Johann Gottlieb Fichte
Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten
Johann Gottlieb Fichte

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Fünfte Vorlesung.

Wie die Rechtschaffenheit des Studirenden sich äussere.

Die Vorlesungen, welche ich hierdurch wiederum eröffene, haben unter mancherlei ungünstigen Nebenumständen begonnen. Zuvörderst, ich musste meinen Gegenstand aus einem Standpuncte fassen, dessen Höhe zu erschwingen wohl nicht jeder Studirende vorbereitet gewesen seyn dürfte. Ein neu angestellter Lehrer an einer Universität kann nicht füglich das Maass der im öffentlichen Umlauf befindlichen wissenschaftlichen Bildung kennen; auch ist es natürlich, dass man voraussetzt, die längst vor uns notorisch vorhanden gewesenen Mittel einer solchen Bildung seyen gebraucht worden. Aber hätte ich auch wissen und voraussetzen können, dass das Publicum im Ganzen zu einer solchen Ansicht nicht hinlänglich vorbereitet sey, ich hätte dennoch meinen Gegenstand nicht anders fassen können, als ich ihn gefasst habe, oder ich hätte ihn gar nicht berühren müssen. Auf der Oberfläche verweilen, und das schon hundertmal Gesagte nur in einer anderen Form wiederholen soll man nicht: wer nichts anderes kann, der thut besser, wenn er ganz schweigt; wer es aber anders kann, der hält es nicht aus, es auf jene Weise zu thun. – Ferner, es mussten die einzelnen Theile dessen, was an sich doch ein systematisches Ganzes ist, durch Zwischenräume von Wochen unterbrochen werden; – und auch für diese Vorlesungen noch ausdrücklich zu erinnern, was ich im Allgemeinen für jeden philosophischen Unterricht vorgeschlagen hatte, dass man das Vorgetragene in seinem Zusammenhange wiederholen, und vor der neuen Vorlesung sich wieder in das Ganze, und in den Geist desselben hineinversetzen solle, verbot mir der Anstand. Endlich ist der Vortrag in diesen Vorlesungen nicht, wie in meinen übrigen, ganz frei, und sich herablassend zur Vertraulichkeit des Gesprächstones, sondern er ist wörtlich ausgearbeitet, und wird gehalten also, wie er niedergeschrieben ist. Auch dies hielt ich der Wohlanständigkeit gemäss: ich wollte diesen Vorträgen auch alle die äussere Bildung geben, welche die von meinen anderen Arbeiten übrige, und auf diese zu wendende Zeit verstattete. Oeffentliche Vorträge sind freie Gaben eines akademischen Lehrers; und zum Geschenke giebt der nicht unedle gern das Beste, was er zu geben vermag.

Die beiden zuletzt erwähnten Umstände lassen sich nicht aufheben, und es bleibt Ihnen nichts übrig, als sie aus ungünstigen in für Sie günstige zu verwandeln. Der erste ist für diejenigen, welche meine Privat-Vorlesungen besuchen, durch die letzten Lehrstücke derselben, über den Unterschied der philosophischen Ansicht von der historischen, gehoben: und ich halte dafür, dass diese Lehrstücke Sie zum Fassen derjenigen Ansicht, welche wir hier von unserem Gegenstande nehmen, sattsam vorbereitet haben. Ich will heute zuvörderst das hier behandelte Ganze in die Form, welche Sie dort haben kennen lernen, aufnehmen, es in dieser Form vorzeigen und von ihr aus wiederholen.

Was es auch irgend sey, das der Mensch seiner Betrachtung unterwerfe, so kann es betrachtet werden auf eine doppelte Weise, und gleichsam mit einem doppelten Sinnenorgan: entweder historisch, durch die blosse innere Betastung, oder philosophisch, durch das innere Auge; und auf dieselbe doppelte Weise lässt sich auch derjenige Gegenstand, welchen wir hier untersuchen, das Wesen des Gelehrten, auffassen. Die historische Ansicht fasset die vorhandenen Meinungen über den Gegenstand auf, versucht unter ihnen die allgemeinste und herrschendste auszulesen, stellt diese hin als Wahrheit, erhält aber nichts Wahres, sondern lauter Wahn. Die philosophische erfasset die Dinge, so wie sie an sich sind, d. i. in der Welt des reinen Gedankens, welcher Welt Urprincip Gott ist; demnach also, wie Gott sie denken müsste, falls ihm ein Denken beizulegen wäre. Welches ist das Wesen des Gelehrten, als eine philosophische Frage, bedeutet daher Folgendes: wie müsste Gott das Wesen des Gelehrten denken, falls er dächte. In diesem Geiste haben wir die aufgestellte Frage genommen, und in diesem Geiste sie folgendermaassen beantwortet. Zuvörderst: Gott hat die Welt überhaupt gedacht, nicht nur, wie sie ist und sich findet, sondern auch also, wie sie sich durch sich selbst weiter gestalten soll; ausser dem, was sie ist, liegt in dem göttlichen Gedanken von ihr noch das Princip einer ewigen Fortentwickelung, und zwar einer Fortentwickelung aus dem Höchsten, was in derselben sich findet, aus den vernünftigen Wesen in ihr, vermittelst derselben Freiheit. Sollen nun diese vernünftigen Wesen jenen göttlichen Gedanken von der Welt, wie sie werden soll, durch ihre freie That realisiren, so müssen sie vor allem voraus ihn selbst fassen und erkennen. Auch dieses Fassen und Erkennen jenes ersten göttlichen Grundgedankens vermögen sie nicht, ausser zufolge eines zweiten göttlichen Gedankens, dass sie, eben diese, denen es verliehen wird, jenen Gedanken fassen sollen. Diejenigen nun, welche in dem göttlichen die Welt erschaffenden Gedanken also gedacht sind, dass sie jenen ersten göttlichen Grundgedanken, zum Theil, fassen sollen, sind in ihm als Gelehrte gedacht; und umgekehrt, Gelehrte sind möglich, und sie sind, wo sie sind, wirklich nur durch den göttlichen Gedanken; und sie sind in dem göttlichen Gedanken solche, welche Gott seinen Grundgedanken von der Welt zum Theil nachdenken; Gelehrte insbesondere, inwiefern sie durch die in jedem Zeitalter, auch nicht ohne den göttlichen Gedanken, vorhandenen Mittel der höchsten geistigen Bildung, zu jenem Denken sich erhoben haben.

Jener göttliche Gedanke von dem Menschen, als einem Gelehrten, muss nun selbst den Menschen ergreifen, und seine innige Seele, das wahre eigentliche Leben in seinem Leben werden. Dies kann geschehen auf zweierlei Art und Weise, entweder unmittelbar, oder mittelbar. Ergreift jener Gedanke den Menschen unmittelbar, so gestaltet er sich in ihm durchaus durch sich selber, ohne alles andere Zuthun, zu einer solchen Erkenntniss des göttlichen Weltplanes heraus, wie sie in diesem Individuum heraustreten kann; alles sein Denken und Treiben geht von selber auf dem geradesten Wege fort zu diesem Ziele; was er auf diesem Boden thut, ist gut und recht und ohne Fehl, denn es ist selbst unmittelbar göttliche That. Diese Erscheinung nennen wir Genie. Nun lässt es sich im einzelnen Falle nie entscheiden, ob ein Individuum unter diesem unmittelbaren Einflusse des göttlichen Gedankens stehe, oder nicht stehe.

Oder der zweite und allgemein anwendbare Fall: der göttliche Gedanke von dem Individuum als Gelehrten, ergreift den Menschen und begeistert und belebet ihn nur mittelbar. Er findet sich durch seine Lage, die er, als ohne sein Zuthun bestimmt, für den Gedanken der Gottheit anerkennen muss, in der Nothwendigkeit zu studiren. Er ergreift diese Bestimmung – eben vermittelst des Denkens, dass sie der göttliche Gedanke von ihm und über ihn sey, mit Rechtschaffenheit; denn also nennt man das Denken, dass Gott eine Absicht mit unserem Daseyn habe. Durch dieses Umfassen seiner Bestimmung, nicht, dass sie eben überhaupt also sey, sondern dass sie also sey allein und lediglich durch den göttlichen Gedanken, wird ihm sowohl seine Person, als sein Geschäft, die Wissenschaft, über alles ehrwürdig und heilig. Der letzte Gedanke war es, den wir in der vorigen Vorlesung auseinandersetzten, und aus welchem wir heute weiter zu folgern gedenken.

Dieser Gedanke der Göttlichkeit und Heiligkeit seiner Bestimmung ist die Seele seines Lebens, der Trieb, der alles hervortreibt, was aus ihm hervorgeht, der Aether, in welchen alles sich taucht, was ihn umgiebt. Seine Aeusserungen und Erscheinungen in der Sinnenwelt werden denn ohne weiteres jenem Gedanken gemäss. Er will nicht mit ihm übereinstimmend handeln, ermahnet, treibet, nöthiget sich nicht zu einem solchen Handeln, sondern er kann gar nicht anders handeln; sollte er ihm widerstreitend handeln, so würde er dazu sich ermahnen, treiben und nöthigen müssen, und es würde ihm doch nicht gelingen.

Fassen Sie dieses fest in Ihre Seele, hier beim Uebergange von der Idee eines rechtschaffenen Studirenden zu seiner äusseren Erscheinung. Unsere Sittenlehre, falls es Sittenlehre ist, was wir hier vortragen, – unsere Sittenlehre befiehlt nicht: eben so, wie alle Philosophie, hält auch sie sich innerhalb der Gesetzmässigkeit und Nothwendigkeit, und beschreibet bloss, was da folgt und was nicht folgt. Könnte diese Sittenlehre einen Wunsch nach aussen sich erlauben, und einen Erfolg hoffen, so wäre es nur der, die Quelle des Guten aus dem trockenen und harten Felsen herauszuschlagen, welche sodann von selber fortströmen würde, in ihrer ursprünglichen Reinigkeit; die Säfte des Stammes innerlich zu verbessern; – keinesweges aber durch eitle Künste ihm fremde Früchte anzuheften, welche aus diesem Holze nicht wachsen können. Ich werde darum vieles, das hierher zu gehören scheinen könnte, gar nicht berühren, ich werde von manchem, das ich berühre, mit einer unerwarteten Milde sprechen; keinesweges, als ob ich nicht wüsste, dass ebendasselbe auch andere Ansichten leidet, und dass in diesen Ansichten härter davon gesprochen werden muss, sondern weil ich hier das Wirkliche nur an die Heiligkeit des Ideals halten will, das in gewisse Tiefen des Verfalles gar nicht heruntergezogen werden muss. Mag äusserer Sittenmeister seyn, wer da will; wir wollen hier mit der Gemeinheit, für welche äussere Antriebe auch Antriebe sind, gar nicht in Berührung treten.

Die Auffassung seiner Bestimmung, als eines göttlichen Gedankens, mache dem Studirenden seine eigene Person heilig und ehrwürdig, haben wir zuvörderst gesagt. Diese Ansicht seiner Person wird in seinem äusserlichen Leben sich zeigen ganz von selber, und ohne dass er es zu wollen, oder daran zu denken braucht: in heiliger Unschuld und Unbefangenheit, ohne dass er es selbst so eigentlich weiss, indem ein anderes Leben gar nicht in seinen Gesichtskreis fällt.

Um sein Leben mit einem Zuge zu beschreiben: es flieht die Berührung mit dem Gemeinen und Unedlen. Wo dieses an ihn trifft, treibt es ihn zurück: so wie jene bekannte zarte Pflanze vor der Berührung des Fingers sich zurückzieht. Wo es gemein und unedel hergeht, da findet ihr ihn nicht: es hat ihn zurückgetrieben, ehe es ihm recht nahe kam, Was ist gemein und unedel? – So fragt nicht Er; ihn lehrt es unmittelbar in jedem einzelnen Falle sein innerer Sinn. Wir nur fragen so, um sein schönes Leben zu beschreiben und an dem Bilde desselben uns zu ergötzen.

Gemein und unedel ist, was die Phantasie herunterzieht, und den Geschmack für das Heilige abstumpft. Sage mir, worauf deine Gedanken, wenn du nicht mehr mit straffer Hand sie nach einem Ziele hinrichtest, sondern ihnen zur Erholung erlaubst, frei zu schweifen, – worauf sie sodann fallen, wohin sie von selbst, als in ihre geliebteste Heimath kehren, woran du dich in der innersten Tiefe deines Gemüthes ergötzest, wenn du dich ergötzen willst; und ich will dir sagen, was für einen Geschmack du hast. Fallen sie auf das Göttliche, und auf alles dasjenige in der Natur und in der Kunst, worin dieses Göttliche in seiner imposanten Majestät am unmittelbarsten sich ausdrückt, so ist dir das Göttliche nicht furchtbar, sondern befreundet, du hast an ihm Geschmack, und es ist dein liebster Genuss. Fliehen sie, gesetzt auch, du hättest bis jetzt mit Kraft ihre Richtung auf ein ernsthaftes Ziel durchgesetzt, losgebunden, wieder zum Brüten auf sinnlichen Ergötzungen und zum Spiele mit ihnen, so hast du nur am Gemeinen Geschmack, und du musst die Thierheit einladen in die innerste Tiefe deines Gemüthes, wenn es dir in demselben recht wohl seyn soll. Nicht so der edle studirende Jüngling. Seine durch Fleiss und Anstrengung ermatteten Gedanken kehren, so wie sie entlassen werden, zum Heiligen, Grossen, Erhabenen zurück, um in ihm auszuruhen, an ihm sich zu erneuern, und zu neuen Anstrengungen sich wiederzugebären. In der Natur, so wie in den Künsten, in der Poesie, der Musik, sucht er für sich das Erhabene heraus, und das im grossen und imposanten Stile; in der Poesie z. B. und in den Redekünsten, die erhabenen Stimmen der Vorwelt, und von den Neueren nur dasjenige, was in dem Geiste der Alten empfangen und geboren ist. Ideenlose Spiele, in denen die Form der Künste misbraucht wird, um nichts auszudrücken; oder wohl gar Producte, deren Effect auf die thierische Sinnlichkeit der Menschen berechnet ist, und die dadurch zu gefallen streben, dass sie diese aufregen und erwecken, kommen an ihn nicht. Er braucht nicht erst zu bedenken, wie schädlich sie ihm werden können; sie gefallen ihm nur eben nicht, und er kann ihnen keinen Geschmack abgewinnen.

Wohl mag des gereiften Alters Gedanke auf dem Verkehrten ausruhen, um dasselbe in der Evidenz seiner Verkehrtheit zu erblicken und zu belachen. Er ist gegen die Ansteckung davon befestigt. So nicht der zartere Jüngling; darum treibt eine geheime Stimme ihn ganz davon zurück. Der reife Mann, der nicht mehr bloss sein Ideal bilden, sondern dasselbe einführen soll in die wirkliche Welt, bekommt es mit der Verkehrtheit zu thun, und muss dieselbe in ihren geheimsten Falten, Krümmungen und Wendungen kennen; aber er kann dies nicht, ohne sie zu betrachten. Auch ermattet und stumpft sich ab der Hass gegen das Gemeine durch die Zeit und die Erfahrung, dass der Thorheit in der Welt doch nie weniger werde, und dass fast der einzige sichere Vortheil, den man von ihr ziehen kann, der ist, über sie zu lachen. So kann der Jüngling das Leben nicht betrachten, und so soll er es nicht betrachten. Jedes Alter des Lebens hat seine Bestimmung. Gutmüthiges Belächeln des Gemeinen ist die Sache des gereiften Mannes; die Sache des Jünglings ist ernsthafter Hass desselben: und keiner wird dahin kommen, es wahrhaft frei und rein bleibend zu betrachten und zu belächeln, der nicht damit angehoben hat, es zu fliehen und zu hassen. Für das jugendliche Alter ist der Scherz nicht gemacht, und es sind schlechte Menschenkenner, welche dieses glauben; wo die Jugend schon im Spiele zerfliesst, da wird es nie zum Ernste und nie zum wirklichen Daseyn kommen. Der Antheil des Jünglings am Leben ist der Ernst und das Erhabene; dem reiferen Alter erst nach einer solchen Jugend geht das Schöne auf, und mit demselben der Scherz mit dem Gemeinen.

Gemein und unedel ist ferner, was die Kraft des Geistes schwächt. Ich will den Müssiggang nennen; die Trunkenheit zu nennen, oder die Wollust, ist unter der Würde dieser Betrachtungen. – So da zu stehen, oder zu sitzen, ohne irgend etwas zu treiben; dumpf und gedankenlos den Raum um uns herum anzustaunen, macht auch auf die Zukunft den Menschen dumpf. Jener Hang zum Nichtexistiren, zum geistigen Todtseyn, wird Gewohnheit, und wird andere Natur. Er überfällt uns im Arbeiten oder im Zuhören, macht eine Lücke von Nichts in das zusammenhängende Ganze, schiebt sich ein zwischen zwei Begriffe, die wir verknüpfen sollen; und nun vermögen wir nicht das allerleichteste und allerbegreiflichste zu begreifen. Wie dieser Zustand das jugendliche Alter betreffen könne, kann sogar demjenigen, der alles durchdringt und versteht, unverständlich bleiben; und es dürfte in den meisten Fällen nicht täuschen, wenn man noch auf andere verborgene Gebrechen, als den Grund davon, schlösse. Die Jugend ist das Alter der sich erst entwickelnden Kraft: allenthalben sind noch Triebe und Principe übrig, die in neuen Schöpfungen aufzugehen bestimmt sind: der Jugend eigentlicher Charakter ist rastlose, nie unterbrochene Thätigkeit; natürlich und sich selbst überlassen kann sie nie ohne Beschäftigung seyn. Sie träge zu erblicken ist der Anblick des Winters mitten im Frühlinge, der Anblick des Erstarrens und Verwelkens der soeben erst aufgekeimten Pflanze. Wäre es natürlicherweise möglich, dass diese Trägheit den rechtschaffenen, ausserdem schuldlosen studirenden Jüngling befiele, so würde er sie durchaus nicht an sich dulden. Auf seine Geisteskraft ist in dem ewigen Gedanken der Gottheit gerechnet, sie ist darum sein theuerstes Kleinod, und er wird deswegen sie nicht noch vor ihrer Anwendung erstarren lassen. Er wacht unaufhörlich über sich selbst, und leidet es nicht, dass er unbeschäftigt sey. Nur einen kurzen Zeitraum dieser Anstrengung bedarf es, und es geht weiterhin alles von selbst; denn zum höchsten Glücke gewöhnt man sich ebenso, und noch leichter, weil sie natürlicher ist, an die Thätigkeit, als an den Unfleiss; und nach einer in anhaltender Beschäftigung zugebrachten Periode, vermag man fernerhin nicht ohne Geschäftigkeit zu leben.

Unedel und gemein ist endlich dasjenige, was den Menschen der Achtung für sich selber, des Glaubens an sich selbst, und des Vermögens, zuverlässig auf sich selbst und seine Vorsätze zu rechnen, beraubt. Nichts ist zerstörender für den Charakter, als wenn man selbst seinen eigenen Vorsätzen nicht mehr glauben kann, weil man sich so oft vorgenommen hat, und immer wieder vorgenommen hat, was man doch niemals vollführet. Dann geräth der Mensch in die Nothwendigkeit, sich selbst zu entfliehen, und niemals einzukehren in sein Inneres, weil er sich vor demselben schämen müsste, vor keiner Gesellschaft sich mehr zu hüten, als vor seiner eigenen, und recht vorsätzlich sich in Zerstreuung und Selbstentfremdung hineinzuwerfen. So nicht der edle studirende Jüngling; er hält sich immer Wort, und was er sich aufgegeben hat, das führet er sicher aus, sey es auch nur deswegen, weil er es sich aufgegeben hat. – Aus demselben Grunde, weil der eigene Vorsatz, und die eigene Einsicht ihn leiten soll, giebt er sich nicht hin zum Sklaven anderer, oder auch der gemeinen Meinung. Es ist ohne Zweifel das allerunedelste, wenn der Mensch aus zu grosser Gefälligkeit, welche im Grunde Feigheit und Muthlosigkeit ist, oder aus Trägheit, sich selber zu rathen, und bei sich selber die Maximen seines Verhaltens einzuholen, sie sich von anderen geben lässt, und diesen mehr glaubt, denn sich selber. Ein solcher hat gar kein Selbst in sich, und glaubt an kein Selbst in ihm selber, sondern er geht flehend bei anderen herum, und bittet sie, einen nach dem anderen, ihm das ihrige zu leihen. Wie könnte ein solcher sich für ehrwürdig und heilig halten, da er sich nicht einmal kennt, noch anerkennt?

Der rechtschaffene Studirende macht sich nicht zum Sklaven der gemeinen Meinung, habe ich gesagt; demohnerachtet aber fügt er sich der hergebrachten äusseren Sitte, wo dieselbe indifferent ist, eben darum, weil er sich selber ehrt. In diese Sitte wächst ja der Jüngling von Erziehung von selbst hinein: sollte er sich davon entfernen, so müsste er sich es zuerst vornehmen, und durch Sonderbarkeiten und Auffallendheiten sich auszeichnen und bemerkbar machen wollen. Wo sollte er, dessen Zeit durch wichtigere Dinge in Beschlag genommen, ist, auch nur die Zeit hernehmen, um über solche Gegenstände nachzudenken; und ist denn die Sache so wichtig, und giebt es denn gar nichts anderes, wodurch er sich auszeichnen könnte, dass er zu solchen Dingen seine Zuflucht nehmen müsse? Nein, denkt der edle studirende Jüngling, ich bin dazu da, um wohl in schwerere Dinge mich zu finden, als die äussere Sitte ist, und es soll nicht aussehen, als ob ich zu ungeschickt sey, um in diese mich zu finden. Um einer solchen Geringfügigkeit willen will ich mich und meinen ganzen Stand von Lieblosen nicht verachten und hassen, von Bessergesinnten nicht gutmüthig belächeln lassen; meine Mitbürger anderer Stände, und des gleichen Standes, meine Lehrer, meine Vorgesetzten, sollen mich als Menschen, in jedem menschlichen Verhältnisse, ehren und respectiren können.

Und auf diese Weise fliesset denn in jeglicher Rücksicht das Leben des studirenden Jünglings, welcher sich selbst achtet, unbescholten und liebenswürdig dahin.


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