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Arbeitstage

Ein kurzer, tiefer Schlaf tat das übrige.

Mit beiden Füßen sprang ich in den jungen Tag; ich wußte jetzt, was zu tun war. Zuerst mußte Kapitän Owen auf gefunden werden. Die seine war die einzige Adresse einer Privatwohnung in der Stadt, die ich kannte. Auf dem Wege sang ich eine meiner Schlachthymnen, aber nur und wiederholt, den ernsten Zeiten entsprechend, ihren dritten Vers: »Und wenn die Welt voll Teufel wär« Er war mir schon als kleinem, ahnungslosem Jungen der liebste gewesen und hat mir im späteren Leben mehr als einmal treulich gedient, wenn ich nicht mehr genau wußte, wo hinaus. Warum auch nicht? Hatte ich nicht ein Recht zu dem Vers, so gut als ein andrer? Stand ich nicht seit Jahren mitten in einer Art von Bodenreformation, in der »der arg böse Feind« oft genug sein Wesen trieb?

Sie sind im allgemeinen keine Langschläfer in New Orleans. Der frühe Morgen ist der beste Teil des Tages an den Bayous des Mississippi. Doch schlief Owen noch, als ich versuchte, ihm die Adresse der nächst besten Maschinenfabrik zu entlocken, und war, sich die Augen reibend, über meinen Besuch nicht wenig erstaunt. Eine halbe Stunde später stand ich in einem fast leeren Fabrikhof, der müde und lebenssatt aussah. Wie alles in der Stadt, war das Geschäft halb bankrott und hatte keinen Mangel an müßigen Arbeitern. Man ließ mir die Wahl. Nach weiteren dreißig Minuten hatte ich zwei junge Monteure ausgesucht der eine war allerdings, wie sich später herausstellte, ein gelernter Schneider, die, mit Brechstangen, Hämmern und Meißeln bewaffnet, hinter mir drein liefen. Auf den Levees war alles schon voll Leben. Zuckerfässer rollten hin und her, Baumwollballen flogen durch die Lüfte. Dampfer rauchten und spien Wasser und Feuer aus. Geschrei, Gerassel und dröhnendes Gepolter auf dem hohlen Bretterboden in allen Richtungen. Hunderte von Negern aller Schattierungen, darunter wahre Herkulesse, rollten im Eifer der Arbeit lachend über die Ballen und sprangen singend hinter den Fässern her. Es wurde viel und kräftig geflucht; aber auch des Herrn Lob erschallte in wundersamen Liedern unter Lachen und Gejauchze. »Wir gehen alle über den Jordan o Jerusalem!« war ein besonders beliebter Kehrreim der Ernstergesinnten. Den Schwarzen war es in diesen Morgenstunden sichtlich wohler als ihren einstigen weißen Herren.

Auch auf Deck des »Wilden Westens« war schon alles in Bewegung. Mein zweiter Kessel schwebte an einem kräftigen Schiffskranen hoch in der Luft, machte eine elegante Schwenkung über Bord, als sei ihm das Fliegen zeitlebens eine liebe Gewohnheit gewesen, und sank in der nächsten Minute auf die krachende Levee nieder. In zehn Minuten hatte ich sechs Neger, Jem, Jo, Jak, Cato, Alexander und Bucephalus, in meine Dienste genommen. Neugierig und energisch machten sie sich daran, die Deckel der Kisten aufzureißen, die ich den Monteuren bezeichnete, und die blanken Stangen und Wellen, die schweren Lager und Ständer aus den Spänen herauszuschälen, welche sich in gewaltigen Haufen um uns auf türmten. Vor der Frühstückspause noch war mein Trüpplein im besten Zuge; mir selbst begann es ganz leicht ums Herz zu werden. Dazu kam noch »Lawrences Bruder«, der schon von ferne eine Zeitung in der Luft schwenkte, als er den »Wilden Westen« und mich entdeckt hatte.

»Sie haben verloren, Mister Eyth, Sie haben verloren!« rief er aus weiter Ferne. »Geben Sie mir zehn Dollar und hören Sie zu!«

Er kletterte auf eine der Kisten, setzte sich, entfaltete die nasse Morgenzeitung und las:

»'Die berühmte und stets auf das Wohl unsres Staates bedachte Landwirtschaftsgesellschaft von Louisiana hat sich entschlossen, den beträchtlichen Preis von siebenhundertfünfzig Dollar für den besten Dampfpflug zur Bearbeitung von Baumwoll- und Zuckerland auszusetzen. Man hofft mit Recht, auf diese Weise der unglaublichen Not des Südens, dem Mangel an Arbeitskräften jeder Art, für alle Zeiten abhelfen zu können. Wie wir hören, soll sich bereits ein Bewerber für diesen ansehnlichen Preis eingestellt und am Fuß der Tschapatulastraße seine Vorbereitungen begonnen haben. Ehre einer Gesellschaft, die auch in den schwersten Zeiten Mut und Tatkraft beweist, an dem Wiederaufbau und der Wohlfahrt unseres glorreichen Südens weiterarbeiten zu können! Wie gefällt Ihnen das? Sie brauchen die andern Zeitungen nicht nachzusehen. Sie bringen alle denselben packenden Artikel, den ich und unser Geschäftsführer noch gestern nacht ausgebrütet haben. Er wollte zuerst nicht recht dran; die Komiteesitzung kann erst übermorgen stattfinden, und so ist eigentlich noch nichts beschlossen. Merken Sie allmählich, daß Sie in Amerika sind?«

»Merken Sie, daß Sie auf einer englischen Maschine sitzen?« antwortete ich vergnügt, indem ich gleichzeitig Bucephalus anwies, meinem Freund eine Brechstange zwischen die Beine zu stoßen, denn er saß auf der Kiste, die ich vor allen andern geöffnet haben wollte.

Bucephalus war energisch, aber etwas ungeschickt. Lawrence sprang deshalb mit jugendlicher Behendigkeit in die Höhe, um dem gefährlichen Stoß zu entgehen.

»Und sehen Sie, da kommen Sie selbst!« rief er aus der Zeitung heraus, seinen Knotenstock schwingend, ohne jedoch den Zwischenfall eines weiteren Wortes zu würdigen.

»Frühstück, Frühstück!« schrien die Neger, während ein halbes Dutzend Glocken und hundert heulende Dampfpfeifen entlang der ganzen Levee einen infernalischen Lärm erhoben. Ein paar Stunden nüchterner Morgenbeschäftigung mit dreiundfünfzig Kisten eines demontierten Dampfpflugs verfehlen ihre appetiterregende Wirkung auch in einem halbtropischen Lande nicht. Ich war deshalb mit den Negern völlig einverstanden und bat Lawrence, mir Gesellschaft zu leisten. Er kannte eine Wirtschaft in unmittelbarer Nähe, wo wir unter Schiffskapitänen, Baumwollmaklern und Zuckerbörsenleuten rasch ein Tischchen und ein »elegantes« Frühstück fanden. Als Beilage las er mir eifrig die Morgenzeitungen vor, deren Inhalt, soweit er unsre Sache betraf, ihn sichtlich mit dem erhebenden Gefühl der Vaterschaft beglückte.

Der »Picayune« erzählte in Sperrdruck:

»Wir hatten gestern das Vergnügen, den Besuch des Herrn Eyth, des gentlemanlichen Vertreters der großen englischen Firma John Fowler & Co. in Leeds und London, zu erhalten, der uns von dem Bruder unsers großen Zuckenplantagenbesitzers Herrn Henry Lawrence freundlich zugeführt wurde. Herr Eyth beabsichtigt, durch die Einführung der weltberühmten Dampfpflüge seiner Firma, die alles bisher Dagewesene übertreffen sollen, an der Regeneration des Südens mitzuwirken, und wird damit voraussichtlich in wenigen Tagen im Ausstellungspark der Landwirtschaftsgesellschaft von Louisiana den Anfang machen. General Longstreet und die hervorragendsten Männer unseres Staats nehmen den lebhaftesten Anteil an seiner Tätigkeit. Sein Pflug soll stündlich fünf Acker des schwersten Zuckerbodens auf eine Tiefe umbrechen, die nach der Versicherung unseres Freundes, Herrn Lawrence, von sechs Paar Ochsen nicht erreicht wird. in liebenswürdigster Weise teilte uns Herr Eyth mit, daß er ein Deutscher von Geburt und, im Gegensatz zur Mehrzahl seiner übrigens hochachtbaren Landsleute, der Sache der Südstaaten stets aufs wärmste zugetan gewesen sei. Hochinteressant finden wir, daß Herr Eyth aus einer alten Schweizer Fürstenfamilie abstammt und daß er in einem mittelalterlichen Männerkloster seines Vaterlandes das Licht der Welt erblickte. Der letztere Punkt bedarf jedoch noch der Aufklärung. Trotz dieser geheimnisvollen und hochromantischen Vergangenheit scheint Herr Eyth ein lebhaftes Verständnis für die modernen Verhältnisse unseres glorreichen Vaterlandes mit nicht gewöhnlicher Geschäftsenergie zu verbinden. Unsre geschätzten Leserinnen dürfte es jedoch mehr interessieren, zu vernehmen, daß Herr Eyth durch keine zarten Bande an den alten Kontinent geknüpft ist und nicht unweigerlich an den klösterlichen Grundsätzen seiner Jugend festzuhalten gedenkt. Wir wünschen ihm in dieser und jeder anderen Beziehung einen erfolgreichen Aufenthalt in den wiederauflebenden Golfstaaten.«

»Das ist gut, das ist sehr gut für den Anfang!« meinte Lawrence. »Sie werden sehen, unsre schönen Kreolinnen werden sich nach Ihnen umsehen; das kann nichts schaden. Weiter!«

Er griff nach den »Crescent City News«. Der Anfang des Artikels der republikanischen Zeitung, den er mit raschem Kennerblick gefunden hatte, war nahezu der gleiche. Auch hier war der Vertreter der großen Firma John Fowler & Co. vor allen Dingen »gentlemanly«, ein Ausdruck südlichen Zeitungsstils, dem kaum jemand entgeht und den ich oben in der Not mit »gentlemanlich« zu übersetzen suchte. Geboren war ich hier, nach meinen eignen liebenswürdigen Mitteilungen, in den Tiefen des Schwarzwaldes und der rauhen Alb, wo mein Vater, »wenn wir Herrn Eyth, der ein Deutscher ist, richtig verstanden haben,« teils dem Holzhandel, teils der schon von Tacitus erwähnten Jagd auf Bären und Wölfe oblag. »Schon von Jugend an hatte deshalb Herr Eyth eine fast schwärmerische Zuneigung für das große Amerika, namentlich aber für unsern lebenskräftigen Norden, der in dem soeben glorreich zu Ende geführten Kampfe seine Stärke und seinen gesunden Sinn zum Wohle des Ganzen mit blutiger Energie bewährt hat. Die Jugendzeit, verbracht in der finsteren Einsamkeit primitiver Wälder, mag auch die Ursache gewesen sein, daß der übrigens nicht unsympathische Vertreter der englischen Firma, dessen politische Ansichten im Gegensatz zu der in England herrschenden bedauerlichen Stimmung durchaus korrekt zu sein scheinen, sein Geschick noch nicht mit dem Rosenband einer glücklichen Liebe umwunden hat. Eigentümlicher ist, daß die englische Firma es für nötig hält, dem erfindungsreichen Amerika, das in nichts, somit auch nicht in Dampfpflügen, hinter irgendwelchem Lande zurücksteht, wir machen nur auf die Dampfkulturgeräte in Pennsylvanien, in Ohio, in Illinois und neuerdings auch in Kalifornien aufmerksam, derartige Apparate zuzusenden. Ihre Nützlichkeit bleibe hierbei umstritten. Wir zweifeln keinen Augenblick, daß Herr Eyth, dessen offener Blick uns sofort sympathisch berührte, mannigfach und reichlich belehrt zu seinen englischen Freunden zurückkehren wird, und wünschen ihm hierzu wie in jeder andern Beziehung den besten Erfolg.«

»Ein verfluchter Yankee!« meinte Lawrence ohne große Aufregung, während ich, etwas grimmiger als er, ein Beefsteak von landesüblicher Zähigkeit zersäbelte. Sämtliche sieben Morgenblätter brachten ähnliche Aufsätze, so daß sich, seitdem sieben verschiedene Städte um die Ehre streiten können, meine Wiege beherbergt zu haben. Alle aber waren in einem Punkte einig: daß meinem armen, unschuldigen Dampfpflug eine hervorragende politische Rolle zukomme. Ein unverkennbarer, wenn auch leichter Hang gegen den demokratischen Süden schien von der einen Seite das höchste Lob, von der andern den schärfsten Tadel zu verdienen. Nur mit Rücksicht auf das noch nicht ganz ausgesprochene pekuniäre Verhalten des sympathischen Vertreters der Firma John Fowler & Co. legten sich die kleineren Blätter noch einige Zurückhaltung auf. Das Beefsteak aus Texas war wirklich zu zäh; ich warf Messer und Gabel weg und stand auf.

»Lieber Herr Eyth,« sagte Lawrence, der meine Verstimmung kopfschüttelnd bemerkte, »an das müssen Sie sich gewöhnen, wenn es Ihnen bei uns wohl werden soll. Es tut nicht weh, sobald mans gewöhnt ist. Was Sie zu tun haben, ist, ihren Pflug auszupacken. je mehr man über Sie schimpft, um so besser. Man wird auf Sie aufmerksam; das ist alles, was Sie brauchen, und kostet Sie nichts. Übrigens läßt sich die Sache auch sehr leicht in Ihrem Sinn regeln. Ich will Ihnen das besorgen. Wieviel wollen Sie an die Crescent City News rücken?«

»Keinen roten Cent!« rief ich grimmig, indem ich unser Frühstück bezahlte.

»Sie sind aufgeregt!« meinte Lawrence begütigend. »Das ist nicht gut. Kühl bleiben ist die erste Regel des Lebens, namentlich im Süden und heutzutage. Wir wären alle besser dran, wenn wir sie vor fünf Jahren mehr beherzigt hätten.«

Ich ging wieder nach den Levees, dem »Wilden Westen« zu. Ein gewaltiger Menschenhaufen umstand jetzt die Ausladestelle des Schiffes. Im Kern des Knäuels schien es lebhaft zuzugehen. Meine sechs Neger hatten sich auf die übereinandergetürmten Kisten geflüchtet und verteidigten ihre günstige Stellung mit rühmlicher Hartnäckigkeit. Zoll- und Leveebeamte waren die Angreifer. Das unparteiische Publikum begrüßte jede Wendung des Wortgefechts mit lauten Lachsalven.

»Herunter von den Kisten!« schrie ein bärtiger Mann, der in Reste einer unbekannten Uniform gekleidet war. »Herunter, verdammte Nigger! Die ganze Bagage muß in dreißig Minuten verschwunden sein. Nichts darf auf den Levees ausgepackt werden. Fort mit dem Zeug!«

Der aufgeregte Herr hatte eine Hilfstruppe von drei Mann in Zivil, die nach den nackten Beinen meiner Neger griffen. Eine Brechstange, die zufällig auf die Finger eines der Angreifer fiel, veranlaßte die heftige Fortsetzung des bloßen Wortgefechts. Ich drängte mich durch.

»Hier ist unser Herr!« schrien die Neger triumphierend. »Hurra für Alt-Dixies Land!«

Der Levee-Inspektor wandte sich zornig an mich.

»Wissen Sie nicht, Mister, daß nichts auf den Levees montiert werden darf?« fragte er mich mit ausgesprochener Unhöflichkeit. »Wollen Sie Ihren Kram fortführen?«

»Wollen Sie ihn fortführen?« fragte ich mit völlig wiedergewonnener Ruhe, seitdem ich die Zeitungen nicht mehr sah. »Soll ich ein paar Kesselwagen und zwanzig Pferde auf Ihren Tanzboden bringen lassen und die alten Bohlen durchbrechen?«

Er starrte mich an.

»Seien Sie vernünftig und lassen Sie mich machen,« fuhr ich zutraulich fort. »Ich vermute, ich verstehe mein Geschäft besser als Sie. Zum Vergnügen bleibe ich nicht hier. Ich bringe meine Sachen weg, so schnell ich kann. Mehr kann ein Yankee nicht tun, soviel ich weiß.«

»Aber es ist gegen das Gesetz; es darf auf den Levees nichts montiert werden,« erklärte mein Gegner.

»Was wollen Sie machen?« fragte ich ruhig. »Es gibt nur einen Weg, die Sachen fortzuschaffen: ich montiere meine Maschinen, mache Dampf in den Kesseln und fahre davon, wie ich es bis jetzt überall gehalten habe. Haben Sie noch nie von einem Dampfpflug gehört? Wenn Sie's besser wissen, greifen Sie zu. Ich werde Ihnen sehr dankbar sein.«

»Aber die Instruktion, das Gesetz!« rief er etwas kleinlauter. »Donnerwetter, ich bin hier, um Ordnung zu halten.«

»Was wollen Sie machen?« fragte ich ruhig. »Ich stelle die Ordnung auf dem schnellsten Wege her, der überhaupt möglich ist. Sehen Sie das nicht?«

Er starrte mich aufs neue fragend an, dann die Kessel, dann die dreiundfünfzig Kisten.

»Was will ich machen?« fragte er endlich, sehr nachdenklich werdend.

»Ich will Ihnen das andeuten!« antwortete ich und drückte ihm zwei Fünfdollarscheine in die Hand. »Dort in der Ecke ist ein Biersalon. Von dort aus können Sie die Fortschritte, die wir machen, genau kontrollieren. Wenn Ihnen die Sache nicht flott genug zu gehen scheint, so wenden Sie sich nur gütigst an mich. Wir wollen schon Ordnung halten, Sie und ich.«

Er lachte befriedigt. »Vorwärts, Jungen!« rief er seinen Hilfstruppen zu. »Dieser Herr ist ein Gentleman. Guten Morgen, Sir!«

Die vier Männer des Gesetzes marschierten in geradester Linie dem angedeuteten Biersalon zu und erschienen erst am folgenden Morgen wieder, um sich weitere Instruktionen zu holen, die mich fünf Dollar täglich kosteten. »Billig!« meinte Lawrence. »Sie machen Fortschritte. Aus Ihnen kann schon noch etwas werden.«

Gegen Abend stand der erste der zwei Kessel auf seinen vier Straßenrädern. Meine Negertruppe hatte sich auf zwölf Mann vermehrt, die mit wachsendem Stolz ihr eigenes Werk betrachtete. Auch die Zeitungsartikel hatten sichtlich schon gewirkt. Wir bekamen Besuche von Herren, denen der »Picayune« aus der hinteren Rocktasche sah und die viertelstundenlang still beobachtend unter meinen Kisten und Kasten herumstöberten. Keiner versäumte, die Breite der mächtigen Fahrräder mit den ausgespreizten Fingern beider Hände abzugreifen. Die meisten zogen hierauf verstohlen einen Maßstab aus der Tasche, steckten ihn aber rasch wieder ein, wenn sie bemerkten, daß sie beobachtet wurden. Dann kamen sie gewöhnlich etwas verlegen an mich heran.

»Dies soll wohl der neue englische Dampfpflug sein?« begann die Unterhaltung.

»Jawohl!« antwortete ich zuvorkommend. »In einigen Tagen werden Sie deutlicher sehen, wie das alles zusammenhängt. Vorläufig sind es nur zerbrochene Kisten.«

»Ich denke, ich könnte wesentliche Verbesserungen in Vorschlag bringen,« war fast regelmäßig die nächste Bemerkung, und dann, wenn ich hierauf nicht einging, studierte der Mann mit dem Ausdruck wohlwollenden Mitleids in seinem intelligenten Gesicht weiter.

Einer derselben hatte in dieser Weise mehrere Stunden des Nachmittags zugebracht, ehe er sich an mich wandte, ein Mann von mittleren Jahren, in schwarzem Anzug, mit einem scharfen Yankeegesicht, das seinen nördlichen Ursprung nicht verleugnete. Erst am Schluß der Arbeit, als ich die Neger unsre Winden, Hebel und Brechstangen für die Nacht zusammenstellen ließ, kam auch, dieser Herr mit seinem: »Dies ist wohl der neue englische Dampfpflug?« an mich heran.

»Jawohl,« sagte ich, »in einigen Tagen werden Sie deutlicher – «

Er unterbrach mich mit einem leisen, nicht unfeinen Lächeln um den zusammengepreßten Mund. Er hatte meine Antwort wohl schon mehrmals gehört und wollte mir die weitere Mühe ersparen.

»Ich bin Maschinenbauer,« sagte er, »und habe eine Stellung bei den städtischen Wasserwerken in Aussicht. Augenblicklich habe ich nichts zu tun und Langeweile. Lassen Sie mich mitarbeiten.«

»Aber ich habe die Leute, die ich gebrauche,« bemerkte ich.

»Ohne Lohn,« antwortete er. »Ich habe genügend Geld und muß fünf Wochen warten, ehe ich bei den Wasserwerken eintreten kann. Ihr Pflug würde mich unterhalten.«

»Sehr hübsch!« sagte ich etwas mißtrauisch. »Sie wollen ihn wohl verbessern?«

Er lächelte wieder, kaum merklich.

»Ich bin ein praktischer Maschinenbauer von Beruf,« versicherte er, »und mit dem Verbessern nicht so rasch bei der Hand. Aber ich möchte sehen, was sie im alten Land drüben zuwege gebracht haben, und will dafür arbeiten. Versuchen Sie mich.«

»Ich lasse niemand gern umsonst für mich arbeiten; das bezahlt sich nicht,« versetzte ich. »Und ich bin nicht in der Lage, Ihnen so viel zu geben, als Sie, wie mir scheint, beanspruchen können. Die zwei Monteure der Ankerwerke, die Sie hier sehen, werde ich zurücksenden, sobald die Maschinen zusammengestellt sind. Dann will und werde ich mit den Schwarzen auskommen. Ich kann Ihnen deshalb nicht mehr zahlen, als ich einem dieser Leute gebe: zwei Dollar den Tag.«

»Ganz vernünftig!« sagte der Amerikaner trocken. »Ich heiße Stone. Morgen früh werde ich hier sein.«

Der Mann in seiner ruhigen, geraden Weise gefiel mir wohl. ›Es gibt doch auch in diesem kuriosen Lande vernünftige Menschen, überlegte ich. Wenn sie Dampfpflügen lernen wollen, um so besser; Hunderte müssen es lernen, ehe ich hier fertig sein kann. Geheimnisse gibt es bei der Dampfpflügerei kaum. Die es gibt, lernt man nur in ein paar Jahren harter Arbeit, zu der mir jeder Yankee willkommen sein soll. Der Horizont fing an, sich ein wenig auf zuhellen und der Mut mir fühlbar zu wachsen, als ich in der Abenddämmerung einen letzten Blick über die Levees warf und den Schornstein der ersten meiner Maschinen über die Baumwollballengebirge hervorragen sah. Ich hatte ihn bloß zu diesem Zweck im letzten Augenblick noch aufstellen lassen. Es war unsre Standarte, die ich auf dem Boden von Louisiana aufgepflanzt sah, und die Hoffnungen, die ein solches Zeichen weckt, erfrischen, auch wenn sie niemals in Erfüllung gehen.

Die nächsten fünf Tage verliefen in gewohnter Arbeit, wenn auch in etwas ungewohntem Geleise. Stone war eine große Errungenschaft und arbeitete fleißig mit Kopf und Händen. Bei den Negern war die Neugierde und der Eifer des ersten Tages allerdings rasch verdampft, aber die gutmütige und gutwillige Kraft des Herrn Bucephalus und die naseweise Intelligenz des kleinen Jem, der als der Schlauste der Bande die andern mit komischer Überhebung kommandierte, förderten die Zusammenstellung der Maschinen so, daß die Arbeit hinter dem üblichen Tempo nicht zurückblieb. Der junge Owen besuchte uns gelegentlich, beschäftigte sich aber allerdings ausschließlich mit dem geplanten Frühstück, mit dem der erste englische Dampfpflug auf dem Boden der Südstaaten seine rettende Tätigkeit beginnen sollte. Ich war hierfür von Herzen dankbar und überließ ihm mit Freuden die ganze Sorge für diesen, wie es schien, hochwichtigen Teil unsrer Aufgabe. Lawrence stattete mir zweimal seinen Besuch ab. Sein Bruder war noch immer im Norden. Er selbst wohnte im Hause seiner Schwägerin, einer reichen Kreolin, und war damit beschäftigt, Verkaufsverträge für den Zucker der nächsten Ernte abzuschließen. Dies hielt ihn noch auf mehrere Wochen in der Stadt zurück und gab ihm Zeit, sich dem Dampfpflug zu widmen, den er mehr und mehr als seine Schöpfung ansah und mit wachsendem Eifer unter seinen Schutz nahm. Seine Sonderaufgabe blieb die Leitung der Presse. Der »Picayune« machte schon zum drittenmal auf die bevorstehende Rettung des Südens aufmerksam, während die mir persönlich weniger bekannte »Tribüne« laut auf die großartige Feier hinwies, die bei dieser Gelegenheit im Ausstellungspark stattfinden und voraussichtlich die ganze landbesitzende Aristokratie Louisianas an festlicher Tafel vereinigen werde. Wohl zum erstenmal, nach langer, bitterer Unterbrechung, dürfte in greifbarer Weise die Erinnerung an den alten Glanz des Südens wieder auftauchen. Ohne indiskret zu sein, glaubte die »Tribüne« darauf hinweisen zu können, daß Monsieur Mercier, der Chef de cuisine des ersten Restaurants der Kanalstraße, seit Wochen mit der Zusammenstellung eines exquisiten Menüs beschäftigt sei und daß eine schwere Sendung Sekt mit dem nächsten Dampfer von New York erwartet werde; Nachrichten, die ich nicht ohne Besorgnis entgegennahm. Nur die »Crescent City News« blieben weniger guter Laune und erzählten von den riesigen Eisenmassen des englischen Dampfpflugs, »die unsere herrlichen Levees am Fuß der Tschapatulastraße mit Zerstörung bedrohten«. »Geduld!« meinte Lawrence, bis wir den Redakteur bei dem Eröffnungsschmaus gehabt haben. Er ist von Natur kein schlechter Mensch, aber hungrig wie alle ReisesackPolitiker. Ich selbst kam jeden Abend müde genug nach Hause und war mit der Arbeitsteilung, die sich wie von selbst unter meinen unerwartet heranwachsenden Mitarbeitern vollzogen hatte, höchlich befriedigt. Es kam sichtlich ein gewisser Zug in die Sache; auch gewöhnt man sichs ab, in derartigen Lagen allzuweit in die Zukunft sehen zu wollen. Jeder Tag bringt schließlich von selbst seine Aufgabe und die Zeit deren Lösung.

Auch den Geschäftsführer der Landwirtschaftsgesellschaft, Herrn Delano, lernte ich in diesen Tagen kennen, der sehr elegant gekleidet war, sieben Ringe an jeder Hand trug und durchbohrte Ohrläppchen besaß, die in seiner Jugendzeit wohl auch. mit Ringen geschmückt gewesen waren. Trotzdem gefiel er mir nicht allzusehr. Die Komiteesitzung seines Vereins hatte mittlerweile stattgefunden und nach einer stürmischen Beratung den Preis von siebenhundertfünfzig Dollar für den besten Dampfpflug nachträglich bewilligt. Herr Lawrence hatte mit dem Austritt seines Bruder. drohen müssen, der im fernen Norden von der ganzen Sache natürlich nichts wußte, um die Opposition der Herren zu überwinden, die mürrisch auf die völlige Ebbe in der Gesellschaftskasse hinwiesen. Aber mein Freund hatte einen guten Tropfen echten Yankeeblutes in den Adern und damit ein unzerstörbares Vertrauen in die Zukunft.

»Kein Geld!« rief er; »Unsinn! Wir brauchen kein Geld. Dieser gute Eyth pflügt uns acht Tage lang im Ausstellungspark. Unser Herr Delano rührt die Trommel, was er meisterlich versteht. Ganz Louisiana will den Dampfpflug sehen. In zwei Tagen was! in einem halben Tag hat sich Eyth seinen Preis selbst verdient. Alles übrige fließt in die Gesellschaftskasse.«

»Und wenn der ganze Dampfpflug ein verflixter englischer Humbug ist?« warf der mürrische Geschäftsführer ein. »Fragen Sie einmal im Bureau der Crescent City News nach, Herr Lawrence.«

»Um so besser!« rief Lawrence, entrüstet über Delanos böswillige Kurzsichtigkeit. »Dann will jedermann den englischen Humbug sehen; wir brauchen keinen Preis zu bezahlen, und das ganze Eintrittsgeld gehört der Gesellschaft!«

»Die Opposition war vernichtet. Lawrences Vorschlag wurde einstimmig angenommen, worauf er mir mit der größten Zutraulichkeit den Verlauf der Verhandlung mitteilte. Er hatte die große Gabe, jedermann davon zu überzeugen, daß er unter einer Decke mit ihm stecke. Da der Beschluß schon zwei Tage zuvor in allen Zeitungen gestanden hat, war mirs doch nicht unangenehm, daß wir durchdrangen,« schloß er seinen Bericht. »Wann kann die Vorstellung losgehen, Herr Eyth?«

Die zwei Straßenlokomotiven mit ihren Drahtseiltrommeln, ein Sechsfurchenkipppflug, ein Kultivator, eine Egge und zwei Wasserwagen standen fast fertig um uns her, als mir Lawrence all dies erzählte. Ich fuhr nun zum erstenmal mit ihm nach dem Ausstellungspark im Osten der Stadt, um unser künftiges Schlachtfeld anzusehen. Etliche sechzig Hektar leidlich. flachen Landes waren dort von einem eleganten weißen Zaun und einem tiefen Entwässerungskanal umgeben, über den eine breite hölzerne Brücke führte. Da und dort standen malerische Gruppen von Akazien und uralten Hickorybäumen, deren knorrige, teilweise kahle Aste die wirren Girlanden des »hängenden Mooses« schmückten, das den Sumpflandschaften des Mississippi eigentümlich ist. Da und dort ragten aus dem Boden noch verkohlte Stämme und Wurzeln; ein nicht unbedenklicher Anblick für einen Dampfpflüger. Ob der Boden, der an vielen Stellen unter unseren Tritten fühlbar schwankte, meine Maschinen tragen würde, mußte ebenfalls erst die Erfahrung zeigen. Aber alle diese Bedenken konnten das rollende Rad des Geschicks jetzt nicht mehr aufhalten. Im stillen nagte eine viel schwerere Sorge an meinem Herzen. Wie wird vor der ganzen Aristokratie Louisianas, von der ich fortwährend hören mußte, das Pflügen gehen, mit nicht einem Manne außer mir selbst, der die Behandlung der Maschinen und die notwendigsten Handgriffe bei ihrer Bedienung kannte? Wenigstens an drei Punkten, die Hunderte von Metern auseinander liegen: auf dem Pflug und auf jeder der zwei Dampfmaschinen war ein Mann dringend erforderlich, der wußte, was er zu tun hatte, wenn nicht alles in Stücke gehen sollte. Aber es wäre Wahnsinn gewesen, diese Sorge meinen neuen Freunden anzuvertrauen. Ihr Glaube mußte aufrechterhalten werden, solange noch eine Möglichkeit vorhanden war, in diesen Park hinein und mit heiler Haut herauszukommen. Mit einer nagenden Angst auf der Seele mutig zu lächeln, will gelernt sein. Ich hatte zum Glück diese Kunst nicht zum erstenmal geübt.

Die Herren, die meinen Pflug zu verbessern wünschten, hatten sich mit der Zeit stetig vermehrt und waren unerschöpflich in ihren Vorschlägen. Als ich am sechsten Tage die Kessel mit Wasser füllen ließ und die ersten weißen Rauchwölkchen schüchtern aus den Schornsteinen stiegen, waren sie in Scharen versammelt und prophezeiten allerhand Unheil. Ich hatte beschlossen, zuerst nur eine Maschine mit dem Pflug nach dem Ausstellungsplatz zu führen und die zweite am folgenden Tage zu holen. Deshalb nahm ich zunächst Stone und den kleinen Jem auf den Tender, um ihnen den ersten Unterricht im Führen einer Straßenlokomotive zu geben. Dies beleidigte Bucephalus aufs schwerste. Der riesige Neger konnte nur durch das Versprechen getröstet werden, daß er am folgenden Tage die zweite Maschine führen solle und heute mit einer roten Flagge vorauslaufen dürfe, um uns die Straße freizuhalten. Mit fast übermäßigem Eifer stellte er sich auf seinen Posten, wo er seine Tätigkeit damit begann, an die sich ansammelnde, hundertköpfige Volksmenge erklärende Reden zu halten. Als aber nach einer Stunde, die wir zur Dampfentwicklung brauchten, die Maschine ihre ersten Bewegungen machte und das Ungetüm langsam über die krachende Levee hinschlich, erschrak er so heftig, daß er eine halbe Stunde lang still, mit gesenktem Kopfe und in achtbarer Entfernung von der Maschine voranging, ohne sich seiner führenden Stellung bewußt zu werden. Später kam er wieder zu sich und begann aufs neue der Menge zu predigen, wobei er alte Bibelsprüche und seine jüngst erworbenen, noch etwas wirren technischen Kenntnisse wundersam zu mischen verstand. Beim Einbiegen in die Kanalstraße liefen einige Droschkenpferde in wildem Schrecken davon. Dies setzte die Stadtpolizei in Bewegung. Fünf Dollar genügten auch hier, ihr wohlwollendes Interesse an uns zu fesseln, so daß der brausende Festzug ohne Zwischenfall von Bedeutung nach drei Stunden einer ermüdenden Fahrt mitten durch die große Stadt im Ausstellungspark anlangte. Nur in der äußersten Vorstadt, wo ich Jem seinen ersten Versuch machen ließ, die Maschine allein zu steuern, hatten wir den Eckpfeiler eines unbedeutenden Biersalons mitgenommen. Da sich jedoch infolge dieser kleinen Verirrung die Kundschaft des Wirts für den Augenblick verzehnfachte, fand derselbe zu unliebsamen Auseinandersetzungen weder Zeit noch Lust. Die Sache wäre völlig unbemerkt geblieben, wenn nicht am folgenden Morgen die »Crescent City News« eine Notiz gebracht hätten, die bewies, daß der Redakteur noch immer hungrig war. Sie lautete:

»Der englische Dampfpflug begann gestern seine Tätigkeit damit, den eleganten Biersalon des Herrn Henry Cooper an der Ecke der 42. Avenue und der Show Park Road mitzunehmen. Menschenleben sind nicht zu beklagen. Im Gegenteil. Die Frau des Gastwirts, eine unsrer geschätztesten Mitbürger, die sich zur Zeit der Katastrophe im oberen Stockwerk des mitgenommenen Hotels befand, soll unsrer großen Republik fast gleichzeitig, wenn auch in etwas überstürzter Weise, einen gesunden kleinen Mitbürger geschenkt haben. Wir wünschen dem achtbaren Ehepaar von Herzen Glück zu dieser Wendung der Dinge, möchten es dem unförmigen englischen Dampfpflug aber trotzdem nahelegen, namentlich mit Rücksicht auf unsere Damen, seine Tätigkeit für die Regeneration des Südens in etwas weniger gewaltsamer Weise auszuüben.«

Als wir am Abend des folgenden Tags mit der zweiten Maschine an dem erschütterten Salon vorüberkamen, unterließ ich nicht, einzutreten, um auch meinerseits der Familie meine Glückwünsche darzubringen. Ich fand den Salon schon provisorisch genügend gestützt und in blühendem Geschäftsaufschwung. Herr Cooper war vollständig befriedigt, denn meine Maschinen brachten ihm Gäste, wie er sie in seiner bescheidenen Trinkstube noch nie gesehen hatte. Im übrigen versicherte er mir, er sei kein Amerikaner, sondern ein Irländer, sei nie verheiratet gewesen und denke nicht daran, es zu werden. Und da der Salon kein zweites Stockwerk besaß, in dem das interessante Ereignis, von dem die »Crescent City News« berichteten, hätte stattfinden können, so mußten wir wohl annehmen, daß die Nachrichten auf einem kleinen Mißverständnis beruhten. Erfreut hierüber trank ich mit meinem auf diese Weise gewonnenen neuesten Freund zwei Gläschen seines schauderhaften Whiskys und versprach, ihm auch künftig meine Kundschaft zuzuwenden, sobald ich körperlich genügend gekräftigt sein würde.

Doch eine weit größere Freude und Überraschung stand mir an jenem sichtlich glückbringenden Tage bevor. Es war schon Abenddämmerung, als Bucephalus mit seiner roten Flagge über die Holzbrücke des Ausstellungsparks einzog. Er hatte nämlich selbst vorgezogen, ständiger Bannerträger der Dampfkultur zu bleiben, nachdem ihm tags zuvor der kleine Jem, schwärzer als je und halb gebrochen, die Leiden eines Heizers geschildert hatte. Da bemerkte ich schon aus der Ferne und mit wachsender Entrüstung, auf der ersten Maschine, die gestern unter dem Hickorybaum mitten im Park stehengeblieben war, eine geheimnisvolle Gestalt. Der Mann hatte die die Maschine schützende geteerte Leinwanddecke halb zurückgeschlagen und schien, auf dem Tender kniend, in seine Arbeit versunken zu sein. Als wir näher kamen, bemerkte ich sogar, daß der Werkzeugkasten vor der Rauchkammer jener Maschine geöffnet war. Das war denn doch zu bunt, selbst für die Neugier eines verbesserungssüchtigen Yankees. Ich gab Stone den Anlaßhebel unsrer Maschine in die Hand, sprang ab und lief auf die andre zu, um den Eindringling womöglich in flagranti abzufangen. Er bemerkte mich nicht, so fleißig war er an der Arbeit, und mein Erstaunen wuchs, als ich wahrnahm, daß der Mann damit beschäftigt war, ein neues Wasserstandsglas einzusetzen, das er in dem Werkzeugkasten gefunden haben mußte. Das alte war nämlich bei dem Zusammenstoß mit dem Biersalon schon gestern zerbrochen. Unerklärlich! Aber dennoch, welche Unverschämtheit! Der Fremde kniete mit gesenktem Kopf vor der Kesselwand, noch immer ohne aufzusehen. Ich sprang auf den Tender, entschlossen, ihn an den Ohren zu packen, was auch aus der Begegnung werden würde. Da, nicht eine Sekunde zu früh, hob er den Kopf auf. Ein rundes, mir wohlbekanntes Gesicht mit treuherzigen blauen Augen, aber mit der mir ebenso bekannten steinernen Ruhe, sah er mir entgegen und sprach: »Guten Abend, Sir!« Dann fuhr der Fremde in seinen Versuchen fort, einen eigensinnigen kleinen Kautschukring über die neue Glasröhre zu ziehen, die er an Stelle der zerbrochenen einschalten wollte.

Es war Jem! Jem Parker, der Monteur und Dampfpflüger, den ich mit dem »Wilden Westen« erwartet hatte. Er hatte sich in Schottland bei der Aufstellung eines andern Dampfpflugs verspätet, wurde mit einem der nächsten Schiffe nach New York geschickt und kam von dort über Land mit der Bahn nach New Orleans. Er hatte heute früh nach viertägiger Eisenbahnfahrt die Stadt erreicht, hatte sich nach dem Ausstellungspark durchgefragt und dort die einsame Maschine gefunden. Und da er bei näherer Betrachtung das zerbrochene Wasserstandsglas entdeckte und der Werkzeugkastenschlüssel tags zuvor steckengeblieben war, hatte er in aller Gemütsruhe angefangen, ein neues Glas einzusetzen, wie wenn nicht viertausend Meilen zwischen seiner heutigen und seiner letzten Beschäftigung lägen. Er habe gedacht, es werde schon jemand kommen und nach ihm sehen. Das alles kam in kurzen, trockenen Sätzchen heraus, ohne daß er seine Arbeit dabei unterbrach. jetzt saß das Glas zu seiner Zufriedenheit an der richtigen Stelle; er probierte die Hahnen und schüttelte wegen des niederen Wasserstandes vorwurfsvoll den Kopf. Dann richtete er sich auf, zog wortlos einen Brief aus der Jacke, die er unter dem Rock trug, und gab ihn mir. Derselbe war von Herrn Fowler in London und erklärte, wie es kam, daß Parker erst mit einem späteren Schiff abgereist sei. Zwei Leute könne er mir zu seinem Bedauern nicht schicken. Es seien alle verfügbaren brauchbaren Kräfte vollauf beschäftigt. Ich müsse mich mit Parker behelfen, so gut ich könne. Ich hätte mich in Ägypten ja auch schon in ähnlichen Lagen glücklich herausgewunden.

Dies war richtig; und zugleich war mir ein förmlicher Stein vom Herzen gefallen. Stone und der kleine schwarze Jem, wenn sie auch gelegentlich einen Biersalon umfahren mochten, waren anstellige Leute. Nun hatte ich noch den weißen Jem, der das Handwerk verstand, und mich. So konnte die Sache doch nicht völlig schief gehen und die Regeneration des Südens, von der seit acht Tagen halb New Orleans sprach, allen Ernstes beginnen.

Seit ich Amerika betreten hatte, war ich nie so müd und wohlgemut nach Hause gekommen wie an jenem Abend, spielte zum erstenmal wieder Schach mit Oberst Schmettkow und gewanns.


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