Kurt Faber
Mit dem Rucksack nach Indien
Kurt Faber

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In Teheran

Sherlock Holmes im Stadttor – Noch einmal Mähändis – Auch ein Hotel – Ich mache die Bekanntschaft einer interessanten und weitgereisten Dame – Mit der Pferdebahn zum Kanonenplatz – Fliegende Liebesbriefsteller – Verschüttete Milch – Die rechtgläubigen Goldfische – Liebenswürdige Torwächter – Etwas über Risa Khan – Auf der Avenue Lalezar – Franzl der Abenteurer – Wir schreiben zusammen einen Brief an den Minister – Abreise nach Isfahan – Der Demavend als Wegweiser.

Grau und braun wie alle anderen persischen Städte, lag Teheran in der hellen Sonne. Zusehends wurde die Straße belebter. Man sah die Mirzas in ihren langen blauen Fräcken auf den Eseln reiten, überall sah man Menschen zu Fuß und zu Pferd, und dazwischen schritten bimmelnde Kamelkarawanen. Von der Stadt war vorerst nichts zu sehen als die hohe, lehmbraune Stadtmauer mit ihren runden, kriegerisch ausschauenden Bastionen. Durch ein hohes, getäfeltes Stadttor kamen wir zunächst an eine Polizeiwache, wo ein wirklich sehr eleganter Offizier, der ausgezeichnet Französisch sprach, sich mit der Gewissenhaftigkeit eines Sherlock Holmes nach dem Woher und Wohin erkundigte. Meinen frommen Reisegefährten, den Mullah, ließ er ohne weiteres passieren. Mich und meinen Rucksack betrachtete er dafür um so kritischer. Lange redeten wir hin und her, ohne daß seine Amtsmiene sich wesentlich aufgehellt hätte. Da besann ich mich noch zu rechter Zeit auf das Zauberwort, das mir schon bisher so gute Dienste geleistet hatte.

»Mähändis«, sagte ich voll Verzweiflung.

»Ah, Mähändis!« rief der andere voll Erleichterung, »passez, au revoir, bon voyagel«

Wir fuhren weiter durch die geraden, von hohen, schattigen Bäumen umrahmten Straßen und hielten schließlich vor einem Hause, das sich, genau wie in Kaswin »Hotel de France« nannte.

Je nun, ich mag mich nicht zum Richter aufspielen über persische Hotels. Man trifft ein Grand Hotel, ein Hotel de Paris, ein Hotel de Londres. – Große Namen, große Preise, befrackte Kellner, schwellende Klubsessel auf kostbaren Teppichen und Betten, in denen sich die Wanzen tummeln. Orient und Okzident in stetem Kampf, wobei immer der eine den anderen umbringt und der Gast die Kosten tragen muß in diesem Kampfe. Nicht immer war das Leben schön gewesen auf der Landstraße, aber jetzt, wo ich teures Geld bezahlen mußte für den verlogenen Luxus dieser Karawanserei, erfaßte mich plötzlich wieder ein Verlangen nach den alten Rasthäusern am Wege, nach dem Feuer unterm Torbogen, dem Brüllen der Kamele und dem weiten Hofe unter den großen, funkelnden Sternen.

Freilich war hier das Leben interessant und reich an Abwechslung. Ich glaube kaum, daß es auf dieser Erde noch andere Gasthäuser geben dürfte, die ein so buntes Gewimmel von Menschen beherbergen, wie die Hotels in Teheran. Ganz wie in den Gaststätten aufspringender Goldgräberstädte wird hier die Nacht zum Tage gemacht von Unternehmern, Abenteurern und sonst noch allerlei seltsamen Gestalten, die das Geld lose sitzen haben. Nicht die letzten sind dabei die politischen Intriganten, zumeist britischer Nationalität, unter denen Missis Deusbery sich besonders hervortat.

Wenn es je eine charmante Dame gegeben hat, so war es diese. Seit zwanzig Jahren reiste sie durch den Orient. Von Bagdad bis Delhi gab es keinen Platz, den sie nicht kannte und über den sie nicht etwas Interessantes zu berichten wußte. Ein lebendiges Lexikon, ein wandelndes »Who's who« in Persien. Eine chronique scandaleuse des gesamten Orients. Von Stambul bis Kabul gab es keinen Gesandten und keinen Legationsrat, dessen schwache Seiten sie nicht kannte, keinen persischen Prinzen, den sie nicht durch und durch studiert hatte, obwohl sie außer englisch keine andere Sprache verstand. Der Höhepunkt ihres Lebens aber lag schon eine Weile zurück, als sie mit dem Deutschen Kronprinzen auf demselben Schiffe von Indien nach Europa fuhr. Seither war sie seine glühende Verehrerin und blieb es auch, trotz aller Kriegspsychose. Wenn einer es wagte, in ihrer Gegenwart eine der häßlichen Kronprinzenlegenden aufzutischen, so fuhr sie ihm in die Parade: »Schweigen Sie still, Sie wissen nicht, was Sie reden. So ein hübscher und eleganter junger Mann!«

Ein weiterer Herr, auf den sie große Stücke hielt, war ein gewisser Dr. Müller, Bruder des Emdenkapitäns. Er wohnte in Bombay und sie trug mir Grüße an ihn auf.

»Ein perfekter Gentleman«, sagte sie, »a good sort of a fellow. Pity he is a German.«

Und wie für das Leben in den Hotels, so gilt es für das, was man zu sehen bekommt in den Straßen dieser Stadt, in der sich Morgen- und Abendland so seltsam begegnen:

»Und wo du's packst, da ist es interessant.«

Sicher hat man hier einmal das Kommen der Pferdebahn als einen Boten der neuen Zeit à la franca begrüßt. Nun klappert sie schon seit vielen Jahren durch die Gassen, und ganz gewiß sind es auch noch dieselben Pferde, die damals ihren Dienst antraten. Sie sind inzwischen nicht jünger geworden, und der in seiner Lammfellmütze recht romantisch aussehende Schaffner muß seine Peitsche in ständiger Bewegung halten, um diese wandelnden Leichen zu neuem Leben zu galvanisieren. Es ist die traurigste aller Pferdebahnen, aber gewiß auch die seltsamste mit den bunten, fremdartigen Gestalten, die da dicht zusammengedrängt auf den Bänken sitzen. Zu Fuß kommt man freilich ganz erheblich schneller vorwärts. Dennoch ist es gerade das richtige Beförderungsmittel für einen, der sich Teheran ansehen möchte. Man gleitet durch das Gewühl der Menschen, das stellenweise ganz beängstigend ist, dort wo die Straßen an den Bazar stoßen; man schaut hinab auf die Händler, die mit heulender Stimme ihre Waren anpreisen, man sieht die Bettler, die bakschischfordernd herbeidrängen. Bettler überall. Wo ringsum das Land von Almosen lebt, darf Teheran auch nicht zurückbleiben. Auf allen Wegen und Beiwegen liegen sie umher, schlafen auf den Haustreppen oder auch mitten in der Gasse, im Brande der Sonne. Am aufdringlichsten sind die Weiber mit ihren oftmals ekelerregenden Entstellungen, die sie gierig zur Schau stellen, während das Gesicht sich immer noch züchtig hinter dem Schleier versteckt.

Neben den Bettlern sind die Schreiber die prominentesten Figuren im Stadtbilde Teherans. Lesen und Schreiben ist eine Kunst, die nur den wenigsten Personen geläufig ist. Wer sich dennoch darauf versteht, hat den Anspruch auf den Titel eines Mirza und ist eine gesuchte Persönlichkeit. Denn die althergebrachte persische Höflichkeit tobt sich am ausgiebigsten auf dem Papiere aus. Die Stände sind hier noch scharf unterschieden, und jeder Stand erfordert nicht nur eine besondere Anrede, sondern auch seinen eigenen Briefstil. Während z. B. ein großer Teppichhändler in blumenreich umrankter Sprache und mit Exzellenz angeredet wird, muß sich ein Pantoffelmacher im Bazar mit einem gewöhnlichen »Aga« begnügen und Allah wird nicht halb so viel angerufen und sein Schatten nicht halb soviel gesegnet, als der seines vornehmen Kollegen. Es sind sehr subtile Unterschiede, die aber geheiligt sind durch tausendjährige Tradition und bei dem geringsten Verstoß den Abbruch der Geschäftsbeziehungen zur Folge haben. Da aber kein europäisches Gehirn, auch bei noch so guter Landeskenntnis, diese Dinge richtig auseinanderzuhalten vermag, so ist jeder europäische Geschäftsmann umgeben von einer Wolke von Mirzas, die in ihren langen schwarzen Abbas recht würdevoll aussehen und sich auch dementsprechend fühlen.

Wer keinen Anschluß an ein solches Geschäft gefunden hat oder den Dienst für die Franken verschmäht, der mietet sich eine Bude im Bazar, oder er hockt als fliegender Liebesbriefsteller an den Straßenecken, ein Geschäft, das anscheinend auch seinen Mann ernährt. Es ist ein malerisches Bild, wenn man sie so auf der Straße kauern sieht mit dem Zettel in der hohlen Hand und mit der Gänsekielfeder, die dünn wie Spinngewebe die arabischen Schriftzeichen malt. Auf der Spitze der Nase sitzt die große hörnerne Intelligenzbrille, und darüber hinweg schielt er hinüber zu der vor ihm kauernden Jungfrau, die unter dem dicken schwarzen Schleier ihm die Liebesworte zuflüstert, die überall dieselben sind an allen Enden der Erde.

Aber Teheran hat noch ein anderes Gesicht.

»Ein bißchen Französisch, das macht sich so schön.« Nirgendwo gilt dieser Spruch mehr, als am Fuße des Demawend. Wie sie es fertig bringen, diese Sprache so schnell und gründlich zu erlernen, weiß ich nicht. Tatsache ist jedenfalls, daß hier jedermann, der auch nur einigermaßen Anspruch erhebt auf das, was man so Bildung zu nennen pflegt, ein nahezu perfektes Französisch spricht. Man findet Tausende und aber Tausende, die es ebensogut sprechen wie ein Franzose, obwohl sie nie aus den Grenzen ihres Landes gekommen sind. Man braucht nur über die große Avenue Lalezar, die Tauentzienstraße Teherans, zu gehen und ein wenig die Firmenschilder anzusehen, um einen Begriff zu bekommen von dem Maß westeuropäischer Zivilisation, das überall schon eingedrungen ist in das Straßenbild dieser fernen, eisenbahnlosen Stadt. Da wimmelt es überall von comptoirs français, marchands tailleurs, maisons de confiance. Alles in riesenhaften Inschriften, an denen nur da und dort verschämt in einer Ecke eine Schrift in persischen Buchstaben angebracht ist. Man hat den Eindruck, als ob in Persien jeder etwas gelte, nur der Perser nicht. Wenigstens habe ich mir vergebens die Augen ausgeschaut nach einem »Hotel de la Perse« neben all den Hotels de France, de Paris, de Londres usw. Dabei ist es freilich so, daß die von außen so französischen und englischen Herrschaften von innen meist nur armenisch können. Es ist die tiefe Reverenz vor Pfunden und Dollars, die wir auch einmal kannten, als unsere Zeitungen voll waren von beweglichen Anzeigen, die alle so pathetisch anfingen: »Achtung, Ausländer!«

Das imposanteste in Teheran ist der Kanonenplatz, der breit und weitläufig mitten in der Stadt liegt und etwa die Grenze bildet zwischen dem engen Gassengewirr im Bazarviertel und den breiteren Straßen des anderen Teheran mit westlichen Ambitionen. Es ist ein wirklich schöner Platz, umrahmt von stattlichen Gebäuden, von denen das der Kaiserlich Persischen Bank, die in Wirklichkeit nichts als ein Ableger der Kaiserlich Britisch-Indischen Bank ist, am meisten vorstellt.

Auf Bildern, die nur wenige Jahre zurückliegen, sieht man hier Kanonen in langen Reihen stehen. Aber das war einmal. Man hat sich inzwischen pazifiziert. Dort, wo die Mündungen der Geschütze starrten, liegt jetzt ein herrlicher Garten mit Beeten von roten Geranien, die wie Feuerringe in der Sonne leuchten, mit üppigen Rosen, die eben ihre ersten Knospen entfalten. Nach dem heißen Tage kommt der erste kühle Abendwind von den Schneebergen des Elbrus, dessen Gipfel in scheinbar greifbarer Nähe in leuchtender Klarheit am blauen Himmel stehen. Die Musik spielt auf dem Platze. »Machen wir's den Schwalben nach . . .« Es ist ganz so wie etwa auf der Kurpromenade in Meran. Und doch so anders! Man sieht nur Männer, die da in langen Roben und hohen Filzhüten würdevoll durch die Kühle des Abends schreiten. – Aber wo sind die Frauen? Es ist, wie es immer ist bei allen Veranstaltungen in diesem Lande: sie sind einfach nicht da.

Und sie sind doch da. Abseits vom großen Getriebe, am Rande des durch einen Stacheldrahtzaun eingefaßten Gartens, haben sie sich zu Hunderten festgesetzt, eine Schar von wesenlosen, vom Kopf bis zu den Füßen in schwarze Schleier gehüllten Gestalten. Sie haben es »den Schwalben nachgemacht« und sich nach Belieben auf den Treppenstufen und im Rinnstein der Straße niedergelassen. Es ist eine düstere, geisterhafte Szene. Barbarische Religion, die solchermaßen alles Leben und alle Farben von der Straße verbannt im Namen des Gesetzes!

In diesem Zusammenhang komme ich auf etwas zu sprechen, das der Reisende nicht übergehen kann und darf, wenn er vom Orient und insbesondere von Persien spricht. Für jeden Orientalen ist die Religion das, um was sich alles andere dreht. Hat sich daran etwas geändert in diesen letzten Jahren mit ihrer Fülle von drängendem Neuen, das wie ein Windhauch in die Stickluft dieser alten Anschauungen kam? Nach vielen äußeren Erscheinungen, zumal auch auf dem Gebiet der Emanzipation der Frau, die man vor wenigen Jahren hier noch für völlig unmöglich gehalten hätte, sollte man es beinahe glauben. Jedoch – wenn man aus den großen Städten mit ihrem modernisierenden, nivellierenden Einfluß herauskommt auf das Land, so macht man Erfahrungen, die eher alles andere vermuten lassen. Für die übergroße Masse des Volkes stehen die Gebote des Koran, fest wie ein Fels, und man läßt sich ihre Erfüllung etwas kosten. Ich selbst mußte das mehr als einmal erfahren. Da war z. B. die Sache mit der Milch, die ich so schnell nicht vergessen werde. Das war in einer Karawanserei an der großen Straße, die von der türkischen Grenze nach Erserum führt. Spät abends kam ich an und war so hungrig, wie nur einer, der während des ganzen Tages noch nichts gegessen und drei Tage lang vorher auch nur von Tee und Schafkäse gelebt hat. Hier aber stand vor meinen lüsternen Augen ein mächtiger Eimer voll Milch, die ein geflickter Bauer in einem Holzgefäß zu einem Kran (10 Kran = 1 Toman)! je Schüssel verkaufte. Das Geschäft ging nicht schlecht. Ich leistete mir gleich zwei Schüsseln, worauf dann der Bauer selbst Appetit bekam. Schon hatte er die Schüssel am Munde, als ihm plötzlich einfiel, daß ja da ein Gjaur daraus getrunken hatte. Was tat er? Er ging hinaus und schüttete den ganzen Eimer voll Milch auf die Straße. Er tat das nicht mit zorniger Miene, er schwor nicht beim Barte des Propheten, er rief nicht den Zorn Allahs auf das Haupt des Ungläubigen. Ganz gleichmütig kam er zurück, setzte sich mit verkreuzten Beinen auf den Teppich, zündete sich eine Pfeife an und schaute seelenruhig hinaus auf die Straße und auf die verschüttete Milch, die da lag wie das Gesetz es befohlen.

Ein andermal – es war in derselben Gegend, in der sie anscheinend besonders fanatisch sind – kam ich ins Gespräch mit einem Herrn von der Polizei. Er war ein gebildeter Mann, und wir hatten eine angenehme, wenn auch etwas holprige Unterhaltung in hausgemachtem Persisch und Türkisch. Er gab mir zum Abschied die Hand – und als ich mich im Weiterreiten noch einmal umdrehte, war ich Zeuge, wie er sich die Unreinheit der Berührung mit dem Gjaur in einem über die Straße laufenden Bewässerungsgraben abwusch. Und dabei war er – wie gesagt – ein verhältnismäßig gebildeter Mann und von der jüngeren Generation, von der man sagt, daß sie hinaus wäre über solche Dinge.

Und da fällt mir noch eine dritte Begebenheit ein, die ich zwar selbst nicht erlebt habe, für deren Wahrheit aber ein hier ansässiger Deutscher mit seinem Kopfe bürgt: im Hofe eines jeden persischen Hauses befindet sich ein größeres Wasserbassin. Es ist eine schöne und löbliche Einrichtung, die für Kühlung sorgt, und die einem an dürren, heißen Sommertagen die tröstliche Gewißheit gibt, daß doch noch nicht die ganze Welt ausgedörrt ist. In dem Hofe, von dem ich erzähle, befand sich ein besonders schönes, von Granitsteinen eingefaßtes Wasserbecken, in dem zahlreiche Goldfische schwammen. Nun geschah es eines Tages, daß ein Ungläubiger vorbeikam und die Hände darin wusch. Sofort ließen sie den ganzen Teich ab, bis kein Tropfen Wasser mehr darin war. Die Goldfische, die von dem unheiligen Wasser getrunken hatten, schnappten noch eine Weile, ehe sie den verdienten Tod fanden. Dann wurde reines Wasser hereingelassen, in dem sich neugekaufte, rechtgläubige Goldfische tummelten, und Allahs Segen waltete wieder über dem Hause. – –

Nur wenig abseits vom Kanonenplatze liegt der Palast des Schahs, zu dem ein schönes, mit bunten Fliesen besetztes Tor führt, flankiert von zwei blankgeputzten Messingkanonen, die in der Sonne funkeln. Als ich eben dort vorbeiging, lungerte im Schatten eine Wache, deren Kommandant, ein sehr kriegerisch drein schauender Kosakenoffizier, gerade auf mich zukam. Ich wunderte mich, was er von mir wollte. – Ah, ich war noch nicht lange genug in diesem Lande der vollendeten Höflichkeit gewesen! Nur die Hand wollte er mir geben, nur Salem Aleikum wollte er mir sagen. Er sagte das auf Persisch, von dem ich nicht allzuviel verstand. Aber er sagte es so freundlich, daß ich nicht umhin konnte, ihn zu einer Tasse Tee einzuladen in einem benachbarten Restaurant.

Dort zeigte er sich als vollendeter Kavalier und großer Politiker, und da sich ein französisch sprechender Landsmann von ihm uns zugesellte, der bereitwilligst den Dolmetscher spielte, konnte ich auch von seinen Kenntnissen profitieren. Ehe man sich's versah, waren die beiden in einen mächtigen Disput verwickelt.

Der Offizier war natürlich für Risa Chan, schon um des zweierlei Tuches willen. Auf Kemal Pascha – so meinte er – habe man gehofft, aber Risa Chan habe erfüllt. Er sei der Mussolini des Ostens, und wer das nicht wahrhaben wolle, der sei eben kein Perser. Man brauche nur drei Jahre weit zurückzudenken in der Weltgeschichte. Was sei damals Persien gewesen? Ein Niemandsland, in dem jeder tat was ihm gefällig war, in dem Engländer und Bolschewiken sich um die Herrschaft rauften und jedermann im Lande etwas galt, mit Ausnahme der Perser. Vor drei Jahren hätte noch jedermann sein Testament gemacht, ehe er seinen sterblichen Leib der Landstraße anvertraute. Der dritte Mensch, dem man draußen begegnete, sei ein Räuber gewesen, und die übrigen hätten zu russischen Kosakensotnien oder zu den von England bezahlten Diebesbanden gehört, die man »South Persian Rifles« zu nennen beliebte. Täglich habe es eine neue Revolution gegeben. Und heute? – Heute habe man eine persische Armee mit persischen Soldaten und sichere Landstraßen, auf denen man mit dem Automobil in die hintersten Winkel des Landes fahren könne.

Der andere widersprach heftig. Vor kurzem erst sei einer seiner Verwandten auf der Straße nach Bagdad beraubt und ermordet worden. Hungersnöte gäbe es heute noch. Die meisten Menschen an den Straßen ernährten sich auch heute noch vom edlen Handwerk des Straßenraubes, nur säßen sie heute in den Ämtern als Bürokraten und niemand sei mehr da, um ihnen auf die Finger zu sehen, denn PahlaviPahlavi, der von Risa Chan nach seiner Krönung angenommene Name. hätte das Parlament unter seinem Stiefel zertreten.

Zu allem Unglück mischte sich nun noch ein Mullah ins Gespräch, der ebenfalls die volle Schale seines Zornes über Pahlavi ausgoß. Er sei ein gottloser Atheist, ein Feind der Geistlichkeit und bei Licht betrachtet nichts anderes als eine Kreatur des Vizekönigs von Indien, der auch das Geld liefere für die schönen neuen Uniformen und die vielgepriesenen Automobilstraßen. Dafür verlange der wohl seinen Preis. Das sei klar. Er müßte denn der erste Engländer sein, der etwas verschenkt habe.

So redeten sie noch lange weiter, während der Samowar brummte und die Wasserpfeife von Mund zu Mund ging. Nur wenig verstand ich von dieser persischen Politik, und ich muß gestehen, daß ich auch heute noch nicht klüger darin geworden bin.

Wer versteht überhaupt etwas von orientalischer Politik?

Mitten in der Stadt Teheran liegt ein großer Garten, der von mächtigen Mauern fast wie eine Festung umgeben ist. Darinnen stehen die Bungalows unter uralten Platanen, und vor dem Tor stehen die riesigen, schwarzbärtigen, beturbanten Gestalten der Sikhs als Leibwache für den britischen Gesandten, der hier fast wie ein Resident regiert. Tausend Fäden der hohen Politik laufen hier zusammen. Zeitweilig ist der Park gefüllt wie eine Karawanserei von politischen Flüchtlingen und sonstigen Parteigängern, die hier mit ihren Zelten und Kamelen residieren, von Abenteurern und Intriganten, die, wie einst Napoleon, herbeikamen, »um sich am Feuer des britischen Herdes niederzusetzen« – oder sich daran die Finger zu verbrennen.

Schon mehr als einmal glaubten sie sich am Ziel. Der Vertrag vom Jahre 1919 errichtete die Schutzherrschaft über das ganze Land. Persien wurde zu einer indischen Satrapie, der Schah zum Maharadschah erniedrigt. So weit war alles nach Wunsch gegangen. Indien reichte fortan bis zum Kaukasus, und durch die Schutzstaaten im Irak und Palästina bis zum Mittelmeer. Dabei wäre es auch geblieben, wenn nicht neben den schönen Gärten in Teheran ein beinahe ebensogroßer anderer Garten wäre, der von den Russen besetzt ist, die heute in ihrer bolschewistischen Einkleidung mindestens ebenso imperialistisch eingestellt sind, wie ihre zaristischen Vorbilder. Was in diesen Nachkriegsjahren auf persischem Boden vor sich gegangen ist, ist hohe Politik, wenngleich das kriegs- und politikmüde Europa ihm wenig Beachtung schenkte. Der Sieger in diesem Wettlauf der Großmächte war die neugestärkte persische Staatsautorität, der in Risa Chan ein starkes und tatkräftiges Haupt erstand. Als Instrument der Engländer gegen die vom Rescht vorrückenden Russen ist dieser rauhe Kriegsmann, der noch während des Krieges als gewöhnlicher Kosake vor der deutschen Gesandtschaft Wache schob und dem man nachsagt, daß er noch heute, als Herrscher aller Gläubigen, nicht einmal seinen Namen schreiben könne, zur Macht gekommen. Ob er sich dauernd als britischer Stipendiat betätigen wird, oder ob er als geriebener Orientale die Farbe wechseln wird, wenn Allahs Sonne von einem anderen Himmel scheint, ist freilich eine Frage, die zur Zeit noch niemand beantwortet hat.

Doch das sind alles Dinge, die weit abliegen von dem Gang der kleinen Erlebnisse dieses reisenden Franken. –

Wieder stehen wir in der Avenue Lalezar. Sie ist das Wunder des modernen Persien, der Traum aller Chauffeure, die hier in modern aufgemachten Kaffeehäusern, bei schmelzender Musik, in Gesellschaft mehr oder minder schöner Damen sich von den Anstrengungen und Entbehrungen erholen, die persische Autoreisen noch mehr als anderswo im Gefolge haben.

Ach, es ist doch nur eine kümmerliche Vorstadteleganz, wenn man freilich auch um das noch dankbar ist. Denn im Reiche der Blinden ist der Einäugige König. Alle Nationen trifft man auf der Avenue Lalezar, nicht zuletzt die deutschen Landsleute. In allen Lebenslagen sind sie vertreten, vom hochmögenden gräflichen Gesandten bis zum reisenden Handwerksburschen. Von dieser letzteren Abart – sollte man es eigentlich glauben? – trifft man besonders viele. Der Weg von Berlin nach Teheran ist weit und voller Gefahren. Die Schwierigkeiten sind groß, aber größer noch ist die Unternehmungslust des deutschen Wandersmannes. Ohne Geld, ohne Papiere, ohne irgendwelche Kenntnis fremder Sprachen, gerade nur auf sich und den immer bereiten und gefälligen Schutzgeist der Vagabunden vertrauend, marschieren sie über Berge und Wüsten, durch reißende Flüsse, die Tod und Verderben drohen. Sie kommen durch verbotene Städte und ungastliche Landstriche, in denen verbissener Fanatismus sie aus scheelen Augen anschaut, über zahllose Grenzen, an denen grimmige Bürokraten zur Umkehr auffordern. Viele gehen dabei zugrunde, Zahllose kehren wieder um, noch ehe sie den Weg recht begonnen. Aber immer und immer wieder sieht man so einen modernen Odysseus, der zerlumpt und verkommen als Sieger einzieht durch die funkelnden Tore dieser seltsamen Stadt.

Teheran! Der Name ist schwer von Romantik. Und dahinter liegt Indien, das Wunderland, das alle lockt und das kaum einer erreicht, denn dazwischen liegt Afghanistan, ein Land voll lauernder Gefahren und südwärts, in der Richtung nach Isfahan, ist es nicht viel anders.

So sehe ich mich heute noch einmal, wie ich damals in dem Kaffeehause an der Avenue Lalezar saß und mir die Sache hin und her überlegte: Kabul oder Isfahan, das war die Frage. Beides hatte seine Vor- und Nachteile. Beides waren dürftige Strecken, voll Sand und Sonne und doch wieder voll leuchtender Straßen, auf denen lockend das Abenteuer stand. Lange dachte ich nach über diese Dinge und wäre sicher auch an dem Abend zu keinem Resultat gekommen, wenn nicht zufällig Herr Franz Michel hinzugekommen wäre.

So wenigstens nannte er sich, wenngleich es mir auch heute noch so vorkommt, als ob dieser Herr Franz Michel zuweilen Wert auf Abwechslung in seinem Aushängeschilde legte, und das aus guten Gründen.

Ach, die Zeiten sind doch die Macher der Menschen! Was wäre aus Herrn Franz Michel wohl geworden, wenn nicht der Weltkrieg gekommen wäre? Sicher wäre er heute noch der friedfertige Franzl im Dorfe, dessen Abenteuer nie über die einer Kirchweihrauferei hinausgekommen wären, oder allenfalls ein ergebener Zahlkellner in einem Wiener Café. Aber dann kam der Krieg. Franzl wurde Unteroffizier bei den Hoch- und Deutschmeistern, geriet in russische Gefangenschaft ins ferne Turkestan, von wo er zu passender Zeit davon lief nach dem bisher für alle Ungläubigen streng verschlossenen Lande Afghanistan. Gelegenheit macht Diebe, aber auch Männer. Und so sah sich Franzl bald als Ingenieur in den Artilleriewerkstätten des Emir, ehe er sich selbst recht bewußt wurde, wie das geschehen. Da er ein aufgeweckter Bursche war, fand er sich bald mit den Sitten des seltsamen Landes ab, lernte persisch sprechen wie ein Buch und wenige Jahre später war er persischer Kavallerieoffizier unter Risa Chan. Dann kam der faule Friede. Die überflüssigen Offiziere – voran natürlich die Ungläubigen – wurden abgebaut, und Franzl, der vorher schlecht und recht gelebt hatte von seinem mehr als unregelmäßig eingehenden Sold und dem, was sich so nebenher stehlen ließ, stand wieder einmal vor dem Nichts in der fremden Stadt. Tagelang schrieb er sich die Finger wund über ergebenen Briefen an persische Prinzen und sonstige Exzellenzen, um sie als Geldgeber für eine von ihm in Aussicht genommene Reparaturwerkstatt für Automobile zu interessieren. – Ach, es ist in Persien nicht anders als anderswo! Die das Geld haben, wissen es festzuhalten, und nur selten findet sich ein Gönner, der einem unternehmenden jungen Mann auf die Beine hilft. Jetzt – so meinte er – sei er am Ende seiner Geduld und seines baren Geldes. Nur noch eine Bonze sei übriggeblieben, den er sich vorknöpfen wolle, wenngleich er wenig Hoffnung habe auf ein befriedigendes Resultat, denn der hohe Herr sei nicht nur ein Prinz – deren gebe es wie Sand am Meer in diesem Lande – sondern auch noch ein Exminister. Man dürfe ihm nur französisch schreiben, und wo hätte er das lernen sollen?

Ich bot ihm meine Hilfe an, und so machten wir uns gleich an die Arbeit, und während nun der Lärm immer weiter ging in der Wirtschaft, setzten wir einen Brief auf, der imstande gewesen wäre, einen Kriminalrichter in Moabit zum Weinen zu bringen.

Herr Franz Michel steckte den Brief hocherfreut ein und sagte, er werde sich früh um sieben Uhr – denn das sei die offizielle Besuchszeit in diesem Lande – höchstselbst damit bei der Exzellenz anmelden lassen.

Ich war nun selbst gespannt, wie das ausgehen würde. Aber am anderen Morgen erschien der gute Franzl in dem Hotel mit einem sehr langen Gesicht. Die Exzellenz war tags zuvor in Geschäften verreist. Warten bis zur Rückkehr könne er nicht, denn ganz ohne Geld könne man auch in Persien nicht leben. – Aber er habe inzwischen etwas anderes ausfindig gemacht. Vorhin sei er einem Mullah begegnet, der ein Fordautomobil gekauft habe und nun jemand suche, der es ihm über Isfahan nach Schiras bringe. Fünf Toman Vorschuß habe er schon bekommen und für zwanzig nehme er auch mich mit für die ganze Reise.

Ich rechnete. – Zwanzig Toman. Das waren achtzig Mark. Und Schiras tausend Kilometer entfernt.

»Mensch, ja, ich gehe mit. – Wann soll's losgehen?«

»Heute Abend.«

»Abgemacht.«

Schon in der hellen Mittagshitze hatte ich mich in der Karawanserei eingefunden, wo der eben erst aus Amerika gekommene, von Lack, Politur und Neuigkeit funkelnde Wagen unternehmungslustig unter einem Torbogen stand. Bald kam auch der Mullah, der mit seinem schwarzen Bart und seinem großen Turban genau so aussah wie jener, den ich von Kaswin her noch so gut in der Erinnerung hatte. Eine Wolke von Dienern war ihm in die Karawanserei gefolgt, die nun wiederum das Auto bepackten nach der Mode, die ich schon kannte. Ich war aber inzwischen schon Perser genug geworden, um mich darüber nicht mehr aufzuregen. Nach einer Weile kam Franzl und ließ den Motor schnurren. Der Mullah kam mit der kupfernen Kanne, die das Gesetz vorgeschrieben. Er schleppte eine Melone herbei, die größer war als sein Turban. Dann sog er noch einmal an seiner Wasserpfeife und verschwand im Wagen. Man sah ihn nicht wieder, bis wir durch die Tore von lsfahan rollten.

Punkt sechs Uhr abends ratterte das Wüstenschiff, will sagen das Automobil, über den Kanonenplatz, gefolgt von einer ansehnlichen Eskorte von Bettlern. Bald waren wir im Bazarviertel, wo wir nur langsam vorwärts kamen durch die engen, von riesigen Mauern umsäumten Gassen, in denen noch immer die Hitze grell und flimmernd stand. Eselkarawanen sperrten uns alle Augenblicke den Weg. Franzl fluchte. Hunde, Katzen und kleine Kinder machten sich überall breit. Derwische brüllten an den Ecken, Mullahs gingen stolz vorüber und überall, wohin man blickte, sah man die schmutzigen Hände der bakschischhungrigen Bettler.

Durch ein schönes Stadttor, das dem völlig glich, durch das ich vor wenigen Tagen von der anderen Seite hereingekommen war, ging es hinaus in das weite Land, das gleich wieder eine Wüste war. Wir wollen milde sein und es Steppe nennen. Überall nur Sand und Sonne und dürre Gräser. Und doch war es eine schöne Landschaft. Denn in Persien ist der Himmel so blau, und die Berge sind so wunderbar in ihrem wechselnden Farbenspiel, daß man nur ein paar einzige kleine Bäume am Horizont zur Belebung der Landschaft braucht, um alle Entbehrungen einer langen Reise zu vergessen. Und an diesem Abend zeigte sich das Farbenspiel der Steppe besonders lebendig. Am Vormittag war ein heftiges Gewitter niedergegangen. Noch hingen Tropfen wie Perlen an den spärlichen Gräsern, die sich silbern im Winde wiegten. Im Norden, hinter der Stadt, sank groß und rot die Sonne hinab. Mit ihren letzten Strahlen entzündete sie ein feuriges Alpenglühen auf den Schneegipfeln des mächtigen Elbrusgebirges, dessen Massiv finsterer wie die Nacht unmittelbar hinter den Häusern der Hauptstadt aufzusteigen schien. Über den hellen Gipfeln aber stand im Hintergrund der majestätische Demawend wie ein leuchtender Zuckerhut vor einem unwahrscheinlich tiefblauen Himmel.

Ich aber schaute mich nicht einmal mehr um. Ich hörte nur das Surren des Windes, das Brummen des Wagens, der vorwärts raste in die Nacht, die schwarz auf der Straße hockte. Noch vieles hatte ich mir ansehen wollen in Teheran, aber jetzt war mir alles gleichgültig.

Ade, Teheran. Ade, du falsche Stadt, an den Rockschößen einer verlogenen Zivilisation.

Ade, auf Nimmerwiedersehen! Jetzt geht's nach Indien!

 


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