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Prügel

Ich habe schon erzählt, daß mein Vater gar nicht dafür war, seine Kinder zu schlagen. In diesem Punkt hielt er es mit den Homöopathen, kurierte Gleiches mit Gleichem, similia similibus, und konnte im ganzen recht zufrieden mit den Ergebnissen seiner Erziehungsmethode sein, lag es nun an der Methode oder an den Kindern. Aber einmal habe ich doch herzhafte Prügel von meinem alten Herrn bezogen, und dieses einmalige Erlebnis hat einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht, daß ich mich seiner in allen Einzelheiten heute noch erinnere.

Ich werde damals zehn oder elf Jahre alt gewesen sein, und mein Busenfreund war zu der Zeit Hans Fötsch, der Sohn unseres Hausarztes. Wir beiden Hansen steckten, obwohl wir nicht die gleiche Schule besuchten, den ganzen Nachmittag zusammen, sehr zum Schaden unserer Schularbeiten, klebten aus Pappe und Buntpapier die schönsten Ritterrüstungen, fertigten auf Anregung des streng verbotenen Karl May den Kriegsschmuck von Indianerhäuptlingen an und halfen uns mit den noch verboteneren Kolportageheften aus: Sitting Bull oder Nick Carter. Die Serien waren endlos: hundert, zweihundert, dreihundert Hefte, all unser Taschengeld ging dafür drauf.

Übrigens muß ich damals ein ungewöhnlich sittsamer Knabe gewesen sein. Ich weiß noch, daß ich mich, zum größten Ärger von Hans Fötsch, standhaft weigerte, ihm ein Fortsetzungsheft dieser Schmöker zu leihen, und zwar nur aus dem heimlichen, nie eingestandenen Grunde, weil dem Helden in einem Augenblick höchsten Zornes das Wort »Besch.....« entfahren war. Ich schämte mich für meinen Helden, schämte mich für ihn vor Hans Fötsch.

Der Autor hatte zwar versucht, dem Schaden dadurch wieder gut zu machen, daß er eilig versicherte, dem Helden sei dies Wort nur in unsinniger Empörung über die Schurkischkeit seines Gegners entfahren, aber meine verletzte Sittsamkeit nahm doch Anstoß. Wenn solche Ausdrücke von Schurken gebraucht wurden, mochte es allenfalls hingehen – aber von einem Helden!

Im allgemeinen aber kamen Hans Fötsch und ich ausgezeichnet miteinander aus. Er war ein eher stiller Junge, mit einem trockenen, wortkargen Witz, der immer geneigt war, meinem aufgeregten, phantastischen Geschwätz zu lauschen und jede neue Idee, die in meinem wirbligen Schädel auftauchte, in die Tat umzusetzen. Beide Elternpaare sahen unsern Umgang auch recht gerne. Mein Vater versprach sich wohl eine Dämpfung meines sprunghaften Wesen davon, Doktor Fötsch aber eine Aufmunterung seines stillen Jungen. Wir hatten es auch recht bequem, Fötschens wohnten wie wir in der Luitpoldstraße, sie auf der südlichen, damals noch nicht voll bebauten Seite.

Waren also auch die Vorbedingungen zu einem glücklichen Freundschaftsbund gegeben, so habe ich doch kein rechtes Glück mit Hans Fötsch gehabt. Ich verdanke ihm drei entscheidende Niederlagen meines Lebens, Prügel und eine recht arge Blamage, die noch jahrelang in unserer Familie nachspukte.

Bei der ersten Niederlage ging es noch einigermaßen gelinde ab, trotzdem sie schon beschämend genug war. Mein guter Vater, der, soweit es seine karge Zeit erlaubte, einem sanften Sammeltrieb huldigte, hatte im Laufe seines Lebens eine recht artige Briefmarkensammlung zusammengebracht. Ihren Grundstock bildete eine wirklich wertvolle Reihe alter deutscher Marken, die er einst auf dem Boden des Pflegevaters meiner Mutter beim Umherstöbern gefunden hatte. Denn dieser Pflegevater, ein uralter Notar, hatte auf dem Boden seines Hauses Akten über Akten seiner Vorgänger gestapelt, und in diesen Akten lagen Briefe, alte Briefe, mit Thurn-und-Taxis-Marken, mit dem mecklenburgischen Ochsenkopf, mit den roten Hamburger Türmen, wirklich kostbare Stücke.

Was später noch dazu gekommen war, konnte sich an Rang nicht mit diesen ersten Funden messen. Immerhin hatte mein Vater als Amtsrichter auf kleinen hannoverschen Gerichten immer wieder Gelegenheit, das eine oder andere schöne Stück aus halb vermoderten, von Mäusen angefressenen Akten dazuzutun. Da er nun ein von Natur sparsamer Mann war, auch dies Sammeln nie bei ihm zur wahren Leidenschaft wurde, hatte er stets die Anschaffung eines Briefmarkenalbums verschmäht. Auf einzelnen Blättern eines zart gelblichen Quartpapieres waren die Marken mit der saubersten Akkuratesse aufgeklebt, und mit seiner zierlichen Hand waren die Blätter beschriftet worden.

Schon einmal hatte mein Vater bei dieser Sammlung einen herben Verlust erlitten. Ein ihm leider beruflich vorgesetzter echter Sammler von der schamlosen Sorte hatte sich die Sammlung seines Untergebenen »zwecks Vergleichung« erbeten. Nie hatte mein Vater sie wieder vollständig zurückbekommen, viele der wertvollsten Stücke blieben fehlend, trotz allen Drängens – und zu sehr mochte mein Vater nicht drängen, im Interesse seines Vorwärtskommens. Auch in der angeblich guten alten Zeit konnte ein böswilliger Vorgesetzter einem jungen Landrichter manches nicht wieder gutzumachende Böse antun!

Aber das war nun schon seit vielen Jahren vergeben und vergessen. Über die häßlichen Lücken hatten sich andere, wenn auch nicht gleich wertvolle Marken hingezogen, zu kahl gewordene Blätter hatte Vater umgeklebt. Und nun war da ich, ein hoffnungsvoll heranwachsender Knabe, aber mit einer nicht zu übersehenden Neigung zur Unordnung und Grundsatzlosigkeit. Nie konnte ich genaue Angaben darüber machen, wo eigentlich mein horrendes Taschengeld von fünfzig Pfennigen in der Woche blieb, nie hatte ich Geld, stets verlangte ich Vorschüsse.

Mein Vater glaubte fest daran, daß jedem Menschen ein Spartrieb angeboren sei. Jeder wollte doch vorwärtskommen im Leben, und jeder sah gerne, wenn seine Kinder mehr wurden als er. Wie sollte da ich, sein und seiner ebenso sparsamen Frau Sohn, dieses urmenschlichen Triebes ganz entblößt sein –?! Er war da, er mußte da sein, meines Vaters Aufgabe war es, ihn zu entwickeln! Da dies mit Geld nicht gelang, trotzdem mir mein Vater ein Kontobüchlein geschenkt hatte, in das ich Einnahmen und Ausgaben eintragen sollte – ich benutzte das Heft alsbald als Bücherverzeichnis –, so gedachte Vater über den Sammeltrieb den Spartrieb zu entwickeln.

Wenn ich nun mit einer guten Zensur nach Hause kam, wenn ich beim Zahnarzt mutig gewesen war, wenn ich eine Woche lang meinen Lebertran ohne erhebliche Revolte genommen hatte, bei all solchen lobenswerten Anlässen überreichte mir mein Vater ein volleres oder leereres Blatt seiner Briefmarkensammlung. Erlaubte es ihm seine Zeit, erzählte er mir auch einiges, wie und wo er einzelne Marken »ergattert« hatte (es war sein Stolz, daß er nie einen Pfennig dafür ausgegeben hatte). Oder er berichtete mir auch von den Ländern, aus denen sie kamen, nahm Reisebeschreibungen aus seiner Bücherei und suchte so ein Band zwischen mir und den Marken zu knüpfen.

Zu Anfang schien ihm dies auch zu gelingen. Da er aus Vorsicht mit den weniger wertvollen Marken, späteren Erwerbungen durch Tausch, anfing, so sah ich mit Vergnügen die bunt bebilderten Marken Südamerikas an: mit Vögeln, Landkarten, Palmen, Affen, Städteansichten. Ab und zu wagte ich sogar ein oder zwei Groschen meines Taschengeldes daran und ergänzte einen »Satz«. Dann lobte Vater mich.

Aber je höher wir mit der Zeit im Werte kamen, um so mehr langweilten mich die gezähnten und ungezähnten Papierstückchen. Zahlen, immer nur Zahlen standen darauf, und die leuchtenden Farben wurden immer stumpfer, gingen immer mehr ins Gräuliche und Bräunliche über. Sie langweilten mich, ich fand es je länger je mehr höchst betrübend, daß ich statt eines Talers für eine gute Zensur immer nur diese langweiligen Blättchen erhielt. Ich sah sie kaum noch an. Wenn ich mein artiges Danke schön, in dem doch schon Enttäuschung mitschwang, gesagt hatte, stopfte ich das Blatt achtlos zu den andern in eine Kommodenschieblade.

Ganz entgangen ist meinem Vater dieser Stimmungsumschwung wohl nicht. Eindringlicher als sonst suchte er mir begreiflich zu machen, wie kunstvoll diese kleinen Blättchen ausgeführt waren, wie sauber in Zeichnung und Stich. Und als dies nicht verfangen wollte, wies er auch – wenn schon widerstrebend, denn so etwas lag ihm gar nicht – auf den hohen Wert mancher Stücke hin, um meine Besitzerfreude anzustacheln.

Aber es half alles nichts. Heimlich grollte ich weiter mit Vater. Wie viele Wünsche hätte ich mir mit einem Taler erfüllen können! Ich törichter Tropf kam gar nicht auf den Gedanken, daß ich mir durch den Verkauf einer einzigen Marke die Wünsche eines Viertel-, eines halben Jahres hätte erfüllen können. Ich machte meine Dummheiten, wie auch später im Leben, unbegreiflich gründlich.

Da war nun mein Freund Hans Fötsch, und Fötsch war ein echter Sammler. Er sammelte sowohl Brief- wie Siegelmarken, wie Stollwerck-, wie Liebigbilder. Von diesem allen schienen mir die Liebigbilder am begehrenswertesten. Einmal waren sie selten, denn jedem so lange reichenden Fleischextrakttöpfchen lag nur ein Bild bei. Zum andern zeigten sie Szenen aus den Pampas, mit Toros, Haziendas, Gauchos, Lassos, Indios – alles Dinge, die meine Phantasie entzündeten. Viele hundert dieser Bilder hatte Hans Fötsch zusammengebracht, manche waren noch frisch wie aus der Presse, andere trugen die lebhaftesten Spuren von vielen schmierigen Jungenshänden, durch die sie gegangen waren, und dies schien sie mir noch begehrenswerter zu machen. Ich weiß nicht mehr, wer von uns beiden der Versucher war, aber eines Tages war das Geschäft gemacht: ich war der Besitzer eines dicken Stapels von Liebigbildern, meine Briefmarken aber waren sämtlich zu Hans Fötsch hinübergewechselt. Ganz wohl ist uns beiden bei diesem Tausch nicht gewesen. Wir schwuren uns strengste Geheimhaltung, und in der ersten Zeit verbarg ich auch meinen Bilderschatz ängstlich vor den Augen von Geschwistern und Eltern.

Aber ein Kind vergißt rasch, und so war der Tag nicht fern, da mich meine Mutter über meinen Bildern antraf.

»Wo hast du denn die alle her, Junge?« fragte sie, erst noch harmlos erstaunt.

»Och –!« sagte ich. »Sind sie nicht großartig? Kuck mal, Mutter, das ist 'ne Kaffeeplantage! Hast du gewußt, daß der Kaffee auf so kleinen Bäumen wächst?«

Aber meine Mutter kannte ihre Pappenheimer. Grade daß ich so harmlos tat, machte mich ihr verdächtig.

»Hübsch!« sagte sie. »Und von wem hast du all die Bilder? Es müssen doch ein paar hundert sein.«

»Fünfhundertdreißig!« sagte ich stolz.

»Und wer hat sie dir gegeben?«

»Och –!« sagte ich wieder. »So Jungens ...«

»Was für Jungens?« fragte sie erbarmungslos weiter. »Wie heißen sie?«

Wieder nur: »Och!« Und schließlich: »So Schuljungens ...«

Jetzt war meine Mutter fest davon überzeugt, daß etwas Verbotenes hinter der Sache steckte.

»Hans!« sagte sie fast aufgeregt, »da stimmt was nicht. Ich will die Namen von den Jungens wissen!« Und als ich noch immer zögerte: »Wenn du sie mir nicht sagst, gehen wir zusammen zu Vater! Vater wirst du sie schon sagen!«

Diese Drohung erschreckte mich sehr, denn ich gedachte der fehlenden Briefmarken. Ich bequemte mich also zu dem Geständnis, daß Hans Fötsch der Geber gewesen sei.

Meine Mutter atmete ein wenig auf. »Gottlob, der Hans Fötsch!« sagte sie. Dann nachdenklich: »Und was hast du Hans Fötsch dafür gegeben? Hans ist ein guter Junge, aber er schenkt nicht gerne was weg.«

»Er hat sie mir doch so gegeben, Mutter!«

»Du schwindelst, Hans, ich sehe es dir ja an!«

»Wirklich und wahrhaftig, Mutter!« versicherte ich und versuchte, nach dem Spiegel zu schielen, ob ich tatsächlich rot geworden war.

»Nein, du lügst, Hans«, sagte meine Mutter, ihrer Sache jetzt ganz sicher. »Und wenn da mir die Wahrheit nicht sagen willst, müssen wir doch zu Vater gehen.«

Nun versuchte ich, mich aufs Bitten zu legen. Ich wollte Mutter alles sagen, nur sollte sie mir versprechen, Vater nichts davon zu erzählen.

Aber Mutter ließ sich auf nichts ein. »Du weißt, ich habe nie Heimlichkeiten vor Vater. Und wenn es etwas Verbotenes ist, muß Vater es erst recht erfahren. Komm, Junge, wir gehen gleich zu Vater. Du weißt, Vater ist nie schlimm, wenn ihr offen und ehrlich gesteht, was ihr falsch gemacht habt. Nur Lügen haßt er ...«

Aber ich zog es vor, erst einmal Mutter meine Schandtat zu gestehen. Ich wollte sehen, wie sie auf sie wirkte. Mutter war so erschrocken, daß sie sich glatt hinsetzte.

»Junge, Junge!« rief sie ganz ängstlich. »Wie konntest du das nur tun! Papas schöne, kostbare Briefmarkensammlung, auf die er so stolz ist! Für die dummen schmutzigen Bilder weggegeben! Ich weiß gar nicht, wie ich das Vater erzählen soll – er wird sehr traurig werden, Hans! Achtest du denn gar nicht, was Vater dir geschenkt hat –?!«

Ich bemühte mich, Tränen in den Augen, Mutter zu versichern, daß ich Vaters Geschenke sehr wohl schätze, daß ich aber Liebigbilder hübscher fände ...

»Ach, Hans, wie dumm du bist!« rief Mutter. »Für ein Zehntel der Briefmarken hättest du dir Tausende und Tausende von solchen Bildern kaufen können! Dein Freund hat dich bei dem Tausch richtig reingelegt, ich finde das aber gar nicht hübsch von Hans Fötsch!«

Mutter dachte nach. Ich wartete angstvoll darauf, daß sie mit dem theoretischen Teil, nämlich mit den Vorwürfen, fertig sei und zu dem praktischen übergehen würde, nämlich ob sie es Vater sagen würde oder nicht. Aber Mutter fand eine andere, noch schlimmere Lösung. »Weißt du was, Junge«, sagte sie ganz eifrig. »Nimm die Bilder und lauf gleich zu Hans Fötsch hinüber. Du kannst ihm ja meinetwegen sagen, deine Mutter erlaubt den Tausch nicht.«

»Aber Mutter!« rief ich erschrocken. »Das kann ich doch nicht! Ich hab ihm doch mein großes Ehrenwort gegeben, euch nichts davon zu erzählen. Wie stände ich denn da vor ihm –?!!«

Doch hielt meine Mutter von großen Ehrenwörtern nicht viel. »Ach, Unsinn, ihr mit euern Ehrenwörtern!« rief sie ärgerlich. »Ihr seid doch bloß Jungens, und du bist ein Junge, der tüchtig reingelegt worden ist! Gib deinem Herzen einen Stoß, Hans, und laufe zu Fötsch hinüber!«

»Er gibt mir die Marken bestimmt nicht wieder, Mutter.«

»Er muß es ja tun. Er wird ganz genau wissen, daß er dich reingelegt hat. Er hat auch Angst, daß seine Eltern was erfahren, verlaß dich drauf!«

Aber ich widerstand meiner Mutter hartnäckig. Ich wollte mich nicht vor dem Freund blamieren. Ich wollte nicht ›ehrlos‹ vor ihm werden. Und außerdem, was ich Mutter aber nicht zu sagen wagte, hatte Vater mir die Marken doch richtig geschenkt, als Lohn für mancherlei vorzügliche Leistungen, und mit seinem Eigentum kann jeder machen, was er will. Fand Vater die Marken so kostbar, hätte er sie mir nicht schenken dürfen. Ich hatte ihn nicht darum gebeten! Ich fand die Bilder nun einmal noch immer schöner ...

So argumentierte ich und widerstand der Mutter. Traurig ging sie von mir fort, unverrichteter Sache. Und traurig verlief auch das Abendessen. Vater, der sicher schon alles wußte, war sehr still, sah mich nur manchmal prüfend an. Aber nach seiner Art enthielt er sich jeder Einmischung, die Sache war in Mutters Händen, er wartete still ab ... Nie erlaubten sich die Eltern Übergriffe eines in die Sphäre des andern. Sie halfen einander nur, wenn die Hilfe gewünscht wurde.

Schlimm war die Nacht. Manchmal fand auch ich, ich hätte diesen Tausch nicht ohne Vater zu befragen machen dürfen, und noch öfter entdeckte ich einen gewissen Zorn in meinem Herzen, daß Hans Fötsch mich so hereingelegt hatte. Dann hörte ich Vater singen, wie er es manchmal in seinem milden Spott tat: ›Ja, ich bin klug und weise, und mich betrügt man nicht!‹ Ich kam mir wirklich nicht sehr klug vor.

Aber dann dachte ich wieder an die geliebten Liebigbilder. Ich machte mir klar, daß ich sie richtig würde weggeben müssen, für immer, und ich fand sie doch so schön! Nein, ich konnte es nicht! Ich brachte es nicht übers Herz! Es war ungerecht von Mutter, so etwas von mir zu verlangen. Nie würde ich mich von diesen Bildern trennen.

Am Nachmittag des nächsten Tages saß ich wieder über ihnen. Doppelt wert waren sie mir jetzt geworden! Ich ordnete sie nach einem ganz neuen Gesichtspunkt: Indios zu Indios, Toros zu Toros, Haziendas zu Haziendas. Da kam jemand ins Zimmer, sah über meine Schulter auf die Bilder, meiner Mutter Stimme sprach: »Junge, tu uns doch die Liebe! Überwinde dich dies eine Mal!«

Dabei hatte die Mutter die Hand sachte auf mein Haar gelegt.

Ich aber schwieg, und Mutter ging still, ohne ein weiteres Wort, aus der Stube.

Nun wollte ich die Bilder weiter ordnen, aber es gelang mir nicht. Ich machte einzelne Stöße aus ihnen, legte Gummibänder darum, sah sie eine Weile schweigend an. Dann stand ich auf, steckte, so viel hineingingen, in die Taschen, nahm die andern in meine Hände und machte mich auf den Weg zu Hans Fötsch.

Ach, mein Herz war gar nicht leicht, nicht im geringsten hatte ich das Gefühl, etwas Verdienstvolles zu tun. Aber da war eine Stimme in mir, die sagte, ich müsse es tun, auch wenn es schwer sei, ich dürfe die Eltern nicht so enttäuschen ... Ich könnte es nicht einmal, mein Herz sei nicht geschaffen dafür ... So ging ich, wider Willen ...

Ich kann nicht behaupten, daß Hans Fötsch mich mit meinem Anliegen freundlich aufnahm. Als geborener Optimist hatte ich mir eingebildet, er wenigstens werde mir jetzt keine Schwierigkeiten machen. Aber er versteifte sich auf den Satz »Geschäft ist Geschäft« und schlug mich mit meinen eigenen Argumenten, ich habe ihm mein Wort gegeben und ich habe stets behauptet, die Marken gehörten mir. Ins Eigentum aber habe selbst mein Vater mir nichts hineinzureden.

So mußte ich mit schwererem Geschütz auffahren: mit dem gegenwärtigen Zorn meines Vaters und dem zu erwartenden des seinen. Ich befand mich in einer recht zerrissenen Lage: wohl entfachte Fötschens Widerspruch meinen Eifer, ihn doch zu zwingen, aber im Innersten wünschte ich dabei, er möge sich nicht zwingen lassen, und ich könne dies meinen Eltern – immer noch Besitzer der Bilder – melden.

Aber er ließ sich leider zwingen. Er machte ein paar mürrische Redensarten, mit mir werde er auch nie wieder ein Geschäft machen, und er wisse jetzt, was von meinem großen Ehrenwort zu halten sei, aber er nahm doch die Liebigbilder in Empfang. Meine Marken freilich könne er mir nicht sofort zurückgeben, er habe sie in sein Album geklebt, da und dort, an vielen Stellen. Er müsse sie erst, wenn er Zeit habe, wieder ablösen. Einige Dubletten habe er auch getauscht, auf die könne ich keinesfalls rechnen.

Ziemlich kühl trennten wir uns. Zu Haus freilich wurde ich von der Mutter recht freundlich empfangen. Sie belobte mich, daß ich mein Herz überwunden habe, und auch der Vater schaute mich wieder gut wie sonst an. Beide Eltern waren immer bereit, den guten Willen für die Tat zu nehmen.

In der Folge aber ist es mir ergangen wie meinem Vater mit seinem Vorgesetzten: manchen Mahn- und Bittgang habe ich zu Hans Fötsch machen müssen, ehe er mir ein Häuflein Briefmarken aushändigte: »So, das ist alles! Mehr habe ich nicht von dir!«

Selbst mein unsammlerischer Sinn erkannte, daß nur die wenigsten Stücke in diesem Schurr-Murr aus Vaters Sammlung stammten. Aber ich war der ganzen Sache müde, ich mochte nicht weiter in Hans Fötsch dringen. Trübe sah auch Vater auf das Häuflein.

»Ja, Hans, meine schöne Sammlung ist nun endgültig dahin, und du wirst es mir in Zukunft nicht übel nehmen können, wenn ich es mir sehr überlege, ehe ich dir wieder etwas Gutes schenke. – Ich glaube, das beste ist, du gibst diese Marken deiner Schwester Itzenplitz. Sie hat schon eine ganz hübsche Sammlung und wird diese Reste besser verwenden können als du.«

So tat ich, und hatte nun weder Marken noch Bilder. Manchmal aber grübelte ich darüber nach, was nun eigentlich als Lohn meiner Selbstüberwindung herausgekommen war: Vater war doch ohne Sammlung, ich ohne Bilder, und der Freund war gekränkt. Es schien kein überzeugendes Resultat zu sein.

Hiernach waren meine Beziehungen zu Hans Fötsch eine Zeitlang recht kühl. Wir erwählten uns andere Busenfreunde und sprachen nur das Nötigste auf der Straße, trafen wir uns einmal. Aber in der Jugend vergißt man schnell, besonders ich habe schon früh die Neigung gehabt, alle unangenehmen, besonders aber die mich beschämenden Erlebnisse so schnell wie möglich zu vergessen. Und Hans Fötsch, der Gewinner bei diesem Zwischenfall, hatte ja kaum Ursache, länger mit mir böse zu sein.

So sind wir beide eines Tages wieder im besten Einvernehmen. Damals sprach ganz Berlin von dem Warenhausneubau, der am Leipziger Platz und in der Leipziger Straße entstanden war, rühmte den Bärenbrunnen und den Wintergarten, den ungeheuerlichen Luxus des Lichthofes und pilgerte, sooft es irgend ging, dorthin, ob nun ein Einkauf nötig war oder nicht.

Und wir Jungen machten es nicht anders. Zwar hatten die Portiers Anweisung, allein kommende Kinder nicht in den Bau zu lassen, aber wir wußten uns schon zu helfen. Rasch wählten wir in der Vorhalle eine dickliche, nicht gar zu energisch aussehende Madam und gingen nun sittsam rechts und links von ihr durch die verbotene Pforte, wobei wir uns, an ihr vorbei, eifrig unterhielten.

Waren wir dann erst im Bau, so streiften wir ihn von oben bis unten ab. Lange schien es, als kämen wir nie mit ihm zu Ende. Immer wieder entdeckten wir neue Abteilungen, drangen in völlig Unbekanntes ein. Wir müssen dabei Ähnliches empfunden haben wie Livingstone oder Stanley, als sie in den Schwarzen Erdteil vorstießen. Und alles war mit den wunderbarsten Schätzen gefüllt. Wir träumten davon. Wir unterlagen derselben Verblendung wie ganz Berlin, das sich in jener Zeit, da solcher Prunk noch neu war, in den Gängen und vor den Tischen drängte: eine fieberische Besitzgier, eine wahre Kaufwut hatte alle erfaßt. Hier sah auch der Ärmste die Reichtümer der Welt vor sich ausgebreitet, nicht in Läden verstreut, die zu betreten er nie gewagt hätte, sondern gewissermaßen grade für ihn zurechtgelegt ...

Noch als wir das ganze Warenhaus besser kannten als die dritte Konjugation mit monere, blieb es doch weiter das einzige Ziel unserer Spaziergänge. Es war ja ein ziemlich weiter Weg von der Luitpoldstraße bis zum Leipziger Platz, aber auch dieser Weg war nicht allen Zaubers bar. Wir liefen entweder durch die Martin-Luther-Straße über den Lützowplatz am Landwehrkanal entlang, den ich schon als Junge ganz besonders geliebt habe, oder wir gingen durch die Kleist- und Bülowstraße, wo die Riesenbuddeleien und Rammereien für den Bau der Hoch- und Untergrundbahn nicht enden zu wollen schienen. Dann bogen wir in die Potsdamer Straße ein, die mit ihren vielen Schaufenstern auch zum Verweilen lockte.

Im Warenhaus hatten wir unsere Lieblingslager, vor allem das Bücherlager selbstverständlich und die Spielwarenabteilung. Aber ich speziell bevorzugte besonders die vergleichsweise leere Bettenabteilung. Da ging ich gerne auf und ab. Ich liebte das Ansehen und den Geruch der steifen roten, blauen und gestreiften Inlettstoffe, ich liebte die großen Kästen, mit einer Glasscheibe an ihrer Vorderseite, in denen so leicht und duftig die Bettfedern lagen, von der feinsten Eiderdaune bis zur grob gesplissenen Hühnerfeder. War aber gar erst die große Maschine zum Reinigen der Bettfedern in Gang, und ich konnte hineinsehen in den tanzenden, sich drehenden Wirbel aus Federn und Staub, so kannte mein Entzücken keine Grenzen!

Hans Fötsch wieder bevorzugte die Lebensmittelabteilung. Da ging er mit seiner sommers wie winters sprossigen Nase genußsüchtig witternd auf und ab, sah andächtig zu, wie herkulische Fleischer mit Rindervierteln und Schweinehälften jonglierten, wie starke Hirsche ausgeworfen wurden, und stand zum Schluß am längsten vor den Glasbassins mit den lebenden Flußfischen. Blau- und gelbschuppige Karpfen bewegten sich dort, träge die Flossen rührend, während ihre Erbfeinde, die Hechte, jetzt ohne alle Angriffsabsicht still und reglos über dem Grunde standen, auf dem sich Aale verknäult hatten.

Zum Schluß gingen wir meist noch in die Uhrenabteilung, die leider nur klein war. Wir lauschten andächtig dem Ticken vieler, vieler Uhren. Es schien hier gewissermaßen eine Werkstatt der Zeit zu sein, dieses unbegreifbaren Dinges Zeit, das wir nie verstehen konnten, das uns jeden Tag unfaßlich verwandelte, uns uns selber immer fremder machte. Dieser unheimlichen Zeit schienen wir hier näher gekommen beim Kuckucksruf der Schwarzwälder Uhr, beim Gongschlag der Standuhren und Regulatoren, und vor allem bei jenen Uhren, die wir »Schleifuhren« getauft hatten. Sie saßen unter einem Glassturz, und das blanke, messingpolierte Werk bewegte sich offen vor unsern Augen, vorwärts, rückwärts, immer eine halbe Drehung, völlig lautlos, aber eben sichtbar. So stellte ich mir »Zeit« vor: rückwärts, vorwärts, vor allem aber lautlos.

Sahen wir dann wirklich einmal auf das Zifferblatt dieser Uhren, so entdeckten wir oft, daß es zum Heimlaufen schon viel zu spät war. Willig opferten wir den letzten Groschen unseres Taschengeldes und fuhren mit der Elektrischen. Glücklich und strahlend kamen wir daheim an, verrieten aber, um einem etwaigen Verbot vorzubeugen, den Eltern nie das Ziel unserer Exkursionen. Wir waren ganz einfach spazieren gegangen. Wohin? Och ...

Dann kam ein Tag unter den Tagen, da der Zauber des Warenhauses für uns verblaßt war. Wir gingen ratlos darin umher und begriffen weder, warum wir dies einmal hinreißend schön gefunden hatten, noch warum es jetzt plötzlich nicht mehr schön sein sollte. Wir suchten unsere besten Attraktionen auf: sie blieben ohne alle Wirkung auf uns. Wir fanden alles einfach langweilig. Die Zauberbetten hatten jetzt die überzeugendste Ähnlichkeit mit unsern Betten zu Haus, in denen wir jede Nacht ohne Aufhebens schliefen. Der Käse stank, und die Karpfen riefen die Erinnerung an »Karpfen polnisch« wach, den es zu Silvester gab und der uns nicht grade besonders schmeckte.

War diese Entdeckung schon schlimm genug, so war die Lösung der Frage: Was fangen wir mit unserm langen freien Nachmittag an? noch viel heikler. Wir waren das Herumstromern so gewöhnt, daß uns bei dem Gedanken, daheim in unsern Buden über Büchern zu sitzen, entsetzte. Unser Sitzfleisch juckte uns.

Schließlich machte Hans Fötsch einen Vorschlag, der mir einleuchtete: »Wir gehen einfach durch die Linden zum Schloß, da bin ich lange nicht gewesen. Wollen doch mal sehen, ob SM zu Hause ist.«

Wir verließen also das Warenhaus durch den Ausgang nach der Voßstraße und gingen am düsteren Justizministerium vorbei durch die Wilhelmstraße zu den Linden. Es war ein trüber, aber trockener Nachmittag im November. Auf dem Mittelweg unter den mächtigen Linden klebte das feuchte, tote Laub sich an unsern Schuhen fest. Die prunkvollen Läden anzusehen, verschmähten wir, wir waren von Prunk gesättigt.

Als wir aber in die Nähe der Passage kamen, meinte Hans Fötsch, wir könnten uns wenigstens den Eingang von Kastans Panoptikum ansehen. Diese Wachsfigurenschau genoß damals bei den Berlinern großes Ansehen. Fötsch war schon ein paarmal darin gewesen, mich hatten noch immer Geldmangel und ein strenges Verbot vom Vater ferngehalten. Der dicke, goldbetreßte Portier imponierte mir schon sehr, als ich mich dann aber durch die Neugierigen vor dem Schaufenster gedrängt hatte, kannte mein Entzücken keine Grenzen.

Vor einem panoramaartig gemalten Hintergrund, der eine märkische Kiefernlandschaft zeigte, sogar mit einem azurblauen Seezipfel, stand ein schlanker Herr in schwarzem Gehrock mit grau gestreiften Hosen, auf dem Haupte einen Zylinderhut. Das etwas blasierte Gesicht hatte hübsche rote Bäckchen, im Auge trug der Herr ein blitzendes Monokel, und sein schöner brauner Vollbart lag so untadelig in Locken, als habe ihn eben erst der Hoffriseur des Kaisers, Herr Haby, gekräuselt.

In der Hand hielt dieser Herr einen Revolver, gesenkt zur Erde, und der Blick seiner etwas blöden Puppenaugen war auf einen ihm zu Füßen liegenden, ähnlich gekleideten Herrn gerichtet, auf dessen weißer Hemdenbrust ein bräunlich-roter Fleck sichtbar war. Dieser Erschossene, mit grauenhaft naturgetreu brechendem Blick, vertrat aber den schwarzen, bleichen Typus. Ein Kind sah sofort, daß dies der Schurke, der Blonde aber der Held war, der dem Schuft die verdiente Strafe erteilt hatte. Unter dem Ganzen stand »Der Rächer seiner Ehre«, und die Szene war sicher eine Darstellung der damals recht häufigen Duelle, in denen der betrogene Gatte nicht so sehr die eigene Ehre wie die seiner Frau zu rächen meinte.

Wie gesagt, diese Gruppe machte in ihrer maskenhaften Starrheit und dabei doch mich völlig überzeugenden Lebendigkeit den tiefsten Eindruck auf meine Phantasie. Das Groteske in der Darstellung, vor allem, daß der Erschossene mit seinen Füßen gegen die Schuhe des Gegners stieß (was durch die Enge des Schaufensters bedingt war), störte mich gar nicht. Ich stand sehr lange vor der Gruppe, beobachtete jedes Detail: die am Boden liegende Pistole des Erschossenen, ein Bündel verstaubtes Heidekraut, das direkt neben der bleichen Wange der Leiche lag, die gelbliche Wachshand mit den langen bläulichen Wachsnägeln.

Dann begann meine Phantasie zu arbeiten, und ich stellte mir vor, was das überlebende Puppengesicht nun wohl tun würde. Die Frage, was er mit seiner Pistole tun sollte, beschäftigte mich sehr. Würde er sie zu der andern legen oder sie offen in der Hand nach Hause tragen? Wie kam er überhaupt nach Haus? Selbst wenn dies der Grunewald war, also nächste Nähe Berlins, schien mir seine Kleidung für einen Spaziergänger doch zu auffallend, auch wenn es ihm gelingen sollte, die Pistole in den Schößen seines Rockes zu verbergen.

Ich prüfte jede Einzelheit des Panoramas, es fand sich aber nicht die geringste Andeutung auf Sekundanten, einen wartenden Wagen. Aber – würde er überhaupt fliehen wollen? Oder würde er sich stellen? Ich wußte vom Vater, daß diese Art der Tötung beinahe erlaubt war. Es gab »bloß« Festung dafür, und Festung war nichts Ehrenrühriges. Ich überlegte mir, was ich in der Lage des Lockenbartes tun würde, aber ich wußte es auch nicht ... Am besten fuhr man wohl rasch nach Hamburg und wurde Schiffsjunge, aber wenn man ein Monokel trug und einen Vollbart hatte, konnte man wohl kaum Schiffsjunge werden ...

Ich hätte wohl noch lange vor der Wachsfigurengruppe gestanden. Aber Hans Fötsch stieß mich an, und wir gingen weiter, auf das Schloß zu. Währenddessen erzählte mir mein Freund mancherlei aus dem Panoptikum. Es gab »saublöde« Sachen darin wie Schneewittchen mit den sieben Zwergen, so richtiger Weiberkram im offenem Haar und rosa Schleifen am Kleid, aber es gab auch eine Schreckenskammer zu sehen (für einen Groschen extra) und ein anatomisches Museum (zwei und einen halben Groschen extra), in dem man ganz genau sehen konnte, wie verschieden Männer und Frauen gebaut waren. Bei diesem Umstand verharrte Hans Fötsch mit einer gewissen Hartnäckigkeit, fand aber bei mir wenig Aufmerksamkeit. Dieses interessierte mich (noch) nicht. Immerhin faßte ich den Entschluß zu äußerster Sparsamkeit in den nächsten Wochen, um eines Tages viel an Kastans Panoptikum verschwenden zu können.

Das Schloß lag grau und düster unter dem grauen und düsteren Novemberhimmel. Unser Kaiser, den wir nach Berliner Gewohnheit nur SM – Abkürzung für Seine Majestät – nannten, war mal wieder unterwegs, keine Kaiserstandarte wehte auf dem Flaggenmast. Nun, es war kein Wunder. Nicht umsonst hieß er der Reisekaiser, er hielt es nirgendwo lange aus. Die Fanfare seines Autos Tatü! Tata! klang all seinen Untertanen mit »Bald hier, bald da!« in den Ohren.

Nach einem kurzen Zögern entschlossen wir uns, in ganz unbekannte Gegenden vorzustoßen, der Turm des Rathauses der Stadt Berlin, des Roten Schlosses, winkte uns. Wir folgten diesem Wink und pilgerten weiter bis zum Alexanderplatz, von wo uns der Zufall in das Scheunenviertel trieb.

Diese Unterwelt, die wir hier betraten, erregte unser lebhaftes Staunen, von diesem Berlin hatten wir noch nichts gesehen. Das ganze Leben seiner Bewohner schien sich auf der Straße abzuspielen, alles stand dort herum, in den unglaublichsten Aufzügen, schnatterte, stritt miteinander ... Jüdische Händler im Kaftan mit langen, schmierigen, gedrehten Löckchen, Kleider über dem Arm, strichen durch die Menge und flüsterten bald hier, bald dort Anpreisungen. Vor einem Kellereingang saß ein dickes, schmieriges Weib, hatte den Kopf eines jaulenden Pudels zwischen die Beine geklemmt und schor ihm mit einer Art Rasenschere den Hinterteil.

Und überall gab es Händler. Händler mit heißen Würstchen, mit »Boletten« aus prima kernfettem Roßfleisch, das Stück 'nen Sechser, mit Schlipsen (der janze Adel trägt meine Binder!), mit Seife und Parfüms. An einer Ecke prügelten sich ein paar Kerle, umringt von einem Kreis von Zuschauern, die, trotzdem schon Blut floß, weiter höchst amüsiert blieben. Mir, dem Juristensohn, fiel zuerst das völlige Fehlen von »Blauen« auf, von Schutzleuten also.

In diesen engen Gassen schien ein aller Ordnung und Gesetzmäßigkeit entzogenes Leben zu herrschen. Bisher hatte ich fest daran geglaubt, daß, was in der Luitpoldstraße galt, mit geringen, durch die Stufen reich und arm bedingten Abweichungen überall galt. Hier sah ich nun, wie der eine Kerl sich über den zu Boden gestürzten Gegner warf, der kaum noch bei Besinnung war, und ihm unter dem johlenden Beifallsgeschrei der Zuschauer immer wieder den blutigen Kopf gegen das Pflaster schlug.

Es wurde uns unheimlich, wir machten, daß wir davonkamen. Aber an der nächsten Straßenecke hielt uns ein Kaftanjude an, flüsternd, in einem kaum verständlichen Deutsch schlug er uns vor, ihm unsere Wintermäntel zu verkaufen. »Zwei Mork das Stück! Und eurer Momme seggt ihr, ihr hebbt se verloren ...«

Dabei fing er schon an, mir meinen Mantel aufzuknöpfen.

Mit Mühe riß ich mich los, Fötsch und ich fingen an zu laufen. Aber das war nicht richtig. Denn nun fing die Jugend an, auf uns aufmerksam zu werden. Ein großer Junge, den ich angerannt hatte, rief: »Du bist wohl von jestern übrig jeblieben –?!« und gab damit das Signal zu einer Jagd auf uns.

Wir rannten, was wir konnten, durch ein Gewirr von Gassen und Sträßchen, ratlos, wann und wo dies einmal ein Ende nehmen würde. Eine ganze Horde stürzte schreiend, lachend, hetzend hinter uns her. Ein großer Kerl, durch den Lärm aufmerksam geworden, schlug nach Hans Fötsch. Aber der lief weiter, nur seine Mütze fiel verloren auf das Pflaster. Bei meinem Annähern zog eine Frau, die vor ihrer Tür an einem Strumpf strickte, sachte die Nadel aus der Strickerei und stach damit nach mir, mit der gleichgültigsten Miene von der Welt. Nur ein Sprung rettete mich ...

Ich lief, was ich laufen konnte, wie ich noch nie gelaufen war. Ich wußte, hier galten weder Beruf noch Ansehen meines Vaters etwas, das doch in der Luitpoldstraße alle respektierten, hier galt es auch nichts, daß ich ein Gymnasiast war ... Hier galten jetzt nur meine Beine. Ich! Ich selbst!

Und ich ließ die Beine laufen, immer einen halben Schritt hinter Hans Fötsch lief ich, mit keuchender Brust, mit Stichen in Herz und Brust, rannte immer weiter ... Und so wirklich auch die Schmerzen waren, so wirklich die Verfolger uns auch immer näher rückten, so unwirklich kam mir doch alles vor. Es war wie ein Schreckenstraum, es war doch unmöglich, daß ich, der Sohn eines Kammergerichtsrates, hier in der Kaiserstadt Berlin um meine heilen Glieder, meine Kleider lief. Ich brauchte nur anzuhalten, die Verfolger heranzulassen, und alles würde sich mit einem Lächeln aufklären. Gefahr gab es nur in den Büchern, bei Karl May, Cooper und Marryat, nicht hier in Berlin, nicht für uns ...

Gottlob lief ich trotz all dieser Unwirklichkeitsgefühle ganz wirklich weiter, und schließlich fand denn auch Hans Fötsch durch Zufall einen Ausgang aus dem Gewirre des Scheunenviertels. Aufatmend hielten wir auf einer breiten Straße an, in der jetzt schon die Gaslaternen brannten.

Wir lehnten uns in einen Hauseingang und spürten mit Zufriedenheit das langsamere Schlagen des Herzens, das ruhigere Atmen der Brust. Nach einer langen Zeit sagte schließlich Hans Fötsch mit einem tiefen Seufzer: »Na, weißt du –!«

Ich stimmte ihm bei. »Ich hätte nie gedacht, daß es so etwas geben könnte! Und noch dazu in Berlin!«

»Das war das Scheunenviertel«, erklärte Fötsch. »Vater hat mir davon erzählt. Da trauen sich Große nicht mal bei Tage rein. Dadrin leben bloß Verbrecher.«

Dies mußte ich als Juristensohn besser wissen als der Arztsprößling.

»Das ist ausgeschlossen, Fötsch!« sagte ich. »Alle Verbrecher kommen immer gleich ins Gefängnis oder Zuchthaus. Ich will meinen Vater mal fragen, ob es so etwas überhaupt geben darf.«

»Deinem Vater sag lieber nichts, daß wir da drin gewesen sind. Sonst macht er Klamauk, und mit unserm Spazierengehen ist es alle!«

»Ich werd' so tun, als hätt' ich davon nur gehört.«

»Laß das lieber bleiben!« warnte mich Fötsch. »Du verquatschst dich bei sowas immer. – Und überhaupt ist es jetzt höchste Eisenbahn, daß wir nach Hause kommen. Was ist die Uhr? Halb sieben! Und ich sollte um sechs zu Haus sein!«

»Ich auch! Komm, laß uns laufen, Fötsch!«

»Laufen?« fragte er. »Was denkst du denn, wie lange wir laufen müssen, von hier bis nach Haus? Doch mindestens zwei Stunden! Und ich weiß den Weg auch gar nicht. Nein, wir fahren mit der Elektrischen, wir werden umsteigen müssen. Hast du noch Fahrgeld?«

»Ja, hab' ich noch.«

»Ich auch. Na, dann wollen wir mal sehen. Da vorne an der Ecke scheint eine vorbeizukommen. Mensch, heute abend hagelt es aber bei uns. Vor acht sind wir nicht zu Haus!«

»Ich sag einfach, ich bin bei euch gewesen, und eure Uhr hat gestanden.«

»Und ich sag's so von euch, daß du Bescheid weißt. – Na, was kommt denn da für eine Elektrische? Mensch, Hans, mit der können wir bis Potsdamer Platz fahren! Los, rein!«

Aber ich stieg nicht ein.

»Warte einen Augenblick«, sagte ich fürchterlich aufgeregt zu Fötsch. »Steig nicht ein! Bitte, nicht! Wir nehmen die nächste! Bitte diese nicht!«

Denn mit mir war etwas ganz Seltsames geschehen. Als ich diese Elektrische näherkommen gesehen hatte, die nicht so aussah wie »unsere« Elektrischen im Westen, mit einem tief herabgezogenen Führerstand, der vorne ein Gitter hatte zum Auffangen Unvorsichtiger, die dem Wagen vor die Räder kamen – da war mir im selben Augenblick eine Notiz in der Zeitung eingefallen, die ich vor ein oder zwei Tagen gelesen hatte. Irgendwo in Berlins Osten oder Norden war eine Elektrische in Brand geraten, es hatte einen Toten und mehrere Schwerverletzte gegeben. Und nun plötzlich, beim Heranfahren dieses Wagens, war ich blitzartig von der Erkenntnis durchdrungen, daß es solch ein Wagen gewesen war, der gebrannt hatte, daß alle Wagen dieses Typs in Brand geraten würden, und daß wir keinesfalls mit einem derartigen Wagen fahren dürften ...

Weiß es der Himmel, was da plötzlich in meinem Kopf vorgegangen war! Bis dahin war ich ein wohl schwächliches, oft krankes Kind gewesen, aber von einer solchen Zwangsidee hatte noch nie jemand etwas bei mir bemerkt. Ich wußte natürlich auch jetzt nichts davon. Ich war fest überzeugt, daß ich recht hatte, daß ein Wagen dieser Bauart verbrannt war, daß alle Wagen dieser Bauart verbrennen würden, daß es mir verboten war, in ihm zu fahren ...

Und mit der eindringlichsten Beredsamkeit setzte ich dies alles Hans Fötsch auseinander. Schon beim Reden übertrieb ich. Ich behauptete, eine genaue Beschreibung des verunglückten Wagens in der Zeitung gelesen zu haben, ich wies auf die Merkmale hin: den herabgezogenen Führerstand, das Auffanggitter. Ich behauptete weiter, eine Warnung vor Wagen dieses Typs gelesen zu haben. Ich behauptete, der Wagen eben sei fast leer gewesen. Und in dem Augenblick, da ich diese Behauptungen aufstellte, glaubte ich auch schon an sie. Ich glaubte fest daran, dies gelesen, dies gesehen zu haben. Kein Mensch hätte mich noch in diesem Glauben erschüttern können.

Und so eindringlich war dieser Glaube, daß ich Hans Fötsch fast überzeugte. Er willigte ein, noch eine Elektrische abzuwarten, vielleicht würde die andere Formen zeigen. Aber auch sie kam mit einem Schutzgitter und herabgezogenen Führerstand. Wir ließen sie vorbei. Aber Hans Fötsch lag schon in einem schweren Kampf, was besser sei: noch später zu kommen oder die Fahrt zu wagen. Als auch die nächste Elektrische die gleiche Bauart wie ihre Vorgängerin aufwies, riß er sich von mir los und sprang auf.

»Hier fahren keine andern Wagen!« rief er mir von oben zu. »Ich muß nach Haus! Lauf hinterher, sonst stehst du um Mitternacht noch hier!«

Frierend, hungrig wartete ich noch zwei, drei Wagen ab: sie hatten alle das gleiche Aussehen. Dann entschloß ich mich, dem Rate Fötschens zu folgen und hinter dem Wagen her zu laufen, so lange ich ihn sehen konnte. Dann blieb ich stehen und wartete auf den nächsten. Es war eine anstrengende und zeitraubende Art, den Weg in den Westen zurückzulegen. Aber nicht einen Augenblick kam mir der Gedanke, mein unsinniges Tun aufzugeben. Ich hatte es doch recht sichtbar vor Augen, daß diese Wagen ohne alle Unglücksfälle regelmäßig verkehrten, aber daran dachte ich gar nicht. Ich war ganz im Banne meiner fixen Idee. Ja, als ich in bekanntere Gefilde kam, als Bahnen vertrauter Bauart fuhren, ich stieg nicht ein. Ich durfte nicht fahren, es war verboten. Ich lief weiter ...

Unterdes waren meine Eltern in immer größere Angst und Aufregung geraten. Als es halb sieben und sieben wurde, hatte meine Mutter noch ihre Sorge um mich für sich allein getragen. Später dann, als mit halb acht die Abendessensstunde heranrückte, hatte sie auch Vater benachrichtigen müssen. Vater hatte sofort die Schwere des Falles begriffen. In seinem überaus geordneten Haushalt, in dem schon eine Verspätung von zwei Minuten als Übertretung, von zehn Minuten als Vergehen und von einer Viertelstunde als Verbrechen angesehen wurde, hatte es eine Verspätung von anderthalb Stunden überhaupt noch nicht gegeben! Das konnte nur ein Unglück bedeuten ...

Sofort wurden Boten an all die Stellen ausgesandt, wo ich vielleicht zu finden sein konnte, zu Elbes, Fötschens, Harringhausens, Dethleffsens ... (Es gab wohl schon längst Telefon, aber nicht bei uns, überhaupt bei niemandem, den wir kannten, den Arzt Fötsch ausgenommen.) Mein Vater stieg die Treppe hinunter, sprach sorgenvoll mit dem Portier und veranlaßte ihn, das Haus heute auch noch nach acht Uhr aufzuhalten. Dann ging Vater wartend in der Luitpoldstraße auf und ab, immer das Stück zwischen Martin-Luther- und Eisenacher Straße.

Aber dann trieb ihn seine Ungeduld wieder nach oben. Er fand die ganze Familie verstört, niemand hatte zu Abend gegessen. Mutter war den Tränen nahe. Sie sah mich unter dem Omnibus (Pferdeomnibus bitte!), der Elektrischen, auf der Unfallwache ... Vater redete ihr tröstend zu, aber ohne rechte Überzeugung.

Dann kamen die Boten zurück, ohne Nachricht! Nur das Mädchen, das bei Fötschens gewesen war, berichtete, daß Hans Fötsch auch fehle. (Da der Haushalt Fötsch – wie es bei einem Arzthaushalt ja auch nicht anders sein kann – kein sehr pünktlicher Haushalt war, wurde dies Ausbleiben dort nicht so tragisch genommen.)

In gewisser Weise beruhigte diese Nachricht meine Eltern etwas. Es war viel schwieriger, sich zwei auf einmal verunglückte Jungens vorzustellen als einen. Nachdem aber wieder eine halbe Stunde Wartens ergebnislos verstrichen war, als die Uhr schon fast neun zeigte, entschloß Vater sich, zu Fötschens hinüberzugehen. Dort war indes auch die Sorge eingekehrt. Die beiden Herren berieten sich untereinander und gingen dann, ohne Frau Fötsch etwas davon zu sagen, auf das nächste Polizeirevier.

Aber dort hatte man wenig Trost für sie. Jungens gingen nicht so leicht verloren, meinte der Wachthabende. Nein, irgendeine Meldung von verunglückten Kindern liege nicht vor. Die Herren sollten nur ruhig ins Bett gehen, meist erledigten sich solche Vermißtenmeldungen am nächsten Morgen von selbst ...

Mein Vater war empört. Er glaubte unbedingt an den fürsorgenden Vater Staat (von dem er in seinem kleinen Bezirk wirklich das gütigste und hilfsbereiteste Muster war), und es tat ihm immer in der Seele weh, wenn er im rauhen Leben sah, daß dieser Vater manchmal gar nicht sehr fürsorglich, sondern oft gleichgültig, oft ungerecht, oft grob war.

Aber das alles war sofort vergessen, als sie wieder in Fötschens Wohnung kamen. Hans Fötsch war eingetroffen! Mein Vater erwartete, nun auch den eigenen Sohn daheim vorzufinden. Aber schon die ersten Worte des Jungen zerstörten diese Illusion. Zwar versuchte Hans Fötsch zu schwindeln, Ausflüchte zu machen, zu vertuschen, aber sein Vater war nicht gegen Prügel. Es regnete nur so Ohrfeigen, und schließlich erfuhren die Herren zwar etwas wirr, daß Fötsch mich irgendwo im Norden Berlins verlassen hatte, dicht beim Scheunenviertel, mich unbegreiflich weigernd, mit der Elektrischen zu fahren ...

»Komm, Hans, mein Rabe!« sagte Doktor Fötsch bedeutungsvoll, und bei dem nun folgenden Strafgericht war mein Vater überflüssig.

Er mußte heim zur Mutter gehen, er mußte ihr die schlimme Botschaft bringen, daß ich im verrufensten Quartier Berlins zurückgeblieben sei, er mußte ihr sagen, daß sie nichts tun könnten, nur warten ...

Und so warteten die beiden. Vergessen lagen die Akten, die Flickwäsche. Meine Geschwister waren ins Bett gesteckt worden, schliefen darum aber noch nicht. Sie fanden es angenehm erregend, einen verlorenen Bruder zu haben. Alle fünf Minuten erschien die alte Minna, in ihre Schürze schnüffelnd, und erkundigte sich nach Neuigkeiten.

Gegen zehn Uhr endlich klingelte es, meine Eltern stürzten auf den Flur – es war aber nur der Portier, der fragte, ob er das Haus noch länger offen halten solle. Er wäre gerne ins Bett gegangen. Mit einem silbernen Handschlag wurde ihm der Schlaf verscheucht.

Endlich, um halb elf, klingelte es wieder. Vater sagte mutlos: »Es wird noch mal der Portier sein. Gib ihm zwei Mark, Louise ...«

Da hörten sie meine Stimme auf dem Flur ...

Beide Eltern stürzten heraus, sie packten mich, zerrten mich in die Stube, ans Licht.

»Junge, wo kommst du her? – Wo bist du gewesen?! – Weißt du vielleicht, wie spät es ist –?!!«

Diese Fragen stürzten auf mich ein, ich sah wohl die Spuren der Angst in den Gesichtern der Eltern – und ich übergroßer Schafskopf sagte mit gespielter Gleichgültigkeit: »Ich war bei Hans Fötsch – und deren Uhr ist stehengeblieben!«

Batsch! – hatte ich eine Backpfeife links weg. Batsch! folgte ihr eine rechts.

»Warte, ich will dich lügen lehren, du infamer Bengel du!« rief mein Vater und machte mit diesem Ausruf all seiner Sorge, Angst und Kummer Luft. Er sah sich suchend um im Zimmer. Ach, mein armer guter Vater war nicht wie Doktor Fötsch für solche Strafgerichte eingerichtet, er fand weiter nichts als das schöne Weichselrohr seiner geliebten langen Pfeife. Aber mit diesem Rohr verwalkte er mich gründlich, zum ersten- und hoffentlich auch letztenmal in meinem Leben wurde ich über das Knie gelegt und nach Noten verdroschen. Es war eine überaus eindrückliche Belehrung, die ich nie vergessen habe. Und geschadet hat sie mir bestimmt nicht ...

Und doch wäre vieles in meinem Leben vielleicht anders gekommen, wenn mein langmütiger Vater nicht gerade an diesem Abend die Geduld verloren hätte. Vielleicht hätte ich, nicht so summarisch abgestraft, den Mut gefunden, ihm von meinen Ideen über Elektrische mit Schutzgittern etwas zu erzählen, und vielleicht hätte er dabei doch – obwohl so etwas damals leicht als kindische Albernheit abgetan wurde – aufgehorcht und sich gesagt: »Dahinter steckt etwas anderes, und zwar leider noch etwas Schlimmeres als Unpünktlichkeit und Schwindeln.«

So habe ich meine ganze Jugend hindurch – und noch manches Jahr danach – an diesen immer wiederkehrenden fixen Ideen gelitten, und habe doch damals nie mit einem Menschen darüber sprechen können. Die Gelegenheit war mit jenem Prügelabend endgültig verpaßt.

Manchmal waren diese Ideen vergleichsweise harmlos. So wenn ich stundenlang im Bett wach lag und darüber grübelte: hast du auch einen Punkt hinter dem letzten Satz deines Exerzitiums gemacht? Schließlich mußte ich dann doch aufstehen und nachsehen, und natürlich war der Punkt immer gemacht.

Manchmal betrafen diese Ideen freilich auch Schlimmeres ...

Über die dritte schwere Niederlage aber, die ich durch meine Freundschaft mit Hans Fötsch erfuhr, werde ich im nächsten Abschnitt berichten.


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