Kurt Faber
Mit dem Rucksack nach Indien
Kurt Faber

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Den Sternen nach

Allerlei Reisepläne – Räubergeschichten – Was man im Bazar erzählt – Buschir oder Bender Abbas? – Ich entscheide mich für Bender Abbas – Abschied in der Karawanserei – Karawanenbaschi oder Räuberhauptmann? – Nachtlager auf dem Stoppelfelde – Eine traurige Gegend – Nächtliche Wanderung – Den Sternen nach – Musikalische Brunnen – Die Durststrecke – Eine wichtige persische Vokabel – Wir kommen zu einer Burg – Im Lande der Palmen – Ankunft in Jahrun – Der Stadtschreiber mit der Gänsekielfeder – »Odol?« – »Nix Odol!« – Ich schwelge in Trauben und Melonen – Flucht aus Jahrun – Verzweifelte Lage – Eine erfreuliche Wendung – Der widerspenstige »Ja Ali« – Endlich in Lar.

Lange hatte ich mir überlegt, welches wohl der schönste Weg nach Indien wäre. Schiras ist ein Knotenpunkt persischer Straßen. Aber sein Gesicht ist nach Süden, gen Bagdad und Arabien gerichtet. Für den, der seine Blicke nach Osten gewendet hat, ist es eine rechte Sackgasse. Mein Traum war Kirman und das dahinterliegende Belutschistan.

Belutschistan! Schon der Name klang abenteuerlich.

Oder Afghanistan?

Wohin man blickte, stiegen die Bedenken auf. Belutschistan lag tausend Meilen entfernt und Afghanistan nicht minder. Der Weg war weit und voller Wüsten. Die Sonne brannte heiß, und der Staub in den Straßen war genug, um einem jede Reiselust zu verleiden. Ich saß vor einem jämmerlichen Kahwe Hane und trank den schon von Saadi besungenen Schiraser Wein, in Gesellschaft von einigen deutschen Landsleuten – es gibt deren ein volles Dutzend in Schiras – die ich auszufragen suchte über die Reisemöglichkeiten. Aber sie kannten nur das eine:

Buschir.

Ja, es ist erstaunlich, wie wenig Phantasie die Menschen beim Ausarbeiten ihrer Reiserouten entwickeln! Sie machen es wie die Kamele, von denen immer eins in des anderen Fußstapfen tritt. Und wenn einer einmal auf die Idee kommt, sich eines anderen Weges zu bedienen, so erntet er bei ihnen nur ein mitleidiges Schütteln des Kopfes. So auch in diesem Falle. Buschir ist der Endpunkt der großen Karawanenstraße, die von Teheran zum Persischen Golfe führt. So ist es auch gewissermaßen die Hafenstadt von Schiras, und daß einer anders als über Buschir reisen könnte, ist der großen Masse des verehrten Publikums unfaßbar.

Ich ging durch den Bazar und zog Erkundigungen ein über Reisemöglichkeiten nach Kirman.

Da schüttelten sie die Köpfe.

Ich bot einen Batzen Geld für einen landeskundigen Reisebegleiter nach Afghanistan.

Da schauten sie mich an wie einen Besessenen.

Was war da zu tun?

»Buschir!« riefen sie wie aus einem Munde.

»Nein« sagte ich mir, »nach Buschir gehst du nicht, dorthin gehen sie alle. Dann wenigstens doch Bender Abbas.«

Und auch das war leichter gesagt als getan. Drei Tage lang war ich Stammgast in allen Karawansereien, ohne doch eine Karawane ausfindig zu machen, die diese Richtung einschlug, denn so ganz allein mit meinem Rucksack getraute ich mich doch nicht auf jene verrufene Landstraße. Nun hat es aber eine eigenartige Bewandtnis um Karawansereien, Bazar, und nicht zuletzt um die Bazargerüchte. Die Geschichten fliegen hier so schnell, als ob eine geisterhafte Antenne sie als Rundfunk verbreite. Die Ereignisse auf dem Lande wachsen im Quadrat der Entfernungen, und im Bazar werden sie alle durch ein Vergrößerungsglas betrachtet. Hat z. B. einer irgendwo auf der Straße ein verdächtig aussehendes Subjekt gesehen, so macht er schon beim nächsten Wanderer, dem er begegnet, einen Räuber daraus. Dieser wieder hat bei seiner nächsten Begegnung schon selbst den leibhaftigen Toten am Straßenrand gesehen. So läuft es weiter und wächst wie die Wüste. Die orientalische Phantasie entzündet sich an ihrer eigenen Glut, und bis das Ereignis im Bazar von Schiras landet, ist es schon eine ausgewachsene Räuberbande, die mordend über die Landstraße zieht.

Nun ist freilich die Gegend von Lar, durch die der Weg nach Bender Abbas führt, die verrufenste in Persien. Die Staatsautorität ist dort zu einem Nichts zusammengeschrumpft, das Gesetz ist nicht länger als ein Flintenlauf, und das Straßenräubern gehört zum guten Ton. Aber die Geschichte von der fünfhundertköpfigen Räuberbande, die sie einander im Bazar erzählten, klang mir doch etwas zu sehr nach der von Ali Baba mit den vierzig Räubern.

Nach langem Suchen machte ich endlich einen Burschen ausfindig, der eine Eselkarawane nach der halbwegs Lar gelegenen Stadt Jahrun führte. Wir wurden schnell handelseinig. Ich versprach ihm fünf Toman, wovon ich vorsichtigerweise nur die Hälfte anbezahlte, und er stellte dafür einen recht stattlichen Esel zur Verfügung für mich und meinen Rucksack. Niemand war froher als ich über dieses preiswerte Abkommen, das mich nun endlich aus manchen bangen Zweifeln riß. Gewiß: er war kein schöner Bursche, und ich müßte lügen, wenn ich sagen wollte, daß er auch nur vertrauenerweckend ausgesehen hätte. Mit dem Messer im Gürtel und der langen Flinte auf dem Rücken hätte man ihn gern selbst für einen Räuberhauptmann halten können, und ich war nicht ganz sicher, ob er es nicht am Ende auch war. Aber da gab es nun kein Besinnen mehr. Schnell eilte ich nach dem »Hotel« und holte meinen Rucksack. Meine wenigen Noten wechselte ich auf der Filiale der »Imperial Bank« in bare Münze, die meine Taschen überquellen ließ mit silbernen Tomanstücken. Mittags kam ich wieder nach dem Hof der Karawanserei, wo wir zusammen mit den Treibern Tee tranken und das bis zum Abend fortsetzten, derweilen die Esel in den hellen Tag hineinschrien und kommende und gehende Menschen am Brunnen ihre Tiere tränkten und ihre vorgeschriebenen Waschungen machten. Endlich, als die Schatten schon lang wurden, mußten auch unsere Esel dran glauben. Hoch bepackt trippelten sie mit munterem Schellengeläut durch das Tor und durch die engen Gassen, in denen die Bettler hockten, hinaus auf die weite Straße, die gerade hineinführte in die blauen Berge.

In flottem Tempo marschierte die Karawane. Bald war von Schiras nichts mehr zu sehen als eine gelbe Staubwolke und ringsum die Berge, deren Gipfel paradiesisch schön in der untergehenden Sonne glühten. Bald war es dunkel, und wir zogen weiter im Scheine der Sterne.

Es ist gute Politik der Karawanenleute, wie überhaupt aller erfahrenen Wanderer, daß sie den ersten Marsch einer längeren Reise nur so weit ausdehnen, um am Ende noch in Sicht des Abreiseplatzes kampieren zu können. Und also schlugen wir uns bald seitwärts von der Straße auf ein Stoppelfeld, wo die Kisten und Ballen aufgebaut wurden. Bald brannte das Feuer. Wir tranken Tee und aßen ein wenig von den zähen Brotfladen. Dann legte ich mich auf meine Decken und hüllte mich ein in den weichen Mantel der lauen sternbesäten Nacht. Eine Weile noch lag ich wach und hörte auf das melodische Glockenklingen der weidenden Tiere und auf das Heulen der Schakale in der Ferne. Die süße Freiheit der weiten Steppe ging mir wie ein belebender Balsam durch alle Glieder. Zum erstenmal seit langen Wochen war ich wieder einmal zufrieden.

Es war noch dunkle Nacht, als der Lärm der aufbrechenden Karawane zur Weiterreise mahnte. Beim Scheine der Sterne sammelten sich die Tiere. Jedes bekam seine Last aufgestülpt und trottete davon. Frisch ausgeruht wie sie waren, liefen sie gut, und man mußte sich sputen, um mit ihnen Schritt zu halten. Anfangs war das schwierig, denn in den huschenden Schatten auf der unebenen Straße stolperte man alle Augenblicke über Steine und Gräben. Bald aber hatte sich das Auge an die Nacht gewöhnt. Deutlich erkannte man das weiße Band der Straße. Links und rechts lag die schweigende Steppe, in der da und dort schwarze, gespensterhafte Dinge standen, die die Nacht zu unmöglichen Gestalten verzerrt hatte. Zuweilen raschelte es irgendwo, und ein flinkes Ding rannte auf schnellen Füßen davon. Zuweilen rannte eine aufgescheuchte Schafherde dumm und blökend über den Weg. Schwarz wie Tintenstriche standen die Hügelhänge unter dem hellen Himmel, an dem die Sterne schienen. Immer waren es dieselben und immer standen sie in derselben Richtung. Halblinks nach vorn, gerade über dem Kamme der Hügel, stand schimmernd der Sirius. Höher und höher stieg er hinauf, und bald, als schon der dämmernde Tag mit den Nachtschatten kämpfte, kam noch wie ein Künder des Tages die blauleuchtende Venus hinter den Hügeln hervor. Wie oft sah ich das Schauspiel in jenen Wochen! Es waren dieselben Sterne, die schon Alexander und Marco Polo die Wege wiesen.

Die Sterne, die nach Indien führen!

Und das eben war es, was mich am meisten interessierte. Persien war für mich abgetan, und es war ein unbeschreiblicher Genuß zu wissen, daß nun jeder auch noch so kleine Schritt ein Stückchen näher nach Indien war. Von Schiras nach Bender Abbas sind es immerhin hundert Farsach, also etwa 700 Kilometer Wegstrecke, ungefähr eine Entfernung, die der von Berlin nach Frankfurt entspricht, immerhin ein erheblicher Weg, der einem doppelt so lange vorkommt in der heißen Sonne.

Während der Nacht waren wir durch eine ziemlich unbewohnte Gegend gezogen, aber jetzt bei Tagesanbruch sah man allenthalben Felder und menschliche Wohnungen. Von überall kam das Knarren der Brunnen. Diese bestehen aus weiter nichts als einem Loch, über dem eine auf zwei Lehmpfählen ruhende Stange eine Rolle trägt. Über die Rolle läuft eine Leine mit einem Eimer, den ein Ochse oder ein Esel in unermüdlicher Arbeit heraufzieht. Das heraufgeschaffte Wasser wird in die Gräben gekippt und läuft zu den Kartoffeln, Gurken und sonstigen Pflanzen, denen tagsüber die Sonne das Lebensmark ausgebrannt hat. Es ist wirklich eine mühsame Landwirtschaft, und zur Erhöhung der Stimmung trägt es auch nicht bei, wenn das Ächzen und Knarren der Brunnen wie Schreien und Weinen verdammter Seelen über dem dürren Lande liegt.

Als die Sonne richtig herausgekommen war, ließen wir uns an einem dieser Brunnen nieder zur Tagesrast, – wenn man so etwas eine Rast nennen kann! Das Reisen mit den Karawanen im südlichen Persien ist der Vater mancher Entbehrungen. Schlimmer ist das Rasten. Denn wenn es irgendwo die Sonne gut meint, so ist es dort! Weh' dem, der dazu verdammt ist, schutzlos in der Sonne den Tag zu verbringen! Er könnte sich ebensogut auf die glühende Platte eines Ofens setzen. Karawansereien oder sonstige Rasthäuser gibt es nicht an jenen abgelegenen Landstraßen, und so muß sich jeder seinen Schatten selbst mitbringen. Die Fabel von des Esels Schatten konnte nur in solchem Lande entstehen. Alle Rast besteht nur darin, daß man sich an der Seite eines Stapels von Warenballen oder dergleichen so dünn wie möglich macht, bis die höher steigende Sonne auch dieses letzte bißchen Illusion eines Schattens zunichte gemacht hat. Schlaf im herkömmlichen Sinne eines gründlichen Ausruhens kennt der Karawanenmensch unterwegs anscheinend überhaupt nicht, sowenig wie Hunger und Müdigkeit und wunde Füße und lahme Glieder und ähnliche Dinge, die den Menschen auf der Landstraße plagen. Mag man denken wie man will über die große Masse der Perser, das Geschlecht, das da in den Bazaren lungert, gehört gewiß nicht zu den Löwen. Aber diese Karawanenmenschen sind hart wie Eisen und ausdauernder wie ihre Tiere. Ein Menschenleben lang durchziehen sie die endlosen Straßen, bis Wind und Sonne ihre Haut zu Leder gegerbt und das letzte Atom von Schwäche und Weichheit aus ihnen herausgebrannt hat. So sind sie im Lauf der Zeiten ein eigenes Geschlecht geworden, dessen Vertreter man auf den ersten Blick aus ihrer Umgebung erkennt. Häßlich und verwittert, kühn in der Gefahr, rücksichtslos im Handeln, aber treuer und zuverlässiger, als irgend jemand anders im Orient.

Schon am nächsten Tage hatte ich Gelegenheit, mich zu meinem Leidwesen von der Unempfindlichkeit von Mensch und Tier auf diesen Landstraßen zu überzeugen. Als die Schatten länger wurden, brachen wir auf und marschierten weiter in der Abendkühle, die freilich auch nur ein relativer Begriff ist. Die Gegend war ziemlich bevölkert. Überall stöhnten und ächzten die Brunnen, und alle Augenblicke kamen andere Eseltrupps, die den Staub der Straßen aufrührten. Wir marschierten die ganze Nacht, und bei Sonnenaufgang kamen wir in eine Gegend, der man eine Ehre angetan hätte, wenn man sie eine Wüste genannt hätte. Es war eine weite, von kahlen Bergen umfaßte Ebene, auf der nur da und dort ein Grashalm wuchs. Sonst war alles Sand und Sonne. Nur weit in der Ferne sah man eine Gruppe schwarzer Nomadenzelte. Ein Brunnenloch lag dicht am Wege, aber es war völlig ausgetrocknet, und als wir einen Stein hineinwarfen, um etwa vorhandenen Wassergehalt festzustellen, schwirrte eine Schar wilder Tauben auf. Aber Wasser fand sich nicht. Wir zogen weiter und kamen unterwegs noch an verschiedene andere Brunnen, bei denen wir die gleichen Erfahrungen machten. Es wurde Mittag, und noch immer kam kein Wasser. Die Hitze flimmerte über der Wüste. Die Sonne brannte, wie sie nur in Persien brennen kann. Senkrecht stand sie über dem Kopfe und in ihrer sengenden Glut kochte die ganze Natur, wie über einer heißen Herdplatte. Aber weiter zog die Karawane ohne Murren. Keiner machte eine Szene wegen des bißchen Durstes. Mir aber klebte die Zunge am Gaumen. Die Hitze stieg mir in den Kopf und die weiße Straße drehte sich wie ein Mühlrad vor meinen Augen.

»Werden wir heute noch Wasser finden, Baschi?« fragte ich den Führer.

»Inschallah«, antwortete er seelenruhig.

Eine weitere Stunde verging und noch immer gab es kein Wasser. »Inschallah«. meinte der Baschi.

Wenn nun aber Allah nicht wollte, was dann? Ich fühlte es in allen Gliedern, daß ich das nicht lange mehr mitmachen konnte. Weit in der Ferne zeigte sich am Fuße eines Hügels ein dunkelgrüner Flecken.

»Ab! Ab!« riefen alle. – Manches persische Wort habe ich aufgeschnappt auf jener Reise, aber keines, das ich so gut behalten habe wie dieses:

Ab = Wasser.

Nun konnte ich es nicht mehr aushalten. Ich setzte mich auf den Esel, bearbeitete sein Hinterteil mit dem Stock und galoppierte dem Orte der Verheißung entgegen.

Aber er war weiter weg, als ich gedacht hatte. Stunden vergingen, und er kam nicht näher. Zuweilen konnte man schon deutlich jeden Strauch erkennen, zuweilen war die Erscheinung fast vollständig zerronnen, wie eine Luftspiegelung der Wüste. Die Sonne war schon untergegangen, als ich den Rand der Oase erreichte. Vor mir lag ein Dorf, wie ich seinesgleichen selbst in Persien noch nicht gesehen hatte. Es war eine vollständige kleine Festung nach mittelalterlichem Modell, mit Toren, Türmen, Wällen mit gedeckten Laufgängen und allem Zubehör, alles kunstvoll errichtet aus dem landesüblichen ungebrannten Lehm. Vor dem Stadttor standen mächtige, breitkronige Bäume, die an unsere Linden erinnerten, und neben dem Weg lief ein Bewässerungsgraben, aus dem ein vielstimmiges Froschkonzert in den stillen Abend stieg. Es war ein trübes, schlammiges, übelriechendes Wasser – aber Wasser war es! Ich fiel förmlich von meinem Esel und schlürfte gierig die unappetitliche Flüssigkeit und fragte nicht danach, ob Pest und Tod darin brüteten. Unter einem der Bäume machte ich es mir dann bequem, während das Stadttor aufging und eine Wallfahrt von Neugierigen herauskam, um den fremden Sahib in Augenschein zu nehmen. Ich nahm all mein Persisch zusammen und machte ihnen begreiflich, daß ich Hunger habe, worauf denn auch bald ein alter Mann erschien mit einem Teegefäße voll der köstlichsten Milch, die ich je getrunken habe. Andere brachten Früchte und Brotfladen, die ich mit möglichstem Anstand verspeiste, während der ganze männliche Teil der Dorfbewohner, vom kleinsten Säugling bis zum würdigsten Greise, um mich saß und mit einer gewissen Feierlichkeit den weiteren Verlauf der Dinge abwartete.

Inzwischen begann langsam auch die Karawane heranzukommen, und das lenkte die Aufmerksamkeit ein wenig ab. Bis spät in die Nacht hinein dauerte das Palaver. Es war ganz offenbar, daß der Baschi aus meiner Anwesenheit Kapital schlug, um sich einmal ordentlich in Szene zu setzen bei seinen Mitmenschen. Was er ihnen erzählte, wußte ich nicht. Jedenfalls drängten sie sich immer dichter in einem Kreis um ihn zusammen und hingen an seinem Munde, wie nur je an dem eines phantasiebegabten Geschichtenerzählers im Bazar. Zuweilen warfen sie scheue Blicke zu mir herüber, zuweilen schlichen sie sich fort und brachten mir immer neue Leckerbissen, von denen besonders ein braun und knusperig gebratenes Etwas meinen Appetit reizte, bis ich erfuhr, daß es gebratene Frösche waren.

Endlich zogen sich alle wieder hinter ihre Stadtmauern zurück, und es wurde still ringsum. Ich machte mir mein Lager zurecht unter einem der Bäume, wo man recht gut und idyllisch geschlafen hätte, wenn nicht die Moskitos gewesen wären. Lange noch lag ich wach und hörte auf das Schellengeläute der weidenden Tiere, auf das Singen der Frösche und auf das metallische Summen der kleinen Quälgeister. Am anderen Morgen brachen wir mit der Sonne auf und marschierten während des ganzen Tages.

Wir kamen durch eine Gegend, die wie Tag und Nacht sich unterschied von der, die wir tags zuvor durchmessen hatten. Wir waren nun mitten in der Landschaft Farsistan, dem berühmten Schiraser Land, das die Dichter so begeistert besungen haben. Wir wanderten durch einen hohen Buschwald, der ab und zu unterbrochen wurde von grünen Feldern, die eine rechte Augenweide waren für unsere von Wüste und Sonne beleidigten Augen. In vielfachen Windungen führte der Weg durch ein zerklüftetes Bergland, bald hoch oben zwischen den Felsen, bald unten am Rande eines rauschenden Flusses, dessen Ufer dicht bestanden waren mit wilden Feigen und Oleandern. In dem Wasser sprangen die Fische und in den Büschen sangen die Vögel. In der Nähe eines Dorfes lagerten wir unter uralten Bäumen, unter denen eben die Bewohner dabei waren, ihr Getreide zu dreschen auf eine primitive Weise, die sicher auch Adam schon gekannt hatte. Das abgemähte Getreide stand in großen Schobern auf dem Felde. Von diesen wurde eine Schicht nach der anderen auf dem Boden ausgebreitet, und die Ochsen und Esel, oder was man sonst an vierfüßigen Hausgenossen besaß, in schnellstem Tempo darauf herumgetrieben. Unaufhörlich sauste die Peitsche auf die Tiere, wenn sie versuchten, einen Leckerbissen zu erhaschen. Es war eine wenig humane Arbeitsmethode, aber vielleicht steht es im Koran nicht geschrieben: »Du sollst dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbinden.«

Lange nach Sonnenuntergang brachen wir auf und kamen nach einem langen Nachtmarsch ganz unvermittelt ins Land der Palmen. Es war, als ob wir in dieser Nacht einen halben Erdteil durchquert hätten, so anders war die Landschaft. Die Berge traten weit zurück, und wir zogen nun durch eine Ebene, an deren Ostrand ein grüner Streifen lag, über dem man deutlich die gefiederten Kronen der Palmen vor der aufgehenden Sonne sah. Während des halben Vormittags marschierten wir weiter zwischen überschwemmten Feldern, in denen Scharen von Dorfbewohnern bis über die Knie im Wasser standen und Reisstauden pflanzten. Die Straße wurde immer breiter und belebter. Schwarze, wild aussehende Ziegen, die zehn Meter gegen den Wind stanken, lagerten im Schatten kümmerlicher Tamariskenbäume. Ein Ochsenkarren zog vorüber auf ungefügen Scheibenrädern, die bei jeder Umdrehung ein ohrenzerreißendes Getöse verursachten. Von weitem hatte diese Palmenlandschaft recht verlockend ausgesehen. Bei näherer Betrachtung verlor sie viel von ihrer Romantik, und als wir endlich bei den ersten Häusern angelangt waren, entpuppte sich alles als eine recht kümmerliche Herrlichkeit von halbverfallenen Lehmmauern und staubigen Kaktushecken. Kein Lebewesen war weit und breit zu sehen, nicht einmal die sonst überall unvermeidlichen Hunde. Wir kamen durch eine ganz enge Gasse, in der die Esel nur hintereinander gehen konnten. Hier roch es nach Fäulnis und Verwesung. Die Palmen standen regungslos, wie gemalt, am dunkelblauen Himmel und warfen scharfe schwarze Muster in den weißen Sand. Durch ein kleines Tor gelangten wir in einen weiten Hof und kampierten in einem Haine von schlanken Dattelpalmen, die wahrhaft majestätisch ausschauten. Die Esel wurden losgelassen, um sich eine Mahlzeit zu suchen, die sie immer finden, auch in der trostlosesten Wüste, wo das menschliche Auge nichts als Sand und Steine sehen kann. Wir selbst machten es uns nach Möglichkeit bequem in der neuen Umgebung. Das Ruhen im Schatten der Palmen denkt mancher sich sehr romantisch. Und es ist es auch, wenn die Sonne noch nicht allzuhoch gestiegen ist und der kühle Morgenwind in den Fächerkronen rumort. Dann aber wird es immer ungemütlicher. Senkrecht brennt die Sonne auf den heißen Sand. Jedes Fächerblatt zeichnet auf dem Boden den Schatten nur wie einen Strich, dem man unerbittlich nachwandern muß, wenn man nicht bei lebendigem Leibe gebraten werden soll in dem Sande, der von Tieren und Tierchen wimmelt, unter denen die Zecken und die Sandflöhe noch die harmlosesten sind. – Ja, niemand schläft ungestraft unter Palmen!

Die Sonne ist der Feind in diesem Lande. Mit ihrem Steigen verdorrt, mit ihrem Sinken belebt sich die Landschaft. Im erwachenden Walde bewegen sich die Blätter. Da und dort beginnen Vögel zu singen. Der Rauch steigt auf zwischen den Dattelpalmen. Ein Hund knurrt leise in einem Garten. Sein Nachbar antwortet in einem anderen. Bald bellt es überall. Die Ochsen gehen über die Straße, und bald ist wieder die ganze Gegend lebendig von dem knarrenden, krächzenden Liede der Brunnen. Dann kommen die Esel von der Weide, und weiter geht die Reise – –

Nach einigen Tagen tauchte in der Ferne, tief in einem Kessel zwischen hohen Bergen, die Stadt Jahrun auf. Von dort aus sah sie ganz stattlich aus in ihrem Palmenhain, der von einem Berg zum andern die ganze Talsohle füllte. Bald standen wir vor einem schönen Garten, aus dem dicke Trauben über die Mauer hingen und hohe, windverwehte Palmen in der hellen Sonne standen. Einige Minuten später marschierten wir durch ein baufälliges Tor in die stillen Gassen der seltsamen Stadt.

Was soll man von jenem weltverlassenen Platze berichten? Lehmmauern und Dattelpalmen Ruinen zwischen Kehrichthaufen.

Sand und Sonne, brütende Langeweile und Kaufleute, die auf ihrem Stande im Laden schlafen.

Ah, aber diesmal gab es etwas zu sehen, als der weiße Fremdling in der Karawanserei übernachtete! Im Nu hatten sich fünfzig Menschen im großen Hofe versammelt. Nun waren es hundert, die Augen wie Teetassen machten vor diesem nie gesehenen Wunder. Durch die Menge bahnte sich ein Schriftgelehrter – er war sogar ein Hadschi, der in Mekka gewesen war – den Weg. In der Hand hatte er eine mächtige Rolle Pergamentpapier und hinterm Ohr eine Gänsekielfeder. Gemessen stellte er seine Fragen, während die anderen sich in erwartungsvolles Schweigen hüllten. – Woher ich komme, wohin ich gehe. Und dann wollte er noch wissen, ob ich mit einem Odol gekommen wäre.

»Mit einem was?« fragte ich erstaunt.

»Mit einem Odol.«

Darauf konnte ich mir nun keinen Vers machen. Ich suchte ihm klarzumachen, daß Odol bei uns ein Mundwasser sei. Daß man so etwas zuweilen in der Zeitung gepriesen sehe als das beste für die Zähne. Ich suchte eine ausweichende Antwort zu geben, aber er bestand hartnäckig auf seiner Frage.

»Odol.«

Ich schüttelte den Kopf. Da kam einer aus der Menge und malte diesen Stein des Anstoßes an die weiße Wand der Karawanserei.

Er war einmal in Schiras gewesen und hatte so etwas gesehen:

Ein Automobil.

Ich sagte ihm, daß mein Odol auf Eselsfüßen ginge, worauf er den Kopf schüttelte, seine Pergamentrolle fester unter den Arm nahm und in der Menge verschwand, die mich fortan als Sahib minderer Güte einschätzte. Die anderen aber verschwanden nicht. Die Menge wuchs mit jeder Minute, bis der geplagte Sahib die Geduld verlor und sich mit einem handfesten Knüppel etwas Luft verschaffte.

Aber was soll ich noch weiter von Jahrun erzählen? Ja, es ist doch ein schöner Platz, in dem die herrlichsten Datteln fast umsonst zu haben sind, in dem das Kilo Trauben ungefähr fünf Pfennige kostet nach unserem Gelde und die Wassermelonen so groß wie Wagenräder sind. Manchmal noch, wenn mir in den kommenden Wochen die Zunge am Gaumen klebte auf den langen, langen Wegen durch die sonnverbrannte Steppe, habe ich mich nach ihnen zurückgesehnt, wie nach einer Insel der Seligen. Nach den dicken Melonen und dem fließenden Wasser. Und nach den Trauben von Jahrun.

Nach drei Tagen hatte ich trotz der gebotenen Genüsse genug von solcher Oase, und um die Wahrheit zu sagen: die Bewohner jener aufblühenden Stadt hatten auch von mir genug, vor allem die, die mit meinem Stock Bekanntschaft gemacht hatten in der Karawanserei. Nicht einmal einen Esel wollte man mir verkaufen. So lud ich meinen Rucksack auf den zweibeinigen Esel und marschierte weiter, in der Richtung nach Lar.

Hinterwäldlich ist die Gegend von Jahrun. Hinterwäldlicher noch ist das Land, das ostwärts davon liegt. Ganz primitiv sind die altväterlichen Karawanenwege, die fern von aller Kunst nivellierender Ingenieure querfeldein durch sandige Wüsten, über kühle, windgepeitschte Gipfel und durch vertrocknete Flußtäler führen. Hier herrscht noch unbeschränkt die persische Eisenbahn, der Esel. Hier schleicht der Verkehr noch beschaulich über die Straßen, nach dem Grundsatz »Komm' ich heut' nicht, komm' ich morgen«. Geduld ist das große Losungswort bei allen Handlungen, und wer die nicht hat, der kommt nie an das Ende seiner Aufregungen. Es ist ein richtiges Mañanaland nach südamerikanischem Muster, verstärkt und legitimiert durch orientalischen Kismet. Kommst du heute nicht, kommst du morgen ans Ziel dieser endlosen Reise.

Inschallah!

Allah ist groß. Wer kann es wissen?

Inschallah!

In allen Zonen reist man am besten und schnellsten allein. Hinterwärts von Jahrun aber ist das Alleinreisen der schnellste Weg zum Paradiese, sofern man durch seinen Lebenswandel ein solches verdient hat. Die Staatsautorität steht hier nur noch auf dem Papier. Es wimmelt allenthalben von Kavalieren, die es mit dem Mein und Dein nicht genau nehmen, und wer sich nicht dem Schutze einer größeren gut bewaffneten Karawane anvertraut, der gleicht dem Manne, der seine Nase abschnitt, um sein Gesicht zu ärgern. So wenigstens hatte man mir allenthalben versichert, und nun wanderte ich mit einem Kopf voll Unruhe und einer Seele voll Ungewißheit auf der Straße. Der Himmel wölbte sich wie eine stahlblaue Glocke über der Landschaft. Die Sonne brannte feindselig heiß und hart auf Sand und Steinen der Steppe, die ihre Hitze mit Zinsen wieder zurückwarf. Alles flimmerte mir vor den Augen. Die letzte Hütte war längst hinter mir geblieben, die letzten Palmenkronen hatten sich wie Schattenbilder im Dunste über dem Horizont verloren. Gerade voraus stand ein hoher, runder Wachtturm aus Lehm. Sonst war weit und breit nichts zu sehen und nichts zu hören als das Glucksen von ein paar Perlhühnern im spärlichen Grase der Steppe. Als die Sonne tiefer sank, setzte ich mich auf einen heißgebrannten Stein neben meinem Rucksack und versuchte mir auszudenken, was nun eigentlich werden sollte. Mich gelüstete nach den Trauben von Jahrun, aber nicht nach den bösen Blicken der Mullahs, nach dem Anblick der zweifelhaften Gestalten, die mit langem Messer um die Karawanserei herumschlichen und der Äxte der Derwische im Bazar. Und wiederum: was mochte voraus liegen auf dem langen Wege nach Bender Abbas? Wie viele wasserlose Wegstrecken, wieviel heiße Sonne, fanatische Dorfbewohner, wie manche Wegbiegung, hinter der die Räuber lauern? Alles, was ich im Bazar von Schiras gehört hatte, fiel mir auf einmal wieder ein, und ich schalt mich den größten Narren ob meines Leichtsinns, der mich in diese Klemme gebracht hatte. Noch eine ganze Weile saß ich da und grübelte über diese Dinge und achtete nicht, wie darüber die Sonne immer tiefer sank und der Abend einen Goldregen über die in dunkelvioletten Farben glühenden Berge warf.

Doch plötzlich horchte ich auf.

Ein brummendes Geräusch schlug an mein Ohr. – War es möglich? – Sicher war es eine Täuschung! Nun kam es ganz deutlich von der Stadt her. Nun konnte man es schon mit Augen sehen. Ein schwarzer Punkt in der Steppe, der schnell näher kam. Ein Vogel erhob sich schwirrend zwischen den Steinen. Ein Rudel Gazellen jagte aufgescheucht feldein. – Nun war es ganz nahe. Kein Zweifel: es war ein Automobil!

Ich betrachtete es mit starren Augen wie einer, der einen Geist gesehen. Alles andere hätte ich eher vermutet in dieser Gegend.

Aber da stand es schon vor mir mitsamt seinen Insassen, einem sehr eleganten persischen Offizier und einem würdigen weißbärtigen Hekim, einem Arzt in einer langen braunen Abba. Der Offizier sprach sehr gut französisch und versäumte nicht, diese Kenntnis bei mir an den Mann zu bringen. Von mir hatte er schon gehört, und das war kein Wunder, denn ohnehin war die ganze Stadt Jahrun voll von Geschichten über den dort aufgetauchten Franken. Er selbst war ein Vermessungsoffizier, dem die Aufgabe geworden war, die Straße nach Lar soweit als möglich mit seiner Fordkiste zu befahren, um sie auf die Möglichkeit eines späteren Ausbaus für den Kraftwagenverkehr zu untersuchen. Wenn ich wollte – so meinte er – könne ich meinen Rucksack aufladen und mitfahren.

Ob ich wollte!

Der Hekim machte Platz. Im nächsten Augenblick saß ich im Wagen, und fort ging es auf Flügeln der Maschine. Es war alles wie ein Märchen. –

Wir waren noch nicht weit gekommen, als der Ford die Gefolgschaft verweigerte und das nicht ohne Grund, denn es ging durch einen mit wildem Geröll erfüllten Engpaß, der eine Steigung aufwies, die selbst eine Eselkarawane stutzig gemacht hätte. Glücklicherweise lag ganz in der Nähe ein Dorf, von wo die gesamte männliche Einwohnerschaft herbeigeeilt kam, die denn auch nach einigen vergeblichen Anstrengungen das widerspenstige Benzinroß auf den Berggipfel schaffte. Keinen größeren Spaß konnte es geben für diese Naturmenschen. »Ja, Ali! Ja, Ali-i-i!« riefen sie im Chor und stemmten dazu ihre breiten Schultern gegen das Auto. Die zwei stärksten der Burschen nahm der Offizier beim Kanthaken und setzte sie als unfreiwillige Passagiere auf das Dach des Wagens. Die übrigen bekamen zusammen drei Kran als Belohnung für ihre Mühe, und dann brummte der Motor, während die Zuschauer wild auseinanderstoben. »Ja Ali« tauften wir fortan unser Fahrzeug, denn es war wahrlich nicht das letztemal, daß wir gezwungen waren, im »Ja Ali«! unsere Schultern gegen den Wagen zu stemmen.

Immer weiter fuhren wir in das Gebirge hinein, und endlich, kurz vor Sonnenuntergang, kamen wir in eine so schöne und anmutige Gegend, wie ich sie in ganz Persien noch nicht gesehen hatte. Die Luft war herrlich kühl. Lustige Bäche liefen über Bergmatten, die wenigstens an den Bachrändern noch frisch und grün ausschauten. Der weite Talkessel und die Hänge, die zu den in der untergehenden Sonne feurigrot glühenden Gipfeln hinauf führten, waren übersät mit mehr als hundert Zelten, zwischen denen die roten Lagerfeuer in den fallenden Schatten des Abends glühten. Von den Bergen kamen die Schafherden, als ob es Wolkenschatten wären, die über die Hänge liefen. Bald war das ganze Tal angefüllt von den Tieren. Wo vor einer Stunde noch nichts war als das Schweigen der Wildnis, hörte man das Brüllen der Rinder, das Blöken der Schafe und die verworrenen Stimmen der Menschen, die sich so zu Hause fühlten, als ob sie immer hier gewesen wären. Ein wahrhaft majestätisch aussehender weißbärtiger Mann – der Bergbaschi – kam zu uns herüber und wies uns mit sanfter Stimme nach der hintersten Ecke des Tales.

Keiner wagte ihm zu widersprechen.

Am Rande eines kleinen Baches, der munter plaudernd talabwärts rauschte, bauten wir unser Lager auf. Während die mitgeführten Bauern seitab an einem kümmerlichen Feuer ihren Tee kochten, breitete der Hekim für uns einen herrlichen Perserteppich aus, auf dem wir eine ordentliche Mahlzeit von Pilau und gebratenen Hühnern, natürlich mit den Händen à la persane, verzehrten. Dann stellten der Offizier und der Hekim ihre Feldbetten auf, während ich mich lang ausgestreckt auf dem Teppich vom Plaudern und Plätschern des Baches in den Schlaf singen ließ.

Die Nacht kam. Langsam erloschen die Feuer. Man hörte nur noch das Stampfen der Tiere und das Läuten der Glocken der grasenden Pferde. Es war eine schöne Nacht. Der Wind wehte kühl im Talgrunde. Groß und hell standen die Sterne über dem friedlichen Bilde. Lange lag ich wach und dachte daran, wie schön diese Menschen doch leben trotz allem, wie reich sie sind in ihrer Armut. – Ja, und ob wir es nicht sind, die das Erstgeburtsrecht ihrer Freiheit verkauft haben um das Linsengericht einer verlogenen Zivilisation. –

Ein großer Teil der Bevölkerung des südlichen Persien gehört zu den Nomaden. Ihre Zahl geht in die Hunderttausende. Nicht nur in ihrer Lebensweise, sondern auch nach ihrer Rasse unterscheiden sie sich von der seßhaften Bevölkerung, unter der sie leben. Sie sind von tatarischer Rasse und sprechen nur die türkische Sprache. Ihre äußere Aufmachung gleicht der unserer Zigeuner; ebenso ihre Behausung, der man sich auf fünfzig Schritte nicht nähern kann, ohne von einer zähnefletschenden Meute mordgieriger Hunde überfallen zu werden. Die Herrlichkeit besteht aus nicht viel mehr als aus einem aus Ziegenfellen zusammengenähten Dach, das auf Pfählen ruht. Dazu kommen noch einige Ziegenfelle als Bettzeug, ein Milch- und Fleischtopf für die Mahlzeiten, eine lange Tabakspfeife für den Hausherrn – fertig ist des Nomaden Heim. Das Ganze kann man bequem auf einen Esel laden. Nichts Primitiveres kann man sich denken, als das Leben dieser Menschen. Dennoch sind sie teilweise bekannt wegen ihres Reichtums, der in ihren großen Viehherden liegt – ja, und sogar wegen ihrer besonderen Kunst, die sie in ihrer Weltabgeschiedenheit heute noch zu den Trägern alter persischer Kulturgüter macht. Die schönsten Teppiche werden in Nomadenzelten geknüpft, die alten Oden der großen Dichter werden noch in Nomadenzelten gesungen, wo in Teheran das längst schon alles verfoxtrottet ist im Taumel dieser modernen Zeit.

Der Herdrauch der Lagerfeuer scheuchte uns noch vor Sonnenaufgang aus dem Schlafe. Es war empfindlich kalt. Ein feiner Nebel, durch den nur da und dort wie große, verhangene Monde die Lagerfeuer leuchteten, lag über dem Tale. Die Schluchten ringsum widerhallten von dem Blöken und Brüllen der aufbrechenden Herde. Da machten auch wir uns auf den Weiterweg.

Aber es war und blieb eine Plage mit unserem widerspenstigen Ja Ali. Unzählige Male blieb er in trockenen Flußbetten stecken oder verfing sich im Flugsand. Über jeden Bergpaß mußte man ihn hinüberdrücken, an jedem Abhang stand man Todesängste aus, ob er sich in seiner rasenden Fahrt nicht überschlagen würde. Aber er hielt sich brav, und am dritten Tage tauchte in der Mittagshitze das Ziel unserer Reise, die Stadt Lar auf.

»Al hamdulillah!« Ruhm sei Allah, dem Herrn der drei Welten! riefen alle wie aus einem Munde.

 


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