Egid von Filek
Fresken
Egid von Filek

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Nur das Weib.

Ungeduldig und hastig stieß sie die Spitze des rotseidenen Schirmes auf das Pflaster, daß es klirrte.

Schon der dritte Wagen in Sicht.

Vielleicht kommt er jetzt . . . .

Der Wagenführer riß den glänzenden Kupferhebel an sich und drückte zweimal die Glocke. Fünf, sechs Menschen verließen den Waggon, musterten sie mit einem gleichgiltigen Blick und gingen langsam die Straße hinauf.

Wieder zwei scharfe Glockenschläge – – ein Sausen, ein paar blaue Funken unter den Rädern. Sie blickte dem Waggon nach, bis er um die Ecke gebogen war.

Jetzt kommt er wohl nicht mehr . . . .

Sie wurde plötzlich so todestraurig.

Dann schlug sie den Weg ein, den sie vor drei Tagen miteinander gegangen waren, mit 29 gesenktem Kopf und müden Schritten; durch die engen Straßen, an dem trübfließenden Mühlbach vorüber mit seinen morschen Holztreppen, die zum Wasser hinabführten, an Gemüsegärten und kleinen Häusern mit blinden Fensterchen, an verwahrlosten Trümmern der alten Stadtmauer vorbei, über welche das dichte Blättergewirr des Efeus hing, dann den gepflegten Promenadeweg empor, der in die großen Baumanlagen mündete. Die Bäume trugen das helle, leuchtende, gelbgrüne Laub des ersten Frühlings; nur die Kastanien wollten ihre dicken braunen Knospen noch nicht ablegen und streckten sich faul und schläfrig in den blauen Himmel hinein.

Droben auf der Höhe des Berges lag die Meierei mit der großen, schattigen Gartenterrasse, von der aus man die Stadt übersah.

Sie nahm an einem der rotgedeckten Tischchen Platz und schälte langsam die weißen Handschuhe von den Fingern. Vor ihr tollten zwei kleine Mädchen mit ihren Bällen, daneben saßen Mütter und Tanten zwischen Kaffeegläsern und arbeiteten an Nähzeug und Häkelsternen, und weiter hinten spielten ein paar alte Damen Tarock.

Drunten lag die Stadt. Aus dem bunten Mosaik ihrer schwarzen, blauen und roten Dächer hoben sich die grünen Kupfertürme, die 30 schlanken, qualmenden Fabrikschlote und der graue Turm der Domkirche mit seiner großen Kuppel, der sie ein Baugerüst aufgesetzt hatten wie eine ungeheure Mütze. Und in der Ferne schlossen duftblaue Wälder und die sanfte Wellenlinie des Hügelzuges das Bild.

Die liebliche, sonnenhelle Landschaft stimmte sie unwillkürlich heiterer. Wie sie jetzt an den Rand der Terrasse trat und durch den hellgrünen Schleier der tausend zitternden Birkenblättchen hinabblickte, meinte sie gleichsam den Atem der Stadt zu fühlen, ihr Herz schlagen zu hören. Es drang ein leises, unbestimmtes Geräusch empor, das sich mit dem Flüstern des jungen Birkenlaubes vermengte und bald ganz erstarb, bald lauter wurde, je nachdem der leise Wind strich, der ihre heißen Wangen kühlte und die blonden Härchen im Nacken auseinanderblies. Unten begann eine tiefe Glocke zu klingen, dann eine zweite, eine Quint höher und eine dritte, eine vierte – – ein weicher gesättigter Accord, der mit seinen letzten Tonschwingungen im fernen Blau des Himmels zu verklingen schien.

Da stand sie nun und staunte mit großen, sehnenden Augen in den Frühling hinein. Über Nacht war er gekommen; ein Südwind hatte ihn mitgebracht und ein warmer Regen. Die Blätter der Blutbuche, durch welche die Sonne 31 schien, glichen zuckenden dunkelroten Flammen; der Flieder hatte seine schweren Blütendolden geöffnet, und die kleinen Kirschbäumchen streuten bei jedem Windstoß einen weißen Blütenschauer auf die Erde.

Über Nacht war er ins Land gekommen, wie in ihre Seele.

Vielleicht war es gar nicht der Mann, der sie aus ihrem Mädchenschlaf geweckt hatte; wenigstens dachte sie in diesem Augenblick, als sie sich über die Terrasse hinabbeugte und den Duft des Flieders einsog, gar nicht an ihn; nur ein süßes, unbestimmtes Ahnen durchzog sie, als müßte er in der Nähe sein, und sie streckte unwillkürlich die Hand aus, um nach der seinen zu greifen, als stünde er dicht neben ihr. Ihre keusche Seele war so voll und schwer von dunklen, unbestimmten Gefühlen, daß sie ausbrechen mußte wie eine Knospe, selbst bei der leisesten Berührung. Und diese verdankte sie ja doch ihm – – ach, sie war so glücklich und froh darüber, und sie wollte ihm danken ihr ganzes Leben lang – – nur danken – –

Die Schatten der Türme wurden länger und länger; ein kühler Wind strich von Westen her, und die Bergzüge in der Ferne hüllten sich in Nebelschleier.

Langsam ging sie den geschlängelten Weg 32 hinab, der Stadt zu. Sie sprach mit ihm in ihren seligen, stillen Gedanken, sie fühlte, daß er nebenher schritt und liebende Worte sprach, und lächelte glücklich wie im Traum. Die Straßen da unten waren staubig und voll lärmender, hastender Menschen. Sie wand sich zwischen ihnen durch, sie hörte und sah nur ihn neben sich.

Als sie dem Phantom ihrer Liebe gute Nacht sagen wollte, stand er plötzlich vor ihr. Er trug ein kleines Buch in der Hand, hatte den Hut aus der Stirne geschoben und den Spazierstock schief unter den Arm gesteckt.

Sie streckte ihm freudig die Hand hin. Er schien sehr verlegen.

»Verzeih mir, ich . . .« und nun folgte eine lange Entschuldigung.

Sie begriff nicht, wie er sich entschuldigen konnte, daß er nicht bei ihr gewesen war – – er, der ihre ganze Seele so erfüllte bei Tag und Nacht – – – Es mußte wohl ein triftiger Grund gewesen sein, warum er nicht gekommen war, aber sie hatte ihm kaum zugehört, seinen Arm an sich gedrückt und sofort wieder alles vergessen.

Langsam Arm in Arm gingen sie zu ihrem Wohnhause. Es war dunkel geworden. Sie schmiegte sich an ihn und sah ihm forschend in die Augen. Es lag etwas in ihrem Gesicht wie 33 stille, heimliche Angst. Denn sie fühlte, daß der, der jetzt neben ihr ging, ein anderes Wesen war als jener, der sie vorhin auf dem einsamen Spaziergang unsichtbar begleitet hatte . . . .

Sie betraten den kühlen, dunklen Hausflur. Hinter ihnen fiel die große Pforte leise ins Schloß.

Endlich kam es von seinen Lippen:

»Bist du mir bös?«

Sie lächelte. Jetzt erst schien ihre Zunge gelöst.

»Ach du, es war so schön. So still da droben. Und die ganze blühende Welt um mich so glücklich. Und siehst du – – ich war ja nicht allein – du warst bei mir. Ich habe gefühlt, daß du an mich gedacht hast. Und ich stand da droben – auf der großen Terrasse, weißt du, wo wir vorige Woche beisammen gewesen sind und du mich so glücklich gemacht hast mit deinen guten Worten. Und da hab' ich gewußt, daß du bei mir stehst und hinausblickst – und mir war, als ob ich dich atmen hörte – und dort, weit in der Ferne, wo das Gebirge anhebt und die alte Ruine wie ein blaues Märchen in die Luft steigt – dort – hat meine Seele – dich geküßt.« –

Sie schwieg.

Er atmete tief auf, ließ das Buch zur Erde fallen und schlang seine Arme wild und 34 ungestüm um sie, die starr, wie tot an seiner Brust lag und leise zitterte. Er küßte ihren halbgeöffneten Mund, heiß, stürmisch und brutal, wie der Mann küßt, der das Weib will – nur das Weib.

Und sie lag noch immer in seinen Armen; aber ihr Gesicht nahm plötzlich einen leidenden, müden Ausdruck an. Er merkte nichts und drückte sie immer wilder an sich.

Zwischen ihren Lidern quoll langsam eine Träne hervor. Er berührte ihre Augen mit seinem heißen, durstigen Mund – – –

Da zuckte sie zusammen und erwachte wie in jähem Schrecken.

»Laß mich los!« stieß sie keuchend hervor.

Er umarmte sie noch fester.

Da stieß sie ihn mit beiden Armen zurück, daß er taumelte, nahm ihr Kleid zusammen und flog die Treppe hinauf.

Er stand wie betäubt; nach einer langen Pause raffte er sich auf und schüttelte langsam den Kopf, als könne er das alles nicht fassen.

Droben in dem kleinen Mädchenzimmer warf sie sich, angekleidet wie sie war, auf das Sofa und weinte. Sie fühlte, daß etwas in ihrer Seele zerstört sei . . . . für lange Zeit . . . . vielleicht für immer . . . . 35



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