Egid Filek
Die wundersame Wandlung des Herrn Melander
Egid Filek

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IX.

Es bedeutete für den Sekretarius immerhin eine gewisse Genugtuung, daß ihn sein Gebieter wenige Tage nach den eben geschilderten Vorgängen zum Mitwisser eines diplomatischen Geheimnisses machte.

Seine kaiserliche Majestät hatte nämlich beschlossen, den neuen Kämmerer zugleich mit einigen Geschäftsträgern in politischer Mission nach Frankreich zu senden, wo damals der allmächtige Kardinal Mazarin das Staatsschiff so geschickt zu lenken verstand, daß es heil und beutebeladen zwischen den tausend Klippen wieder herauskam, an denen andere Gemeinwesen kläglich scheiterten; noch drohte in Paris der Kampf mit der Fronde, noch empörte sich das Bürgertum gegen fürstliche Übermacht, und der große Feind des Habsburgers, der vierzehnte Ludwig, war noch ein Kind. Und dennoch zog eine dämonische Gewalt alles nach dem Westen, was neuerungsgierig und nach Glanz und Ehre lüstern war.

Auch in der Seele des gräflichen Herrn rührte sich heimlicher Ehrgeiz. Am französischen Hof gewesen zu sein: das galt mehr als ein hoher Orden.

»Ihr werdet mit mir reisen, Holtzapfel, werdet Eure alten Augen, so sich müd' und stumpf gelesen im alamodischen Complimentierbuch, ergötzen an den 132 wunderbaren Palästen, die jener Abbruzzensohn Mazarin in Paris von seinen welschen Landsleuten hat ausführen lassen; auch an der Pracht des Hoflebens und insonderheit an dem Frauenzimmer, das dort von besonderer Wohlgestalt und Ingenium ist, ganz anders als im plumpen Deutschland . . .«

Der Sekretarius lächelte dünn.

»Und auf dem Wege dahin wollen wir unserem Gute Eggenfeld einen Besuch abstatten und sehen, was Euer Protégé, Herr Melander zu Geislingen, daraus gemacht hat. Und behufs Erzeugung guter Laune nehmen wir uns den Hauptmann Christoffel von Grimmelshausen mit, der mag uns Kurier und Ambassadore und Hofnarr zugleich sein. Konvenieret es Euch so?«

Nein, das konvenierte dem Magister ganz und gar nicht; aber er konnte nichts anderes tun als beistimmend mit dem Kopf nicken – denn der Graf hätte ja den Landstörzer auf jeden Fall mitgenommen.

Als Hans Jakob den Wunsch seines Gönners vernahm, kratzte er sich hinter dem abstehenden linken Ohr:

»So will ich denn mitkommen in schuldiger Devotion gegen Euch, Herr Graf – doch bitte ich submissest, die Reise noch kurze Zeit aufzuschieben, es spuken allerhand neue Gedanken in mir, die wollen niedergeschrieben sein.«

»Kannst das auf der Reise besorgen, Hans Jakob«, meinte der Graf, »wir wollen bequem reisen und nicht zu schnell, sie werden am Pariser Hof schon auf uns warten können. Aber es soll eine kurzweilige 133 Fahrt sein für uns alle, und wir ernennen dich dahero zu unserem Pritschmeister und Impresario. Denke einmal über ein feines Amusement nach, daran auch die Frauenzimmer teilnehmen können.«

Hans Jakob kratzte sich zur Abwechslung hinter dem rechten Ohr und antwortete nach einigem Besinnen:

»Ich hab' einmal in alten Büchern gelesen von einem Ritter, der hieß Ulrich von Liechtenstein und zog als Frau Venus verkleidet durch ganz Österreich mit großem Gefolge, hielt auch allenthalben Turniere und Mummenschanz. Wie wär's, wenn wir was Ähnliches versuchten? Etwan ein mythologisches Festspiel auf Schloß Eggenfeld – der Herr Graf als Apollo oder Herkules und die Damen und Herren des Gefolges als Nymphen und Halbgötter?«

»Bravissimo,« rief der Graf, »das laß ich gelten. Aber nichts von Mythologie, das ist veraltet, lieber ein Schäferspiel. Wir nehmen Musiker mit, schöne Kostüme, Feuerwerk . . . Und droben auf der Burg Eggenfeld richten wir eine Bühne her und geben dem Volk ein kleines Fest. Was meint Ihr dazu, Sekretarius?«

»Es ist ein vorzüglicher Gedanke meines gnädigen Herrn. Wie werden sich die guten, aufrichtigen Bauern auf Dero Herrschaft freuen, Euch in solchem Glanz zu begrüßen!«

»Aber dazu brauchen wir ein ergötzliches Schäferspiel. Hans Jakob, nimm deine Kunst zusammen und schreib' uns ein zierlich Poem mit recht dankbaren Rollen, hörst du?«

Grimmelshausen erschrak. »Unmöglich, Herr Graf. 134 Hab' jetzo ganz andere Ideen im Kopf – es kribbelt wieder mal in mir, als sollt' was Neues werden, da käm' kein gutes Schäferspiel heraus. Aber warum versucht das neue Mitglied der »Fruchtbringenden Gesellschaft« nicht selbst . . .«

Aber der Graf wurde rot und meinte, daß dergleichen seiner Muse nicht liege und er lieber auf dem Kothurn der Wissenschaft einherschreite, um die teutsche Sprache zu verbessern.

Da mischte sich der Sekretarius ein, der eine Gelegenheit sah, Grimmelshausen auszustechen:

»Mit Verlaub, ich wüßte einen gar artigen Poeten, heißt Fortunato und ist ein Schüler des gelehrten Jesuitenpaters Avencinius, hat auch schon ein paar Carmina auf Seine Kaiserliche Majestät gemacht und viel Lob damit geerntet. Vielleicht könnte dieser junge Mann uns ein passend Poem anfertigen.«

»So bringt ihn einmal vor uns, Herr Magister, damit er eine Probe seiner Kunst liefere.«

Es geschah richtig einige Tage später, daß ein lang aufgeschossener junger Mensch mit blassem Gesicht und vornehm literarischem Gehaben beim Herrn Grafen Audienz nahm und ihm mit vielen schönen Worten folgendes Gedicht zu Füßen legte:

»Wo die Nymphen sich ergötzen,
Hab' an stillen Waldesplätzen
Diese Blüten ich gepflückt,
Sie als stummes Dankeszeichen
Euch, o edler Herr, zu reichen,
Dessen Huld mich hoch beglückt. 135

Hilft Gott Phöbus meinem Streben,
Meinen Reimen Glanz zu geben,
Aus der Sonne Heiligtum,
Laß ich hell die Leyer klingen,
Ein unsterblich Lied zu singen
Euch zur Ehre, mir zum Ruhm.«

Und dann überreichte er dem Grafen einen Strauß gelber Butterblumen, denn der Sekretarius hatte ihn auf die Bedeutung derselben für das neue Mitglied der »Fruchtbringenden Gesellschaft« aufmerksam gemacht.

Das Poem tat seine Wirkung.

Der Graf war erfreut über die Aufmerksamkeit und die sinnigen Verse; der Sekretarius triumphierte, er sah seinen Günstling schon als wohlbestallten gräflichen Hauspoeten; Fortunato aber bekam ein paar Goldstücke und den ehrenvollen Auftrag, ein kurzweilig und artig Bühnenstücklein zu schreiben, wofür ihm der Graf Kost und Losament gab, so daß sein Haushalt wieder um einen Schmarotzer vermehrt war.

Hans Jakob Christoffel aber ärgerte sich. Daß diese alberne Opitzerei dem Grafen gefallen konnte!

Er befand sich wieder mitten drin in einer seiner Häutungsperioden, wo er mit der ganzen Menschheit in Unfrieden lebte und nur in Bäumen, Wiesen und Bergen erträgliche Gesellschaft fand; denn der Plan zu einer neuen Arbeit gärte und kochte in ihm, und die sollte anders geraten als die Wundergeschichten und Schäferspiele, Donnerwetter!

Und so floh er die tollen Orgien Balthasar Thorns, rannte bei Regen und Wind in der Umgebung von Wien herum, stieg auf den Leopoldsberg 136 und blickte dem mächtigen Strom nach, der seine Gedanken forttrug in weite, neblige Fernen.

Es kamen Regentage.

In einen Holzknechtmantel gehüllt, der nichts anderes war als ein großes, kreisrundes Stück Lodentuch mit einem Hauptloch in der Mitte, schweifte Hans Jakob einsam durch die einsame Berglandschaft des Wienerwaldes.

In weiten, grünen Wellen legte sich Wald an Wald; wie Opferdampf erhob sich das ziehende, stille Gewölke aus den Buchenwipfeln und flutete dem Strom nach, den ewigen Kreislauf vollendend.

Und wenn dann die Wolkenquelle versiegt war und die helle Sonne sich in tausend funkelnden Wassertröpflein spiegelte, kam wohl ein oder das andere Mal ein Köhler mit der geschulterten Schürstange an ihm vorüber, brummte einen einsilbigen Gruß und stampfte weiter; oder es tönte mitten aus der Dunkelheit des Waldes ein Glöcklein, das Häuschen eines Einsiedlers verratend, der da mit dem Getier des Waldes in Bruderschaft beisammen lebte.

So floß denn all das in sein werdendes Werk: Waldesrauschen und Regenschauer, Weltflucht und einsames Sichversenken in die eigene Seele; der Strom war darin mit seinen ziehenden Wellen, der Nebel, der ob den Wäldern dampft, der Herzschlag deutschen Wesens, das nicht gedeihen kann im bunten, schellenklingelnden Getriebe der Sinnenwelt und immer wieder in das Dämmerlicht seiner heiligen Haine flüchtet, um nachzusinnen über Leben und Tod und Verklärung. 137

Und daheim zündete er dann seine Lampe an und schrieb und schrieb bis tief in die Nacht hinein.

Von einem törichten Waldknaben im Spessart, dem der wilde Krieg Haus und Heimat genommen; von dem Einsiedler im Walde, zu dem er sich flüchtet, bis rohe Musketiere ihn auch von dort vertreiben; von Feldzügen und Gelagen, Leidenschaft und Sünde, von einem unendlich bunten Menschenleben, das sich in seinen eigenen Flammen verzehrt und endlich in wehmütiger Betrachtung des Daseins nicht das Glück, aber die Ruhe findet.

Bild auf Bild stieg vor seiner Seele empor, kaum mochte die Feder nachkommen, um all das festzuhalten, was er sah; hatte er doch selber ein ähnliches Schicksal erfahren wie sein Held, hatte gerungen mit tausend Teufeln und sich doch am Ende das Eine erstritten, das dem Leben Wert gab: den Glauben an die eigene Kraft.

Ja, so war sein Werk, und er sah, daß es gut war, und es mußte Trost und Frieden in die Seelen jener bringen, denen er es zu eigen gab; und nachdem er das Ganze flüchtig skizziert, schrieb er die ersten Kapitel nieder, mit wachsender Freude an der Arbeit, und eines Abends fiel ihm auch der Titel ein; der lautete: Abenteuerlicher Simplicius Simplicissimus, das ist Beschreibung des Lebens eines seltsamen Vaganten, wie, wo und welcher Gestalt er nemlich in diese Welt kommen, was er darin gesehen, gelernet und erfahren, auch warum er solche wieder freiwillig quittieret hat . . .

Ein Sang war's, der aus jenen fernen Tagen 138 noch an unser Ohr dringt, während all das süßliche und gelehrte Geklimper der Zeitgenossen längst verstummt ist; ein Lied von tiefem Weh und jubelnder Lebenslust der deutschen Seele, das die neue Zeit unserer Dichtung ankündigt wie ein feierlicher Choral.

Und der es sang, war ein Mensch mit tausend Fehlern und Gebrechen, ein Schelm und Bruder Liederlich, der hundertmal gesündigt und bereut und hundertmal aufs neue gesündigt hatte; einer, der den Trank des Lebens in vollen Zügen trank und nicht nach der Hand fragte, die ihn kredenzte; ein Starker, Eigener, Selbstsicherer.

Einer derjenigen, denen kein Evangelium das Himmelreich verheißt, die hier auf der Erde stehen mit strammen Beinen und trotzigem Blick, damit sich in fernen Tagen immer wieder unsere Seele an ihnen aufrichten kann, wenn sie unter der Qual und Mühsal des zermürbenden Alltags verschmachten will.

* * *

Obzwar Hans Jakob dem Grafen versprochen hatte, ihn auf seiner Reise nach dem Westen zu begleiten, so hätte er sich doch keineswegs dadurch für gebunden erachtet und auch die fadenscheinigste Ausrede begierig ergriffen, wenn sich sein leichtbeweglicher Sinn plötzlich anders entschlossen hätte.

Aber als er sein Werk so weit gefördert, daß es in großen, mächtigen Linien eingezeichnet stand auf der schwarzen Tafel des Gedächtnisses und nimmer auszulöschen war, da überkam ihn eine Müdigkeit, und er fand es geraten, doch mit der Gesellschaft zu 139 ziehen, weil er von dem Wechsel der bunten Reisebilder neue Förderung und Anregung erhoffte.

Zehn bis zwölf Personen mochten es sein, ohne die Diener und das bewaffnete Geleite, die sich zu der fröhlichen Fahrt zusammenfanden; reiche, vornehme, glückliche Menschen, für die überall der Tisch gedeckt war, denen das Leben als blumengeschmückter Festtag erschien, und die auch diese Reise als bloßes Vergnügen betrachteten; junge Adelige mit alten, klingenden Namen, Grafen und Barone, auch ein paar reifere Lebenskünstler darunter, immer noch gern bereit, alle süßen Früchte des Daseins zu pflücken . . . Mächtig hatte der Krieg das Ansehen der Hochgeborenen gefördert, den Reichen noch viel reicher, den Armen noch ärmer gemacht. Berittene in Waffen eröffnen den Zug, dann folgt die fröhliche Kavalkade der Herren, die goldenen Degen blitzen, Sporen klirren, Hutfedern wehen im Winde, das Sattelzeug glänzt; man spricht französisch und italienisch, Scherzworte fliegen hin und her – wer sollte traurig sein, wenn der Sommerwind in den Bäumen rauscht, hoch in der Luft die Lerchen singen und der blaue Himmel sich so tief und klar über der grünen Landschaft wölbt? Hinter den bunten, glänzenden Kavalieren aber fahren schwerfällig und gemach die Wagen mit den Damen; die Fenster sind herabgelassen, oft bleibt einer oder der andere von den Herren zurück, um ein paar Artigkeiten mit den Schönen zu tauschen – man tut sich keinen Zwang an, ist man doch in der freien Natur und nimmer bei Hof, dessen steifes spanisches Zeremoniell der alte 140 bigotte Kaiser Ferdinandus immer so ängstlich beobachtet, daß jede Lebens- und Liebesfreude im Keim ersticken muß. Und die Damen lachen und plaudern und winken mit den Augen, die Pferdehäupter nicken und die Radachsen keuchen und knarren; so zieht es bunt und leuchtend vorüber, ein Stück adeligen Lebens auf der Wanderschaft, und wenn man des Reitens und Fahrens müde ist, steigt man aus und springt von den Pferden, Diener breiten die mitgeführten Zelttücher aus, Wein und Mundvorrat ist zur Stelle, und bald entwickelt sich ein fröhliches Lagerleben, die Herren haben ja in gut gesicherter Stellung den Krieg mitgemacht und wissen die Poesie eines Biwaks zu schätzen; man übernachtet im Freien, die Luft ist lau und der Sternenhimmel köstlich schön, weiche Decken und Kissen für die Damen sind zur Stelle; das Ungewohnte gibt der Sache einen romantischen Reiz. Ist das nicht der paradiesische, schuldlose Naturzustand, den die Schäferspiele so süß besingen?

Und so ziehen sie dahin, das Donautal aufwärts, durch das Tullner Feld, an den Trümmern zerstörter Ortschaften vorbei, die noch nicht aufgebaut sind, seit der Graf Puchhaim die letzten schwedischen Besatzungen aus den Städten an der Donau vertrieben; vorüber an Krems und Melk und Linz, überall staunend begafft von den armen Teufeln, die in Lumpen und Elend an der Straße stehen und mit Hüteschwenken und Vivatrufen den Zug begrüßen. Kein Groll rührt sich, keine Hand ballt sich zur Faust angesichts des ungeheuren Unrechts, daß ein paar maßlos Reiche auf Kosten von Hunderttausenden 141 Halbverhungerter leben, denen der Krieg das letzte genommen hat. Es ist, als wären sie diesen Schoßkindern des Glückes noch dankbar, daß aus ihrer glänzenden Welt ein Strahl von Licht in die bittere Armut derjenigen fällt, die so wenigstens auf der Brücke ihrer Phantasie in jenes Himmelreich gelangen können. Denn die da vorüberziehen, sind Wesen höherer Art und mit dem Troß von ordinären Sterblichen gar nicht vergleichbar . . .

Aber mitten unter den Herren tummelt der Graf sein flinkes, weißes Pferdchen; er weiß, daß er immer noch im Sattel eine gute Figur macht und freut sich dessen; sein Ansehen ist gestiegen, seit ihn der Kaiser so ausgezeichnet, man fragt ihn um Rat und lauscht gerne seinen Worten, die glatt und artig sind, wie es sich ziemt für den vollendeten Kavalier. Und dann wendet er das Pferd rückwärts und reitet neben dem Wagen seiner Dame, die verträumt an seinem Antlitz vorbei ins Weite blickt, als suche sie dort hinter blauen Bergen die Tage ihrer Jugend, die Zeit, da noch jeder taublitzende Frühlingsmorgen ein wunderbares Erlebnis war und jeder rotleuchtende Sonnenuntergang ein schwermütiges Glück . . . Ja, das ist vorbei und kann nicht mehr zum zweitenmal erlebt werden; und wenn sie sich nun der Liebkosung des Mannes hingibt, der ihre Rechte gefangen hat und sanft streichelt, während er das Pferd hart an den Rand des Wagens drängt, so weiß sie, daß dies alles ein letztes Glück für sie ist, kostbar und vergänglich, so nah' dem Schmerz verwandt als der Freude.

Und auch der Schelm Hans Jakob Christoffel sitzt 142 keck zu Roß und fühlt sich als einer von denen, die nun einmal zu dem Bestehenden gehören und mit denen die Welt rechnen muß; er hat als Hauptmann mit der Kriegsfeder das Kommando der bewaffneten Geleitsmannschaft übernommen, das schafft ihm eine gewisse Distanz gegenüber dem frechen adeligen Blut, das sonst leicht seinen plumpen Scherz mit ihm treiben könnte; aber sie haben Respekt vor ihm, weil sie sehen, mit welcher Auszeichnung ihn der Graf behandelt.

Einen allerdings sähe Hans Jakob gerne an seiner Seite reiten, den Balthasar Thorn, der ein ebenso loses Maul hat wie er und sich ebenso überzeugt zu der Meinung bekennt, man müsse dem, der uns einen Streich auf die linke Wange gibt, deren zweie auf die rechte hauen; das ist allerdings keine echt christliche Auffassung, aber man kommt besser durch die Welt damit. Leider hat der arme Balthasar Hausarrest und muß auf Befehl des Grafen den großen Bilderzyklus fertig machen, und wenn bei der Heimkehr des Hausherrn aus Paris nicht alles nach dessen Wunsch und Auftrag erledigt ist, so wird ihm der Rest des Honorars nicht ausbezahlt; denn Balthasar, der gute, leichtsinnige, verschwenderische und so gar nicht alamodisch gebildete Balthasar, hat es in der letzten Zeit denn doch ein wenig gar zu arg getrieben . . . So bleibt denn Hans Jakob der Sekretarius und der junge Poeta laureatus Fortunato zu gelegentlicher Gesellschaft; aber der Sekretarius ist ihm spinnefeind und behandelt ihn hochmütig, und Fortunato, in dunkler Ahnung der überragenden Größe seines Dichterkollegen, biedert sich ihm an und möchte gar zu 143 gerne etwas von den sublimeren Geheimnissen und Regeln der Tichterkunst zu seinem eigenen Profit aus ihm herauslocken; aber Hans Jakob spielt die spröde Jungfer und läßt ihn immer wieder aufs neue abblitzen.

Das wird ihm endlich zu dumm und er überläßt den Anmaßenden sich selbst; dem aber kann kein größerer Gefallen geschehen, denn wie die Schlange ihre Frühlingshaut, so hat er bald den Abenteurer wie den Kriegsmann ausgezogen, und nur der Dichter bleibt zurück, dem alles zum Erlebnis wird, der sich mit glühenden Sinnen vollsaugt an dem bunten Wechsel der Szene und alles in den Dienst seines Werkes stellt, das er Tag und Nacht, wachend und träumend mit sich herumträgt wie eine Mutter das werdende Leben. 144

 


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