Egid von Filek
Fresken
Egid von Filek

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Das Muttermal.

Heute traf ich sie wieder, nach zwei Jahren zum erstenmal. Aber wie!

Damals hatten wir uns lieb gehabt. Sie war gut und lieb und unverdorben, und ich hatte sie nicht angerührt aus Scheu vor ihrer herben Schönheit. Nur das kleine Muttermal an ihrem Halse hatte ich geküßt – oft und heiß und ungestüm – aber ich verließ sie, wie ich sie gefunden hatte.

Heute traf ich sie wieder. Das arme Ding! Sie trug ein schweres Seidenkleid und einen Hut mit Federn, und an den kleinen, schlanken Fingern blitzten sogar Brillanten. Aber das Gesicht und selbst der Hals waren bedeckt mit häßlicher Schminke. Nur die Augen, die guten, treuen Augen waren dieselben.

An denen hab' ich sie erkannt.

Sie grinste mich freundlich an wie einen 53 Fremden. Aber als ich näher kam, sah ich, wie sie unter der Schminke tief errötete. Wielange mochte es sein, seit sie zum letztenmal errötet war!

Ich ging mit ihr. Aber ich berührte sie so wenig wie damals, als wir uns liebten.

Nur von ihrem Halse wischte ich die eckelhafte rosa Schminke ab, bis ich das Muttermal fand. Und dann konnte ich nicht anders: ich mußte es küssen und wieder und wieder küssen – wie damals –

Da legte sie den Blondkopf an meine Brust und weinte, laut und heftig und lange . . . 54



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