Kurt Faber
Dem Glücke nach durch Südamerika
Kurt Faber

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Mañana!

Allerlei beherzigenswerte Weisungen von einem gebrannten Kind, das das Feuer scheut. – Der uneingelöste Scheck. – Venga mañana. – Die Höllenqualen, die Dante vergessen. – Die verhängnisvolle Fiesta. – Ungastliche Gastwirte. – Die Wohltätigkeitsgesellschaft als Rettungsanker. – »Machen Sie, daß Sie hinauskommen!« – Anarchistische Ideen. – Nächtliche Klänge. – Rührselige Stimmung. – Schon wieder Fiesta! – Endlich erreicht. – »So viel Lärm um ein paar Pesos.« – Auf dem Korso. – Von vornehmen Leuten und solchen, die es werden wollen. – Auf nach Bolivien!

Wanderer, kommst du nach Südamerika, so schaffe dir zuerst und vor allem einen Kalender an, in dem die Heiligen fein säuberlich verzeichnet sind, und zwar nicht nur die kanonischen und apostolischen, sondern auch die anderen, die gewöhnlich nicht in den Kalendern stehen. So vor allem die argentinischen Nationalheiligen mitsamt ihren Geburts- und Namenstagen. Denn wisse: jeder Heilige beansprucht seinen Feiertag – seine Fiesta. Einige sind mit einer »media fiesta« zufrieden, bei anderen sind zur Feier des Tages nur die Banken und die Postbüros geschlossen, aber die meisten tun es nicht unter einem vollen Ruhetag. Daneben gibt es aber noch allerlei Erinnerungsfeste, Blumenfeste usw., deren Datum man sich merken muß, um sich vor Schaden zu bewahren.

Und weil ich doch dabei bin, dir weise Warnungen zu erteilen, so will ich gleich noch eine andere beifügen: Es gibt eine spanische Vokabel, die heißt »mañana«. In der Schule habe ich gelernt, daß das Wort mit »morgen« zu übersetzen ist, aber seitdem ich in Südamerika gewesen bin, habe ich gemerkt, daß es nicht »morgen«, sondern »übermorgen« heißen muß. Oder »nächste Woche« oder »nächsten Monat«. Und wenn einer gar noch das Wörtlein »quien sabe?« dahintersetzt, so weißt du, daß die Regelung der Angelegenheit, die du auf dem Herzen hast, einstweilen auf die »griechischen Kalenden« verschoben ist.

Diese Bemerkungen mußte ich vorausschicken zum besseren Verständnis der Ereignisse, von denen ich nunmehr berichten will.

Am Schluß des letzten Kapitels habe ich davon erzählt, wie wir beide mit fröhlichem Mut und je einem Scheck von etwa hundertzwanzig Pesos der in der blauen Ferne auftauchenden Stadt Tucuman entgegenwanderten. Der Däne, der ein Genießer war wie alle seine Landsleute, schwärmte während des ganzen Weges von dem gebratenen Huhn, das er sich leisten würde und von dem Lagerbier, das er dazu trinken werde. Ich aber war bereits Südamerikaner genug, um zu wissen, daß ein Scheck noch lange kein bares Geld ist. Zudem war es Samstag, und die südamerikanischen Bankbeamten halten ihr »week end« genau so heilig wie ihre englischen Kollegen. Punkt halb zwölf Uhr vormittags wird der Schalter geschlossen, und wer dann noch einen Scheck einzulösen hat, der muß sich schon bis Montag gedulden. Ich drängte daher zur Eile und erreichte es auch wirklich, daß wir noch rechtzeitig ankamen. Es war gerade zehn Minuten vor halb zwölf. Ein Stein fiel mir vom Herzen, als ich in das Büro trat, wo die eleganten Herren in Hemdsärmeln sich nachlässig gegen die Pulte lehnten und dem bläulichen Rauch der Zigaretten nachschauten. Sie schienen sich köstlich zu amüsieren über einige Schnurren, die ein dicker, glattrasierter Herr zum besten gab.

Der Beamte, dem ich den Scheck übergab, machte eine ungeduldige Bewegung.

»Aber Amigo,« sagte er mit einem Seufzer, »Sie sehen doch, daß wir im Augenblick alle Hände voll zu tun haben! Tun Sie uns den Gefallen, und kommen Sie in einer Viertelstunde wieder.«

Wir trieben uns eine Weile auf der Plaza umher, aber als wir pünktlich zurückkamen, war das Büro wie ausgestorben. Nur ein alter Hausdiener machte sich mit einem Besen und einem Staublappen zu schaffen und stellte die Stühle auf den Tisch.

»Die Herren sind schon fortgegangen!« rief er uns beim Eintreten zu.

»Und wann werden sie wohl wiederkommen?«

»Montag früh, etwa um neun Uhr – quien sabe?«

Da machten wir beide lange Gesichter. Unsere ganze Barschaft bestand nämlich nur noch aus drei Pesos, womit wir über Sonntag haushalten mußten. Aber was war da zu machen? Man mußte sich eben einrichten. Wir nährten uns kümmerlich von EmpanadasPasteten. und Wassermelonen und schliefen in der übelsten, aber billigsten Fonda von ganz Tucuman. Tagsüber trieben wir uns ziellos in den Straßen der Stadt umher.

Ah, dieses müßige, hungrige Umherwandern zwischen den glitzernden, lockenden Schaufenstern, mit einem uneingelösten Scheck in der Tasche, das ist eine der Höllenqualen, die Dante vergessen hat!

Der kommende Montag sah uns Punkt neun Uhr vor dem Bankgebäude. Wir waren anscheinend noch zu früh gekommen, denn die Tür war fest verschlossen, die Rolläden an den Fenstern waren heruntergelassen und eine verschlafene Atmosphäre der Sonntagsruhe lag in der stillen Gasse. Wir hatten noch nicht die erste Verblüffung überwunden, als unser Bekannter vom letzten Samstag, der Hausknecht, in der Tür erschien. Er war sonntäglich gekleidet, mit funkelnden Ringen an den dicken, verarbeiteten Fingern und einem hinreißend schönen Panamahut. Nein, sagte er, heute kämen die Caballeros nicht. Heute sei doch Fiesta.

»Sie haben aber doch selbst gesagt, daß wir heute herkommen sollten.«

»Aber, hombre – heut ist doch Fiesta!«

»Der Teufel hole eure Fiestas, wenn sie zu nichts gut sind, als um die Gringos um ihre sauer verdienten Pesos zu bringen!«

Aber der andere hatte gar nicht die Absicht, sich durch meine Reden seine abgeklärte Sonntagsstimmung verderben zu lassen. Je wütender ich wurde, desto mehr wappnete er sich mit engelartiger Geduld.

»Aber Amigo!« sagte er sanftmütig. »So seien Sie doch vernünftig! Ich kann ja nichts dafür, daß gerade heute Peter-und-Pauls-Tag ist. Und die Caballeros von der Bank können auch nichts dafür. Und daß einer von ihnen auf den Feiertag hierhergelaufen kommt, um Ihnen den Scheck einzulösen, das können Sie doch nicht verlangen! Haben Sie also Geduld, Caballero, und warten Sie bis morgen! Mañana – verstehen Sie – mañana –«

Dann wandte er sich ab und schritt mit großen Schritten durch die stille Straße in den sonnigen Festtag hinein.

Mit langen Gesichtern schauten wir ihm nach. Keiner von uns hatte einen roten Centavo.

Wir beschlossen, unser Glück in den Fondas zu versuchen, ob sich vielleicht eine mitleidige Seele fände, die uns eine Mahlzeit oder ein Nachtquartier geben würde im Vertrauen auf unseren uneingelösten Scheck. Da die spanischen Sprachkenntnisse meines Kameraden sehr im argen lagen, mußte ich allein das Reden besorgen. Während des ganzen Vormittags ging ich von einer Fonda zur anderen. Ich redete wie ein Buch. Ich bat und bettelte in meinem besten Kastilianisch, aber alles vergebens. Nein, das sei doch wirklich zu ungewöhnlich, meinten die Wirte. Und dann – wer weiß, was man von der Güte des Schecks zu halten hätte? Nur ein einziger verspürte ein menschliches Rühren. Aus reiner Barmherzigkeit gab er uns eine Tasse Kaffee und ein Stück Maisbrot und schrieb uns auch die Adresse einer Unterstützungsgesellschaft für unschuldig in Not geratene Einwanderer auf.

»Unschuldig in Not geratene Einwanderer!« Waren wir das nicht? Natürlich! Was konnten wir dafür, daß der Peter-und-Pauls-Tag so unglücklich gefallen war? Gewiß, wenn man unsere Geschichte hörte, so würde man uns aus der Patsche helfen! Schon sah ich die Pesoscheine in meiner Hand. Aber wer weiß? Vielleicht hielten die auch Fiesta? Vielleicht war dort auch ein Hausdiener, der uns mit: einem »mañana, quien sabe« abspeiste?

Doch dies eine Mal wenigstens hatten sich meine bösen Ahnungen nicht erfüllt. Das Büro war offen und in vollem Betrieb. Ein grober Beamter wies uns in einen großen Vorraum mit kahlen Wänden und einer muffigen Armeleutsluft. Auf einer langen Bank an der Wand saßen zerlumpte, verwahrloste Gestalten und warteten geduldig, bis sie an die Reihe kamen. Frauen mit gelben Gesichtern und verschossenen Mantillas. Männer, die Sandalen an den nackten Füßen trugen und ein schmutziges Pañuelo um den Hals geschlungen hatten. Junge und Alte bunt durcheinander, aber alle mit jener gewissen Armut, die sich aufdringlich und absichtlich zur Schau stellt. Ich setzte mich auf die Bank neben ein Mädchen mit bleichem, eingefallenem Gesicht und müden, schwarzen Augen, das, obwohl selbst noch ein Kind, ein kleines Baby auf dem Arm trug. Ein zerlumpter Spanier suchte ein Gespräch mit mir anzuknüpfen.

»Hast du dir auch einen ordentlichen Kohl ausgedacht?« fragte er mich, »dort drinnen führt nämlich heute Don Guillermo den Vorsitz, und vor dem kann man sich nie genug in acht nehmen. Mit dem gewöhnlichen Schmus kannst du bei ihm nicht ankommen.«

Zwei endlos lange Stunden vergingen, ehe ich an die Reihe kam. Ich trat in ein kahles, beängstigend großes Zimmer, in dem sechs Herren aus bequemen Ledersesseln um einen grünen Tisch saßen. Vor dem Tisch stand ein älterer Herr, der mich scharf ansah durch seine funkelnde Brille.

»Was wünschen Sie?« fragte er kurz.

Ich brachte vor, was ich auf dem Herzen hatte.

»Sind Sie fertig?« fragte der Herr mit der Brille, als ich meinen Spruch heruntergesagt hatte.

»Ja, Herr.«

»Bedaure – wir können gar nichts für Sie tun!«

Ich wollte noch etwas sagen, aber der strenge Herr schnitt mir kurz das Wort ab. »Sparen Sie sich die Mühe!« sagte er ärgerlich. »Für was halten Sie uns eigentlich? Die Geschichte mit dem Scheck bekommen wir drei- bis viermal an jedem Tag zu hören. Überhaupt – ein junger, kräftiger Mensch wie Sie, der hierher betteln kommt! Schämen sollten Sie sich!«

Als ich wieder draußen auf der Straße angelangt war und mit einem Kopf voll Ärger und Enttäuschung durch die heißen Straßen irrte, da begannen meine Gedanken allmählich eine revolutionäre Wendung zu nehmen. Ich mochte sie nicht mehr ansehen, diese wohlgekleideten, wohlgenährten Menschen, die so selbstgefällig vorübergingen. »Ah, ihr Mastbürger!« sagte ich zu mir, »ihr hochnäsigen Affen, die ihr eure fetten Bäuche spazieren tragt! Was wißt ihr von der Not der Welt und der Menschen? Ihr bildet euch wohl etwas ein auf eure Wohltätigkeit! Ihr glaubt wohl, daß ihr eine gute Tat getan habt, wenn ihr an einem schönen Sonntagnachmittag einem zerlumpten Orgelmann einen Groschen spendet, damit der sein Bankkonto vergrößern kann. Ihr veranstaltet Wohltätigkeitsfeste und Hauskollekten für Unterstützungsgesellschaften, an denen sich dann die berufsmäßigen Gauner und Hochstapler mästen, aber wenn einmal in eurem Leben ein armer Wandersmann ein Stück Brot von euch will, so habt ihr nur Hohn und Spott und Verachtung übrig. Ihr tut euch wohl sehr viel zugute auf eure selbstgefällige Moral! Aber eure Moral ist wie eine Seifenblase. Und Dummköpfe seid ihr noch obendrein. Jawohl, der alte Barnum hatte zehnmal recht, als er seinen klassischen Ausspruch tat: ›Das Publikum will behumbugt werden‹.«

Immer tiefer fraß ich mich in diese weltschmerzlichen Gedanken hinein und bemerkte es gar nicht, daß die Nacht darüber hereingebrochen war. Es war eine laue, südländische Nacht. Schon begannen da und dort die Lichter aufzublitzen. Über den Bergen im Westen hing noch ein heller Lichtstreifen, und dann senkte sich von dem klaren Sternenhimmel die schwarze Dunkelheit, die so gar nichts Verlockendes hat für den, der obdachlos in den Straßen irrt. In den Hauptstraßen mit ihren lockenden Schaufenstern, und auf der Plaza, wo sich die wohlhabenden Bürger ergingen, litt es mich nicht länger. Planlos wanderte ich durch die stillen Gassen der Vorstadt, wo die niedrigen Wohnhäuser sich hinter dunklen Büschen verstecken und der würzige Duft der Orangenblüten in der Abendluft liegt. Von irgendwoher klang eine eintönige Gitarre, zu der eine dünne Mädchenstimme einen spanischen Kantante sang:

Passando el rio, passando el puente
Por la corriente oí una voz
Era mi muchacho que me decia
No hay un consuelo para nos dos.

Ich dachte mir: Wenn sie doch bloß still wäre mit ihrem Geklimper. Plötzlich horchte ich auf. Das war eine andere, bekanntere Melodie, die da aus dem hellerleuchteten Fenster im ersten Stock eines anderen Hauses drang. Zuerst war es nur Klavierspielen, aber dann kam mit einemmal, wie eine Stimme aus einer anderen Welt, ein starker deutscher Barbarenchor:

Von allen den Mädchen so blink und so blank
Gefällt mir am besten die Lore.

Ich stand nur und staunte. Vergessen war Hunger und Not; vergessen die böse Welt mit ihren nichtsnutzigen Menschen, die immer »mañana, quien sabe« sagten; vergessen sogar der unglückselige Scheck in der Tasche. Regungslos starrte ich hinauf nach dem Fenster, aus dem die schönen Lieder kamen.

»So mach' doch, daß du endlich weiterkommst!« drängte der Däne, »die Leute bleiben ja stehen.«

Zögernd ging ich weiter, und wie wir schon draußen auf dem Güterbahnhof angelangt waren, wo wir unsere Ponchos in einem Packwagen ausbreiteten, lag es mir noch immer wie ein fernes Echo in den Ohren:

Doch mein Schicksal will es nimmer,
Fern von dir ich wandern muß –

Ich brauche wohl nicht erst zu erwähnen, daß wir beide uns am nächsten Morgen frühzeitig auf den Weg machten. Es war ein köstlicher, taufrischer Morgen. Eine kühle Brise fegte durch die Gassen, und über der weiten Ebene im Osten stieg eben die Sonne auf wie ein funkelndes Goldstück aus einem eingelösten Scheck. Obwohl es noch früh am Tage war, herrschte schon überall festliches Leben. Blauweißblaue Fahnen wehten lustig im Winde, und eine Schar weißgekleideter Schulmädchen unter Anführung eines dicken Schulmeisters in Frack und Zylinder kam eben über die Plaza. Mich überlief es eiskalt bei diesem Anblick. Wenn es schon wieder Fiesta wäre? Einer von den umherstehenden Neugierigen, an den ich mich um Auskunft wandte, schaute mich mit einem halb mitleidigen, halb geringschätzigen Blicke an, als ob ich die Unschuld vom Lande wäre.

»Aber Mann,« fuhr er mich an, »sind Sie denn erst heute auf die Welt gekommen? Heute ist doch die Jahrhundertfeier des großen Sarmiento!«

»Was sagt er? Wieder mal eine Fiesta?« fragte der Däne voll ängstlicher Spannung. Ich aber hörte gar nicht auf das, was er sagte. Voll böser Ahnungen eilte ich nach dem Bankgebäude, vor dem es wirklich ebenso still und sonntäglich war wie tags zuvor. Ich klopfte an die verschlossene Tür, ich läutete Sturm an der Klingel, aber lange rührte sich nichts, bis sich oben ein Dachfenster öffnete und eine schrille Frauenstimme ärgerlich herunterrief: »Madre Dios! Was ist das nur für ein Spektakel! Sind Sie verrückt geworden? Nein, die Caballeros sind heute nicht zu sprechen. Kommen Sie morgen.«

Zögernd ging ich wieder fort mit der Miene eines Mannes, dessen Glauben in die Schlechtigkeit der Menschen keine Grenzen kennt. Auf der Plaza wehten noch immer die Fahnen. Der Schulmeister hatte eben seine Rede beendet, und die Kinder sangen mit blecherner Stimme die Nationalhymne. Ich mochte sie nicht anhören. Mir war gar nicht nach Musik und Fahnen und Festreden zumute.

Lange irrte ich durch die Gassen, ohne zu wissen, wohin. Es war ja doch so gleichgültig. Ein kleiner Junge kam vorüber und bot mit gellender Stimme große Wassermelonen feil. Hm, wer jetzt fünf Centavos hätte! Nur fünf Centavos! Aus einem Hause drang der Duft von frischen Backwaren. Ein verlockender Kuchen stand im Schaufenster. Ich ging schnell daran vorüber. Dann kam ich an die Stadtgrenze, wo die Straßen breiter und sonniger wurden, wo barfüßige Kinder vor den Haustüren spielten und düstere Holzhöfe und lärmende Werkstätten sich weithin in das Land erstreckten. An einem niedrigen Hause in Front eines Holzhofes war ein Zettel ausgehängt: »Se precise un carpintero, bien official.« Ein »sehr tüchtiger Zimmermann« wurde gesucht.

Das kam gerade gelegen. Natürlich bin ich kein Zimmermann, geschweige denn ein »sehr tüchtiger Zimmermann«, aber vielleicht – so dachte ich mir – vielleicht kannst du den Narren dort drinnen um eine Mahlzeit betrügen.

Es war aber niemand zu Hause als eine alte Frau mit einem verwitterten, aber gütigen Gesicht und schneeweißen Haaren unter der bunten Mantilla. Der Herr sei augenblicklich nicht da, erklärte sie uns. Er habe inzwischen wohl auch schon jemand anders angenommen. Ob sie vielleicht sonst etwas für uns tun könne? Das sagte sie mit so aufrichtig bedauernder Miene, und sie schaute uns dabei mit so großen, schwarzen, mitleidigen Augen an, daß ich mir gleich ein Herz faßte und die ganze Geschichte meines Mißgeschicks mit dem Scheck, die ich in den letzten drei Tagen schon so oft heruntergeleiert hatte, noch einmal erzählte.

Hier war endlich meine Beredsamkeit auf fruchtbaren Boden gefallen. »Armer, kleiner Gringo!« rief die Alte einmal ums andere, »sollte man's glauben, daß es so schlechte und so leichtsinnige Menschen gäbe?«

Dann führte sie uns in die Küche, wo sie uns Puchero kochte und Empanadas backte und sich freute über die Ehre, die wir ihrer Kochkunst antaten.

Der nächste Morgen fand uns beizeiten in jener stillen Gasse vor der Tür des Bankhauses, wo ich so oft schon vergebens angeklopft hatte. Es war diesmal wirklich kein Festtag, aber trotzdem war das Büropersonal nur durch einen schmächtigen Jüngling vertreten, der von seinem Platz hinter dem Pulte ganze Wolken von blauem Zigarettendampf in die staubige Atmosphäre sandte. Den Scheck, den ich ihm aushändigte, würdigte er kaum eines Blickes.

»Da müssen Sie warten, bis Don Franzisko kommt,« sagte er zwischen Püffen an seiner Zigarette.

»Wer ist denn dieser Don Franzisko?«

»Der Herr Direktor.«

»Und wird der heute noch kommen?«

»Quien sabe?«

»Ich müßte aber doch wissen –«

»Aber Mann, woher soll ich denn wissen? Habe ich etwas über Don Franzisko zu bestimmen? Gestern und vorgestern war Fiesta. Da werden die Herren heute wohl nicht so pünktlich kommen. Das kann man nicht verlangen. Und zumal heute, wo doch auf dem Korso die Fiesta de las flores ist. Aber mañana –«

Weiter kam er nicht mit seiner Rede. Der Däne packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn wie ein Häuflein Lumpen. Der arme Kerl verstand kein Sterbenswörtchen Spanisch mit Ausnahme der Worte fiesta und mañana, bei deren Anhören er jedesmal rot vor den Augen sah.

»Ich werde dir gleich eine Fiesta verschaffen!« fuhr er den Jüngling an.

»Aber Señor, Caballero!«

»Nix Caballero! Unser Geld wollen wir haben!«

Eine drohende Zornader begann auf seiner Stirn anzuschwellen, während er den jungen Mann mit seinen derben Fäusten an den Stuhl klammerte. Der Jüngling zitterte wie ein Kandidat vor dem Examen. Sein Gesicht wurde aschfahl, und seine Augen starrten gläsern auf den Angreifer. Ja, er wollte tun, was in seiner Macht stand, um die Caballeros zufriedenzustellen. Er wollte uns einen Zettel schreiben, womit wir unser Glück in Don Franziskos Privatwohnung versuchen konnten.

Don Franzisko aber wohnte am anderen Ende der Stadt in einem pompösen Landhause mit einer Marmortreppe am Ende eines kiesbestreuten Parkweges. Es kostete manchen Strauß mit der zahlreichen Dienerschaft, bis wir endlich die Ehre hatten, mit Don Franzisko selber zu sprechen. Der war begreiflicherweise nichts weniger als erbaut von unserer Anwesenheit, aber nach vielen mañana und quien sabe ließ er sich doch dazu herbei, den Scheck aus seiner Privattasche einzulösen. »Der Teufel hole diese Gringos!« sagte er mit einem Seufzer, »das Volk langweilt mich. So einen Aufstand zu machen wegen der lumpigen paar Pesos!«

Dann ging er an den Schreibtisch und bezahlte jedem seine Schuldigkeit bis zum letzten Centavo. Hundertundzwanzig Pesos dem Mann. Wir waren beide reich!

Nach den Abenteuern im Gran Chaco hatten wir beide ein paar Tage des dolce far niente redlich verdient. Tagsüber trieben wir uns in den Fondas und in den Kaffeehäusern umher, und abends saßen wir wie richtige Caballeros auf der Plaza und lauschten den Klängen der lärmenden Platzmusik und auf das süßliche Banjogeklimper, das aus den Weinschenken kam, in denen das junge Volk Fandango tanzte. Dem Dänen gefiel dieses Leben ganz ausnehmend. Er schwor tausend Eide, daß er Tucuman nie wieder verlassen würde. Hier wollte er bleiben und sich einen Hausstand gründen. Eine von diesen schwarzäugigen Señoritas wollte er heiraten. Das umherziehende Zigeunerleben sei ohnehin nicht nach seinem Geschmack. Meine Gedanken aber hingen an den blauen Bergen, die so verlockend aus der Ferne herüberschauten, und an den weißen Schneekuppen, die sich wie glitzernde Märchenschlösser dahinter aufbauten. Dort hinter jenen Bergen lag Bolivien; ein Land der Abenteuer. Das mußte ich unbedingt noch kennen lernen.

Nach einigen Tagen überließ ich meinen Genossen seinem Schicksal und machte mich allein auf die Reise nach Bolivien. Bald hatte ich die Stadt weit hinter mir gelassen. Die Morgensonne goß ein silbernes Licht über die grünen Zuckerrohrfelder, und die fernen Berge glühten in dunkelvioletten Farben. Es war ein Tag zum Wandern. Ein Tag, an dem alle Dinge und Gedanken in die weite Ferne zu ziehen schienen. Das Wasser, das über die Steine hüpfte, die Palmen, die im Winde rauschten, die Vögel, die in den Hecken sangen, schienen alle mit einem Munde zu rufen: »Auf nach Bolivien!«

 


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