Johann Gottlieb Fichte
Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten
Johann Gottlieb Fichte

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Zweite Vorlesung.

Nähere Bestimmung des Begriffes der göttlichen Idee.

Folgendes waren die Hauptsätze, die wir in der letzten Vorlesung unserer Erörterung des Begriffes vom Gelehrten zu Grunde legten.

Die gesammte Welt ist keinesweges in der That und Wahrheit dasjenige, als was sie dem ungebildeten und natürlichen Sinne des Menschen erscheint, sondern sie ist ein höheres, das der natürlichen Erscheinung bloss zu Grunde liegt. In der höchsten Allgemeinheit kann man diesen Grund der Erscheinung sehr füglich nennen die göttliche Idee von der Welt. Ein bestimmter Theil des Inhaltes dieser göttlichen Idee ist dem gebildeten Nachdenken zugänglich und begreiflich.

Wir äusserten gegen den Schluss derselben Vorlesung, dass dieser, hier freilich noch dunkele Begriff einer göttlichen Idee, als der letzten und absoluten Grundlage aller Erscheinungen, erst in der Zukunft, vermittelst seiner durchgeführten Anwendung, ganz klar werden könne.

Dennoch finden wir es zweckmässig, denselben vorläufig im Allgemeinen näher zu erklären, und wollen diesem Geschäfte die heutige Stunde widmen. Wir stellen für diesen Zweck folgende Sätze auf, welche für uns zwar die Resultate einer angestellten tieferen Untersuchung und vollkommen erweislich sind, die wir aber Ihnen hier nur historisch mittheilen können; höchstens rechnend auf Ihr eigenes Wahrheitsgefühl, das uns auch ohne Einsicht in die Gründe beistimme; und etwa darauf, dass Sie bemerken; es werden durch diese Voraussetzungen die wichtigsten Fragen beantwortet, und die tiefsten Zweifel gelöset.

Wir stellen folgende Sätze auf:

1) Das Seyn, durchaus und schlechthin als Seyn, ist lebendig und in sich thätig, und es giebt kein anderes Seyn, als das Leben: keinesweges aber ist es todt, stehend und innerlich ruhend. Was das denn doch in der Erscheinung vorkommende Todte sey, und wie es zum einzigen wahren Seyn, zum Leben, sich verhalte, werden wir tiefer unten sehen.

2) Das einzige Leben, durchaus von sich, aus sich, durch sich, ist das Leben Gottes oder des Absoluten, welche beide Worte eins und dasselbe bedeuten; und wenn wir sagen: das Leben des Absoluten, so ist dies auch nur eine Weise zu reden; indem in der Wahrheit das Absolute das Leben, und das Leben das Absolute ist.

3) Dieses göttliche Leben ist an und für sich rein in sich selber verborgen, es hat seinen Sitz in sich selber, und bleibt in sich selbst, rein aufgehend in sich selbst, zugänglich nur sich selber. Es ist – alles Seyn, und ausser ihm ist kein Seyn. Es ist eben darum durchaus ohne Veränderung oder Wandel.

4) Nun äussert sich dieses göttliche Leben, tritt heraus, erscheinet und stellt sich dar, als solches, als göttliches Leben: und diese seine Darstellung, oder sein Daseyn und äusserliche Existenz ist die Welt. Nehmen Sie das Gesagte strenge; es stellt sich dar, sich selber, so wie es innerlich wirklich ist und lebt, und kann sich nicht anders darstellen: es tritt daher zwischen sein wahres inneres Seyn, und seine äussere Darstellung keinesweges etwa eine grundlose Willkür in die Mitte, zufolge welcher es sich nur theilweise hergäbe, theilweise aber verbärge; sondern seine Darstellung, d. h. die Welt ist lediglich durch die zwei Glieder, sein eigenes inneres Wesen an sich, und die unveränderlichen Gesetze seinerIn der alten Ausgabe »einer,« Aeusserung und Darstellung überhaupt, bedingt, und unveränderlich bestimmt. Gott stellt sich dar, wie Gott sich darstellen kann. Sein ganzes, an sich unbegreifliches Wesen, tritt heraus, ungetheilet und ohne Rückhalt, so wie es in einer blossen Darstellung heraustreten kann.

5) Das göttliche Leben an sich ist eine durchaus in sich geschlossene Einheit, ohne alle Veränderlichkeit oder Wandel, sagten wir oben. In der Darstellung wird dasselbe, aus einem begreiflichen nur hier nicht auseinanderzusetzenden Grunde, ein ins unendliche sich fortentwickelndes und immer höher steigendes Leben in einem Zeitflusse, der kein Ende hat. Zuvörderst: es bleibt in der Darstellung Leben, haben wir gesagt. Das Lebendige kann keinesweges dargestellt werden in dem Todten, denn diese beiden sind durchaus entgegengesetzt, und darum, so wie das Seyn nur Leben ist, ebenso ist das wahre und eigentliche Daseyn auch nur lebendig, und das Todte ist weder, noch ist es, im höheren Sinne des Wortes, da. Dieses lebendige Daseyn in der Erscheinung nun nennen wir das menschliche Geschlecht. Also allein das menschliche Geschlecht ist da. So wie das Seyn aufgeht und erschöpft ist in dem göttlichen Leben, so gehet das Daseyn, oder die Darstellung jenes göttlichen Lebens auf in dem gesammten menschlichen Leben, und ist durch dasselbe rein und ganz erschöpf. Sodann: das göttliche Leben wird in seiner Darstellung zu einem ins unendliche sich fortentwickelnden, und nach dem Grade der inneren Lebendigkeit und Kraft immer höher steigenden Leben. Daher, – welche Folgerung wichtig ist; daher ist das Leben in der Darstellung, in allen Zeitpuncten seines Daseyns, im Gegensatze mit dem göttlichen Leben, beschrankt, d, h. zum Theile nicht lebendig, und noch nicht zum Leben hindurchgedrungen, sondern insofern todt. Diese Schranken soll es nun immer fort durch sein steigendes Leben durchbrechen, entfernen, und in Leben verwandeln.

Sie haben andern soeben aufgestellten Begriffe der Schranken, wenn sie denselben recht scharf in das Auge fassen und erwägen, den Begriff der objectiven und materiellen Welt; oder der sogenannten Natur. Diese ist nicht lebendig, so wie die Vernunft, und einer unendlichen Fortentwicklung fähig, sondern todt, ein starres und in sich beschlossenes Daseyn, Sie ist das, – das Zeitleben anhaltende und hemmende; und allein durch diese Hemmung zu einer Zeit ausdehnende, was ausserdem mit Einem Schlage als ein ganzes und vollendetes Leben hervorbrechen würde. Sie soll ferner durch das vernünftige Leben in seiner Entwickelung selber belebt werden; sie ist darum der Gegenstand und die Sphäre der Thätigkeit und der Kraftäusserung des ins unendliche sich fort entwickelnden menschlichen Lebens. –

Dies, meine Herren, und schlechthin nichts weiter ist die Natur in der ausgedehntesten Bedeutung des Wortes, und selber der Mensch, inwiefern sein Leben im Vergleich mit dem ursprünglichen und göttlichen Leben beschränkt ist, ist nichts weiter. Da das unendliche Fortschreiten des zweiten nicht ursprünglichen, sondern abgeleiteten, menschlichen Lebens, – und eben darum, damit ein Fortschreiten möglich sey, zugleich die Endlichkeit, und die Beschränktheit des menschlichen Lebens aus jener Sich-Darstellung des Absoluten hervorgehen; so hat die Natur ihren Grund freilich auch in Gott, aber keinesweges als etwas, das da absolut da ist und da seyn soll, sondern nur als Mittel und Bedingung eines anderen Daseyns, des Lebendigen im Menschen, und als etwas, das durch den steten Fortschritt dieses lebendigen immer mehr aufgehoben werden soll. Lassen Sie sich darum ja nicht blenden oder irre machen durch eine Philosophie, die sich selbst den Namen der Natur-Philosophie beilegt, und welche alle bisherige Philosophie dadurch zu übertreffen glaubt, dass sie die Natur zum Absoluten zu machen, und sie zu vergöttern strebt. Von aller Zeit her haben sowohl alle theoretischen Irrthümer, als alle sittlichen Verderbnisse der Menschheit darauf sich gegründet, dass sie den Namen des Seyns und des Daseyns wegwarfen an dasjenige, was an sich weder ist, noch da ist, und das Leben und den Genuss des Lebens bei demjenigen suchten, was in sich selber den Tod hat. Jene Philosophie ist daher – weit entfernt, ein Vorschritt zur Wahrheit zu seyn, lediglich ein Rückschritt zu dem alten und verbreitetsten Irrthum.

6) Alles soeben in den bisherigen Sätzen Aufgestellte kann nun der Mensch, der ja selbst die Darstellung des ursprünglichen und göttlichen Lebens ist, im Allgemeinen einsehen, wie wir z. B. es eingesehen haben, es sey nun aus Gründen, oder lediglich von dunkelem Wahrheitssinne geleitet, oder auch nur es wahrscheinlich findend, weil es einen vollständigen Aufschluss giebt über die wichtigsten Probleme. Der Mensch kann es einsehen, d. h. die Darstellung kann zurückgehen in ihren Ursprung, denselben nachbildend, mit absoluter Gewissheit in Rücksicht des Dass: keinesweges aber ihn wiederholend und noch einmal machend in der That und Wahrheit; denn die Darstellung bleibt ewig nur Darstellung, und kann nie herausgehen aus ihr selber, und sich verwandeln in das Wesen.

7) Der Mensch kann es einsehen in Rücksicht des Dass , haben wir gesagt, keinesweges aber in Rücksicht des Wie. – Wie und warum aus dem Einen göttlichen Leben gerade ein solches, also bestimmtes fortfliessendes Zeitleben hervorgehe, könnte man nur dadurch begreifen, dass man alle Theile des letzteren in vollendeter Auffassung begriffe, sie gegenseitig und allseitig durcheinander deutete, so sie auf den Einheitsbegriff zurückbrächte, und diesen dem Einen göttlichen Leben gleich fände. Aber dieses fortfliessende Zeitleben ist unendlich, die Auffassung seiner Theile kann daher nie vollendet werden: das Begreifende aber ist selber das Zeitleben, und steht in jedem Punkte, in dem man es denken möchte, selber in der Endlichkeit und in Schranken gefesselt da, welche es ganz nie abstreifen kann, ohne aufzuhören, die Darstellung zu seyn, und ohne in das göttliche Wesen selbst sich zu verwandeln.

8) Aus dem letzteren scheint zu folgen, dass das Zeitleben bloss im Allgemeinen nach seinem Wesen begriffen werden könne, so wie es im obigen von uns begriffen ist, überhaupt als Darstellung des Einen ursprünglichen und göttlichen Lebens; dass es aber im Besonderen, seinem eigentlichen Inhalte nach, unmittelbar gelebt und erlebt werden müsse, und nur in und zufolge dieses Erlebens in der Vorstellung und dem Bewusstseyn nachgebildet werden könne. – Und so verhält es sich denn in einer gewissen Rücksicht und mit einem bestimmten Theile des menschlichen Lebens wirklich. Es bleibt durch den ganzen unendlichen Zeitfluss hindurch in jedem einzelnen Theile desselben am menschlichen Leben etwas übrig, das im Begriffe nicht vollkommen aufgeht, und eben darum auch durch keine Begriffe verfrühet oder ersetzt werden kann, sondern das da unmittelbar gelebt werden muss, wenn es je in das Bewusstseyn kommen soll; dies nennt man das Gebiet der blossen und reinen Empirie oder Erfahrung. Die oben erwähnte Philosophie benimmt auch darin, dass sie den Schein sich giebt, als ob sie das ganze menschliche Leben im Begriffe aufzulösen und die Erfahrung zu ersetzen vermöge, sich verkehrt, und verliert, über dem Bestreben das Leben durchaus zu erklären, das Leben selber.

9) So verhält es sich mit dem Zeitleben in einer gewissen Rücksicht und nach einem bestimmten Theile desselben, sagte ich. Denn in einer anderen Rücksicht und nach einem anderen Theile desselben verhält es sich anders, aus folgendem Grunde, den ich bildlich ausdrücken werde, der aber einer genaueren Aufmerksamkeit wohl werth ist.

Das Zeitleben tritt nicht bloss in einzelnen Momenten, sondern es tritt auch in ganzen gleichartigen Massen ein in die Zeit, welche gleichartigen Massen nun eben es sind, die wiederum in einzelne Momente des wirklichen Lebens sich spalten. Es giebt nicht eine einzige Zeit, sondern es giebt Zeiten, und Zeitordnungen über Zeitordnungen und in Zeitordnungen. So ist z. B. das gesammte gegenwärtige irdische Leben der menschlichen Gattung eine solche gleichartige Masse, welche mit Einem Male ganz eingetreten ist in die Zeit, und allgegenwärtig ganz und ungetheilt da ist – für den tieferen Sinn, lediglich für die sinnliche Erscheinung noch ablaufend in der Weltgeschichte. Die allgemeinen Gesetze und Regeln dieser gleichartigen Massen des Lebens lassen sich, nachdem dieselben Massen nun eingetreten sind in die Zeit, wohl begreifen, und, für den ganzen Ablauf dieser Massen im Voraus einsehen und verfrühen, indess die Objecte, d. h. die Hemmungen und Störungen des Lebens, über welche hinweg diese Massen ablaufen, lediglich der unmittelbaren Erfahrung zugänglich sind.

10) Diese erkennbaren Gesetze der gleichartigen Massen des Lebens, die vor dem wirklichen Erfolge voraus erkannt werden, müssen nothwendig erscheinen, als Gesetze des Lebens selber, wie es seyn und werden soll, gerichtet an das auf sich selber ruhende und selbstständige Princip dieses Zeitlebens, das da als Freiheit erscheinen muss; demnach als Gesetze für ein freies Thun und Handeln der Lebendigen. Gehen wir zurück auf den Grund dieser Gesetzgebung, so liegt dieser im göttlichen Leben selber, welches in der Zeit sich nicht anders äussern und darstellen konnte, denn auf diejenige Weise, die uns hier als eine Gesetzgebung erscheint; und zwar, wie in dem aufgestellten Begriffe lag, keinesweges als eine mit blinder Gewalt gebietende, und sich Gehorsam erzwingende Gesetzgebung, wie wir in der willenlosen Natur eine solche annehmen, sondern als Gesetzgebung an das von ihr selbst als Leben hingestellte Leben, dem die Selbstständigkeit nicht entrissen werden kann, ohne dass ihm dadurch zugleich die Wurzel des Lebens ausgerissen werde; mithin, wie wir oben sagten, als göttliches Gesetz an die Freiheit, oder als Sittengesetz.

Nun ist ferner, wie wir schon oben eingesehen, dieses Leben, nach dem Gesetze des ursprünglichen göttlichen Seyns, das einige wahre Leben und seine Ursprünglichkeit; alles andere aber ausser diesem Leben ist nur Hemmung und Störung desselben, lediglich darum daseyend, damit an ihm das wahre Leben sich entwickele, und in seiner Kraft sich darstelle; deswegen ist alles andere gar nicht um sein selbst willen da, sondern lediglich als Mittel für den Zweck des wahrhaften Lebens. – Die Verbindung zwischen Mittel und Zweck vermag die Vernunft nur also zu fassen, dass sie einen Verstand sich denke, der den Zweck gedacht habe. Das gesetzmässige menschliche Leben ist in Gott begründet: man denkt sich daher, nach der Analogie mit unserem Verstände, Gott, als denkend das sittliche Leben des Menschen als einzigen Zweck, um dessenwillen er sich dargestellt und alles übrige ausser diesem Leben ins Daseyn gerufen habe; keinesweges, als ob es an sich also sey, und Gott so, wie der Endliche, denke, und das Daseyn vom Bilde des Daseyns in ihm unterschieden werde, sondern lediglich, weil wir das Verhältniss auf keine andere Weise fassen können. Und in dieser absolut nothwendigen Vorstellungsweise wird denn das menschliche Leben, wie es seyn soll, die Idee und der Grundgedanke Gottes bei Hervorbringung einer Welt, die Absicht und der Plan, dessen Ausführung Gott mit der Welt sich vorsetzte.

Und so ist denn, meine Herren, für unseren Zweck hinreichend erklärt, wie der Welt die göttliche Idee zu Grunde liege, und inwiefern und wie diese dem gemeinen Auge verborgene Idee dem gebildeten Nachdenken begreiflich und zugänglich werde, und ihm nothwendig erscheinen müsse, als dasjenige, was der Mensch durch freie That in der Welt hervorbringen solle.

Beschränken Sie bei diesem Sollen, und bei dieser freien That Ihr Denken nicht etwa sogleich auf den bekannten kategorischen Imperativ, und auf die beengte und dürftige Anwendung, die demselben in den gewöhnlichen allgemeinen Sittenlehren und Moralsystemen gegeben wird, und zufolge einer solchen Wissenschaft gegeben werden muss. Fast immer, und aus guten, in den Gesetzen der philosophischen Abstraction, durch welche eine Sittenlehre zu Stande kommt, wohl begründeten Gründen, hält man sich am längsten bei der Form der Moralität auf, dass etwas nur geschehe rein und lediglich um des Gesetzes willen; und wo man noch zum Inhalte fortschreitet, so scheint die Hauptabsicht mehr diese zu seyn, die Menschen nur dahin zu bringen, dass sie das Unrechte lassen, als die andere, dass sie das Rechte thun; auch ist man genöthigt, in der Pflichtenlehre sich in einer solchen Allgemeinheit zu halten, dass die Regeln für Alle auf die gleiche Weise passen, und auch aus diesem Grunde mehr angezeigt wird, was die Menschen nicht thun sollen, als was sie thun sollen. Alles dieses ist allerdings auch die göttliche Idee, aber nur in ihrer entfernteren und abgeleiteten Gestalt, keinesweges in ihrer frischen Ursprünglichkeit. Die ursprüngliche göttliche Idee von einem bestimmten Standpuncte in der Zeit lässt grösstentheils sich nicht eher angeben, als bis der von Gott begeisterte Mensch kommt, und sie ausführt. Was der göttliche Mensch thut, das ist göttlich. Im Allgemeinen ist die ursprünglich und rein göttliche Idee, – das, was der unmittelbar von Gott Begeisterte soll, und wirklich thut, – für die Welt der Erscheinung schöpferisch, hervorbringend das neue – unerhörte, und vorher nie da gewesene. Der Trieb des blossen natürlichen Daseyns geht auf das Beharren beim Alten; selbst wo die göttliche Idee sich mit ihm vereinigt – auf die Aufrechthaltung des bisherigen guten Zustandes, und höchstens auf kleine Verbesserungen desselben: wo aber die göttliche Idee rein und ohne Beimischung des natürlichen Antriebes ein Leben gewinnt, da baut sie neue Welten auf, auf den Trümmern der alten. Alles Neue, Grosse und Schöne, was von Anbeginn der Welt an in die Welt gekommen, und was noch bis an ihr Ende in sie kommen wird, ist in sie gekommen, und wird in sie kommen durch die göttliche Idee, die in einzelnen Auserwählten theilweise sich ausdrückt.

Ebenso, wie das Leben der Menschen das einzige unmittelbare Werkzeug und Organ ist der göttlichen Idee in der Sinnenwelt, so ist dasselbe menschliche Leben auch der erste und unmittelbare Gegenstand dieser Wirksamkeit. Die Fortbildung der menschlichen Gattung hat die göttliche Idee – dieselbe Fortbildung hat jeder, welcher von dieser Idee ergriffen wird, – zum Ziele. Diese letztere Einsicht macht es uns möglich, die göttliche Idee in Absicht ihres Wirkungskreises einzutheilen, oder, die Eine an sich untheilbare Idee als mehrere Ideen zu denken.

Zuvörderst: das an sich und in der Wahrheit einige und untheilbare menschliche Leben ist, in der Erscheinung, in das Leben mehrerer Individuen nebeneinander, deren jedes mit seiner Freiheit und Selbständigkeit versehen ist, zerfallen. Diese Zertheilung des Einen Lebendigen ist eine Natureinrichtung, somit eine Störung und Hemmung des wahren Lebens, wirklich geworden deswegen, damit an ihr, und in dem Streite mit ihr, die Einheit des Lebens, die nach der göttlichen Idee ist und seyn soll, mit Freiheit sich bilde: das menschliche Leben ist nicht Eins geworden durch die Natur, damit es sich selber lebe zur Einheit, und damit alle die getrennten Individuen durch das Leben selber zur Gleichheit der Gesinnung zusammenschmelzen. Im natürlichen Zustande widerstreiten einander und hemmen sich gegenseitig die verschiedenen Willen dieser Individuen, und die durch sie bewegten Naturkräfte. So ist es nicht in der göttlichen Idee, und so soll es nach derselben in der Sinnenwelt nicht bleiben. Die erste, keinesweges in der blossen Natur begründete, sondern erst durch eine neue Schöpfung in die Welt eingeführte Macht, an welcher dieser Streit der individuellen Kräfte so lange sich bricht, bis er durch allgemeine Sittlichkeit gänzlich aufgehoben werde, ist die Errichtung des Staates, und eines rechtlichen Verhältnisses zwischen mehreren Staaten; kurz, alle die Einrichtungen, wodurch jeder einzelnen oder verbundenen individuellen Kraft die ihr zugehörige Sphäre angewiesen, und sie in derselben zugleich beschränkt, und zugleich vor allem fremden Eingriffe gesichert wird. Diese Einrichtung lag in der göttlichen Idee, sie ist auf Antrieb derselben von begeisterten Menschen in die Welt eingeführt worden, sie wird durch denselben Antrieb in der Welt erhalten, und immerfort vervollkommnet werden, bis zu ihrer Vollendung.

Dieses vom Streite mit sich selbst zur Einmüthigkeit zu erhebende Menschengeschlecht ist noch überdies mit einer willenlosen Natur umgeben, welche sein freies Leben immerfort beschrankt, bedrohet und einengt. So musste es seyn, damit dieses Leben durch eigene Freiheit seine Einheit»In der alten Ausgabe »Freiheit.« gewinne; und diese Kraft und Selbstständigkeit des sinnlichen Lebens soll, zufolge der göttlichen Idee, fortschreitend sich entwickeln. Dazu bedarf es, dass die Naturkräfte den menschlichen Zwecken unterworfen werden, und, damit man dieses vermöge, dass man die Gesetze, nach denen diese Kräfte wirken, erkenne, und im Voraus ihre Kraftäusserungen zu berechnen vermöge. Ueberdies, nicht bloss nützlich und brauchbar soll die Natur dem Menschen werden, sie soll zugleich anständig ihn umgeben, das Gepräge seiner höheren Würde annehmen, und von allen Seiten dasselbe ihm entgegenstrahlen. Diese Herrschaft über die Natur lag in der göttlichen Idee, und wird auf den Antrieb dieser Idee durch Einzelne, die von ihr ergriffen werden, unaufhörlich erweitert.

Endlich, der Mensch hat seinen Sitz nicht bloss in der Sinnenwelt, sondern die eigentliche Wurzel seines Daseyns ist, wie wir gesehen haben, in Gott. Von der Sinnlichkeit und ihren Antrieben fortgerissen, kann das Bewusstseyn dieses Lebens in Gott sich ihm leicht verbergen, und sodann lebt er, welche edele Natur er auch übrigens seyn möge, in Streit und Zwiespalt mit sich selber, in Unfrieden und Unseligkeit, ohne wahre Würde und Lebensgenuss. Erst wie das Bewusstseyn der wahren Quelle seines Lebens ihm aufgeht, und er freudig in dieselbe sich taucht, und ihr sich hingiebt, überströmt ihn Friede, Freude und Seligkeit. Es liegt in der göttlichen Idee, dass alle Menschen zu diesem erfreuenden Bewusstseyn kommen, um das ausserdem unschmackhafte endliche Leben mit dem unendlichen zu durchdringen und in ihm zu gemessen: darum haben von jeher Begeisterte gearbeitet, und werden fortarbeiten, dieses Bewusstseyn in seiner möglichst reinsten Gestalt unter den Menschen zu verbreiten.

Die genannten Wirkungssphären: die der Gesetzgebung, die der Naturkenntniss und Naturherrschaft, die der Religion, sind die allgemeinsten, in denen die göttliche Idee durch Menschen in der Sinnenwelt sich äussert und darstellt. Es ist sichtbar, dass jeder dieser Hauptzweige wiederum seine einzelnen Theile habe, in denen vereinzelt die Idee sich offenbaren könne. Rechnet man nun noch dazu die Wissenschaft der göttlichen Idee, sowohl dass es eine solche Idee gebe, als die ihres Inhaltes im Ganzen, oder in einzelnen besonderen Theilen; ferner die Kunst und Fertigkeit, die klar erkannte Idee in der Sinnenwelt wirklich darzustellen; – welches beides, die Wissenschaft wie die Kunst, doch auch nur durch den unmittelbaren Antrieb der göttlichen Idee erworben werden kann – so haben wir die fünf Hauptarten, wie die Idee in dem Menschen sich äussert.

Die Art der Bildung nun, durch welche, nach der Annahme eines Zeitalters, man zum Besitz dieser Idee, oder dieser Ideen komme, haben wir die gelehrte Bildung, und denjenigen, der durch diese Bildung hindurch wirklich zu dem angestrebten Besitze gekommen, den Gelehrten desselben Zeitalters genannt: und es muss Ihnen durch das heute Gesagte leichter geworden seyn, diesen Ausspruch wahr zu finden, die verschiedenen Zweige der Gelehrsamkeit, die man annimmt, darauf zurückzuführen, daraus abzuleiten, und so unseren Ausspruch anzuwenden.


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