Egid von Filek
Fresken
Egid von Filek

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Regen.

Wieder einmal so ein Hundewetter. Die Straße fließt von braunem Kot. Und die Straßenkehrer schmieren die dicke Schokoladebrühe noch mit ihren langen Besen hin und her. Ein feiner staubartiger Regen fällt, eintönig und langweilig. Und Kot, wohin man blickt. Nur das schmale Trottoir ist leidlich passierbar.

Vor mir watschelt ein behäbiger Bürgersmann mit großem Regenschirm und entsetzlich breiten Stiefeln. Das Gehäuse seiner Seele sieht wie eine Tonne aus. Er läßt sich Zeit. Tapp – tapp – tapp – tapp, genau einen Schritt in der Sekunde. Das ist sein täglicher Weg ins Wirtshaus.

Jetzt bin ich hinter ihm. Aber das geniert ihn nicht. Es fällt ihm gar nicht ein, mich auf dem schmalen Trottoir vorgehen zu lassen. Er brauchte nur einen Schritt zur Seite zu treten; 55 aber das brächte ihn aus seinem würdigen Gang heraus. Er könnte auch dabei seinen breiten Stiefel kotig machen. Um keinen Preis. Ruhig patscht er weiter. Tapp – tapp – tapp – tapp.

Ich werde nervös. Ich will nicht ins Wirtshaus, sondern in die Oper. Und es ist schon fast sieben, und die Tannhäuser-Ouverture darf man doch nicht versäumen. Dort leuchtet schon die Bogenlampe des Theaters. Und der Mensch läßt mich nicht vor. Jetzt geht er absichtlich langsamer. Na wart du!

Soll ich mit meinen neuen Schuhen in den Kot treten? Mich ebenso schmutzig machen wie meinen biederen Vordermann? Gut. Du hast's gewollt. Mit einem Sprung bin ich neben ihm – ein Tritt zur Seite – patsch – auch der zweite Schuh ist versunken – aber jetzt bin ich vor, wenn auch kotbespritzt und schwitzend, und hinter mir höre ich den Spießer entsetzlich brummen und schimpfen über die ungebildete Roheit der heutigen Jugend. Ich bin noch viel kotiger als er. Aber es tut nichts, vor mir liegt das goldig durchleuchtete Theatervestibül, im Geiste höre ich schon das Pilgerchormotiv – – – der Spießer aber brummt noch immer hinter mir drein.

Das gibt einen Kontrapunkt! 56



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