Johann Gottlieb Fichte
Einige Vorlesungen über die Bestimmung des Gelehrten
Johann Gottlieb Fichte

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Sechste Vorlesung.

Ueber die akademische Freiheit.

Wir wurden am Schlüsse der vorigen Vorlesung in der Betrachtung eines Studirenden, dem durch die Ansicht seiner Bestimmung als eines göttlichen Gedankens seine eigene Person heilig geworden, auf die äussere Sitte desselben geführt. Es hängt mit diesem Gegenstande zusammen ein häufig vorkommender, selten aber gehörig durchdachter Begriff: der Begriff von akademischer Freiheit der Studirenden. Zwar liegt sehr vieles von dem, was man bei Erörterung dieses Begriffes zu sagen hätte, unter der Würde dieser Betrachtungen, und erst im Fortgange werden wir ein Mittel finden, ihn auf unseren Standtpunct zu erheben. Ich kann daher nicht nur gern verstauen, sondern ich muss sogar bitten, die Erörterung dieses Begriffes, die ich heute zu vollziehen gedenke, für eine blosse Episode in dem Ganzen, welches ich hier vortrage, aufzunehmen. Einen Gegenstand jedoch, auf den man bei einer Betrachtung über das sittliche Verhalten Studirender beinahe unwillkürlich getrieben wird, ganz zu übergehen, hielt ich um so weniger für zweckmässig, da man gewöhnlich die Berührung desselben scheut, und daran ganz wohl thut, indem diese so leicht in Polemik, oder in Satire ausarten kann, vor welchen beiden wohl der in diesen Vorlesungen angegebene Ton uns sichern wird.

Also, was ist akademische Freiheit ? die Beantwortung dieser Frage ist unsere heutige Aufgabe. – So wie jeder Gegenstand aus einem doppelten Standpuncte angesehen werden kann, theils historisch, theils philosophisch, so kann es auch der unserer dermaligen Untersuchung. Fassen wir ihn zuerst aus dem historischen Standpuncte, d. h. untersuchen wir, was diejenigen, die zuerst eine akademische Freiheit verstattet und eingeführt haben, dabei sich gedacht haben mögen.

Akademien sind von jeher gedacht worden als höhere Schulen, im Gegensatze mit den niederen, vorbereitenden Schulen oder den eigentlich sogenannten Schulen; und so der Studirende auf der Akademie im Gegensatze mit dem Schüler. Die Freiheit des ersten konnte daher nur gedacht werden als Befreiung von einem Zwange, unter welchem der letztere stand. Der Schüler z. B. musste in einer bestimmten Kleidung, welche jenen Zeitaltern die Würde des künftigen Gelehrten bezeichnete, in die Klasse kommen, er durfte seine Lehrstunden nicht versäumen, er musste noch manche andere Pflichten, die jenen Zeitaltern für eine Art von stellvertretendem Gottesdienste der angehenden Geistlichen, zu denen in der Regel der Studirende sich bestimmte, galten, übernehmen, z. B. das Chorsingen. In allen diesen Rücksichten wurde strenge und ununterbrochene Aufsicht über ihn gehalten, und der Uebertretende sehr oft auf eine unedle Weise gestraft; und zwar waren die Aufseher und Richter die Lehrer selbst. Indess entstanden Universitäten; und die übrige, ungelehrte Welt dürfte sehr geneigt gewesen seyn, dieselben unter eben die Verfassung zu bringen, welche sie an gelehrten Bildungsanstalten allein kannte, und an den Schulen vor sich sähe. Dennoch erfolgte es nicht also, und es war unmöglich, dass es also erfolgen konnte. Die Stifter der ersten Universitäten waren Gelehrte von ausgezeichnetem Talente und Kraft, mit welcher sie durch die finsteren Umgebungen ihres Zeitalters sich zu den Einsichten hindurchgearbeitet hatten, die sie besassen; sie waren von ihrer Wissenschaft ergriffen, und lebten in derselben; sie waren mit einem glänzenden Ruhm umgeben, und wurden in den Cirkeln der Grossen geachtet, verehrt, wie Orakel befragt. Sie konnten keinesweges geneigt seyn, sich zu dem Geschäfte eines Aufsehers und Pädagogen ihrer Zuhörer herunterzulassen. Es kam dazu, dass sie die Lehrer an den niederen Schulen, aus deren Klasse sie selbst durch ihre eigene Kraft sich emporgeschwungen hatten, in einem hohen Grade verachteten, und schon deswegen dasjenige nicht treiben und darin nicht glänzen mochten, worin jene glänzten. Ihr Ruf versammelte Hunderte und Tausende aus allen Ländern Europa's um sie her, und zog sie in ihre Hörsäle; durch die Menge ihrer Zuhörer wuchs abermals ihr Ansehen, zugleich auch ihre Einkünfte, und sie konnten nicht geneigt seyn, auf irgend eine Weise denen, die ihnen dieses alles verschafften, beschwerlich zu fallen. Ueberdies, wie konnten junge Männer, welche sie nur im Vorbeifluge, unter Hunderten ihres Gleichen, kennen lernten, und welche nach einem halben oder ganzen, oder einigen Jahren wieder in ihr entlegenes Vaterland zurückkehrten, sie näher interessiren, und ihnen am Herzen liegen. Weder ihre Sittlichkeit, noch ihr Fortschritt in den Wissenschaften verschlug ihnen etwas; und damals war die Erfindung eines bekannten lateinischen Sprichwortes, das vom Gold nehmen und ins Vaterland schicken redet, sehr natürlich. Die akademische Freiheit, als Befreiung vom Schulzwange und von aller Aufsicht der Lehrer über die Sittlichkeit, den Fleiss und die wissenschaftlichen Fortschritte der Studirenden, welche für diese Lehrer bloss und lediglich Zuhörer wurden, war entstanden.

Dies ist die eine Seite der Ansicht. Es lässt sich erklären und, unter der Voraussetzung eines nicht sehr hohen Grades von Sittlichkeit, natürlich finden, dass diese Stifter der ersten Universitäten also dachten, und dass ein Theil dieser Denkart durch sie seit dem vergangenen Jahrhunderte bis auf uns herabgekommen ist. Gehen wir aber jetzt an die andere Seite der Ansicht.

Was wäre denn an den Studirenden, die sich unter einem solchen Begriffe von akademischer Freiheit ihrer Lehrer befasst gewusst hatten, natürlich gewesen und vernünftig? Etwa, dass sie sich durch diese Gleichgültigkeit ihrer Lehrer für ihre sittliche Würde und für ihre wissenschaftliche Vervollkommnung noch höchlich geehrt gefunden hätten, und dass sie diese Gleichgültigkeit als ein heiliges Recht gefordert hätten? Ich sollte es nicht glauben; denn diese Gleichgültigkeit ist Verachtung und Geringschätzung der Studirenden, und es ist beleidigend, ihnen durch sein Verfahren unter das Gesicht zu sagen: es ist mir gleichgültig, was aus euch wird oder nicht wird. Wäre etwa das natürlich gewesen, dass sie aus der Unbesorgtheit anderer um ihre Sittlichkeit und die Regelmässigkeit ihres Fleisses geschlossen hätten, dass auch sie selber es damit halten könnten, wie sie wollten, und wäre das vernünftig gewesen, wenn sie ihre akademische Freiheit in das Recht gesetzt hätten, unsittlich und unfleissig zu seyn? Ich sollte es nicht glauben. Vielmehr würde das vernünftig gewesen seyn, wenn sie aus diesem Mangel fremder Aufsicht geschlossen hätten, dass sie sich selber in desto strengere Aufsicht nehmen müssten, und aus dieser Befreiung von äusseren Antrieben für sich die Pflicht gezogen hätten, sich selbst desto kräftiger anzutreiben, und desto unablässiger über sich zu wachen, und wenn sie so die akademische Freiheit sich gedacht hätten, als die Freiheit aus eigenem Entschlusse das Anständige und Zweckmässige zu thun.

In Summa, und um das Resultat zu ziehen: die akademische Freiheit der Studirenden, dieselbe historisch und nach ihrer factischen Einführung in die Welt genommen, zeigt in ihrer Entstehung, in ihrem Fortgange und in ihren noch bestehenden Resten, eine ungebührliche Geringschätzung des ganzen Standes der Studirenden, als eines höchst unbedeutenden Standes; und derjenige Studirende, der durch diese Freiheit sich geehrt findet, und sie als ein Recht in Anspruch nimmt, befindet sich in einer höchst sonderbaren Täuschung; er ist übel berichtet, und hat gewiss noch nie ernsthaft über den Gegenstand nachgedacht. Es mag dem reiferen gutdenkenden Manne, der allemal ein Liebhaber des Lebens und der Jugend ist, gar wohl anstehen, dass er über manche Ungeschicktheit, manche Ungebildetheit, manchen Fehlgriff der noch nicht gezügelten Kraft hinwegsehe, gutmüthig darüber lächle, und denke, mit den Jahren wird der Verstand wohl kommen; aber dem Jünglinge, der durch dieses Urtheil sich geehrt fände, und dasselbe als sein eigenes, ihm zugehöriges Recht forderte, liesse wenigstens ein zartes Ehrgefühl sich nicht wohl beimessen.

Betrachten wir jetzt denselben Gegenstand, die akademische Freiheit der Studirenden, in dem philosophischen Sinne, wie sie seyn sollte und unter gewissen Bedingungen auch seyn könnte, und was sich daraus ergeben wird, wie die factisch vorhandene akademische Freiheit von dem würdigen, seine Bestimmung verstehenden und sie ehrenden studirenden Jünglinge genommen werde. Bahnen wir uns den Weg zu dieser Einsicht durch folgende Sätze:

1) Das Gesetz beschränkt die äussere Freiheit der Bürger in allen möglichen Richtungen und nach allen möglichen Seiten hin, – je vollkommener es ist, desto mehr: und das soll es eben thun, denn darin steht seine Bestimmung. Es lässt daher der inneren Freiheit und der Sittlichkeit der Bürger durchaus keine Sphäre übrig, in der sie äusserlich erscheinen und sich darthun könne, und es soll ihr keine solche Sphäre übriglassen. Alles, was da geschehen soll, findet sich geboten, bei Strafe; was unterlassen werden soll, findet sich verboten, gleichfalls bei Strafe. Jede innere Versuchung zur Unterlassung des gebotenen, oder zur Verübung des verbotenen findet in dem Bewusstseyn des Bürgers sein bestimmtes Gegengewicht an der festen Ueberzeugung, dass er, falls er der Versuchung nachgiebt, dafür das und das bestimmte Uebel erleiden werde. Man sage nicht: also vollständig umfassend sind die bestehenden Gesetzgebungen nicht, auch ist weder die Aufsicht noch die Verwaltung des Richteramtes irgendwo so unfehlbar, dass jedem Vergehen seine bestimmte Bestrafung sicher seyn könne: ich weiss dies, aber so wie ich gesagt soll es dennoch seyn, und so soll es immer mehr und in einem weit höheren Grade werden. Auf die Moralität der Menschen darf die Gesetzgebung nicht rechnen, indem von einer so unzuverlässigen Sache die absolut zu fordernde Freiheit und Sicherheit aller, innerhalb der ihnen angewiesenen Sphäre, nicht abhängig gemacht werden darf. Für den Gerechten giebt es freilich unter keiner möglichen Gesetzgebung ein Gesetz: das zu verbietende will er ohnedies nicht, auch wenn es nicht verboten wäre, und das Rechte und Gute will er ohnedies, ohne alle Rücksicht auf das Gebot; er ist nie zum Vergehen versucht, und so tritt auch die Vorstellung von der zu erwartenden Strafe nie in sein Gemüth ein. Er hat das Bewusstseyn seiner Sittlichkeit, und an diesem Bewusstseyn derselben ihren Lohn in sich selber. Aeusserlich aber ist zwischen ihm und dem Unsittlichen, der von jeder ihm möglichen Ungerechtigkeit nur durch die Drohung des Gesetzes abgehalten, und zu jeder pflichtmässigen Handlung nur durch dieselbe Drohung getrieben wird, gar kein Unterschied; der erstere kann nicht mehr thun, noch unterlassen, als der letztere, nur aus einem anderen inneren Bewegungsgrunde, der aber äusserlich nicht erscheint, – gleichfalls thut und unterlässt.

2) Unter dieser Gesetzgebung steht nun und soll stehen auf die gleiche Weise als Bürger der Gelehrte, so wie der Ungelehrte. Beide können auf die gleiche Weise über das Gesetz durch Rechtschaffenheit der Gesinnung sich erheben; aber es ist bei keinem von beiden darauf gerechnet, und es kann in dieser Sphäre der äusserlichen Gesetzgebung an keinem von beiden diese Rechtschaffenheit erscheinen. – Inwiefern ferner der Gelehrte, als solcher, Mitglied eines gewissen Standes im Staate, und Verwalter eines gewissen Berufes ist, steht er unter dem Zwangsgesetze dieses Standes und Berufes, und es kann abermals nicht erscheinen, ob er aus innerer Rechtschaffenheit oder aus Furcht vor der Strafe seine Pflichten in dieser Sphäre vollbringe, auch kommt es dem Ganzen darauf gar nicht an, wenn er sie nur vollbringt. In diejenige Region endlich, in welche entweder die mangelhafte Gesetzgebung noch nicht eingedrungen ist, oder in welche gar keine äussere Gesetzgebung eindringen kann, begleitet ihn die Furcht vor der Schande, und es lässt sich hier nicht absehen, ob er zufolge dieser Furcht, oder aus innerer Rechtschaffenheit seine Pflicht thue.

3) Aber es giebt ausser diesen noch andere Verhältnisse des Gelehrten, über welche keine Gesetzgebung etwas bestimmen, noch über die Vollziehung des Rechten wachen kann; wo denn der Gelehrte sich nothwendig selber das Gesetz geben, und sich selber zu dessen Erfüllung anhalten muss. Er trägt in der göttlichen Idee die Gestalt der künftigen Zeitalter, die da erst werden sollen, in sich, und er soll ein Beispiel aufstellen, und ein Gesetz geben den künftigen Geschlechtern, welches er in der Gegenwart, oder in der Vergangenheit vergebens suchen würde. Jene Idee tritt in jedem Zeitalter heraus in einer neuen Gestalt, und begehrt die umgebende Welt nach sich zu gestalten; es treten drum immer neue Verhältnisse der Welt zur Idee, und immer eine neue Art des Widerstreites der ersteren gegen die letztere heraus. Der Gelehrte bekommt hierbei den schwierigen Streit zu vermitteln, wie die Wirksamkeit seiner Idee mit der Reinigkeit derselben, ihr Einfluss mit ihrer Würde zu vereinigen sey. In ihm verborgen bleiben soll seine Idee nicht, sondern sie soll heraustreten und die Welt ergreifen; und zu dieser Wirksamkeit ist er durch das Tiefste seines Wesens getrieben. Aber die Welt ist unfähig, diese Idee in ihrer Reinigkeit zu fassen; sie strebt im Gegentheil, dieselbe herunterzuziehen zu ihrer gemeinen Ansicht. Wollte er dieser Reinigkeit etwas vergeben, so könnte er leicht wirken; aber er ist von Achtung für die Idee erfüllt, und er kann ihr nichts vergeben wollen. Er hat daher die schwierige Aufgabe, beide Zwecke zu vereinigen. Kein Gesetz, – doch was rede ich hier von Gesetzen? – kein Beispiel der Vorwelt oder der Zeitgenossen kann ihm das Mittel dieser Vereinigung angeben, denn so gewiss in ihm die Idee eine neue Gestalt gewonnen, ist sein Fall noch nicht da gewesen. Selbst das blosse Nachdenken kann ihm diesen Vereinigungspunkt nicht angeben; denn obgleich durch dasselbe die Idee in ihrer Reinigkeit, als der erste Punkt der Vereinigung dargestellt wird, so fehlt doch sehr viel daran, dass in demselben Denken auch der zweite Punkt, die Denkart der umgebenden Welt, und was von ihr sich ohngefähr erwarten lasse, rein aufgehen, und durch dasselbe sich erschöpfen lassen sollte. Wohl alle Männer, welche auf ihr Zeitalter kräftig gewirkt, dürften ihre Laufbahn mit dem inneren Geständnisse beschlossen haben, dass sie in ihren Rechnungen auf das Zeitalter sich immer verrechnet, indem sie dasselbe nie für so verkehrt und so blödsinnig genommen, als es sich hinterher doch gefunden, und dass, indem sie die Eine Schiefheit desselben richtig berechnet und ihr ausgewichen, auf der anderen Seite eine andere, nicht vorhergesehene, sich offenbaret. Soll jemals etwas gelingen, so bedarf es zu allem Nachdenken hinzu noch eines sicheren Tactes, welcher nur durch frühe Uebung und Angewöhnung gewonnen wird; welches das erste wäre.

Es ist ferner klar, dass der Gelehrte in [dieser Rücksicht, dass er schlechthin alles mögliche thue, um den Widerstreit zwischen der inneren Reinigkeit der Idee und ihrer äusseren Wirksamkeit zu heben, lediglich an seinen eigenen guten Willen gewiesen sey, und hierüber keinen anderen Richter habe, denn sich selbst, und keinen anderen Antrieb, ausser in sich selbst. Hierüber kann kein Fremder ihn beurtheilen; hierin kann sogar kein Fremder ihn ganz verstehen, noch die tiefere Absicht seines Verfahrens errathen. Weit entfernt, dass die Achtung für fremdes Urtheil seinen eigenen guten Willen in dieser Region unterstützen könne, muss er hier sogar über das fremde Urtheil hinaus seyn, und es betrachten, als gar nicht vorhanden. Er ist an seinen guten Willen gewiesen, und zwar bedarf es hier eines kräftigen und unerschütterlichen guten Willens, gegen die Versuchungen sehr edler Antriebe. Was ist edler als der Trieb zu wirken, Menschen zu begeistern, und gewaltig ihren Blick auf das Heilige zu richten? Und doch kann dieser Trieb zur Versuchung werden, das Heilige gemein darzustellen, damit es an die Gemeinheit komme, und so es zu entheiligen. Was ist edler, als die tiefste Achtung für das Heilige, und die Nichtachtung und Vernichtung alles Gemeinen jenem gegenüber? Und doch kann diese Achtung jemanden in Versuchung führen, sein Zeitalter gänzlich wegzuwerfen, es aufzugeben und mit ihm gar nichts zu schaffen haben zu wollen. Es bedarf eines kräftigen guten Willens, um der ersten, und des allerkräftigsten, um der letzten dieser Versuchungen nicht zu unterliegen.

Es leuchtet meines Erachtens ein, dass der Gelehrte für sein eigenthümliches Geschäft des schärfsten Tactes für das Zweckmässige, und einer tiefen Sittlichkeit, strenger Wachsamkeit über sich selbst, und zarter Scham vor sich selber bedürfe. Es leuchtet hieraus ein, dass er sehr früh in die Möglichkeit und Nothwendigkeit gesetzt werden sollte, sich jenen Tact und jene Scham vor sich selber zu erwerben, und dass diese Bildung des Sinnes und Charakters ein ganz eigentlicher Bestandteil der Bildung des angehenden Gelehrten seyn sollte. Jeder Bürger ohne Ausnahme kann sich zum Tacte des Zweckmässigen und zur Sittlichkeit bilden, und muss es können, die Gesetzgebung muss diese Möglichkeit ihm übriglassen, und sie ist auch schon durch ihre eigene Natur dazu genöthigt. Aber es kommt der Gesetzgebung und dem ganzen gemeinen Wesen nicht darauf an, ob der Bürger sich dazu erhebe oder nicht, weil sein Geschäft immerfort unter dem Gebiete der äusseren Aufsicht bleibt. Bei dem Studirenden aber liegt dem gemeinen Wesen und der ganzen Menschheit alles daran, dass er sich zur reinsten Sittlichkeit erhebe, und einen Tact des Zweckmässigen bekomme, da er bestimmt ist, einst in eine Sphäre zu treten, wo schlechthin alles äussere Urtheil für ihn wegfällt. Die Gesetzgebung für ihn sollte ihm daher nicht bloss, wie jedem anderen Bürger, die sittliche Bildung verstatten, sondern sie sollte ihn, so viel an ihr liegt, in die äussere Nothwendigkeit setzen, sich diese Bildung zu erwerben.

Und wie könnte sie dieses thun? Offenbar nur dadurch, dass sie ihn seiner eigenen Beurtheilung des Schicklichen, Anständigen und Zweckmässigen, und seiner eigenen Aufsicht über sich selbst überlasse. Er soll sich einen eigenen Tact für das Schickliche und Zweckmässige verschaffen? Wie kann er dies, wenn das Gesetz ihn überall begleitet, und überall ihm sagt, was er zu thun oder zu lassen hat? Verbiete das Gesetz immerhin demjenigen, den es bis ans Ende unter seiner Zucht behalten kann, alles, was es von ihm unterlassen haben will: denjenigen, den es ohnedies einst sich selbst überlassen muss, behandle es bei Zeiten als einen Freien und Edlen. Der gesittete Mann wartet gar nicht ab, bis die Gesetzgebung etwas unanständig finde, und ihr Verbotsdecret anschlage: es wäre ihm eine Schmach, wenn er dieser Belehrung erst bedurft hätte; er kommt dem Gebote zuvor, und unterlässt, was der Gemeinere um ihn her sich ohne Bedenken erlaubt, lediglich deswegen, weil es dem höher Gebildeten nicht ansteht. Lasse man dem Studirenden den Spielraum, sich lediglich durch sich selbst in diese Klasse zu setzen. Er soll tiefe und kräftige Sittlichkeit, zarte Scham vor sich selber, inniges Ehrgefühl in sich entwickeln. Wie kann er, wenn die Androhung der Strafe ihn immer umgiebt? Spreche lieber das Gesetz also zu ihm: Meinethalben kannst du das Rechte immer unterlassen, das Verkehrte immer thun; es soll dir nichts weiter schaden, ausser dass du verachtet und gering geschätzet wirst, und dich selbst, wenn du einen Blick in dein Inneres thust, verachten musst. Willst du es auf diese Gefahr wagen, so wage es getrost. – Das Menschengeschlecht soll ihm einst ihr wichtigstes Interesse anvertrauen können, und er selbst soll in der Verwaltung dieses Interesse sich selbst vertrauen können! Wie kann jenes, wenn es ihn nicht geprüft hat, und wie kann er sich selbst trauen, wenn er sich nicht selbst hat prüfen können? Wer im Kleinen nicht getreu gewesen ist, dem kann nicht das Grosse anvertrauet werden; und wer vor sich selber in der Probe nicht bestanden ist, der kann ohne die Fülle von Ehrlosigkeit das Vertrauen im Grösseren nicht annehmen. – Aus diesem jetzt auseinandergesetzten Grunde sollte akademische Freiheit, und eine beträchtlich ausgedehnte, doch zweckmässig berechnete akademische Freiheit seyn.

In dem vollkommenen Staate würde meines Erachtens die äussere Einrichtung der Universitäten also seyn. Zuvörderst würden dieselben von anderen ihr eigenes Geschäft treibenden Ständen abgesondert werden, damit diese Stände durch den, doch auch als möglich vorauszusetzenden, Misbrauch der akademischen Freiheit nicht beeinträchtiget und geplagt, nicht zu ähnlichen Unregelmässigkeiten versucht, oder, falls sie strenge unter dem Gesetze gehalten würden, nicht durch den täglichen Anblick einer vom Zwange befreiten Klasse neben sich, zum Hass des Gesetzes verleitet würden. Die Studirenden auf diesen Universitäten nun würden einen hohen Grad von Freiheit geniessen; Unterricht zwar über das Sittliche und Anständige, und eindringende Vorstellungen im Allgemeinen würden ihnen ertheilt werden, gute Beispiele würden sie umgeben, und ihre Lehrer würden nicht nur gründliche Gelehrte, sondern sie würden zugleich eine Auswahl der besten Menschen in der Nation seyn: Zwangsgesetze aber wären für sie sehr wenige vorhanden. Mögen sie frei das Gute wählen oder das Schlechte; die Zeit des Studirens ist nur ihre Prüfungszeit. Die Zeit der Entscheidung ihres Schicksals kommt hinterher, und es ist bei dieser Einrichtung der Vortheil, dass der Untaugliche als Untauglicher klar da steht, und es nicht weiter verhehlen kann.

Die dermalige wirkliche Einrichtung der Universitäten ist nun zwar keinesweges die soeben beschriebene. Es ist zweifelhaft, ob die akademische Freiheit jemals aus dem Puncte angesehen worden, aus welchem wir sie soeben gezeigt; besonders, ob sie von denjenigen also angesehen worden, welche den Universitäten ihre Verfassung gaben. Wirklich entstanden ist die akademische Freiheit auf dem oben beschriebenen Wege, aus der Nichtachtung des Standes der Studirenden; wir können unentschieden lassen, wodurch die noch vorhandenen Reste derselben erhalten werden; denn selbst, wenn angenommen würde, dass dieselbe nur in einem geringeren Grade noch fortdauernde Nichtachtung des Standes, und etwa der Mangel an Geschicklichkeit, diese Ueberreste wegzubringen, der Grund davon sey, so verschlägt dies dem würdigen Studirenden, der die Sachen nicht nach dem Aeusseren, sondern nach ihrem inneren Geiste nimmt, durchaus nichts. Was auch immer andere über akademische Freiheit denken mögen, er für seine Person nimmt sie in dem rechten Sinne, als ein Mittel sich selbst rathen zu lernen, wo die äussere Vorschrift ihn verlässt, über sich selbst wachen zu lernen, wo kein anderer über ihn wacht, sich selbst antreiben zu lernen, wo es keinen äusseren Antrieb mehr giebt, und so für seinen künftigen hohen Beruf sich zu stärken und zu befestigen.


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