton Wolfrath, als Bischof von Wien bezeugt. Aber die Mönche sind nicht nur Landwirte und Weinbauern, sondern fördern auch nach ihrer Weise Kunst und Wissenschaft; sie suchen jene große mittelalterliche Einheit des Glaubens, Wissens und Schaffens zu verwirklichen, die jedes Kloster zu einer Welt für sich gestaltet. Eine große Bibliothek wird angelegt, in die entlegensten Pfarrdörfer die klösterliche Bildung hinausgetragen. Wie sehr ist das Geistesleben von Heiligenkreuz mit der österreichischen Kunstgeschichte verknüpft! Drei Namen leuchten da auf: Giuliani, Altomonte, Rafael Donner. Wer ist dieser Altomonte, dessen Altarblätter eine so große Anzahl österreichischer Dome schmücken und der, trotz gelegentlicher Anlehnung an Maratti und andere Italiener, doch ein ganz eigenartiger Künstler war? 118 Stammte er wirklich aus Wiener Neustadt oder einem anderen Orte Deutschösterreichs? Soviel ist sicher, daß er als Deutscher von Geburt eigentlich Hochberg hieß. Einen großen Teil seines Lebens hat er in Neapel zugebracht und ist erst als alter Mann nach Heiligenkreuz gekommen. Hier schuf er nebst vielen kleineren Tafelbildern die Blätter der vier großen Seitenaltäre in der Stiftskirche und das riesige Wandbild im Sommerrefektorium: Christus speist die Fünftausend; damals stand er im dreiundachtzigsten Lebensjahr. Er beschloß sein arbeitsreiches Leben in den stillen Mauern von Heiligenkreuz; am linken Pfeiler des Chores in der Stiftskirche ist seine Grabtafel, gegenüber derjenigen des Venetianers Giuliani. Auch dieser bedeutende Künstler ist hochbetagt hier gestorben; umgeben von der Liebe und Verehrung gastfreundlicher Menschen, die ihn zu schätzen wußten, im Jahre 1744, ein Jahr vor Altomonte. Giuliani hat fast die ganze Bildhauerarbeit an den Altären der Kirche geschaffen. Meisterlich versteht er es, seine Skulpturen in den Raum hineinzustimmen, so daß auch geringere Werke dadurch Ansehen und Bedeutung gewinnen; fast noch größere Verdienste als durch seine Arbeiten aber hat er sich durch die unermüdliche und uneigennützige Pflege erworben, die er dem aufstrebenden Talente Rafael Donners gewidmet hat. Wie der arme Bauernbub aus dem Walddörfchen Breuesdorf als Sängerknabe ins Stift kommt, schlecht singt, aber vorzüglich modelliert – kein Stückchen 119 Wachs an den tropfenden Kirchenkerzen, kein Klotz weichen Holzes ist vor seinen immer formenden, bastelnden Fingern sicher – wie ihn Giuliani in die Lehre nimmt und bald, gleich Perugino von Raffael, von seinem rastlos arbeitenden Schüler überflügelt wird, das hört sich wie eine spannende Novelle an und ist doch geschichtliche Wahrheit. Österreich ist das klassische Land der Barocke und Rafael Donner ein Klassiker des Barockstils, und es ist schade, daß das Stift gerade von seinen Arbeiten fast nichts besitzt,

Wollen wir sehen, was aus vergangenen Tagen noch an Kunst und Schönheit hier zurückgeblieben ist, so müssen wir die Räume des Stiftes durchwandern, das sich nach Zisterzienserweise still und gefällig in die freundliche Talung hineinlagert, umschirmt von Mauern mit Toren wie einst in alter Zeit. Der große Barockbau des Konventgebäudes wurde 1627 nach dem Brande aufgeführt; das Portal zeigt im Wappen die schwörende Hand mit dem Kreuz und eine romantische Sage berichtet, daß Leopold IV., des Stifters Sohn, den Mönchen einstmals geschworen habe, das Kloster jederzeit zu schützen. Die Dreifaltigkeitssäule mit dem reichen Figurenschmuck, zur Erinnerung daran errichtet, daß das Stift 1713 von der Pest verschont blieb, und der Josefsbrunnen mit den Engelsgestalten und den großen Reliefs im Stiftshof stammen von Giuliani.

Die Kirche ist eine romanische Basilika von wunderschönen, klaren und einfachen Formen aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts mit hochgotischem Chor. Die köstlichsten Dinge aber enthält der Klosterhof; im Brunnenhaus Glasfenster aus dem 13. Jahrhundert von unschätzbarem Wert; den Kreuzgang mit entzückenden, 120 höchst abwechslungreichen Spitzbogen, die gotische Brunnenanlage aus dem 14. Jahrhundert, das Refektorium nach Sankt Bernhards Ordensregel gegenüber dem Brunnen gelegen und mit Altomontes Riesengemälde geschmückt, und die sehr stimmungsvolle Gruft der Babenberger. Hier ruht Friedrich der Streitbare in einer einfachen Tumba, deren Deckel von den Türken verstümmelt wurde; es ist das älteste erhaltene Grabdenkmal Österreichs; ferner Friedrich der Katholische, an dessen Hof Herr Walther von der Vogelweide »singen und sagen« lernte, Leopold V., der freigebige Wohltäter des Stiftes, der Akkon erobern half, Jasomirgotts Gemahlin Gertrud und die Enkel Rudolfs von Habsburg, Rudolf und Heinrich.

Und dann geht's hinaus aus der dämmerigen Kapelle, durch das Wiener Tor zum Kreuzweg hinab, der auch wenigstens zum Teil ein Werk Giulianis ist, dauerndes Zeichen seiner Dankbarkeit für die gastfreundliche Aufnahme als Familiar des Stiftes. »Es ist vorteilhaft, den Genius zu bewirten; gibst du ihm ein Gastgeschenk, er läßt ein größeres dir zurück . . .«

Von Heiligenkreuz führt uns eine rote Markierung in östlicher Richtung nach Gaaden, dessen Name schon 1099 urkundlich genannt wird und auf das althochdeutsche Wort gudan zurückgeht, das den Sinn von Haus und Stube vereinigt; Schloß und Kapelle sind sehr alt, die letztere bestand schon 1140, und ein Ministerialengeschlecht nannte sich die »Herren von Gaaden«. Und nach Norden führt die Marke weiter ins Herz einer der schönsten Wienerwaldlandschaften hinein, in die Gegend von Sparbach. Weithin dehnt sich hier der wunderbar heimelige 121 Liechtensteinsche Tiergarten; der Freund unserer heimischen Flora freut sich der entzückenden Orchideen, die sich in den Berggebieten des Höllensteins und der Gaisberge finden, so der Orchis militaris und maculata; von hohem Interesse ist ein blauer Lippenblütler, der »Drachenkopf«, den der berühmte Clusius hier 1585 entdeckte, dessen Standort aber später in Vergessenheit geriet, bis ihn der Botaniker Host nach 200 Jahren wieder fand. Unser lieber Volksdichter Ferdinand Raimund hat Sparbach sehr geliebt und seine Dichtung »Alpenkönig und Menschenfeind« ist 1828 zum großen Teile hier entstanden. An dem Schlosse Wildegg, das im wesentlichen noch die Gestalt von 1685 hat, haften Erinnerungen an die Reformationszeit; es galt als ein »rechtes Nest der Prädikanten«, die »gar wohl armiert in die Dörfer hinauszogen, zu taufen, zu predigen und teutsche Kirchenlieder mit dem armen, einfältigen und verführten Bauernvölkel zu singen«, wie es in den Chroniken jener Zeit heißt.

Aber unendlich viel weiter in die Vergangenheit zurück als jede geschichtliche Kunde weisen geologische Tatsachen. Und in der Umgebung von Heiligenkreuz gibt es in dieser Hinsicht des Merkwürdigen gar viel. Das große Meer der Tertiärzeit rollte seine blauen Wellen bis in die Nähe des Schwechat- und Sattelbachtales, und in einem Walde zwischen Siegenfeld und Heiligenkreuz kann man einen aufgelassenen Steinbruch mit Austernbänken sehen. Es gibt hier Bergbau auf Gips und Zementmergelbrüche; bei Sattelbach treten in den Lunzer Schichten Kohlenflöze auf, die das Stift Heiligenkreuz auszubeuten versuchte, doch mußte man die Schürfungen aufgeben, da die Badener 122 Quellen dadurch empfindlich gestört wurden. In weiter, freundlicher Tallandschaft liegt Alland, alter babenbergischer Besitz und Geburtsort jenes Friedrich von Baden, der als Freund und Schicksalsgenosse Konradins, des letzten Hohenstaufen, in Neapel hingerichtet worden ist; an das nahe Mayerling knüpft sich wohl die düsterste Episode aus der habsburgischen Familiengeschichte.

Und jenseits aller historischen Erinnerung ragt im Süden das dunkel bewaldete Haupt des Wexenberges oder Peilsteins empor.

Das ist ein hochgebietender Fürst im Reiche der Kalkberge, und alle Erscheinungen dieser merkwürdigen, phantastischen Welt treten hier am schärfsten zutage. Wenn man ihn von der Höhe des Eisernen Tores bei Baden betrachtet, zeigt er einen niedrigen Rücken und ist durchaus zahm. Aber das ist Täuschung. Denn die westliche, vom Eisernen Tor abgewendete Seite sieht ganz anders aus. Da gibt es starrende Zacken, Grate und Felsnadeln, zu allerhand kühnen Klettereien verlockend, echte Kalkgebirgsformen; turmgleich ragen aus dem Waldesdunkel steile Felsen auf, und bei einer Wanderung um den Peilstein herum, auf der Straße gegen Nöstach und bei den in tiefste Wald- und Felseneinsamkeit versunkenen Häusern von Holzschlag hat man den Eindruck einer kyklopischen Steinmauer, mit der das Gebirge gepanzert ist. Einzelne Klippen führen sogar eigene Namen: der Hahnenkamm, der Cimone. Und am Fuß der Felsenmauer liegen große Schutt- und Geröllhalden und verstärken den ernsten Eindruck tiefer Weltverlorenheit.

Das Dörfchen Schwarzensee am Peilstein, aus kaum zehn Bauernhäusern bestehend, kann man wohl eine Idylle 124 nennen. Von einem See allerdings ist nichts zu sehen, denn die kleine grüne Lache verdient diesen Namen nicht; aber prächtig guckt der Peilstein den Häuschen in die Schornsteine, gegen Nöstach in nackten, steilen Kalkklippen abfallend, die fast hochalpin anmuten, gegen Neuhaus wesentlich sanfter geböscht; das Schloß war einst Besitz jener Herren von Wolzogen, die im 17. Jahrhundert ihres evangelischen Glaubens wegen nach Deutschland auswandern mußten, wo ihre Nachkommen heute noch leben und manche von ihnen sogar – schriftstellerten. Grabsteine für zwei aus ihrem Geschlecht finden sich auch an der Pfarrkirche zu Strengberg bei Amstetten.

Mitten in öder Felslandschaft träumen die Trümmerreste von Arnstein. Das gleichnamige Geschlecht, das vom 12. bis zum 15. Jahrhundert dort hauste, ist längst erloschen; eine unheimliche Sage erzählt von einem Ritter von Arnstein, dessen Frau in seiner Abwesenheit einen Knaben mit einem Hundskopf gebar; da ließ der Ritter die Unglückliche in ein mit Nägeln bestecktes Faß werfen und dieses von der Höhe der Burg bergab rollen. Wo das Faß liegen blieb, erbaute er eine Kirche – die noch heute bestehende Kirche der Ortschaft Raisenmarkt, die unterhalb Arnstein gelegen und schon im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnt ist.

Doch fort mit solch traurigen Geschichten . . . laßt uns lieber die merkwürdigen großen Höhlen besuchen, die am Fuß der Ruine liegen! In ihnen fand man prähistorische Knochenreste von Menschen und Tieren und sie mögen ganzen Generationen von Raubtieren zur Wohnung gedient haben. Auch die Höhlen gehören zu den bezeichnenden Erscheinungen des Kalkgesteins und verdienen in 125 hohem Maß das Interesse, das ihnen von alters her entgegengebracht ward. Der Kalk ist reichlich mit größeren und kleineren Spalten durchsetzt; darin versinkt das Wasser, sucht sich einen unterirdischen Weg, erweitert sein Bett und vergrößert dadurch die Hohlräume. In ihnen hat der Urmensch seine erste Wohnstätte gefunden, von hier aus verbreitete sich der matte Dämmerschein frühester Kultur. Und unheimliche Bilder steigen vor unserem geistigen Auge auf, Bilder grauenvoller Kämpfe zwischen Mensch und Raubtier um den Besitz des geschützten Wohnraumes. Denn auch die Geschichte der menschlichen Kultur war stets ein Kampf gegen feindliche Gewalten, voll Roheit, Hinterlist und Tücke, vor hunderttausend Jahren nicht anders als heute, im Zeitalter des blutigsten Weltkrieges. 127

 


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