Johann Gottlieb Fichte
Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten
Johann Gottlieb Fichte

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Erste Vorlesung.

Plan des Ganzen.

Ich eröffne hiermit die öffentlichen Vorlesungen, die ich im Lections-Verzeichnisse unter der Benennung: de moribus eruditorum, angekündigt habe. Sie konnten diese Ueberschrift übersetzen: Moral für Gelehrte; über die Bestimmung des Gelehrten; von der Sitte des Gelehrten u. dgl.; aber der Begriff selbst, wie er auch übersetzt und gefasst werde, bedarf einer tieferen Erörterung. Ich gehe an diese vorläufige Erörterung.

Sowie man das Wort Moral oder Sittenlehre hört, gedenkt man an eine Bildung des Charakters und der Handlungsweise durch Regeln und Vorschriften. Aber es ist nur in einem beschränkten Sinne, und nur von einem niedrigeren Standpuncte der Einsicht aus wahr, dass der Mensch durch Vorschriften gebildet werden, und sich selber nach ihnen bilden könne; hingegen vom höchsten Standpuncte der absoluten Wahrheit aus, in welchen wir uns hier stellen wollen, muss innerlich im Wesen des Menschen liegen, und sein Wesen, Seyn und Leben selber ausmachen, was in seiner Denkart und in seinen Handlungen sich äussern soll; was aber im Menschen innerlich ist, tritt nothwendig auch äusserlich in ihm hervor, stellt sich dar in allem seinen Denken, Wollen und Handeln, und wird ihm unwandelbare und unveränderliche Sitte. Wie hiermit die Freiheit des Menschen, und alle Bestrebungen der Erziehung, des Unterrichtes, der Religion, der Gesetzgebung – denselben zum Guten zu bilden, sich vereinigen lassen, ist der Gegenstand einer ganz anderen Untersuchung, welche wir hier nicht anstellen wollen. Hier können wir nur im Allgemeinen bezeugen, dass beide Behauptungen sich sehr wohl vereinigen lassen, und dass die Möglichkeit der Vereinigung einem tieferen Studium der Philosophie klar werde.

Der beständige Charakter und die Handlungsweise, oder mit einem Worte, die Sitte des wahrhaften Gelehrten, lässt sich vom höchsten Standpuncte aus eigentlich nur beschreiben, keinesweges aber verordnen oder befehlen. Hinwiederum: diese erscheinende und äusserlich sich darstellende Sitte des wahren Gelehrten gründet sich auf das, was innerlich und in seinem Wesen, unabhängig von aller Erscheinung, und vor aller Erscheinung vorher ist, und wird durch dieses innere Wesen nothwendig verursacht und unveränderlich bestimmt. Wollen wir daher seine Sitte beschreiben, so müssen wir zuvörderst sein Wesen angeben: aus dem Begriffe dieses letzteren aber lässt die erstere, seine Sitte, sich vollständig und erschöpfend ableiten. Diese Ableitung nun aus jenem vorauszusetzenden Wesen zu vollbringen, ist der eigentliche Zweck dieser Vorlesungen. Der Inhalt derselben wäre daher kürzlich also anzugeben: sie sind, und sollen seyn eine Beschreibung des Wesens des Gelehrten, und der Erscheinung desselben im Gebiete der Freiheit .

Zur Erzeugung der Einsicht in das innere Wesen des Gelehrten dienen folgende Sätze:

1) Die gesammte Sinnenwelt mit allen ihren Verhältnissen und Bestimmungen, und insbesondere das Leben der Menschen in dieser Sinnenwelt sind keinesweges an sich und in der That und Wahrheit dasjenige, als welches sie dem ungebildeten und natürlichen Sinne der Menschen erscheinen; sondern es ist etwas höheres und verborgenes, welches der natürlichen Erscheinung bloss zum Grunde liegt. Man kann diesen höheren Grund der Erscheinung in seiner höchsten Allgemeinheit sehr schicklich nennen: die göttliche Idee; und dieser Ausdruck: göttliche Idee, soll von nun an nichts mehr bedeuten, als eben den höheren Grund der Erscheinung, so lange, bis wir diesen Begriff weiter bestimmen.

2) Ein bestimmter Theil des Inhaltes dieser göttlichen Idee von der Welt ist dem ausgebildeten Nachdenken zugänglich und begreiflich, und soll, unter der Leitung dieses Begriffes, durch die freie That der Menschen an der Sinnenwelt herausgebildet und in ihr dargestellt werden.

3) Falls es unter den Menschen Einzelne geben sollte, welche, ganz oder theilweise, in den Besitz des zuletzt erwähnten Theils der göttlichen Idee von der Welt sich setzten, – sey es nun, um durch Mittheilung an Andere die Erkenntniss der Idee unter den Menschen zu erhalten und zu verbreiten, oder durch unmittelbares Handeln auf die Sinnenwelt diese Idee in ihr darzustellen, – so wären diese Einzelnen der Sitz eines höheren und geistigeren Lebens in der Welt, und eine Fortentwickelung der Welt, so wie sie zufolge der göttlichen Idee erfolgen sollte.

4) Diejenige Art der Erziehung und geistigen Bildung in jedem Zeitalter, vermittelst welcher dieses Zeitalter die Menschen zur Erkenntniss des erwähnten Theils der göttlichen Idee zu führen hofft, ist die gelehrte Bildung, – und derjenige Mensch, welcher dieser Bildung theilhaftig wird, der Gelehrte desselben Zeitalters.

Es ist aus dem Gesagten klar, dass das Ganze derjenigen Erziehung und Ausbildung, welche ein Zeitalter die gelehrte Bildung nennt, lediglich das Mittel ist, um zur Erkenntniss des erkennbaren Theils der göttlichen Idee zu führen, und Werth hat – lediglich, inwiefern sie in der That dieses Mittel wird, und ihren Zweck erreicht. Ob nun in einem gegebenen Falle dieser Zweck erreicht sey, oder nicht, kann die gewöhnliche und natürliche Ansicht der Dinge, indem sie ja für die Ideen völlig blind ist, nimmer beurtheilen; sie vermag nichts mehr, als das bloss empirische Factum aufzufassen: ob eine Person dasjenige, was man gelehrte Bildung nennt, genossen habe, oder nicht genossen habe. Es giebt daher zwei höchst, verschiedene Begriffe vom Gelehrten; den einen nach dem Scheine und der blossen Meinung; und in dieser Rücksicht muss jeder für einen Gelehrten gelten, der durch die gelehrte Erziehung hindurchgegangen ist, oder wie man das gewöhnlich nennt, der da studirt hat, oder noch studirt: den zweiten nach der Wahrheit; und in dieser Rücksicht ist nur derjenige ein Gelehrter zu nennen, welcher durch die gelehrte Bildung des Zeitalters hindurch zur Erkenntniss des Ideen gekommen. – Durch die gelehrte Bildung des Zeitalters hindurch habe ich gesagt: denn wenn auch jemand ohne dieses Mittel auf einem anderen Wege zur Erkenntniss der Idee kommen könnte, wie ich im Allgemeinen gar nicht zu läugnen gedenke; so würde doch ein solcher seine Erkenntniss nach einer festen Regel weder theoretisch mittheilen, noch unmittelbar pragmatisch in der Welt realisiren können, weil es ihm an der, nur in der gelehrten Schule zu erwerbenden, Kenntniss seines Zeitalters und der Mittel, auf dasselbe zu wirken, fehlte; und es würde darum allerdings ein höheres Leben in ihm leben; aber kein auf die übrige Welt eingreifendes und sie entwickelndes Leben: – der eigentliche und ganze Zweck, den die gelehrte Bildung hat, wäre in ihm, aber ohne dieselbe,In der alten Ausgabe: »keinesweges ohne dieselbe.« ausgedrückt, und er wäre zwar wohl ein höchst vorzüglicher Mensch, aber kein Gelehrter.

Wir unseres Orts gedenken hier die Sache keinesweges nach dem äusseren Scheine zu betrachten, sondern nach der Wahrheit. Uns gelte daher von nun an für den ganzen Lauf dieser Vorlesungen nur derjenige für einen Gelehrten, der durch die gelehrte Bildung des Zeitalters hindurch zur Erkenntniss der Idee wirklich gekommen ist, oder wenigstens zu derselben zu kommen lebendig und kräftig strebt. Wer, ohne dadurch zu der Idee zu kommen, diese Bildung erhalten hat, ist nach der Wahrheit, so wie wir hier die Sache zu betrachten haben, gar Nichts; er ist ein zweideutiges Mittelding zwischen dem Besitzer der Idee, und dem von der gemeinen Realität kräftigst gestützten und getragenen: – über dem vergeblichen Ringen nach der Idee hat er versäumt, die Geschicklichkeit, die Realität zu ergreifen, in sich auszubilden, und schwebt nun zwischen zwei Welten, ohne einer von beiden anzugehören.

Die Eintheilung in der Art der unmittelbaren Anwendung der Ideen überhaupt, welche wir schon oben (351) angaben, gilt offenbar auch für denjenigen, der durch die gelehrte Bildung in den Besitz dieser Idee gekommen, d. h. für den Gelehrten. Entweder ist der nächste Zweck desselben der, die Ideen, in deren lebendige Erkenntniss er sich hineinversetzt hat, anderen mitzutheilen; und sodann ist sein nächstes Geschäft: die Theorie der Ideen, im Allgemeinen oder Besonderen – er ist ein Lehrer der Wissenschaft. – Nur zunächst, und im Gegensatze mit dem zweiten Gebrauche der Ideen, ist das Geschäft des Lehrers der Wissenschaft als blosse Theorie zu bezeichnen; in einem weiteren Sinne ist es ebensowohl praktisch, als das des unmittelbaren Geschäftsmannes: der Gegenstand seiner Wirksamkeit ist der Sinn und Geist des Menschen; und es ist eine sehr erhebliche Kunst, diesen nach einer Regel zu Begriffen zu gestalten und zu erheben. Oder der nächste Zweck dessen, der durch gelehrte Bildung sich in den Besitz der Ideen versetzt, ist der, die, in Beziehung auf seine eigentliche Absicht, willenlose Welt nach dieser Idee zu gestalten: etwa die Gesetzgebung, – das ganze rechtliche und gesellschaftliche Verhältniss der Menschen untereinander, – oder auch die die Menschen umgebende, und auf ihr würdiges Daseyn einfliessende Natur, nach der göttlichen Idee des Rechtes, oder der Schönheit, so weit es in dem gegebenen Zeitalter, und unter den gegebenen Bedingungen möglich ist, auszubilden; indess er seinen eigentlichen Begriff sowohl, als die Kunst, mit der er ihn an der Welt herausgestaltet, für sich behält. – Sodann ist der Gelehrte ein pragmatischer Gelehrter. Niemand, wie ich bloss im Vorbeigehen bemerke, Niemand sollte in die eigentliche Leitung und Anordnung der menschlichen Angelegenheiten eingreifen, der nicht ein Gelehrter im wahrhaften Sinne des Wortes wäre, d. h. der nicht durch gelehrte Bildung der göttlichen Idee theilhaftig geworden. Mit Zuträgern und Handlangern ist es ein anderes: ihre Tugend besteht in pünktlichem Gehorsam und der Vermeidung alles Selbstdenkens, und über ihr Geschäft Selbsturtheilens.

Noch giebt es aus einem anderen Gesichtspuncte eine andere Eintheilung im Begriffe des Gelehrten, welche für uns zu allernächst fruchtbar ist. Nemlich, entweder hat der Gelehrte die ganze göttliche Idee, inwiefern sie vom Menschen zu fassen ist, oder auch einen besonderen Theil dieses an ihr zu erfassenden, – was freilich nicht ohne eine wenigstens klare Uebersicht des Ganzen möglich ist, – schon wirklich ergriffen, durchdrungen, und sich vollkommen klar gemacht, so dass sie sein, zu jeder Zeit in derselben Gestalt zu erneuerndes Besitzthum und ein Bestandtheil seiner Persönlichkeit geworden sey; so ist er ein vollendeter und fertiger Gelehrter, ein Mann, der ausstudirt hat; oder derselbe ringt noch und strebt, die Idee überhaupt, oder den besonderen Theil und Punct, von welchem aus Er für seine Person das Ganze durchdringen will, sich vollkommen klar zu machen; einzelne Lichtfunken springen schon von allen Seiten ihm entgegen, und schliessen eine höhere Welt vor ihm auf, aber sie vereinigen sich ihm noch nicht zu einem untheilbaren Ganzen; sie verschwinden ihm eben so unwillkürlich wieder, als sie ihm kamen, und er kann sie noch nicht unter die Botmässigkeit seiner Freiheit bringen, – so ist er ein angehender und sich bildender Gelehrter, ein Studirender. – Dass es wirklich die Idee sey, die besessen oder angestrebt werde, ist beiden gemeinschaftlich: geht das Streben bloss auf die äussere Form und den Buchstaben der gelehrten Bildung, so erzeugt sich, wenn die Runde durchgemacht ist, der vollendete, wenn sie noch nicht durchgemacht ist, der angehende Stümper. Der letztere ist noch immer erträglicher, als der erstere; denn noch lässt sich hoffen, dass er, bei der Fortsetzung seines Weges etwa in einem künftigen Puncte von der Idee ergriffen werden könne; an dem ersten aber ist alle Hoffnung verloren. Dies, meine Herren, ist der Begriff vom Wesen des Gelehrten, und die erschöpften zufälligen, das Wesen keinesweges ändernden, sondern insgesammt dasselbe bei sich führenden Bestimmungen dieses Begriffes; der Begriff nemlich vom stehenden und starren Seyn, welcher lediglich die Frage nach dem Was? beantwortet.

Durch Beantwortung dieser einzigen Frage nach dem Was aber ist die philosophische Erkenntniss, dergleichen wir hier ohne Zweifel erstreben, noch keinesweges befriedigt; die Philosophie fragt noch weiter nach dem Wie, und fragt, strenge genommen, allein nach diesem, als welches das Was schon ohne dies bei sich führt. Alle philosophische Erkenntniss ist ihrer Natur nach nicht factisch, sondern genetisch, nicht erfassend irgend ein stehendes Seyn, sondern innerlich erzeugend und construirend dieses Seyn aus der Wurzel seines Lebens. Es ist daher auch in Beziehung auf den, seinem stehenden Wesen nach beschriebenen Gelehrten die Frage übrig: wie wird er zum Gelehrten; und, – da selbst sein Seyn und Gewordenseyn ein ununterbrochen lebendiges, und in jedem Momente ein sich erzeugendes Seyn ist, – wie erhält er sich als Gelehrter?

Ich antworte kurz; durch die ihm beiwohnende, seine Persönlichkeit ausmachende und in sich verschlingende Liebe zur Idee. Denken Sie sich dieses also: Jedes Daseyn hält und trägt sich selber; und im lebendigen Daseyn ist dieses Sichselbst-Erhalten, und das Bewusstseyn davon, Liebe seiner selbst. Die ewige göttliche Idee kommt hier in einzelnen menschlichen Individuen zum Daseyn: dieses Daseyn der göttlichen Idee in ihnen umfasst nun sich selber mit unaussprechlicher Liebe; und dann sagen wir, dem Scheine uns bequemend, dieser Mensch liebt die Idee und lebt in der Idee, da es doch, nach der Wahrheit, die Idee selbst ist, welche an seiner Stelle und in seiner Person lebt und sich liebt, und seine Person lediglich die sinnliche Erscheinung dieses Daseyns der Idee ist, welche Person keinesweges an und für sich selbst da ist, oder lebt. Diese strenger gefassten Ausdrücke und Formeln schliessen das ganze Verhältniss auf, und wir können nun, wiederum dem Scheine uns bequemend, ohne Misverständniss zu befürchten, fortfahren. In dem wahrhaften Gelehrten hat die Idee ein sinnliches Leben gewonnen, welches sein persönliches Leben völlig vernichtet, und in sich aufgenommen hat. Er liebt die Idee, keinesweges über alles, denn er liebt nichts neben ihr, er liebt sie allein. Sie allein ist die Quelle aller seiner Freuden und seiner Genüsse, sie allein das treibende Princip aller seiner Gedanken, Bestrebungen und Handlungen; lediglich für sie mag er leben, und ohne sie würde das Leben ihm geschmacklos und verhasst seyn. In beiden, dem vollendeten, wie dem angehenden Gelehrten, lebt die Idee; nur mit dem Unterschiede, dass sie in dem ersteren diejenige Klarheit und diejenige feste Consistenz gewonnen, die sie in diesem Individuum unter den gegebenen Umständen gewinnen konnte; und nunmehr, in sich selber zu einem geschlossenen Daseyn geworden, aus sich herausgreift, und auszuströmen strebt in lebendige Worte und in Thaten; dass sie hingegen in dem letzteren noch innerhalb ihrer selber arbeitet, und nach der Entwickelung und Befestigung desjenigen Daseyns ringt, das sie unter den gegebenen Umständen gewinnen kann. Beiden wäre auf gleiche Weise ihr Daseyn geschmacklos, wenn sie nicht Anderes, oder Sich selber, nach Ideen bilden könnten.

Dies ist das einzige und unveränderliche Lebensprincip des Gelehrten; desjenigen, dem wir diesen Namen zugestehen. Aus diesem Princip entwickelt sich mit absoluter Notwendigkeit das Thun und Treiben desselben unter allen möglichen Umständen, unter denen er gedacht werden kann. Wir dürfen ihn daher nur in den für unseren Zweck erforderlichen Beziehungen denken, in denen er gedacht werden kann, und wir werden sein inneres und äusseres Leben mit Sicherheit berechnen und im Voraus beschreiben können. Und auf diese Weise ist es möglich, aus dem in seiner Lebendigkeit aufgefassten Wesen des Gelehrten seine Erscheinungen in der Welt der Freiheit oder der scheinbaren Zufälligkeit mit wissenschaftlicher Strenge abzuleiten. Dieses nun ist unsere Aufgabe; und das soeben Gesagte die Regel der Lösung dieser Aufgabe.

Wir wenden uns hier zunächst an Studirende, d. h. an solche, die, der billigen Voraussetzung nach, angehende Gelehrte sind, in dem von uns angegebenen Sinne des Wortes; und es ist zweckmässig, die aufgestellten Grundsätze zuerst auf sie anzuwenden. Wären sie nicht, was wir voraussetzen, so würden unsere Worte für sie bloss Worte seyn, ohne Sinn, Bedeutung und Anwendung. Sind sie, was wir voraussetzen, so werden dieselben zu ihrer Zeit auch reife und vollendete Gelehrte werden; denn jenes Streben der Idee, sich zu entwickeln, das da höher ist, als alles Sinnliche, ist auch unendlich mächtiger, und bricht mit stiller Gewalt sich Bahn durch alle Hindernisse. Es kann dem studirenden Jünglinge wohlthätig werden, schon jetzt zu wissen, was er einst seyn wird, und schon in der Jugend sein reiferes Alter im Bilde zu erblicken. Ich werde darum nach Vollendung des nächsten Geschäftes auch den fertigen Gelehrten aus den angegebenen Principien construiren.

Die Klarheit gewinnt durch Gegensätze; ich werde darum allenthalben, wo ich zeige, wie der Gelehrte sich äussere, zugleich angeben, wie er eben darum, weil er allein also sich äussert, sich nicht äussere.

In beiden Haupttheilen, und ganz besonders im zweiten, wo ich vom vollendeten Gelehrten rede, werde ich mich sorgfältig hüten, satirische Nebenblicke, Censur des gegenwärtigen literarischen Zustandes, und überhaupt Anwendungen auf denselben, zu veranlassen; und ich ersuche die Zuhörer einmal für immer, nicht gegebene Veranlassungen nicht zu nehmen. Der Philosoph entwirft ruhig seine Construction nach den aufgestellten Principien, ohne während dieses Geschäftes den wirklich vorhandenen Zustand der Dinge seiner Beachtung zu würdigen, oder des Andenkens desselben zu bedürfen, um die Betrachtung fortsetzen zu können; eben so wie der Geometer die seinige entwirft, ohne sich zu bekümmern, ob seine Figuren der reinen Anschauung mit unseren Werkzeugen nachgemacht werden können. Und besonders ist es dem unbefangenen studirenden Jünglinge zu gönnen, dass er mit den Ausartungen und Verdorbenheiten des Standes, in den er einst treten soll, nicht eher genau bekannt werde, als bis er Kraft gewonnen hat, dem Strome des Beispieles sich entgegenzustämmen.

Dies, meine Herren, ist der vollständige, mit seinen Gründen aufgestellte Plan der Vorlesungen, die ich in diesen Stunden vor Ihnen zu halten gedenke. Ich füge für heute dem Gesagten nur noch einige Anmerkungen bei:

An Betrachtungen der Art, wie diese heutige war, und wie die folgenden insgesammt ausfallen werden, pflegt man gewöhnlich zu tadeln: zuvörderst die Strenge; sehr oft in der gutmüthigen Voraussetzung, dass der Vortragende es nur nicht gewusst habe, dass seine Bestimmtheit uns misfallen werde, dass wir dies ihm nur freimüthig sagen müssten, und er sodann wohl in sich gehen, und seine Sätze mildern werde. So haben wir gesagt: wer durch die gelehrte Bildung nicht zur Kenntniss der Idee gekommen sey, oder diese Kenntniss erstrebe, sey eigentlich gar Nichts, und später haben wir gesagt: er sey ein Stümper. Dies ist in der Weise jener unbarmherzigen Aeusserungen, die man den Philosophen so übel nimmt. – Um von dem vorliegenden Falle absehend, sogleich der Maxime im Ganzen zu begegnen, so erinnere ich, dass diese Denkart, ohne entschiedene Kraft, der Wahrheit alle Achtung zu versagen, von derselben nur etwas herunterzuhandeln und abzumarkten sucht, um wohlfeileren Kaufes zu einiger Achtung für sich selber zu kommen. Aber die Wahrheit, die nun einmal ist, so wie sie ist, und nichts in ihrem Wesen wandeln kann, geht ihren Weg gerade fort; und es bleibt ihr in Rücksicht derer, die sie nicht rein darum, weil sie wahr ist, haben wollen, nichts anderes übrig, als dieselben stehen zu lassen, gerade also, als ob sie nie geredet hätten.

Sodann pflegt man Vorträge dieser Art zu tadeln, wegen ihrer vermeinten Unverständlichkeit. So denke ich mir, – keinesweges Sie, meine Herren, sondern irgend einen vollendeten Gelehrten in der Bedeutung des Scheines, dem etwa die soeben angestellte Betrachtung unter die Augen käme, als hintretend, hin und her zweifelnd, und endlich tiefsinnig ausbrechend: die Idee, die göttliche Idee, dasjenige, was der Erscheinung zu Grunde liegt: was soll nun das bedeuten? Ich würde einen solchen Frager zurückfragen: was soll denn diese Frage bedeuten? – Untersucht man das letztere genau, so bedeutet sie in den meisten Fällen nicht mehr, als folgendes: unter welchem anderen Namen, und in welchen anderen Formeln kenne ich denn schon dieselbe Sache, die Du mit einem so sonderbaren und mir so unbekannten Zeichen ausdrückst; und darauf wäre denn, abermals in den meisten Fällen, die einzig passende Antwort folgende: Du kennst diese Sache überhaupt nicht, und hast während Deines ganzen Lebens nie etwas von ihr vernommen, weder unter diesem, noch unter einem anderen Namen, und falls Du zur Kenntniss derselben kommen sollst, so musst Du eben jetzt von vorne anfangen, dieselbe kennen zu lernen; und dann am schicklichsten unter derjenigen Benennung, unter der sie Dir zuerst angetragen wird. So wird das heute gebrauchte Wort Idee in den folgenden Vorlesungen allerdings weiter bestimmt und erklärt, und, wie ich hoffe, zur vollkommenen Klarheit herauf erklärt werden; aber das ist keinesweges das Geschäft einer einzigen Stunde.

Wir behalten uns dieses, wie alles andere, was wir noch zu erinnern hätten, bis auf die folgenden Vorlesungen vor.


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