Egid Filek
Die wundersame Wandlung des Herrn Melander
Egid Filek

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XII.

Sie saßen in Herrn Melanders spartanischem Zimmer um den Eichenholztisch herum: Thurneisser, Doris, Melander und Hans Jakob Christoffel.

Morgensonnenlicht kam in breiten Strömen durch die klaren Fensterscheiben. Die weißen Rosen, die in einfacher Tonschale auf dem Tische standen, schimmerten wie Seide; draußen vor dem Fenster neigten die bunten Topfblumen ihre Köpfe dem frischen Winde, und drinnen neigten sich vier Menschenhäupter über das Werk eines Dichters.

Denn Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen las ihnen aus seinem Simplizissimus.

Er schleppte den Stoß beschriebenen Papiers, aus dem in groben Umrißlinien das ganze dicke Werk verzeichnet stand, von einem Ort zum andern, nicht anders als die Kätzin ihre Brut. Und wenn ihn dann der Arbeitsteufel packte, schrieb er daran weiter, bastelte und modellierte, strich ganze Kapitel aus und fügte neue zu; dachte auch gar nicht daran, das Opus, das so bunt war wie die ganze damalige Welt, jetzt schon irgend einem Drucker zu überantworten; nein, es sollte noch lange Zeit wachsen und zunehmen, reif werden und abliegen wie ein später süßer Winterapfel.

Wenn aber so ein heißer und närrischer 171 Künstlermensch glaubt, daß ihm ein Guß gelungen ist, so kann er nicht anders, er muß ihn den andern zeigen, ihr Lob, ihren Tadel herausfordern; kampfbereit wie eine Löwin sitzt er vor seinem Jungen und verteidigt es gegen die ironisch lächelnde Welt mit den Zähnen des Witzes und den Krallen der Bosheit.

Den drei Menschen aber, die er lieb gewonnen, wollte Hans Jakob zeigen, wie ganz anders er das Leben sah als die gelehrten Herren mit den großen Perücken, denen die Kunst ein Stoff für ihre gelehrten Traktätchen war; oder die Poetlein mit den ambraduftenden Locken und dem gezierten Getue, die Dichter der süßen Schäferspiele, Ballette und Feuerwerkskünste, die damals die Welt des Scheins regierten.

Wunderlich erinnerte ihn das stille Nest an seinen Heimatsort Gelnhausen, der alte Thurneisser an seinen Knän, dem die arme Bauernhütte mit den rauchgeschwärzten Wänden kostbarer schien als manches adelige Schloß, und Melander zu Geislingen an seinen Herzbruder, mit dem er zur Schlacht zog und den er in böser Krankheit pflegte; aber die fragenden Augen der stillen blonden Doris gemahnten ihn gar süß und selig an ein liebes Weib, das ihm hold gewesen, und von dem er nirgendwo erzählt hatte, auch in den verliebten Kapituln seines Simplizissimus nicht.

Und so las er ihnen von der Kinderzeit des tumben Knaben mit der Sackpfeife, vom Einsiedler im Walde und von der Roheit der wilden Soldaten, und zum Schluß das Kapitel aus dem dritten Buch, das 172 von dem närrischen Erzphantasten erzählt, der sich in der Poeterey überstudiert hat und für niemand Geringeren als den Gott Juppiter ausgibt.

»Ich sprach zu Juppiter: ›Wenn du die Bösen strafen willst, wirst du die ganze Welt mit Butzen und Stil ausrotten müssen; denn schickest du einen Krieg, so laufen alle bösen und verwegenen Buben mit, welche die friedliebenden guten Menschen nur quälen werden; schickst du eine Teuerung, so ist's eine erwünschte Sache für die Wucherer, weil alsdann denselben ihr Mehl viel gilt; schickst du aber ein Sterben, so haben die Geizhälse und alle übrigen Menschen ein gewonnen Spiel, indem sie hernach viel erben!‹ Juppiter antwortete: ›Du redest von der Sache wie ein gewöhnlicher Mensch, als ob du nicht wüßtest, daß uns Göttern möglich sei, etwas anzustellen, daß nur die Bösen gestraft und die Guten erhalten werden. Ich will einen deutschen Helden erwecken, der soll alle verruchte Menschen umbringen und die frommen erhalten und erhöhen.‹ Ich sagte: ›So muß ja ein solcher Held auch Soldaten haben, und wo man Soldaten braucht, da ist auch Krieg, und wo Krieg ist, muß der Unschuldige sowohl als der Schuldige herhalten.‹ Aber Juppiter sagte hierauf: ›Ich will einen solchen Helden schicken, der keiner Soldaten bedarf und doch die ganze Welt reformieren soll; in seiner Geburtsstunde will ich ihm verleihen einen wohlgestalten und starken Leib, Venus soll ihm geben ein schönes Angesicht, daß er Narzissum und Adonidem übertreffen soll, dazu eine sonderbare Zierlichkeit, Aufsehen und Anmutigkeit, so ihn bei aller 173 Welt beliebt machen wird; Merkurius soll ihn mit unvergleichlich sinnreicher Vernunft begaben, Pallas Athene ihn auf dem Parnasso aufziehen, und Vulkanus ihm seine Waffen schmieden, sonderlich aber ein Schwert, mit welchem er die ganze Welt bezwingen und alle Gottlosen unterwerfen wird ohne Hülfe eines einzigen Menschen.‹ Ich sagte: ›Wie kann die Niedermachung aller Gottlosen und das Kommando über die ganze weite Welt ohne sonderbare große Gewalt und starken Arm geschehen?‹ Juppiter antwortete: ›Du weißt nicht, was meines Helden Schwert für eine seltene Kraft an sich haben wird. Vulkanus wird es aus denen Materialien verfertigen, daraus er mir meine Donnerkeil machet, und dessen Tugenden dahin richten, daß mein großmütiger deutscher Held, wann er solches entblößet und nur einen Streich damit in die Luft tut, einer ganzen Armada auf einmal die Köpfe herunterhauen kann. Also wird er von einer Stadt zur andern ziehen, einer jeden ihr Teil Landes um sie hergelegen in Frieden zu regieren übergeben und von jeder Stadt durch ganz Deutschland zween von den klügsten und gelehrtesten Männern zu sich nehmen, aus denselben ein Parlament machen, die Städte miteinander auf ewig vereinigen, die Leibeigenschaften samt allen Zöllen, Zinsen, Gülten und Ungelten aufheben und solche Anstalten machen, daß man von keinem Fronen, Wachen, Geld geben, Kriegen noch sonstiger Beschwerung beim Volk mehr wissen, sondern viel seliger als in den Elysischen Feldern leben wird. Dann werde ich oftmals den ganzen Chor der Götter 174 nehmen und herunter zu den Deutschen steigen, mich unter ihren Weinstöcken und Feigenbäumen zu ergötzen; ich werde Deutschland höher segnen mit allem Überfluß als das glückselige Arabiam, Mesopotamiam und die Gegend um Damaskus. Und das Privatleben der Deutschen wird alsdann viel vergnügsamer und glückseliger sein als jetzunder das Leben und der Stand eines Königs, und sie werden lauter Fabricii sein, welcher mit dem König Pyrrhos sein Königreich nicht teilen wollte. Mein Held aber wird mit seinen Parlamentsherren, die er aus allen deutschen Städten sammeln und die Vorsteher und Väter seines Vaterlandes nennen wird, eine Stadt mitten in Teutschland bauen, welche viel größer und reicher sein wird als Jerusalem zu Salomos Zeiten; er wird einen Tempel hinein bauen von lauter Diamanten, Rubinen, Smaragden und Saphiren; und die Könige von Engelland, Schweden und Danemark werden, weil sie deutschen Geblüts und Herkommens, ihre Kronen, Königreiche und Länder von der deutschen Nation aus freien Stücken zu Lehen empfangen, und alsdann wird wie zu Augusti Zeiten ein ewiger beständiger Friede zwischen allen Völkern in der ganzen Welt sein . . .‹«

So verrann Stunde um Stunde, und noch immer saßen die drei Zuhörer und lauschten mit glühenden Wangen der breit dahinfließenden Erzählung, bis endlich Hans Jakob ermüdet sein Manuskript von sich schob und rief:

»Potz Wetter, die Sonne steht ja schier in Mittagshöhe, nun lassen wir's endlich mit dem Lesen 175 genug sein. Zumal mein Magen schon gewaltig knurrt und die Zunge mir beim Maul heraushängen will vor Durst.«

Da wachten sie auf wie aus einem tollen Traum und redeten dies und jenes über das Gehörte, indessen Hans Jakob den Alten und seine Enkelin auf die Burg geleitete und Melander, noch immer in tiefes Sinnen verloren, sich ihnen anschloß.

»Was für ein absonderlicher und wunderbarer Mensch von großen Gaben müsset Ihr sein, Herr von Grimmelshausen, daß Euch solch ein Werk gelingen mag«, sagte Melander nach einem langen Schweigen.

»Lasset das Wunderbare getrost fort und nennet mich einen Menschen, wie er eben sein soll, einen, dem nichts Menschliches fern geblieben, einen ehrlichen Soldaten in des lieben Gottes tausendjährigem Kriege, der seine Piken und Musketen mit Ehren bis zum Grab tragen will, so will ich's gelten lassen und Euch danken«, antwortete Grimmelshausen und drückte seine Hand. Es tat dem Dichterherzen gar wohl, einen eifrigen und günstigen Zuhörer gefunden zu haben.

»Wie möget Ihr denn aber nur das alles zu Papier bringen und in so schmiegsame Worte kleiden, die das Geschehene sanft umfließen wie ein Kleid unseren Leib?« fragte Doris leise. »Sicher, Ihr seid von unserem Herrgott gar sonderlich vor anderen Menschen hoch begnadet.«

»Ist wohl nicht so weit her mit unserer armen Poetenkunst«, lächelte Hans Jakob. »Es mag nur sein, daß der Poet das stärkere Gedächtnis hat; er 176 kann festhalten, was sein Auge sieht und sein Herz bewegt, bis es klar und deutlich auf dem Papier steht, mit hingemalten Buchstaben und schwarzer Tinte. Allein es laufen gewißlich unter den anderen Menschen viel poetischere Naturen umher als mancher poeta laureatus. Insonderheit ist der edlen Frauen und Mädchen Gemüt so beschaffen, daß es tiefer empfindet und dem Herzschlag der Natur und des Menschenlebens besser lauschen kann als wir Männer. Dahero die Poeten auch immer das Geschlecht der Frauen hoch geschätzt und wert gehalten haben; und zum Zeugnisse dessen hab' ich einen Dichter gekannt, der alle seine Poesien zuerst einer treuen alten Amme vorgelesen und nichts zum Druck befördert, als was ihr gut gefallen. Und war doch nur eine einfache Frau, wenngleich ihr das Herz auf dem rechten Fleck saß.«

Dann mengte sich Thurneisser in das Gespräch und wollte Aufschluß über den Fortgang der Handlung haben, und so kam es, daß Doris und Melander ein Stück vor den Männern einhergingen, aber gar nicht wie zwei Verliebte, vielmehr gleich Menschen, die sich eben kennen gelernt und nun artig eine Strecke des Weges nebeneinander schreiten; sie vermieden es, sich anzublicken, und was sie sprachen, klang höflich und sogar ein wenig befangen.

Es war die natürliche Rückwirkung auf das Geständnis von gestern; es war des scheuen, herben Mädchens stolze Zurückhaltung dem Manne gegenüber, von dem es weiß, daß sein Herz den letzten Entscheidungskampf kämpft.

Mit den geschärften Augen erwachender Liebe 177 hatte Doris gestern die Szene auf dem Burghof beobachtet.

Es war ja nicht neu, was sie sah: lange schon hatte sie darum gewußt, hatte geahnt, daß eine solche Stunde kommen würde, gleichsam die letzte Auseinandersetzung von zwei Gegnern vor einer großen Schlacht. Nun war sie da . . . gut, sie sollte sie gerüstet finden.

Und so brauchte sie die Worte des Gespräches, das Melander und Belinda führten, gar nicht zu vernehmen, brauchte nichts zu sehen von dem heimlichen Manöver mit dem Zettel: sie wußte genug.

Durch das bunte Traumland des Nachtfestes schritt sie dahin, mitten in dem fröhlichen Trubel einsam und verloren in Gedanken. Hans Jakob gesellte sich zu ihr und hofierte ihr in seiner Weise, und weil er das Herz voll hatte von seinem neuen Werk, sprach er davon und bat sie, morgen mit Herrn Melander und dem Großvater ein paar Kapitel anzuhören. Fortunato, angelockt von der herben Kühle, die von ihr ausging, führte sie im Reigen durch das Gewühl der Tanzenden und brachte die artigsten Complimenta an, die sie mit vollendeter Sicherheit und ein wenig spitzig erwiderte. Die Kavaliere tanzten mit ihr und mühten sich um ihre Gunst, und aus all den fremden Männeraugen glänzte sie etwas an, das ihrer weiblichen Eitelkeit schmeicheln mußte; und dennoch schwamm ihr Lächeln und der rosige Schein der Lebensfreude in den Wangen nur gleichsam auf der Oberfläche ihres Wesens, und ihre Seele war voll von Schwermut und Bangigkeit. 178

Denn sie wußte, daß es ihre Herzenspflicht war zu warten, bis jener Kampf so oder so entschieden war. Versage dich! Es stand vor ihren Augen wie ein Befehl. Die edelste Herzenseinfalt und die schlaueste Koketterie: unbewußt schreiten sie beide denselben Weg, der sicher zum Herzen des geliebten Mannes führt.

Warten! Es ist die Grundlage der Liebe und das Geheimnis des Glücks.

Aber sie litt dennoch genug auf dem kurzen, sonnigen Weg von Melanders Haus bis zum Schlosse, so sehr sie sich bemühte gleichgültig zu scheinen, und merkte jetzt erst mit heimlicher Angst, daß der treue, ernste Mensch an ihrer Seite ihr gar nahe stand und sie ihn nur mit bitteren Schmerzen verloren gegeben hätte.

Sie trennten sich; Doris, um drinnen im Stübchen dem wolfsmäßig hungrigen Hans Jakob ein bescheidenes Mittagmahl zu rüsten, das ihm im Augenblick viel wichtiger war als der ganze Simplizissimus mit seinen sechs Büchern und drei Continuationes; Melander, um später mit dem Grafen zusammenzutreffen, der noch einige Wiesen und Felder zu besichtigen wünschte; aber keines sah sich nach dem andern um . . .

Kopfschüttelnd verfolgte Großvater Thurneisser diese Entwicklung der Dinge.

So ahnungslos er sonst dem Lauf der Welt gegenüberstand, eingesponnen in das goldene Netz seiner Töne: daß die beiden sich nimmer gleichgültig waren, merkte er endlich doch. 179

Und er freute sich dessen in seiner stillen, beschaulichen Art; des Mädchens Zukunft schuf ihm Sorge und das Alter mancherlei leibliche Gebrechen, und Melanders ernstes Wesen hatte ihm von je gefallen – was sollte das nun wieder bedeuten, daß sie schweigend und verschlossen auseinandergingen, daß Doris nicht im Haus herumsang und auf die Scherze des gierig essenden Hans Jakob kaum ein halbes Lächeln zur Antwort gab?

Er kreuzte im Zimmer hin und her wie ein Schiff, das sein Steuer verloren; endlich legte er sich in seinem Lehnstuhl vor Anker und beschloß in Geduld zu harren, wie der liebe Gott es weiter fügen würde.

Ja, ja – er hatte Geduld genug erlernen müssen in den siebzig Jahren seines Lebens! 180

 


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