Johann Gottlieb Fichte
Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten
Johann Gottlieb Fichte

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Neunte Vorlesung.

Vom mündlichen Gelehrten-Lehrer.

Neben denjenigen Besitzern der Ideen, deren Geschäft es ist, durch Leitung der menschlichen Angelegenheiten die Idee unmittelbar in das Leben einzuführen, giebt es noch eine zweite Gattung: die eigentlich und vorzugsweise also genannten Gelehrten, welche die Idee zunächst darstellen im Begriffe; und deren Beruf es ist, die Ueberzeugung, dass es überhaupt eine göttliche, dem Menschen zugängliche Idee gebe, zu erhalten, diese Idee immerfort zur höheren Klarheit und Bestimmtheit zu erheben, und sie in dieser sich stets verjüngenden und verklärenden Gestalt von Geschlecht zu Geschlecht fortzupflanzen.

Dieser letztere Beruf theilt sich wiederum in zwei andere, ihrem nächsten Zweck und den Regeln ihrer Ausführung nach sehr verschiedene Geschäfte. Entweder nemlich sollen nur erst die Gemüther der Menschen zur Empfänglichkeit für die Idee herausgebildet werden, oder die Idee selber soll in einer bestimmten Gestalt für die zu ihrer Erfassung schon hinlänglich Gebildeten niedergelegt werden. Das erste Geschäft hat zu seinem nächsten und unmittelbaren Gegenstande bestimmte Menschen; der Gebrauch, der in derselben von der Idee gemacht wird, ist lediglich das Mittel, eben diese Menschen, als den nächsten Zweck, also zu bilden, dass sie fähig werden, selbstständig und durch sich die Idee zu erfassen. Es folget, dass in diesem Geschäfte Rücksicht auf die zu bildenden Menschen, den Standpunct ihrer Bildung und ihre Bildsamkeit überhaupt genommen werden muss; und dass ein Wirken in diesem Fache Werth hat, nur, inwiefern es gerade auf diejenigen passet, auf die es berechnet ist, und auf keine anderen. Das zweite hat zum Gegenstande unmittelbar die Idee, und die Bildung und Gestaltung derselben in einem Begriffe, und nimmt durchaus keine Rücksicht auf irgend eine subjective Beschaffenheit und Bildsamkeit der Menschen; es hat dieses Geschäft überhaupt keinen im Gesichte, als ganz bestimmt denjenigen, welcher fähig ist, die Idee in dieser ihr gegebenen Gestalt zu fassen; sein Werk selber setzt und bestimmt durch sich selbst den Empfänger, und dieses Werk ist eben für denjenigen, der es fassen kann. Der erstere Zweck wird am besten und schicklichsten erreicht durch mündliche Vorträge der Gelehrten-Erzieher; der zweite durch gelehrte Schriften.

Beide Geschäfte gehören zu dem eigentlichen Gelehrten-Berufe, keinesweges zu den subalternen und untergeordneten Verrichtungen der Studirten, die ihnen nur darum anheimfallen, weil sie den eigentlichen Zweck ihres Studirens nicht erreicht haben. Jeder, der auch nur gewissenhaft sein Studiren betrieben, und bei diesem gewissenhaften Studium ganz sicher einen Begriff von der Wichtigkeit des Gelehrten-Berufes erhalten, zeiget durch die Nichtübernahme der zuletzt genannten Geschäfte, falls er nicht mit fester Ueberzeugung die Tüchtigkeit zu denselben in sich findet, dass er dieselben für heilig achte; wer sie aber übernimmt, zeigt es durch die würdige Verwaltung. In der künftigen Stunde werden wir von dem würdigen Schriftsteller reden; heute unterhalten wir uns von dem würdigen Lehrer künftiger Gelehrten.

Die Lehrer und Erzieher derjenigen, die sich für den gelehrten Stand bestimmen, sind aus guten Gründen einzuteilen in zwei Klassen; in die Lehrer an den niederen gelehrten Schulen, und in die an den höheren, oder den Universitäten. Nicht ohne Bedacht zähle ich auch die Lehrer an den niederen gelehrten Schulen zu den eigentlichen, keinesweges aber subalternen Gelehrten, und fordere in dieser Rücksicht von ihnen, dass sie in den Besitz der Ideen gekommen, und von denselben, wenn auch nicht gerade bis zur innigen Klarheit, dennoch bis zur lebendigen Wärme, durchdrungen seyen. Schon als Knabe werde derjenige, der zum Studiren bestimmt ist, ihm selbst unsichtbar mit den Ideen und der Heiligkeit derselben umgeben, und in sie eingetaucht. Nichts werde gemein und handwerksmässig mit ihm getrieben, und ihm als Mittel für einen beschränkten Zweck Preis gegeben, woraus irgend einmal etwas Ideales sich entwickeln soll. Zum Glück sind die Gegenstände, welche ganz eigentlich in die Schulen gehören, von der Art, dass sie jeden, der sie nur gründlich treibt, über die gemeine Denkart erheben, und die Lehrer unvermerkt leiten, auch ihre Anvertrauten darüber wegzusetzen; möchte nur von der äusseren Lage derselben Lehrer in der Regel sich dasselbe sagen lassen, und ihre Unabhängigkeit und ihr Standpunct in der Gesellschaft ihrem höchst ehrwürdigen Berufe immer entsprechen! Die Gegenstände des Schulunterrichtes, sagte ich: an einem gründlichen Studium der Sprache, getrieben, so wie es getrieben werden muss, an alten, von unserer Verknüpfung der Begriffe wesentlich verschiedenen Sprachen, entwickelt sich eine tiefere Einsicht in die Begriffe, und aus den Werken der Alten, an denen dieses Studium getrieben zu werden pflegt, spricht ein würdiger und veredelnder Geist das jugendliche Gemüth an. Aus diesem Grunde soll der Lehrer an jeder Schule für künftige Gelehrte der Ideen theilhaftig seyn, weil er dem Jüngling mit dem Hohen und Edlen, noch ehe dieser es zu unterscheiden vermag von dem Gemeinen, unvermerkt vertraut zu machen, und ihn an dasselbe zu gewöhnen .hat, und ihn zu entwöhnen von dem Niedrigen und Unedlen. – Also bewahret in den Jahren des zarten Alters und also vorbereitet auf das Höhere, betrete der Jüngling die Universität. Auf dieser erst kann ihm deutlich ausgesprochen werden, und er geleitet werden, zu begreifen und anzuerkennen, – was ich in diesen Vorlesungen vor Ihnen auszusprechen mich bestrebt habe: – dass unser gesammtes Geschlecht wahrhaft da ist nur in dem göttlichen Gedanken, und dass es Werth hat, nur inwiefern es mit diesem göttlichen Gedanken übereinkommt, und dass der Stand der Gelehrten dazu da ist, um diesen göttlichen Gedanken nachzubegreifen, und ihn einzuführen in die Welt. Auf der Universität erst kann der Studirende einen deutlichen Begriff von dem Wesen und der Würde derjenigen Bestimmung erhalten, welcher schon vorher sein Leben gewidmet wurde. Hier muss er diesen deutlichen Begriff erhalten. Der Lehrer an der niederen Schule hatte noch auf einen anderen Unterricht zu rechnen für seinen Anvertrauten, und setzte denselben voraus: der akademische Lehrer hat auf keinen weiteren Unterricht zu rechnen, ausser auf denjenigen, den der angehende Gelehrte sich selber zu geben hat, und zu welcher Fähigkeit, dass er sich selber sein eigener Lehrer werde, er ihn eben erheben soll: aus seinem Hörsaale ihn entlassend, übergiebt er ihn an sich selber und an die Welt. Hierin eben, dass der Jüngling auf der niederen Schule seinen Beruf nur ahnde, der Jüngling aber auf der Universität ihn deutlich begreife und erkenne, dürfte wohl der wahre charakteristische Unterschied der niederen von der höheren Schule liegen, und dadurch die verschiedenen Pflichten der Lehrer an beiden bestimmt werden.

Der akademische Lehrer, von welchem wir vorzüglich zu reden haben, soll den mit dem Wesen und der hohen Würde seines Berufes deutlich bekannt gemachten Studirenden bilden zur Empfänglichkeit für die Idee, und zu der Fähigkeit, dieselbe aus sich selber zu entwickeln, und ihr eine eigenthümliche Gestalt zu geben: – alles dies, wenn er kann; in jedem Fall aber, und unbedingt, soll er ihn mit Achtung und Respect für den eigentlichen Gelehrten-Beruf erfüllen. Der erste Zweck des Studirens, dass die Idee von einer neuen und eigenthümlichen Seite gefasst werde, ist zwar nicht aufzugeben, weder von dem Lernenden, noch von dem Lehrenden an dem Lernenden; es wäre aber doch möglich, dass er verfehlt würde, und beide müssen sich im Voraus auf diese Möglichkeit bescheiden. Wird auch dieser Zweck verfehlt, so kann der Studirte noch immer ein brauchbarer, würdiger und rechtschaffener Mann bleiben. Der letzte Zweck aber, dass er wenigstens Achtung für die Idee aus seinen Bestrebungen nach derselben mit davon bringe, um dieser Achtung willen vermeide etwas zu übernehmen, dem er sich nicht gewachsen fühlt, wenigstens durch die Fortdauer dieser Achtung für das ihm Unerreichbare, fortdauernd sich heilige, und alles, was an ihm liegt, beitrage, um diese Achtung unter den Menschen zu erhalten, ist niemals aufzugeben; denn, falls sogar dieser Zweck nicht erreicht würde, ginge über seinem Studiren selbst seine Würde als Mensch verloren, und er würde, durch dasjenige, was ihn erheben sollte, nur um so tiefer verdorben. Die Erreichung des ersten Zweckes an dem Studirenden ist für den akademischen Lehrer ein bedingter Zweck: bedingt durch die Möglichkeit seiner Ausführung. Die Erreichung des zweiten muss er stets ansehen, und anerkennen, als seinen unbedingten Zweck, den er mit Wissen und Willen nie aufgeben darf. Zwar möchte es kommen, dass er auch diesen nicht erreichte; nur muss er niemals an dessen Erreichung verzweifeln.

Was kann nun der akademische Lehrer für die Erreichung des letzteren Zweckes thun? Ich antwortete: er kann dafür nichts besonderes thun, und nichts anderes, als dasjenige, was er für den ersten und nächsten Zweck ohnedies thun müsste. Indem er dies letztere thut, und es ganz thut, thut er zugleich das erstere mit. Er prägt ihnen Achtung für die Wissenschaft ein; sie werden ihm nicht glauben, wenn er nicht diese tiefe Achtung, die er ihnen empfiehlt, selber in seinem ganzen Leben zeigt. Er will sie innigst mit dieser Achtung durchdringen; lehre er nicht bloss durch Worte, sondern durch die That: sey er selbst das lebendige Beispiel und die ununterbrochene Erläuterung desjenigen Satzes, den er ihnen zum Leiter ihres ganzen Lebens geben will. Das Wesen des gelehrten Berufes, als einen Ausdruck der göttlichen Idee, hat er ihnen beschrieben; dass diese Idee den wahren Gelehrten ganz durchdringe und erfasse, und ihr Leben an die Stelle seines eigenen Lebens setze, hat er ihnen gesagt; vielleicht hat er ihnen noch überdies gesagt, aufweiche bestimmte Weise nun Er selber an seinem Theile den Endzweck der Wissenschaft zu verwalten habe, und worin sein eigentlicher besonderer Beruf als akademischer Lehrer bestehe. Zeige er sich als das, was er ohnedies seyn muss, als ergriffen von diesem seinem Berufe, und als das immerwährende Opfer desselben, und sie werden begreifen lernen, dass die Wissenschaft etwas Achtungswürdiges sey.

Durch diese Seite seines Berufes werden nun zwar die Pflichten, des akademischen Lehrers nicht verändert; denn er kann, wie schon oben gesagt, für den letzteren Zweck nichts thun, was er nicht ohnedies für den ersten hätte thun müssen: aber seine eigene Ansicht dieses Berufes wird ruhiger und fester. Möge ihm auch unmittelbar gar nicht sichtbar werden und einleuchten, dass er seinen eigentlichen Zweck, seine Anvertrauten über das bloss leidende Auffassen zur Selbstthätigkeit, und über den Buchstaben hinaus zu der geistigen Ansicht zu führen, erreiche, so wird er darum doch nicht sogleich vergebens gearbeitet zu haben glauben. Dem akademischen Studium muss ohnedies das eigene Studium, zu welchem das erste nur die Vorbereitung ist, folgen. Ob er nun nicht doch zu diesem kräftig angeregt, ob er nicht einige, bis jetzt freilich nicht erscheinende Funken für dieses, die zu rechter Zeit sich schon entzünden werden, in die Seelen geworfen habe, das kann er doch immer nicht wissen. Allein selbst den schlimmsten Fall gesetzt, dass er auch so viel nicht erreicht hätte, – seine Thätigkeit hat noch einen anderen Zweck, und wenn sie auch nur für diesen etwas geleistet hat, so ist sie nicht ganz verloren. Wenn nur wenigstens der Glaube, dass es etwas Achtungswürdiges für den Menschen gebe, dass Menschen durch Fleiss und Redlichkeit sich zur Anschauung dieses Achtungswürdigen erheben, und in dieser Anschauung kräftig und selig seyn können, erhalten, und bei einigen erfrischt und belebt worden; wenn nur einigen die Ansicht ihres Geschäftes ein wenig gesteigert worden, so dass sie mit weniger Leichtsinn an dasselbe gehen werden, wenn er nur hoffen darf, dass einige seinen Hörsaal, wenn auch nicht gerade geistreicher, doch wenigstens bescheidener, verlassen werden, so hat er nicht ganz ohne Erfolg gearbeitet.

Der akademische Lehrer wird ein Beispiel der Achtung für die Wissenschaft, sagten wir, indem er sich zeiget als ganz und völlig durchdrungen und aufgegangen in seinem Berufe, und als ein nur ihm geweihetes Werkzeug.

Was erfordert dieser Beruf? Er, der akademische Lehrer, soll Menschen zur Empfänglichkeit für die Idee ausbilden: er muss die Idee kennen, sie ergriffen haben, und von ihr ergriffen seyn; wie könnte ausserdem eine Empfänglichkeit für das ihm unbekannte ihm bekannt seyn? Er muss diese Empfänglichkeit selbst ehemals in sich ausgebildet haben, und sie mit sehr klarem Bewusstseyn in sich ausgebildet haben; denn nur durch unmittelbaren eigenen Besitz kann sie erkannt werden, nur durch unmittelbare eigene Erwerbung kann die Kunst, dieselbe zu erwerben, bekannt werden. Er kann sie zu dieser Empfänglichkeit nur durch die Idee selber, und dadurch, dass er diese in den verschiedensten Gestalten und Wendungen an sie bringt, und sie an ihnen versucht, ausbilden. Die Idee ist durchaus eigentümlicher, und von allem Mechanismus in der Wissenschaft völlig verschiedener Natur; nur dadurch, dass man sie empfängt, bildet sich die Empfänglichkeit für sie. Durch das Mittheilen des blossen Mechanismus übt man freilich im Mechanismus, nimmermehr aber erhebt man zur Idee. Es ist eine unerlässliche Anforderung au den akademischen Lehrer, dass er die Idee in vollkommener Klarheit, und als Idee erfasst habe, und den besonderen Lehrzweig, den er etwa vorträgt, in der Idee erfasst habe; und aus ihr verstehe, was dieser Lehrzweig eigentlich sey, bedeute und wolle: indem ja jeder besondere Lehrzweig keinesweges vorgetragen wird, lediglich damit er vorgetragen werde, sondern als eine besondere Gestalt und Seite der Einen Idee, und damit auch diese Seite an dem Studirenden versucht, und er an ihr versucht werde. Könnte nicht wenigstens am Schlüsse seiner gelehrten Bildung dem Studirenden klar mitgetheilt werden, was das Studiren sey, so wäre ja das Studiren rein aus der Welt ausgetilgt, und es würde gar nicht mehr studirt, sondern es wäre lediglich die Anzahl der Handwerke um Eins oder einige vermehrt. Wer sich nicht in dem lebendigen und klaren Besitze der Ideen weiss, der zeigt, wenn er auch nur gewissenhaft ist, seine Achtung für den Beruf eines akademischen Lehrers, von dessen Wesen er doch wohl bei seinem Durchgange durch das Studiren Kunde bekommen haben wird, durch die Nichtübernehmung desselben.

Der akademische Lehrer hat den Beruf, nicht nur überhaupt die Idee, in dem Einen und vollendeten Begriffe, in dem er sie erblickt, so wie der Schriftsteller, mitzutheilen; sondern er muss sie auf das mannigfaltigste gestalten, ausdrücken und kleiden, um in irgend einer dieser zufälligen Hüllen sie an diejenigen, nach deren gegenwärtiger Bildung er sich zu richten hat, zu bringen. Er muss daher die Idee nicht bloss überhaupt, er muss sie in einer grossen Lebendigkeit, Beweglichkeit und innerer Wendbarkeit und Gewandtheit besitzen: Er vorzüglich muss dasjenige, was wir oben als Künstlertalent des Gelehrten beschrieben haben, besitzen: die vollendete Fähigkeit und Fertigkeit, in jeder Umgebung den Funken der sich zu gestalten beginnenden Idee anzuerkennen, immer das geschickteste Mittel zu finden, um gerade diesem Funken zu vollkommenem Leben zu verhelfen, allenthalben und in jedem Zusammenhange anzuknüpfen wissen dasjenige, worauf es eigentlich ankommt. Der Schriftsteller mag nur Eine Form für seine Idee besitzen; ist diese Form nur vollkommen, so hat er seiner Pflicht Genüge gethan: der akademische Lehrer soll eine Unendlichkeit von Formen besitzen, und ihm kommt es nicht darauf an, dass er die vollkommene Form finde, sondern dass er die in jedem Zusammenhange passendste finde. Ein guter akademischer Lehrer muss ein sehr guter Schriftsteller seyn können, sobald er will: umgekehrt aber folgt es gar nicht, dass selbst ein guter Schriftsteller ein guter akademischer Lehrer sey. Doch hat jene Fertigkeit und Gewandtheit ihre Grade, und das Recht auf den akademischen Beruf ist nicht gerade jedem, der dieselbe nur nicht in dem höchsten Grade besitzt, abzusprechen. Es folgt aus dieser von dem akademischen Lehrer zu fordernden Gewandtheit in der Gestaltung der Idee noch eine neue Forderung an ihn – diese, dass seine Mittheilung stets neu sey, und die Spur des frischen und unmittelbar gegenwärtigen Lebens trage. Nur das unmittelbar lebendige Denken belebt fremdes Denken, und greift ein in dasselbe: eine Veraltete und todte Gestalt, sey sie auch vorher noch so lebendig gewesen, muss erst durch den anderen und seine eigene Kraft wieder in das Leben gerufen werden: die letztere Forderung macht mit Recht der gelehrte Schriftsteller an seinen Leser; der akademische Lehrer aber, der in diesem Geschäfte nicht Schriftsteller ist, würde sie mit Unrecht machen.

Diesem Berufe giebt nun der würdige und gewissenhafte Mann, so gewiss er ihn übernahm, und so lange er ihn beibehält, sich ganz hin, nichts anderes wollend, denkend und begehrend, als gerade das zu seyn, was er seiner Ueberzeugung nach seyn soll; und zeiget dadurch öffentlich seinen Respect für die Wissenschaft.

Für die Wissenschaft, als solche, sage ich, und weil sie Wissenschaft ist, für die Wissenschaft überhaupt, als die Eine und dieselbige göttliche Idee, in allen den verschiedenen Zweigen und Gestalten, in denen sie heraustritt. Es ist wohl möglich, dass einen Gelehrten, der ausschliessend einem gewissen Fache sein Leben gewidmet hat, eine Vorliebe für sein Fach, und eine Ueberschätzung desselben anderen Fächern gegenüber befalle; entweder weil er sich nun einmal daran gewöhnt hat, oder auch, weil er durch das vornehmere Fach selbst vornehmer geworden zu seyn glaubt. Wende ein solcher noch so viel Kraft auf die Bearbeitung dieses Faches, er wird dem Unbefangenen nie den Anblick eines solchen geben, der die Wissenschaft als solche verehrt, und wird den scharfen Beobachter dessen nie überreden, wenn er mindere Achtung anderer, der Wissenschaft ebensowohl angehörigen Fächer, blicken lässt. Es wird dadurch nur klar, dass er die Wissenschaft nie als Eins begriffen, dass er sein Fach nicht aus diesem Einen heraus begriffen, dass er sonach selbst dieses sein Fach keinesweges als Wissenschaft, sondern nur als sein Handwerk liebe, welche Liebe zum Handwerke denn auch anderwärts gar löblich seyn mag, in der Wissenschaft aber von der Benennung eines Gelehrten ganz und gar ausschliesst. Wer, sey es auch in einem beschränkten Fache, wirklich der Wissenschaft theilhaftig geworden, und sein Fach von ihr aus erhalten, der mag vielleicht sehr vieles aus anderen Wissenschaften nicht einmal historisch wissen; aber ein allgemeines Verständniss von dem Wesen jedes Zweiges hat er, und eine stets sich gleichbleibende Achtung aller Theile der Wissenschaft wird er immer zeigen.

Nur durch diese Liebe seines Berufes und der Wissenschaft sey er getrieben, und zeige er sich getrieben; nicht durch irgend etwas anderes, nicht achtend seiner Person, oder anderer Personen Interesse. Schweige ich auch hier, sowie anderwärts, von dem ganz Gemeinen, das in den Umkreis, der Heiliges berührt hat, nie eintreten möge: setze ich z. B. gar nicht als möglich voraus, dass ein Priester der Wissenschaft, der neue Priester ihr zu weihen gedenkt, vermeide, dasjenige zu sagen, was jene nicht gern hören, deswegen weil sie es nicht gern hören, auf dass dieselben ja fortfahren, Ihn gern zu hören. Nur eine nicht ganz in diesem Grade unedle und gemeine Verirrung verstattet es vielleicht, dass ihrer gedacht, und das Gegentheil von ihr aufgestellt werde. In jedem Worte, das der akademische Lehrer in seinem Berufe ausspricht, spreche die Wissenschaft, spreche seine Begierde, diese zu verbreiten, spreche die innigste Liebe zu seinen Zuhörern, – nicht als zu seinen Zuhörern, sondern als zu künftigen Dienern der Wissenschaft, Sie, die Wissenschaft, sie, diese lebendige Begierde, die Wissenschaft deutlich zu machen, rede, nicht aber rede der Lehrer. Ein Streben zu reden, damit geredet sey, und schön zu reden, damit schön geredet sey, und die anderen es wissen; – die Sucht, Worte zu machen, und schöne Worte, wo doch die Sache schweigt, ist keines Menschen Würde angemessen, am wenigsten aber der eines akademischen Lehrers, welcher zugleich die Würde der Wissenschaft für künftige Generationen repräsentiret.

Dieser Liebe seines Berufes und der Wissenschaft gebe er sich ganz hin. Das Wesen seines Geschäftes besteht darin, dass die Wissenschaft, und besonders diejenige Seite, von welcher er dieselbe ergriffen, immer fort und fort neu und frisch in ihm aufblühe. In diesem Zustande der frischen geistigen Jugend erhalte er sich; keine Gestalt erstarre in ihm und versteine: jeder Sonnenaufgang bringe ihm neue Lust und Liebe zu seinem Geschäfte, und mit ihr neue Ansichten. Die göttliche Idee an und für sich ist geschlossen, auch ist sie in jeglichem ihrer einzelnen Theile geschlossen. Die bestimmte Form ihres Ausdruckes für ein bestimmtes Zeitalter kann gleichfalls geschlossen seyn; aber das lebendige Regen in ihrer Mittheilung ist unendlich, sowie die Forterschaffung des menschlichen Geschlechtes unendlich ist. Bleibe keiner in diesem Kreise, in welchem die Form dieser Mittheilung, und sey es die vollkommenste dieses Zeitalters, anfängt zu erstarren; keiner, dem nicht fort die Quelle der Jugend fliesset. Dieser Quelle gebe er sich treulich hin, so lange sie ihn fortträgt; lässt sie ihn fahren, so bescheide er sich, in diesen Wechsel des werdenden Lebens nicht mehr zu gehören, und scheide das Todte von dem Lebendigen.

Es lag in meinem Ihnen vorgezeichneten Plane, meine Herren, auch diesen Gegenstand: über die Würde des akademischen Lehrers, abzuhandeln. Ich hoffe dies mit derselben Schärfe gethan zu haben, mit der ich von den übrigen, unserer Betrachtung allhier anheimfallenden Gegenständen geredet habe; ohne bei dem letzten durch die Betrachtung mich mildern zu lassen, dass ich selber den Beruf verwalte, von welchem ich redete, und dass ich ihn verwaltete in derselben Stunde, da ich davon redete. Durch welches Bewusstseyn mir diese Festigkeit gegeben wurde, mögen Sie zu einer anderen Zeit untersuchen; jetzt reicht es für Sie hin, lebendig einzusehen, dass die Wahrheit, in jeder Anwendung, welche man von ihr macht, wahr bleibe.


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