Gustav Theodor Fechner
Einige Ideen zur Schöpfungs- und Entwicklungsgeschichte der Organismen
Gustav Theodor Fechner

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I. Unterscheidung des organischen vom unorganischen Molekularzustande und Verhältnisse zwischen beiden.

Versuchen wir, uns eine Vorstellung von der organischen Grundkonstitution in ihrem Unterschiede von der unorganischen zu machen, so wüßte ich nicht, welche angemessenere, ja überhaupt welche andere man sich machen könnte, als folgende, wozu ich die Gründe im folgenden Abschnitte gebe.

Verstehen wir unter Molekülen überhaupt sehr kleine Massen, deren Teilchen durch gegenseitig geäußerte Kräfte in innigerem Verbande unter einander, als mit denen der Nachbarmassen stehen, so beruht der Zustand der unorganischen Moleküle kurz gesagt darin, daß die Teilchen, woraus sie bestehen, durch ihre gegenseitige Wirkung unter Mitwirkung der Beharrung die Ordnung, in der sie gereiht sind, nicht ändern, d. h. das Vorzeichen der Lage mit den Nachbarteilchen nicht wechseln können, was nicht ausschließt, daß sie sich in Schwingungszuständen gegen einander befinden, welche diese Ordnung ungeändert lassen, wozu die Schwingungen nur klein genug gegen den Abstand sein müssen, in dem sich die Teilchen am mittleren Orte ihrer Bewegung befinden. Man kann hinzufügen, daß sie ohne Änderung der imponderabeln Verhältnisse auch diesen mittleren Ort nicht durch eigene Wechselwirkung ändern können.

Auf Schwingungen der Teilchen gegen einander in den Molekülen Rücksicht zu nehmen, wird man jedenfalls dadurch veranlasst, daß wahrscheinlich die größere oder geringere Temperatur der Moleküle auf mehr oder weniger weiten Schwingungen nicht nur der Ätherteilchen, sondern auch wägbaren Teilchen in den Molekülen beruht. Indem nun die Grenze der abnehmenden Schwingungsweite eine feste Gleichgewichtslage der Teilchen bezüglich einander sein würde, kann man sagen, daß die Teilchen in unorganischen Molekülen Schwingungen um feste Gleichgewichtslagen machen, was nicht ausschließt, daß der damit nicht zu verwechselnde mittlere Ort der schwingenden Teilchen sich mit geänderter Schwingungsweite ändert, wie man in der Tat annehmen muß, wenn die Ausdehnungsphänomene, die man an Systemen von unorganischen Molekülen mit wachsender Temperatur wahrnimmt, sich nicht bloß auf Veränderung des mittleren Ortes ihrer Moleküle, sondern auch der Teilchen der Moleküle beziehen sollten.

Hingegen beruht der Zustand der organischen Moleküle, so lange Lebensfähigkeit derselben besteht, kurz gesagt, darin, daß die Teilchen, aus denen sie bestehen, die Ordnung, in der sie sich in irgend welchem Zeitpunkt gereiht befinden, durch gegenseitige Wirkung unter Mitwirkung der Beharrung immer von Neuem wechseln, d. i. das Vorzeichen ihrer relativen Lage gegen einander immer von Neuem umkehren, wie es durch Kreislaufs- und andere verwickelte Bewegungen der Teilchen bezüglich einander geschehen kannEin Molekül, was in einfacher Rotationsbewegung mit gleicher Winkelgeschwindigkeit aller seiner Teilchen um eine durch seinen Schwerpunkt gehende Achse ohne Verschiebung der Teilchen gegen einander begriffen wäre, würde trotzdem, daß die Teilchen das Vorzeichen ihrer Lage immer von Neuem wechseln, doch nur dann dem Begriffe eines organischen Moleküls entsprechen, wenn dieser Bewegungszustand durch die inneren Kräfte des Moleküls unterhalten würde. Insofern aber die Rotation eines Moleküls ans fest gegen einander liegenden oder nur durch Wärmeschwingungen gegen einander bewegten Teilchen bloß durch Beharrung gleichförmig fortgehen und nur durch äußere Kräfte in der Richtung abgeändert werden kann, fällt es noch unter den Begriff des Unorganischen..

Insofern die Wärme-Erscheinungen schwerlich von der Form, sondern von der lebendigen Kraft molekularer Bewegungen abhängen, mag eine verstärkte lebendige Kraft solcher Bewegungen eben so gut eine vermehrte Wärme der organischen Moleküle repräsentieren, als eine vermehrte lebendige Kraft der Schwingungen, welche mit ihrer vergrößerten Amplitude zusammenhängt, die der unorganischen.

Um einen anschaulichen Anhalt für den Unterschied der unorganischen und organischen Moleküle zu gewinnen, erläutern wir uns denselben an dem Unterschiede zweier körperlichen Systeme. Ein Salzkristall, in dem ohne äußeren Druck oder Zug die Teilchen wenn nicht fest gegen einander liegen, doch nur durch Wärme Schwingungen um relativ gegen einander feste Lagen machen, gibt uns im Verhältnisse seiner Moleküle ein Bild von dem Verhältnisse der Teilchen in den unorganischen Molekülen; nur daß wir in diesen eine geringere Anzahl von Teilchen in relativ (gegen ihre Dimensionen) größeren Entfernungen von einander anzunehmen haben; hingegen unser Sonnensystem in dem Verhältnisse der Himmelskörper, welche darein eingehen, ein Bild von dem Verhalten der Teilchen in einem organischen Molekül. In der Tat treten die Bewegungen der Massen unseres Sonnensystems ganz unter den Begriff der Bewegungen, die wir den Teilchen der organischen Moleküle beilegen, und beweisen zugleich die Möglichkeit solcher Bewegung, nur daß wir in den organischen Molekülen unter dem Einflusse der Molekularkräfte verwickeltere Bewegungen möglich halten können, als in unserem Sonnensystem vorkommen, sofern in jenen nicht wie in unserem Sonnensystem eine Masse alle andern so sehr überwiegt, daß sämtliche Bewegungen bloß auf wenig gestörte elliptische zurückkommen.

Sofern wir unter dem Einflusse der anziehenden Kraft der Gravitation die Erde sowie das Planetensystem so gebildet finden, daß die Zusammendrängung der Masse (auf die räumliche Ausdehnung des Ganzen verteilt gedacht) nach dem Schwerpunkt des Systems hin zunimmt, dürfen wir von der, zwar nach unbekanntem Gesetze, aber jedenfalls analog wirkenden Molekularkraft, wodurch die Teilchen eines organischen Moleküls um ihren Schwerpunkt zusammengehalten werden, den entsprechenden Erfolg abhängig denken; und sollten einfache Zellen sich als einfache organische Moleküle betrachten lassen, so könnte sich die stärkere Zusammendrängung der Teilchen, kurz stärkere Dichtigkeit, um die Mitte selbst optisch in der Erscheinung eines Kerns geltend machen und zu einer leichteren Festigung Anlass geben; indes die leichte Festigung des Umfanges zur porösen Zellenhaut aus einem andern Gesichtspunkte dadurch bedingt sein könnte, daß die seltenern Teilchen am Umfange des Moleküls sich wie die am Umfange unseres Planetensystems langsamer als die der Mitte näheren bewegen, wegen ihrer geringen Häufung aber Interstitien für die Kommunikation zwischen dem Zellinhalt übrig lassen. Doch gebe ich dies nur für Vermutungen. Auch kann noch fraglich sein, ob einfach erscheinende Zellen wirklich als einfachste organische Moleküle und nicht vielmehr schon als organische Verbände von solchen im alsbald anzugebenden Sinne zu betrachten; in welchem Falle aber ähnliche Verhältnisse für Mitte und Umfang der Zelle durch den organischen Verband der darin enthaltenen organischen Moleküle bedingt sein könnte, als sie zwischen den Teilchen der Moleküle statuiert wordenUm eine Analogie dafür beizubringen, so findet auch in Sternhaufen eben so eine größere Zusammendrängung der Sterne nach der Mitte des Haufens zu statt, als unstreitig in jedem einzelnen Sterne die Dichtigkeit der Masse nach der Mitte zu wächst..

Kommen wir von den Verhältnissen der Teilchen der Moleküle zu einander auf die Verhältnisse der ganzen Moleküle zu einander zu sprechen, so ergeben sich auch ohne direkte Beobachtung aus den aufgestellten Begriffen der beiderlei Moleküle einerseits und Tatsachen andererseits nachstehende Folgerungen, auf die es nützlich sein wird, vorweg die Aufmerksamkeit zu richten.

Wenn ein unorganisches Molekül mit einem andern in solche, für unsere Sinne als Berührung erscheinende, Nähe kommt, daß Molekularkräfte zwischen ihnen über die Wirkung der Schwere überwiegend werden, so kann der Erfolg ein dreifacher sein. Entweder das eine Molekül wird von dem andern nach einer durch äußere Kräfte bewirkten erzwungenen Näherung elastisch zurückgeworfen, wie eine Billardkugel beim Anprall an eine andere, indem dieser Erfolg bei ganzen Billardkugeln selbst nur von einem solchen Verhältnisse der in scheinbare Berührungsnähe kommenden Moleküle abhängen kann; oder sie haften in solcher Weise aneinander, daß zwischen den Molekülen dasselbe Verhältnis als zwischen den Teilchen jedes Moleküls nur mit dem Unterschiede eintritt, daß die zusammenhaltende Kraft zwischen den Molekülen schwächer als zwischen den Teilchen der Moleküle ist, was wir kurz als unorganischen Verband unorganischer Moleküle bezeichnen, worauf nicht nur die Adhäsionserscheinungen zwischen unorganischen Körpern, sondern auch der Zusammenhalt unorganischer Moleküle in solchen, so lange die Moleküle noch als besondere unterscheidbar bleiben, beruht. Oder drittens, die in Berührungsnähe kommenden Moleküle vermischen sich in solcher Weise, daß einseitig oder gegenseitig Teilchen aus dem einen in das andere übergehen, und die Bedingung, die für die Teilchen unterscheidbarer Moleküle besteht, nur um relativ gegen einander feste Gleichgewichtslagen ohne Änderung der Ordnung im angegebenen Sinne schwingen zu können, verlassen wird, sie vielmehr im Hinausgehen über einander das Vorzeichen ihrer Lagen gegen einander, aber nur in einem Sinne wechseln, worauf die Erscheinungen der Auflösung fester Körper, die Diffusions- und chemischen Verbindungs- und Zersetzungsphänomene beruhen, die zwischen ungleich konzentrierten Auflösungen oder chemisch differenten Massen eintreten, wobei sich der Erfolg von den unmittelbar in Berührungsnähe gebrachten Molekülen zu den übrigen fortpflanzt, ohne daß der Zeichenwechsel der Lage, der dadurch zwischen den Teilchen je zweier Nachbarmoleküle eintritt, sich durch eine rückläufige Bewegung von Teilchen zwischen denselben Molekülen wieder umkehren kann. Alle Lösungen, Diffusionen, chemischen Verbindungen zwischen unorganischen Massen aber gehen nur dahin, durch die Lagen- und Ordnungsverschiebungen, die sie momentan einleiten, den Konzentrations- oder chemischen Unterschied zwischen den Massen durch Herstellung einer gleichförmigen Austeilung von gleichbeschaffenen zusammengesetzten Molekülen in einem neuen unorganischen Verbande auszugleichen, ohne zu Bewegungen der Art, wie wir sie in organischen Molekülen als vorhanden und in organischen Systemen davon abhängig denken, ausschlagen zu könnenDies hindert nicht, daß unter dem äußeren Einflüsse kosmischer Fernkräfte sehr unregelmäßige Bewegungen der Teilchen von Meer und Luft fortgehen, die aber bald zur Ruhe kommen würden, wenn diese Fernkräfte zu wirken aufhörten..

In tropfbar flüssigen unorganischen Massen ist der Verband der Art, daß die Verschiebung der Moleküle gegen einander durch äußere Kräfte nach allen Seiten gleich leicht, in festen Körpern hingegen nach verschiedenen Richtungen verschieden leicht und der Widerstand gegen die Verschiebung überhaupt größer ist. In gasförmigen Körpern findet überhaupt kein Verband der Moleküle mehr statt.

Wenn organische Moleküle mit organischen in scheinbare Berührungsnähe kommen, so daß Molekularkräfte zwischen ihren beiderseitigen Teilchen wirksam werden, so kann eben so wie bei unorganischen Molekülen ein dreifacher Fall gedacht werden.

Einmal der, uns jedoch hier nicht interessierende, Fall, daß sie nach gewaltsamer Annäherung elastisch von einander zurückprallen, womit kein Verband überhaupt zu Stande kommen kann, zweitens daß sie nach dem Prinzip unorganischen Zusammenhanges an einander haften, so nämlich, daß sie (auf ihre Schwerpunkte reduziert gedacht) nur gegen einander Schwingungen um relativ feste Gleichgewichtslagen machen, indes sie in sich Bewegungen von angegebenem Charakter, kurz organische Bewegungen vollziehen, was, wenn derartige Systeme überhaupt existieren, im Ganzen Erscheinungen, wie wir solche an Systemen aus unorganischen Molekülen beobachten, also den Mangel an Lebenserscheinungen und Entwicklungsfähigkeit erwarten lässt. Endlich drittens, daß sich die Teilchen und Bewegungen der zusammengebrachten Moleküle in der Art mischen, daß Teilchen aus dem einen in das andere unter Zeichenwechsel der Lage und Richtung übergehend und wieder rückgehend eine Verbindung zwischen beiden bewirken, die mehr oder weniger innig sein kann, indem sie zwischen den beiden Grenzen schwankt, daß bloß die am äußersten Umfange der Moleküle kreisenden Teilchen ihre Bewegung in eine zwischen beiden oder um beide gemeinsam kreisende verwandeln, indes die übrigen noch Kreisläufe und sonst Bewegungen, die jedem Molekül für sich verbleiben, vollziehen, und daß die Gesamtheit der Teilchen beider Moleküle wechselnd nach beiden Seiten über einander hinausgeführt wird, womit eine vollständige Verschmelzung beider zu einem neuen Molekül zu Stande gekommen ist. Zwischen diesen beiden Grenzen kann es alle möglichen Zwischengrade der Verschmelzung und hiermit des organischen Verbandes geben. Jedenfalls aber muß bei wachsender Annäherung das Wachstum der Verschmelzung von den äußeren nach den inneren Teilchen fortschreiten, weil natürlich die am Umfange jedes Moleküls sich bewegenden Teilchen eher und leichter der Anziehung des andern Moleküls folgen können, als die um die Mitte sich bewegenden. Denkt man sich die Teilchen in einem Momente ihrer Bewegung festgehalten und das System beider Moleküle hiermit erstarrt, so nimmt die partielle Verschmelzung beider die Gestalt zweier gesonderten dichteren Kerne innerhalb eines sie gemeinsam umschließenden und eine Zwischenverbindung zwischen ihnen vermittelnden loseren Parenchyms an, das sich bei wachsender Verschmelzung der Moleküle auf Kosten der Kerne immer mehr verdickt. In Wirklichkeit aber muß man sich sowohl die Kerne als das Parenchym aus bewegten Teilchen bestehend denken, so lange überhaupt der organische Zustand voll besteht. So wie nun zwei Moleküle für sich gesonderte Kerne im angegebenen Sinne haben können, indes sie vom Umfange herein verschmolzen sind, kann dies auch bei ganzen Reihen von Molekülen stattfinden, und durch das nur nicht erstarrt sondern lebendig gedachte Parenchym eine Kontinuität organischer Bewegung zwischen ihnen längs der ganzen Reihe vermittelt werden.

Weiter aber, wie wir uns stufenweise vor sich gehende Verschmelzungen organischer Moleküle denken können, so, nur in umgekehrter Richtung, stufenweise Teilungen derselben, so daß der Teilungsprozeß eben so beim Kerne beginnt, wie er beim Verschmelzungsprozesse damit schließt. Ganze Reihen partiell verschmolzener Moleküle aber lassen sich selbst erst dadurch entstanden denken, daß die ohne Aufgeben einer organischen Verbindung geteilten, nachdem sie sich durch Ernährung vergrößert haben, sich abermals teilen u. s. f. Und unstreitig läßt sich alle Entwicklung der Organismen fundamental auf eine solche fortgehende Teilung der organischen Moleküle zurückführen. Nur kann bemerktermaßen fraglich sein, ob selbst die einfachsten Zellen mit Zellenkern als einfache Moleküle und nicht vielmehr schon als Verbände, in welchen die Moleküle nach der Mitte zu dichter als nach dem Umfange zu gelagert sind, anzusehen. Auch läßt sich, wenn schon nicht beweisen, doch sehr wohl verstehen, wie ein solcher Verband, in dem alle Moleküle durch ein gemeinsames, nach dem Innern des Verbandes an Dichte wachsendes Parenchym verbunden sind, bei fortschreitender Ernährung eben so gut Anlass haben kann, sich im Ganzen, vom dichteren Kern anfangend, zu teilen, als dies von den einfachen Molekülen selbst gilt.

Nun aber können auch unorganische Moleküle mit organischen, und ganze unorganische Verbände mit organischen Verbänden in Verband treten, und zwar auf doppelte Weise, entweder so, daß sie nach dem Prinzip des unorganischen Verbandes bloß an einander fest adhärieren, wie die Auster und Schnecke an der fertigen Schale, d. h. daß die beiderseitigen Moleküle wohl Wärmeschwingungen gegen einander machen können, ohne daß aber Teilchen zwischen beiden übergehen und das Vorzeichen ihrer Lage gegen einander tauschen, oder so, daß letzteres eintritt, was wir kurz Stoff-Verkehr zwischen beiden nennen. Dadurch können entweder einseitig Bestandteile der unorganischen Moleküle, wenn nicht ganze unorganische Moleküle in die organischen aufgenommen werden und in die verwickelten inneren Bewegungen derselben mit eingehen, indem zugleich die organischen Moleküle sich dadurch nähren und unter Voraussetzung, daß sie nichts wieder abgeben, wachsen; oder es können umgekehrt Bestandteile der organischen Moleküle sich ausscheiden und mit den unorganischen Molekülen nach dem Prinzip des unorganischen Verbandes verbinden, oder selbst ganze organische Moleküle sich in unorganische umsetzen und mit den benachbarten unorganischen unorganisch verbinden, womit vielmehr die unorganischen Massen, so fern sie nichts gegenteils abgeben, wachsen. Solchergestalt wachsen nicht nur die Knochen und Schalen der Tiere, sondern in solcher Weise kommen auch Sekretionen von Flüssigkeiten in den Organismen zu Stande. Oder endlich drittens, organische Moleküle nehmen Bestandteile von unorganischen auf, ziehen sie in ihren Prozess hinein und geben andererseits Bestandteile an die festen oder flüssigen unorganischen Massen ab, mit denen sie in Berührung sind, und es kann sein, daß, wenn ein organischer Verband an verschiedenen Seiten mit verschiedenen unorganischen Massen in Beziehung steht, er von einer Seite Bestandteile aufnimmt, die er von der anderen wieder ausscheidet.

Bei all’ dem besteht zwischen organischen und unorganischen Zuständen nach Erfahrung und Begriff keine feste Grenze, und der Unterschied muß nur als relativer gemacht werden, sofern nach Maßgabe, als die Zustände sich der einen oder andern Bestimmungsweise des Begriffes nähern, auch die damit in Beziehung stehenden Folgerungen sich dem einen oder andern Falle nähern. Zellen, Häute, Zellenkerne und Knochenteile, die dem inneren Stoffwechsel noch nicht ganz entzogen sind, mögen sich als Verbindungen von Teilchen betrachten lassen, welche die Ordnung, in der sie gegen einander gereiht sind, nur sehr langsam wechseln und insofern annähernd unter den Begriff unorganischer Teile treten, ohne ihm doch vollständig zu entsprechen, was man im Auge behalten mag, wenn wir dergleichen Teile Kürze halber schlechthin als unorganische Teile von Organismen, und solche insofern als Mischsysteme organischer und unorganischer Teile bezeichnen; indes fraglich ist, ob in Organismen überhaupt vollkommen unorganische Teile in unserm Sinne bestehen. Hiernach besteht auch zwischen den beiden Arten des Verbandes, welchen organische Moleküle mit unorganischen Molekülen eingehen können, keine feste Grenze.

Jedenfalls alle höheren Organismen, und fraglich, ob nicht selbst die niedersten, sind als Mischsysteme zwischen organischen und unorganischen Teilen wenn nicht unter strenger, so doch approximativer Anwendung des letzteren Begriffes zu betrachten. Wie sich nun aber auch beide in einem solchen Mischsysteme kombinieren mögen, so besteht wahrscheinlich für einen Zusammenhang der Lebenserscheinungen in jedem pflanzlichen, tierischen und pflanzentierischen Organismus die Bedingung, daß der organische Verband organischer Moleküle ein kontinuierlicher sei. Soll diese Kontinuität nicht durch eingeschobene feste Knochenteile aufgehoben werden, so darf derselbe nur nach gewissen Richtungen dadurch unterbrochen werden, indes er noch nach andern Richtungen fortbesteht; und sollen Zellen nicht aus dem organischen Verbande herausfallen, so müssen ihre Wände noch durchgängig genug für den Stoffverkehr sein.

Unstreitig lassen sich auch Systeme denken, in welchen unorganische Moleküle, deren Teilchen also nur um relativ feste Gleichgewichtslagen gegen einander schwingen, sich in Bewegungen zu einander befinden, wie wir sie in den Teilchen der organischen Moleküle suchen, kurz in organischen Bewegungen; und es ist möglich, daß wirklich in den Ernährungsvorgängen der Organismen ganze unorganische Moleküle, ohne das unorganische Verhältnis ihrer Teilchen zu einander aufzugeben, in den verwickelten Bewegungsprozess der organischen Moleküle mit hineingezogen werden, was in den, von den organischen Bewegungen in den Molekülen abhängigen Lebenserscheinungen der ganzen Organismen keinen wesentlichen Unterschied begründen kann. Hingegen vermag man, so weit sichere Erfahrungen reichen, durch bloße Wechselwirkung von unorganischen Molekülen oder unorganischen Verbänden, wie man auch Lösungen, Diffusionen, chemische Wirkungen variieren und kombinieren möge, zu keinen Zuständen zu gelangen, welche von dem Charakter der Lebenserscheinungen begleitet wären; und es wird weiterhin zu zeigen sein, daß wir auch nicht nötig haben, die Entstehung organischer Zustände aus Zuständen, welche dem Begriffe des Unorganischen entsprechen, anzunehmen. (Abschn.V.)

In Wirklichkeit wirken in jedem organischen wie unorganischen Molekül oder System wie Mischsystem innere und äußere Kräfte mit der Beharrung dahin zusammen, den jeweiligen Ruhe- oder Bewegungszustand der Teilchen zu bedingen; doch können wir das, was als Erfolg der äußeren und was als Erfolg der inneren Ursachen, d. i. Kräfte in Zusammensetzung mit der nie fehlenden Beharrung anzusehen ist, durch Abstraktion bis zu gewissen Grenzen trennen und jedenfalls innere Änderungen nicht bloß als Erfolg äußerer Ursachen oder Kräfte ansehen, die bei gleichbleibenden äußeren Umständen vor sich gehen oder ganz außer Proportion mit deren Änderungen stehen, oder, statt sich vom Äußern nach dem Innern fortzupflanzen, wie dies bei äußeren Einwirkungen, die nicht durch merkliche Fernkräfte geschehen, der Fall sein muß, eine ganze Masse von merklicher Größe, Inneres und Äußeres, auf einmal in Zusammenhang ergreifen, oder sich gar vom Innern auf das Äußere fortpflanzen; was nicht ausschließt, daß diese Zustände sich doch auch durch Änderung der äußeren Umstände mit ändern, durch äußere Anregungen ausgelöst sein können und bei andern äußeren Umständen anders ausgefallen sein wurden.

Bezeichnen wir nun in Kürze die Abhängigkeit von inneren Kräften als Spontaneität, die Abhängigkeit von äußeren als Rezeptivität, eine Begriffsbestimmung, die, obwohl sie für uns hier wesentlich nur den Zweck abkürzender Bezeichnung faktischer Verhältnisse hat, doch auch ganz wohl in die hergebrachte Auffassung dieser Begriffe hineintritt, nur daß sie sich hier auf das materielle Gebiet bezogen finden, indes man gewöhnlich vorzugsweise oder doch mit das geistige Gebiet dabei vor Augen hat. Es ist aber mit Vorigem nichts weniger als ausgeschlossen, daß an der physischen Spontaneität eine psychische hängt, welche, wenn sie die psychophysische Schwelle übersteigt, was nicht überall notwendig ist, als Triebkraft zur Änderung eines Zustandes gespürt wird, und mit der physischen der gleichen Gesetzlichkeit unterliegt, worauf aber einzugehen nur für die Psychophysik ein Interesse haben kann.

Insoweit wir uns auf der physischen Seite halten, werden wir nach Vorigem sagen können, daß unorganische Moleküle nur den Ort, organische auch die Ordnung ihrer Teilchen spontan ändern können.


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