Kurt Faber
Mit dem Rucksack nach Indien
Kurt Faber

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Die ewige Straße

Der neue persische Gott: das Automobil – Allerlei Weltwanderer – Ein verdächtiges Fahrzeug – Kaiserlich persische Post – Ein Abenteurer – Fünfhundert Kilometer im Galopp – Ungemütliche Postkutschen – In der Karawanserei – Im Land Aserbeidschan – Schneeberge und Wüstensonne – Eine unerfreuliche Gegend – Bettlerland – Kaswin – Im Hotel de France – Kein Mensch kann Französisch – Der Mullah als Reisegefährte – Was man einem Fordwagen alles zumuten kann.

Es ist wahrlich eine ewige Straße, die da vom Abend- ins Morgenland führt, von Trapezunt nach Teheran und weiter nach Indien. Es ist die »Straße der Zehntausend«, über die schon Xenophon seine verlorenen Scharen führte. Alexander machte Weltgeschichte auf ihrer Spur. Und so ist sie stets die Hochstraße der Weltgeschichte gewesen, wenn immer, gelockt von den Schätzen Indiens, erobernde Abenteurer von Westen kamen, oder wenn zur Abwechslung einmal wieder das Licht im Osten aufging über der Erde. Sie kamen und gingen, aber die Straße ist gleich geblieben und mit ihr die Menschen. Denn im Orient sind tausend Jahre nur wie ein Tag.

»Fiel Gut und Böses dir im Leben zu,
Ward Not und Angst dir oder Glück und Ruh',
Schreib's nicht dem Weltrad zu, das Weltrad ist
Noch tausendmal ohnmächtiger als du!«

Das hat schon Omar der Zeltmacher gesagt.

Ewige Straße über Berge und Wüsten, die schon vor zweitausend Jahren so war, wie sie heute ist, während der Sturm der Zeiten über alle anderen Straßen ging. Da ist kein Stein am Straßenrand, der nicht umweht wäre vom Staube vermoderter Gebeine von Tier und Mensch, die einst hier in Frost und Hitze ihre letzten Koransuren murmelten.

Allah ist groß! Aber die Straße ist älter als Ali und Mohammed.

Und nun – nun soll alles auf einmal anders werden? Die Rasthäuser an den Straßen verfallen, die Kamele sollen nicht mehr in den Höfen der Karawansereien brüllen, die Treiber nicht mehr ihre Gebete im Zwielicht des dämmernden Tages verrichten und all die uralte Romantik zermalmt werden unter den Rädern benzinschnaubender Ungetüme?

Ach, es ist ein Rad, das nicht mehr aufzuhalten ist! Der Gott des modernen Persiens ist das Automobil. Sein Gott und sein Teufel. Denn was soll werden, wenn es noch einige fünf oder sechs Jahre lang so weiter geht in dieser Entwicklung? Was wird alsdann noch übrig bleiben von den Nagelschmieden, den Handwebern, den Schuhmachern im Bazar, wenn sie erst einmal gefangen sind im Netze des großen Weltverkehrs? Ein einziges Lastautomobil mit Nägeln wird hunderte von Existenzen aus ihren Buden im Bazare werfen, in denen ihre Vorfahren schon seit Jahrhunderten als ehrbare, geschickte und in ihrer bescheidenen Art zufriedene Handwerker saßen. Die Entwicklung vom Handwerk zur Industrie, die im fernen Europa im Lauf eines Jahrhunderts soviel Not und soviele Unzufriedenheit geschaffen hat, wird hier im knappen Zeitraume von einem Jahrzehnt vor sich gehen. Niemand wird sich so schnell darauf ein- und umstellen können. Millionen werden aus ihrer tausendjährigen Beschaulichkeit aufgeschreckt und brotlos auf die Straße geworfen werden, eine leichte Beute für die glatten Zungen der Volksverführer. – Und dann werden sich – wie jetzt im Falle China – die europäischen Diplomaten zusammensetzen und sich die Köpfe zerbrechen, worauf wohl die Ausbreitung des Bolschewismus im Osten und fernen Osten zurückzuführen sei.

Doch will ich nach diesen Abschweifungen in das Gebiet der hohen Politik wieder zurückkehren zu dem Wanderer, der – selbst ein Teil dieser endlosen Straße – mit dem Rucksack durch Staub und Sonne ging. Bald sah ich mich selbst auf dieser Straße; ach, um die schönen Bahnhöfe und die bequemen Fahrpläne, die man in Europa kennt! In Persien ist das Reisen noch eine Kunst, wie es zu Urväter Zeiten auch bei uns der Fall war. Es ist ein Abenteuer, das lockend auf der Landstraße steht. Und zwischen Täbris und Teheran liegen siebenhundert Kilometer.

Ein bärtiger Araber mit einem Seelenverkäufer von einem Fordautomobil trug mir seine Dienste an.

Wieviel er verlange für die Reise?

»Fünfzig Toman.«

Kopfschüttelnd ging ich weiter. Fünfzig Toman waren soviel wie fünfzig Dollars und jedenfalls mehr, als mein Geldbeutel mir erlaubte. Am anderen Tage erschien ein polnischer Jude, der ebenfalls ein Automobil besaß, das er für den halben Preis zur Verfügung stellte. Das schien mir verdächtig. Zuerst möchte ich einmal den Kasten von Angesicht zu Angesicht betrachten. Wir gingen zusammen nach der Karawanserei, wo in einer Ecke, hinter Spinngeweben, die jämmerlichste aller Kutschen träumte, die je aus Detroit in Michigan kamen. Der Efendi strich liebevoll über ihren staubigen Rücken.

»Gute Maschine!«

Ob er damit schon einmal nach Teheran gefahren wäre? wollte ich wissen.

»Nein«, sagte er, »ist sie gekommen von Rußland vor einem Jahre. Oder beinahe von Rußland.«

»Beinahe?«

»Beinahe, Efendi! In Maränd ist der Motor zersprungen und man hat sie auf den Kamelen hierher gebracht. Seerr gute Maschine! Übernehme ich Garantie bis Teheran.«

Noch eine Weile redeten wir weiter. Was dem Motor an Tüchtigkeit abging, das ersetzte die glühende Beredsamkeit des Efendi. Ich versprach am Nachmittag wiederzukommen, um den Handel perfekt zu machen, kam aber nicht wieder, denn unterwegs war mein Blick auf ein Schild gefallen, das meinen Gedanken eine andere Richtung gab.

Ja, das war's! Die Kaiserlich Persische Post. Das ging noch nach der Väter Sitte, mit lebendigen Pferdekräften, in einer Kutsche, die Tag und Nacht mit Remontepferden das Land durcheilte. Das war romantisch und billig. Für die sechshundert Kilometer lange Strecke bis zur Stadt Kaswin brauchte man nur fünfzehn Toman zu bezahlen. Noch in derselben Nacht sollte die Reise beginnen. –

Um neun Uhr abends, als das meiste Leben schon erstorben war in den Gassen, saßen wir in der dunklen, rußigen Poststube und tranken Tee. Die Postillione, die mit ihren Lammfellmützen recht phantastisch ausschauten, gingen hin und her, und allmählich erschienen auch die Postkutschen, die ich fast noch kritischer betrachtete, als den Fordkasten in der Karawanserei: – O Lenau! O Eichendorff! O Posthorn im stillen Land! Von alledem war hier nicht die Spur zu bemerken. Es waren ebenso jämmerliche Leiterwagen wie die, die ich noch von Armenien her in so angenehmer Erinnerung hatte. Und die Postsäcke lagen genau so wirr durcheinander. Sehr verdächtig schien es mir auch, daß außer mir kein anderer Fahrgast sich diesem Beförderungsmittel anvertraute. Daran war indes nun nichts mehr zu ändern. Mit meinen fünfzehn Toman hatte ich mich mit Haut und Haaren der Kaiserlich Persischen Post verkauft, und alles übrige mußte man in Rechnung stellen. Schwer von bösen Ahnungen bestieg ich den Wagen, wo ich mir ein so weiches Plätzchen suchte, wie das zwischen den harten Säcken nur immer möglich war. Die vier Pferde zogen an, und mit munterem Schellengeläute ging es vorwärts in die dunkle Nacht, in der Hoffnung, daß der Herr nicht regnen lasse auf die Gerechten. Langsam rumpelte der Wagen durch die engen Bazarstraßen. Es war eine ungewöhnlich schwüle, gewitterdrohende Nacht. Schwere Wolken schoben sich langsam vor dem Vollmond vorüber. Es wetterleuchtete in allen Himmelsrichtungen. Überall knurrten die Hunde in den Gassen, die schwer waren von Düften, die zum Orient gehören und dennoch nicht märchenhaft sind. Da und dort tauchten zerlumpte Gestalten auf und rannten bakschischheischend mit erhobenen Händen neben dem Wagen her. Ein beturbanter Mullah ging vorüber und begrüßte uns mit einem feierlichen Salaam. Schreiende Derwische standen an den Ecken. Man wußte nicht, ob es der Fluch des Bösen oder der Segen Allahs war, den sie uns zuriefen für die Reise.

Als wir auf der breiten Straße angekommen waren, die ostwärts zur Stadt hinausführte, ließ der Fuhrmann die Peitsche knallen. Die vier Pferde gingen im Trab, dann im Galopp, und das hörte von nun an nicht mehr auf für mehrere Tage und Nächte. Der Mond war inzwischen ganz herausgekommen, die Bäume in den Gärten standen scharf wie Schattenbilder am heiteren Himmel; man hörte Ziegen meckern und Hunde bellen in der warmen und weichen Nachtluft, und das und der Abendwind und die fernen Lichter der entschwindenden Stadt ließen in mir ein so fröhliches Postkutschengefühl aufkommen, daß ich darüber selbst meinen harten Sitzplatz vergaß.

In der offenen Steppe ging der Trab der Pferde in einen gestreckten Galopp über, die einzige Gangart, bei der ein persischer Postgaul sich in seinem Element befindet. Nach etwa einer Stunde ging es immer noch in derselben wilden Karriere einen steilen Berghang hinunter in ein trockenes Flußtal, dessen Sand weiß im Mondlicht schimmerte. Der Wagen krachte und das linke Vorderrad rollte in den Bach. Sogleich war alle Eile vergessen. Auf offener Straße machten wir ein Feuer und tranken Tee, während sich der Postillon auf die Suche nach dem Rade machte. Die Stunden vergingen, und kein Mensch redete von der Reise und von Zeitversäumnis, bis um Mitternacht der Schaden wieder behoben war und die wilde Jagd von neuem beginnen konnte. – –

Drei Tage und drei Nächte ging es so weiter im Galopp. Ohne Aufenthalt, abgesehen von den kurzen Stationen beim Pferdewechsel in der Karawanserei, wo man gerade noch Zeit hatte, um einen heißen Tee zu trinken, worauf es mit vier neuen Pferden im Galopp wieder weiter ging. – Diese Pferde! Man konnte von ihnen wohl sagen, wie einst der alte Fritz von seinen Grenadieren: »Schön sind sie nicht, aber sie beißen.« Immer von Zeit zu Zeit stellen sie sich auf die Hinterläufe und fechten ihre persönlichen Kämpfe miteinander aus. Die Mähnen flattern, die Postkutsche macht die verwegensten Sprünge und ein wildes Gewieher erfüllt die Nacht. Dann – als wollten sie das Versäumte nachholen, nehmen sie mit der verdoppelten Schnelligkeit den Lauf wieder auf. Es ist ein Reisen, das auch die stärksten Nerven zum Zerspringen bringt. Bald hat man keine Körperstelle mehr, die nicht wunde wäre bis auf die Knochen. Bei jedem neuen Luftsprunge des Wagens – und die ganze Fahrt besteht im wesentlichen nur aus solchen – ist einem zumute, als ob der Magen in den Mund springen wollte. Müde ist man von überlangem Wachen. Man möchte schlafen und kann doch nicht einen Augenblick Ruhe finden auf dieser Marterkiste. Je länger die Reise dauert, je mehr erfaßt einen das trostlose Gefühl, das so treffend Ausdruck findet in der ergreifenden Bitte jenes alten englischen Liedes von der Seekrankheit: »Mister captain, stop the ship and let me get off and walk!« Aber davon ist keine Rede. Unerbittlich ist die Kaiserlich Persische Post.

Bei Tag ist es noch einigermaßen erträglich, denn mancherlei gibt es zu sehen in dem weiten Lande. Der Himmel ist klar und hell, und überall am Horizonte stehen die Schneeberge. Im Südwesten ist der hohe Demir Dagh mit seinem leuchtenden Gipfel ein treuer Wegbegleiter, im Norden zieht sich die Kette der kaspischen Berge, und dazwischen liegt die Steppe in trostlosem Grau, durchzogen von kahlen Bergketten, um die die Ferne einen dunkelvioletten Schleier webt. Nur ab und zu kommt man durch ein Dorf, oder was man dort so unter diesem Namen versteht. Immer liegt es in einer Talmulde, am Rande eines mehr oder minder großen Baches, der von den nahen Bergen kommt. Die Häuser sind kaum zu erkennen in ihrer lehmfarbenen Nüchternheit. Aber ringsum ist grünes, blühendes Leben, das mein von den harten Farben der Steppe gemartertes Auge begierig trinkt. Man sieht üppige Weinberge und Obstgärten, in denen die Pflaumen reifen. Aber kaum irgendwo sieht man einen Menschen. Desto zahlreicher sind die Hunde, die kläffend aus allen Winkeln hervorgeschossen kommen, während der Wagen ohne Nachlassen des Tempos durch die engen Gassen rast, wo die Pferde sich an den Hausmauern scheuern. Schon ist man am anderen Ende des Dorfes. Auf der Anhöhe sieht man einen ebenfalls aus Lehm gebauten Wachtturm zum Schutze gegen die Räuber. Am Straßenrand lagert eine Karawane im Schatten eines mächtigen Baumes. Überall in der Steppe grasen die abgeschirrten Kamele, deren schlanke Gestalten sich scharf wie Schattenrisse vom abendlichen Himmel abheben.

Und plötzlich, fast ohne Warnung, fällt wieder die Nacht über das Land.

Der Tag ist Tod und die Nacht ist Leben auf persischen Landstraßen. Groß und feurig scheinen die Sterne. Es bimmelt auf der Straße. Es trippelt von Eselsfüßen. Man hört die heiseren Rufe der Treiber.

»Yol da . . .!« ruft der Postmann.

Alles stiebt auseinander. Die Pferde scheuen. Die Kamele gleiten hoch und bucklig, wie Schiffe mit geblähten Segeln, durch die Finsternis. Es brummt und grunzt allenthalben. Im Scheine der Laterne taucht für einen Moment der Turban eines Mullahs auf. Noch eine Weile hört man das Läuten der Glocken in der Ferne.

Dann wird es wieder still, und man sieht nichts als die Nacht der Sterne.

Und ehe noch der Tag wieder angebrochen, steht man vor einer Karawanserei. Was im türkischen Lande der »Han« ist, das ist in Persien die Karawanserei, aber in sehr stark vergrößertem Maßstab. Das Wort setzt sich zusammen aus zwei Elementen: Karawane und Serail (Schloß: das Karawanenschloß). Es gibt in der Tat keine bessere Bezeichnung für diese gewaltigen Bauwerke, die da wie mächtige Burgen weithin sichtbar im Grau der Steppe an der Straße stehen. Dicht an der Straße erhebt sich ein mächtiges, aus ungebranntem Lehm errichtetes Gebäude von sonderbarer Spitzbogenarchitektur. Das Dach ist zumeist mit kriegerischen Zinnen versehen, und an den Ecken stehen gewaltige Türme, ganz wie in mittelalterlichen deutschen Burgen. Von jeher hat man in Persien die Tüchtigkeit der Regierung des jeweiligen Schahs nach der Anzahl der erbauten Karawansereien und der Köpfe der hingerichteten Straßenräuber beurteilt. Im Sichern der Karawanenstraßen erschöpfte sich die Betätigung der Staatsgewalt. Wer viele Karawansereien erbaute und viele Räuberköpfe auf den Stadttoren aufspießte, der war ein guter Schah, den die Geschichte preist. Die anderen waren nie der Rede wert. An solchem Maßstab gemessen, hat es nie einen Herrscher gegeben, der tüchtiger war als Schah Abbas der Große. Noch heute, nach mehr als einem halben Jahrtausend, steht man staunend vor den gewaltigen Bauwerken, mit denen er das Land übersäte, von Teheran bis hinunter zum Persischen Golfe. Wie herrlich muß damals das Reisen auf persischen Landstraßen gewesen sein! Jede einzelne Karawanserei war eine Burg für sich mit kühlen Säulenhallen als Unterkunftsräumen und einem weiten, windgeschützten Hof, in dem ein Brunnen plätscherte. Heute ist das meiste zerfallen. Man kampiert in den Torsos, die in ihrer gefallenen Größe noch Bewunderung wecken und ist froh, daß wenigstens diese noch vorhanden sind, denn viel Neues ist seither nicht mehr dazugekommen, abgesehen von einigen armen Konstruktionen, die gelegentlich von reumütigen Sündern errichtet werden. Schah Abbas Zeiten werden niemals wiederkehren für dieses Land, und allem was man an Pracht und Märchenhaftigkeit begegnet, muß man stets die Worte voransetzen: Es war einmal.

Und dennoch hat auch dieses Landstraßenleben seine Reize, trotz der Wüste, die einen umgibt, trotz der Bilder des Verfalls, die einem auf Schritt und Tritt begegnen. Woran liegt das nur?

Bei Tagesanbruch hält der Postwagen vor dem Tore. Es ist die Stunde, in der die Karawanen ihre Wanderungen unterbrechen, ehe die sengende Sonne noch das weite Land zu einem Backofen macht. Noch ist es nicht Tag oder Nacht. In den dämmernden Schatten des Zwielichts ist es lebendig von dunklen Gestalten.

Es grunzt und brüllt im Hofe. Ein trippelnder Eseltrupp geht vorbei an der langen Reihe der knienden Kamele, die eben mit tiefen Seufzern der Befriedigung die Last abwerfen, die sie die Nacht über gedrückt hat. Schon blitzt der erste Sonnenstrahl durch das Gemäuer. Die Treiber nehmen ihre Gebetsteppiche und gehen hinaus zum Rand der Straße, wo sie dem aufsteigenden Licht entgegen zu feierlich gemessenen Bewegungen die uralten Suren murmeln.

Einer nach dem anderen kehrt zurück zu der Feuerstelle unter dem Torbogen.

»Salem Aleikum!«

Es gibt eine feierliche, allseitige Begrüßung. Ganz ohne Aufforderung bekommt man ein Glas Tee. Kaum ist es halb leer, so nimmt es der Junge wortlos fort und füllt es wieder. So werden aus einem zehn Gläser, falls man Zeit dazu hat. Das Teetrinken ist ursprünglich keine persische Sitte. Omar und Saadi haben den Wein besungen, und ihre Nachfolger hielten sich an den Kaffee, bis die Russen kamen und mit ihnen der unvermeidliche Samowar. Heute übertreffen die persischen Schüler in ihrer Leidenschaft für Tee und Samowar noch ihre russischen Lehrmeister. Nirgendwo sonst auf dieser Erde gibt es so fanatische Teetrinker wie diese. – Aber was sie essen? Oft habe ich es mich gefragt, ohne darauf eine befriedigende Antwort zu finden, wie auf so manches andere in jenem Lande. Ein Brotfladen mit einem darein gewickelten Stück Käse, eine Gurke mit ein wenig Salz, eine Handvoll Datteln tun die Dienste. Und wie sie damit auskommen bei der endlosen Quälerei auf den weiten Wegen? Und wann sie eigentlich schlafen, da sie die Nacht über reisen und tagsüber vor dem Feuer sitzen und Tee trinken? Frage nicht! Es gibt noch andere Dinge, die einem Rätsel aufgeben, wenn man ostwärts von Stambul reist. Trotz aller Ungekämmtheit sind sie eine malerische Gesellschaft. Meist sind sie von dunkler Hautfarbe. Manche sind kaffeebraun, manche schwarz wie Stiefelwichse. Aber alle tragen sie den langen blauen Überrock, das persische Nationalkostüm, und alle haben sie dieselbe Frisur, die dadurch zustande kommt, daß man die Haare oben auf dem Scheitel, also dort wo andere sie haben oder doch gerne haben möchten, sorgfältig abrasiert, um sie dann zur Seite, über den Ohren, um so üppiger wachsen zu lassen. Und als ob es damit noch nicht genug der Schönheit wäre, haben viele der Natur noch etwas nachgeholfen, indem sie Haar und Bart mit roter Farbe bearbeiten. Oft sieht man von einer nächtlicherweile vorüberziehenden Karawane nichts anderes als den roten Bart des Karawanenführers, der heller als seine Laterne leuchtet.

Doch weiter ging die Reise. – –

Nach vierundzwanzig galoppierten Stunden hatten wir das schöne Land Aserbeidschan mit seinen Schneebergen hinter uns gelassen und fuhren nun durch eine Gegend, die einer Wüste so ähnlich sah wie ein Ei dem anderen. Ganz flach wie ein Tisch war die Ebene. Der Sonnenschein flimmerte auf dem Boden, der von der Trockenheit zerrissen war mit tiefen Rissen und Sprüngen, wie die Furchen eines uralten Gesichtes. Nur ab und zu sieht man noch ein Dorf, das trostlos in der heißen Sonne liegt. Wenn immer es die Umstände erlaubten, d. h. wenn nicht gerade eine Karawanserei mit einem Vorspann dort auf uns wartete, fuhren wir mit verdoppelter Geschwindigkeit durch diese Ansammlungen von Erdhöhlen, denn Mann, Weib und Kind leben dort nur vom Betteln. Hält der Wagen vor einer Karawanserei, so ist er sofort umringt von Hunderten von Händen, während ein Chor von weinerlichen Stimmen den Segen Allahs, oder, im Falle der Ablehnung, den Fluch der Hölle auf den Fremdling herabwünscht. Setzt der Wagen sich wieder in Bewegung, so erschallt ein allgemeiner heulender Aufschrei, und alles, von den ältesten Greisen bis zu den kleinsten Kindern, verfolgt das Fahrzeug wie eine Wolke. Die meisten bleiben schnell zurück, aber noch weit draußen in der Steppe läuft dicht neben den Rädern eine Schar von kleinen Kindern, bei denen man nicht weiß, ob man die Ausdauer ihrer Beine oder ihres Mundwerks mehr bewundern muß. Es ist ein widerwärtiges Schauspiel, und man kann bei seinem Anblick nicht umhin zu bemerken, welch anderer Kerl da doch der anatolische Bauer ist. Der hat ganz gewiß auch sein gerütteltes Maß orientalischer Indolenz. Aber wenn ihm einmal der Hunger so wie diesen aus den Augen sehen würde, so würde er – ja, was würde er wohl tun in solchem Falle? – Er würde zum Dieb und Straßenräuber werden, er würde seinem Nächsten kaltblütig die Gurgel abschneiden. Er würde die vorüberziehenden Postkutschen überfallen, statt sie anzubetteln. –

Immer unerträglicher wurde indes die Reise, und es war darum gut, daß am Morgen des vierten Tages endlich die Stadt Kaswin in der Ferne aufleuchtete, denn länger hätte ich es wirklich nicht mehr ausgehalten. –

Durch ein seltsam verschnörkeltes Stadttor fuhren wir in die Stadt hinein, die mit ihren vielen Moscheen auf den ersten Blick gar keinen üblen Eindruck macht. Kaswin ist der Scheitelpunkt vieler wichtiger Straßen, die vom Kaspischen Meer und von Bagdad kommen. Aus diesem Grunde war die Stadt auch seit langem ein Brennpunkt russischer und englischer Intrigen, die um die Herrschaft Persiens gesponnen wurden. Jahrelang war sie von den Russen beherrscht oder doch überwacht worden, und dieses Überwiegen des russischen Einflusses zeigt sich allenthalben im Straßenbilde. Der Bazar tritt hier in seiner Bedeutung schon ganz zurück vor der Zahl der offenen Ladengeschäfte, die mit ihren kyrillischen Inschriften einen ganz russischen Eindruck machen, wenn es auch meist Armenier sind, die vor den Türen lungern. Durch eine weite, von hohen Bäumen beschattete Allee, die sich zur Not schon in einer europäischen Stadt sehen lassen könnte, fuhren wir nach der Karawanserei, wo der Postwagen ausgeschirrt und seiner verdienten Ruhe überlassen wurde. Ich weinte ihm keine Träne nach. So gerädert war ich, daß ich kaum mehr auf den Beinen stehen konnte. Nach alter Gewohnheit wollte ich mich für die Nacht in der Karawanserei einrichten, aber da erschien wie ein deus ex machina ein Jüngling in blauer Uniform, der ohne weiteres meinen Rucksack packte und damit fortlief. Ich hinterher. Ich brauchte nicht zu fragen wohin. Es stand groß auf seiner Mütze:

»Hotel de France.«

Es war in der Tat ein Hotel, das nicht übel war, aber es hatte nur den einen Nachteil, daß in ihm kein Mensch Französisch oder sonst irgendwelche westeuropäische Sprache sprach und ich mich nach wie vor mit meinen kümmerlichen persischen Sprachkenntnissen behelfen mußte. Aber wenigstens konnte man einmal wieder in einem richtigen Bette schlafen, wenngleich die darin befindlichen Wanzen in dem dafür bezahlten Preis von zwei Toman mit inbegriffen waren.

Am anderen Morgen machte ich mich frühzeitig auf die Suche nach einer Gelegenheit zur Weiterreise nach Teheran. Die Kaiserlich Persische Pferdepost ging nur bis Kaswin, und das war schließlich ebenso gut. Denn wenn sie auch weiter gegangen wäre und ich die Fahrkarte bezahlt gehabt hätte bis Teheran, so hätte ich sie doch nicht weiter mit meiner Kundschaft beehrt. Während des ganzen Vormittags lief ich umher und schaute mir die Augen aus nach einem passenden Automobil. Es gibt in Kaswin derer soviel wie Sand am Meer, Lastautos und andere. Ein Armenier mit einem Fordwagen erbot sich für fünf Toman. Wir wurden handelseinig, und pünktlich um zwölf mittags erschien er vor dem Hotel mit einem recht verwahrlosten Wagen, dessen Befrachtung er sogleich vornahm. Das Innere des bedauernswerten Autos stopfte er mit schweren Kisten aus. Dann polsterte er das Äußere mit Decken, Matratzen und mächtig aufgeblähten Säcken, die er mit Stricken festband. Je mehr er hineinpackte, je mehr Raum schien zu sein. Bei aller Phantasie aber konnte ich mir nicht vorstellen, wo da noch ein Plätzchen für einen Passagier übrigbleiben sollte. Vor dem Auto stand ein Mullah, dessen Turban allein schon größer war als mein Rucksack. Die Fülle seines Gepäckes beschämte mich in meiner Armut. Zuletzt kam er noch mit einem Vogelkäfig und einem Federbett. Da protestierte ich und verlangte mein Geld zurück.

»Wieso?« meinte der Armenier, »der Wagen ist ja noch halb leer.«

Noch einmal ging er in das Hotel. Zwei Mann schleppten einen schmiedeeisernen Herd herbei, der mir als Sitzplatz neben dem Führer diente. Der Mullah aber strich seinen langen Bart. Dann breitete er sein Federbett auf dem Dache aus, setzte sich mit verkreuzten Beinen darauf und fort raste das Auto durch die Straßen, gefolgt von einer hundertköpfigen Meute, deren klagende Rufe zur heißen Mittagssonne aufstiegen:

»Bakschisch, Bakschisch . . .«

Bald waren wir wieder in der grauen Steppe. Aber die Straße war so gut wie nur irgendeine europäische Landstraße. Ungefähr jede Meile bekam der Mullah auf dem Dache eine Dusche, wenn wir durch einen der Bäche fuhren, die von den Schneebergen herunterkamen. Im Norden standen sie als eine weißleuchtende Kette. Etwas weiter gegen Osten stand einsam wie ein Zuckerhut der mächtige Demawend. Und ehe wir es uns versahen, fuhren wir durch ein hohes, mosaikgetäfeltes Stadttor.

Da waren wir in Teheran.

 


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