Anselm Feuerbach
Ein Vermächtnis von Anselm Feuerbach
Anselm Feuerbach

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Rom

Die erste Nacht auf der Reise nach Rom ist mir in der Erinnerung gleich einem Traume, dessen kleinste Umstände sich dem Gedächtnisse haarscharf eingeprägt haben.

Spät am Abend des 30. September schifften wir uns in Livorno ein. Es war eine dunkle, stürmische Nacht. Als wir den Hafen verließen, schien es mir, als führen wir in einen pechschwarzen Himmel hinein, während die See heulend und donnernd das Schiff in die Höhe und Tiefe schleuderte. Ich war völlig frei von Seekrankheit und saß die Nacht über auf dem Verdeck in der Nähe der schwarzen Kamine in einem Gefühl von unbeschreiblicher Ruhe. Ich unterhielt mich bis nach Mitternacht mit zwei hannoverschen alten Herren über Kunst und Italien. Als sie gegangen waren, blieb ich allein, und es war mir nachher, als hätte mein Vater mit mir gesprochen, und ich hätte ihm lieb und verständig geantwortet.

Des Morgens sah ich die Sonne aufgehen über den funkelnden, tanzenden Wogen, und die Küste, der wir entlang fuhren, lag da in all ihrer Schönheit. Ich fühlte mich unwohl und kam des Abends an in heftigem Fieber.

So war ich denn in Rom, und der Beginn des dortigen Aufenthalts war so schwer für mich, daß ich nicht gerne an jene Zeit denke und noch viel weniger jetzt darüber schreiben möchte; denn wenn man den Namen Rom nennt, ist es unrichtig, an vorübergehende kleinliche oder gar häßliche Dinge zu erinnern. Ich übergehe die damaligen Sorgen und Nöte, die Kämpfe meines törichten jungen Herzens mit Stillschweigen und will nur in einigen engumrahmten Sätzen hier niederlegen, was Rom mir für meine Kunst geworden ist.

Wenn einst ein Größerer dieselben Wege wandelt, so möge er meiner gedenken.

Ich hasse das Märtyrertum von Grund meiner Seele; sollte es aber sein, daß ich dazu verurteilt bin, so segne ich doch den Boden, der mich dazu geführt hat.

Rom, dieser gottbegnadeten Insel des stillen Denkens und Schaffens, habe ich so viel zu danken. Es ist mir in Wahrheit eine zweite Heimat geworden; und immer, wenn mein künstlerisches Denkvermögen in Deutschland brachgelegt wurde, durfte ich nur die italienische Grenze überschreiten, und eine Welt von Bildern stieg in mir auf.

Bei einfacher Lebensweise erinnere ich mich während eines Zeitraumes von beinahe siebzehn Jahren kaum eines körperlichen Unwohlseins.

Die Luft, in der ich atmete, half mir die Schwierigkeiten leichter tragen, welcher jeder Fremde, der mittellose in zehnfachem Grade, zu überwinden hat.

Mein reizbares Wesen wich einer angeregten Ruhe, die mich fortan auch in Gefahren nicht verließ.

Ich fing an, das Alleinsein zu lieben, das ich früher so schwer ertragen hatte. Meinen Bekannten, die sich über diesen Hang beunruhigten, führte ich zu Gemüte, daß ich mich nie langweile, außer in langweiliger oder schlechter Gesellschaft.

Es ist eine alte Erfahrung, daß der Deutsche in Rom sich aller Romantik entkleiden muß. Rom weist einem jeden diejenige Stelle an, für die er berufen ist. Eine heiße und klare Sonne beleuchtet diese Trümmer im schärfsten Detail, so daß unser so leicht phantastisch erregtes Gemüt oft sehr derb an die Wahrheit anrennt und sich nicht selten daran stößt, wie sie denn überhaupt fast immer eine bittere Arznei ist.

Das, was wir Poesie nennen, können wir nicht brauchen; es kommen Zeiten der Ratlosigkeit und Niedergeschlagenheit; doch nach und nach wachsen die empfangenen Eindrücke in der Seele und füllen sie aus; dieselbe Sonne beginnt unser Inneres zu beleuchten und zu erwärmen. Ich habe dies an mir selbst erlebt. Mit unverdorbenem Herzen, unklar aber bildungsfähig, war ich nach Rom gekommen. Raffaels und der Antike Schönheit, auf deutschen Kathedern vorgetragen, in deutschen Kunstgeschichten niedergeschrieben, war auf mich nicht angewendet. Vielleicht gerade deshalb, weil meine Natur wahrhaftig war, mußte mir das verschlossen bleiben, wofür man jetzt schon in den Kinderschuhen schwärmt.

Um so kräftiger und unwiderstehlicher war das Erwachen des neuen Geistes in mir. Schon in Venedig verkündigte sich das Tagesgrauen, in Florenz brach die Morgenröte herein, in Rom aber vollzog sich das Wunder, welches man eine vollkommene Seelenwandlung und Erleuchtung nennen kann – eine Offenbarung.

Der lange römische Aufenthalt ist eine Zeit fortwährenden passiven Widerstandes gegen moderne Oberflächlichkeit und Existenzsorgen für mich gewesen; zwei Feinde, von denen einer stark genug ist, die Künstlerseele zu entmutigen. Von der Heimat geächtet und verbannt, kann ich das Rätsel des Nichtverkommenseins nur in meinem biegsamen und doch starken Naturell gelöst finden, oder besser, die Rasse hat mich gerettet und – die Kunst.

Sollte ich alle die Stunden stiller Schöpfungsfreuden schildern, die ich in Rom genossen, würde dieses Buch nicht ausreichen. Was ich konnte, und was ich zu lernen hatte, wußte ich genau, und demgemäß habe ich zum Erschöpfen eines Gegenstandes unendliche Studien als notwendig erachtet. Daß mir bei Bildern wie die Iphigenie und die Kindergruppen eine einzige Seite nicht genügend dünkte, ist der Grund, weshalb viele in der Auffassung sich ähnelnde Werke eines und desselben Grundgedankens periodenweise entstanden, welche doch, jedes für sich betrachtet, ein in sich abgeschlossenes Ganzes darstellen.

Von dieser Strenge datiert sich die Erscheinung, daß an den besten meiner Bilder nicht ein Jota zu ändern ist und die meisten den Gegenstand erschöpfen, während bei vielen modernen Malern gewöhnlich alles eben so gut auch anders sein könnte.

Ich habe mich immer bemüht, typisch und jeder Konvention ferne zu bleiben.

Meine anfängliche Formlosigkeit erfüllte mich mit Entsetzen. Unermüdliche Mache bei strengster Beobachtung haben es dahin gebracht, daß ich die kleinsten Mängel auf den ersten Blick leicht erkenne.

Eine genialisierende Eitelkeit habe ich nie gehabt, und was ich nicht fühlte, habe ich nicht gemalt.


Alle meine Werke sind aus der Verschmelzung irgendeiner seelischen Veranlassung mit einer zufälligen Anschauung entstanden. Das Ausgabebedürfnis war so stark, daß immer zuerst die Gestalten da waren, ehe ich den richtigen Namen für sie fand.

Der Ursprung meiner Pietà war auf den Stufen der Peterskirche gefunden: eine Frau vom Lande, ob schlafend oder weinend, wußte ich nicht.

Hafis am Brunnen heftet sich an eine mit wilden Rosen überrankte Mauer zwischen Baden-Baden und Lichtental.

Bei dem Symposion war die bacchische Gruppe des Alkibiades lange schon vorhanden; erst bei dem Suchen eines ihr entsprechenden Gegengewichtes fiel mir in plötzlicher Eingebung das Gastmahl des Platon ein.

Auch bei den Titanen war wieder der lachende Poseidon die Figur, welche mir zuerst vorschwebte, und an die sich dann unmittelbar die übrige Komposition rhythmisch anreihte.

Gewisse Haltungen und Bewegungen habe ich jahrelang mit mir herumgetragen, ehe sie Verwendung fanden.


Ich muß es noch einmal wiederholen: wer nach Rom kommt und sich einbildet, Form zu haben, der wird, wenn er ein einsichtiger Mensch ist, alsbald finden, daß er von neuem sehen lernen muß.

Das deutsch-romantische Gemüt steht hier der vollkommen positiven Erscheinung gegenüber, über welche die Phrase keine Macht hat.

Im Positiven die Poesie festzuhalten, scheint mir die Aufgabe des Künstlers zu sein.

Man pflegt mich einen Idealisten zu nennen, und doch hat vielleicht kein jetzt Lebender so viel und stets nach der Natur gearbeitet. Eine schablonenhafte Handschrift, Schönschreiberei sich anzugewöhnen, mit der man alles schreibt und nichts sagt, war mir von früh an ein Greuel.

Die Schreibseligkeit in der Kunst habe ich nur in der ersten Jugend getrieben. Alsdann, nachdem ich die Macht der natürlichen Erscheinung erkannt hatte, war ich mir auch sofort bewußt, daß ich mehr als andere zu studieren habe, um der Natur gegenüber den heiligen Respekt zu bewahren und mich zugleich a forza del lavoro zur Gedankenfreiheit aufzuschwingen.

Der wahre Stil kommt dann, wenn der Mensch, selbst groß angelegt, nach Bewältigung der unendlichen Feinheiten der Natur, die Sicherheit erlangt hat, in das Große zu gehen.

Mit einem Worte: Stil ist richtiges Weglassen des Unwesentlichen.

Der sogenannte Realist bleibt immer im Detail stecken. Realismus ist die leichteste Kunstart und kennzeichnet stets den Verfall. Wenn die Kunst das Leben nur kopiert, dann brauchen wir sie nicht.

Es ist ein Glück zu nennen, daß ich die Kompositionsseligkeit in jungen Jahren erschöpfte, ein noch größeres, daß ich, früh angeregt durch die nordische Mythologie, die Nibelungen und was damit zusammenhängt, überhaupt den Germanismus, welcher dazu gemacht scheint, den Künstler zu falschem Pathos zu verleiten, daß ich, sage ich, diese Kinderkrankheit mit den Masern ausschwitzte und schon in der letzten Düsseldorfer Zeit mich an den Griechen versuchte, woraus folgte, daß ich später immer zuerst den Menschen sah und dann erst die Kleider.

Vor dem so sehr gebräuchlichen Kompositionspathos bietet das frühe Modellzeichnen nach dem Leben den sichersten Schutz, die einzige solide Grundlage, auf welcher die Phantasie später weiter bauen darf.

Noch heute hat der akademische Zopf nicht begriffen, daß dem Antikenzeichnen das Aktzeichnen vorangehen muß, indem die Antike selbst nur der ideale Ausdruck des vollkommenen Studiums der Natur ist, oder einfacher ausgedrückt: Ehe man Antiken zeichnet, muß man die menschliche Form verstehen.


Wir leben in einem Jahrhundert, welches, was die Kunst betrifft, hauptsächlich der Mittelmäßigkeit huldigt.

Als meine Arbeiten hie und da einiges Aufsehen, sei es in unliebsamer oder gefälliger Art, zu machen begannen, so war es einzelnen Kunstrichtern geläufig, mich einen deutschen Autodidakten zu nennen.

Ich protestiere feierlich gegen eine solche Unwahrheit. Was ich geworden, habe ich zunächst den modernen Franzosen vom Jahre 48, dem alten und jungen Italien, und dann allerdings auch mir selbst zu danken. Den Deutschen bleibt das Verdienst, mich immer schlecht behandelt zu haben.

In den ersten Jahren meines römischen Aufenthaltes war es herrschende Ansicht in Deutschland, daß der Maler nicht malen dürfe. »Körperloser Geist« war die Parole des Tages.

Cornelius und Overbeck, auch Kaulbach wurden von einer Armee schreibseliger Bewunderer, die es mitunter nicht umsonst taten, auf dem Schild getragen. Man fand vor lauter großartiger Begeisterung nicht die Zeit, einen Kopf oder eine Hand zeichnen zu lernen. Wozu auch? Es war viel geistvoller, solches nicht zu können. Die unmöglichen Arme und Beine, die Gewänder, unter denen nichts steckte, waren untrügliche Zeichen des Genies.

Mich schalt man damals einen unverbesserlichen Koloristen.

Wie immer im Leben folgte dieser extremen Ausartung auf dem Fuße die Reaktion, und man stürzte sich kopfüber in den dekorativen Farbentopf der verderblichen Theater- und Novellenmalerei. Der wahnwitzige und wahnselige Dekorationsschwindel ist ohnehin das fressende Gift, welches die Kunst verzehrt.

In der letzten Zeit meines Pariser Aufenthaltes schon ahnte mir nichts Gutes. Es schlich damals ein Repräsentant der jetzigen dekorativen Theaterempfindung in den Museen herum. Bald sah man ihn in Cluny ein altes Himmelbett kopieren, bald spukte er vor dem Herzog von Guise und den Söhnen Eduards von Delaroche.

Der Stern, welcher damals in Coutures Römern aufzugehen schien, wurde übersehen, und die roten Trikothosen des Delaroche wurden im Triumphe nach Deutschland eingeführt. Als man mit der Zeit Mut faßte, da man sah, wie leicht das Publikum sich nach der Windfahne drehte, so griff man kühn nach der französischen Spachtel und nannte dies »Breite des Vortrags«. Ja, man wagte sich selbst an die römische Geschichte und übersetzte den David ins Deutsche.

Mich haben diese Wandlungen eigentlich weniger berührt, als man hätte glauben können. So lange ich in Rom war, bekümmerte michs nicht, wie die Wellen in Deutschland kamen und gingen. Ich war in sicherer Obhut! Und als ich später jährlich die Heimat besuchte, da war ich durch das Bewußtsein des unveräußerlichen Schatzes in meiner Seele gefeit gegen müßiges Geplauder der Menschen und Zeitungen, und schlechte Bilder zu sehen, habe ich stets gerne vermieden.


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