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Der Kampf

Der prachtvolle ägyptische Morgen brach an wie alltäglich und fand alles in Bewegung, nachdem ich die Leute, die zunächst nötig waren, mit freundlichen Worten und dem Stock meines Sais ein wenig ermuntert hatte, in jener fünftausendjährigen Sprache des alten Nillandes, in der ich mich schon ziemlich deutlich ausdrücken konnte und die, wenn sie richtig und ohne boshaften Ernst gesprochen wird, dem Fellah nicht nur die verständlichste, sondern, man könnte fast glauben, auch die liebste ist.

Die gebrochene Kette wurde durch eine neue ersetzt, die mit Schlamm überzogenen Räder gewaschen, die beiden Maschinen an den Feldenden aufgestellt, die Seile ausgezogen und am Pflug befestigt, und dieser, ein gewöhnlicher Vierfurchenpflug, zum Beginn der Arbeit bereitgestellt. So sah das Ganze, mit Howard an einem und Fowler am anderen Ende der fünfzig Hektar, in der Ferne fast aus, als ob wir in England stünden. Wären wir tatsächlich dort gewesen, mit englischen Arbeitern auf den Maschinen, so hätte ich mit ruhiger Zuversicht den nächsten Stunden entgegengesehen. So aber frühstückte ich doch mit einigem Herzklopfen. Meine braven Fellachin waren wohl voller Eifer und hatten sich sogar feiertäglich herausgeputzt. Aber wer konnte wissen, was uns bevorstand? Mit Allah läßt sich nicht spaßen. Er gibt den Sieg, wem er will, sagt sein Prophet, und seine Gläubigen beugen sich, ohne zu murren. So weit sind wir Christen noch lange nicht.

Um acht Uhr kam Bridledrum mit seinen Leuten von Kairo, und auch die Howardsche Maschine begann zu rauchen. Ich zeigte ihnen alles, was für sie vorbereitet war: ihre abgewogenen Kohlen, die wir zusammen nachwogen, die Einrichtung für ihre Wasserzufuhr, die Kanne Schmieröl, die ihnen zur Verfügung stand. All das wurde von der Gesellschaft mit stummen Zeichen des Einverständnisses, jedoch etwas mißtrauisch, entgegengenommen. Dann stattete ihr erster Dampfpflüger, ein wackerer Bedfordshiremann, meinen Maschinen einen Besuch ab, und zum erstenmal erschien auf seinem breiten, ehrlichen Gesicht ein Lebenszeichen: schmunzelnde Zufriedenheit. Die Maschinen sahen allerdings nicht aus, als ob sie für ein Siegesfest aufgeputzt wären. Und die Nigger! Der Mann, der schon auf Barbados in den Antillen gepflügt hatte, teilte seit jener Zeit die Menschheit in zwei Klassen: Engländer und Nigger. Ein Fowlerscher Pflug, und bloß Nigger, die ihn bedienten! Das konnte nicht ernst gemeint sein.

Von neun Uhr an kamen Esel, Pferde und selbst Wagen aus Kairo, verirrten sich in allen Enden und Ecken des Guts – die meisten schienen zu glauben, die Prüfung finde in meinem Hause statt – und sammelten sich schließlich im Versuchsfelde: Bridledrums Freunde aus dem Hotel Shepheard, die Witwe mit ihrem Söhnchen voran, O'Donald, voller Eifer, mich gegen Bridledrum und Bridledrum gegen mich aufzuhetzen. Doktor Beinhaus, ernst und kampfesgrimmig wie immer, Heuglin mit der Ruhe eines schwäbischen Philosophen, den die Sonne Afrikas gedörrt hat. Der Vizekönig kam nicht; an seiner Stelle dagegen in prächtigem Wagen hinter zwei wunderbaren arabischen Hengsten und in voller ägyptischer Amtstracht sein Finanzminister Sadyk, damals noch Bey, und zwei Adjutanten. Dann folgten kleine Paschas und große Grundbesitzer – Nubar, Sheriff und andre, die hilflos auf dem Felde herumstanden und sich gegenseitig die wunderbaren Dinge zu erklären suchten, die sie nicht verstanden. Um halb zehn erschien Halim in dem eleganten Korbwagen, den er benutzte, wenn er den Landwirt spielte, mit seinem ständigen Adjutanten Rames Bey an der Seite, dem baumlangen Tscherkessen in goldstrotzender Mameluckentracht, dessen Hauptaufgabe es zu sein schien, seinem kleinen, nervös lebhaften Herrn alle drei Minuten eine neue Zigarette zu reichen, die dieser nach zwei Zügen wegwarf. Der Pascha begrüßte zunächst seine vornehmsten Gäste, die sich tief vor ihm verneigten, dann schüttelte er Bridledrum die Hand und ließ sich den Howardschen Apparat von ihm erklären, alles mit scharfen Blicken prüfend, aber ohne ein Wort zwischen die nicht ganz gewöhnlichen französischen Phrasen des Engländers zu werfen. Darauf rief er mich heran und meinte, daß für alle Anwesenden eine möglichst kurze Prüfung genügen würde. Jeder Apparat möge, um halb elf beginnend, eine volle Stunde arbeiten und so viel und so gut pflügen, als es ihm möglich sei. In einer Stunde könne sich dann jedermann selbst seine Meinung bilden.

Ich hätte lieber wenigstens einen halben Tag lang gepflügt; dabei hätte sich deutlicher zeigen können, was jedes der zwei Systeme wert ist. Doch blieb uns beiden, Bridledrum und mir, vorläufig nun nichts weiter übrig, als in zehn Minuten draufloszuarbeiten, so gut wir konnten. Wir gingen jeder zu seinen Maschinen. Halim, einen riesigen Chronometer in der Hand, blieb mit der Mehrzahl unsrer Gäste um Howards Apparat. Ich konnte ungestört nachsehen, ob alle Maschinenlager genügend geschmiert waren. Auch die Leute schienen es zu sein. »Fünfzig Piaster Mann für Mann, wenn uns Allah den Sieg verleiht!« war die Losung, die von Mund zu Mund ging, und Achmed schraubte, ohne daß ich es bemerkte, die Federbelastung der Sicherheitsventile fester, um wenigstens die Dampfspannung etwas höher halten zu können, als erlaubt war. Wenn Allah bestimmt hatte, daß wir in die Luft fliegen sollten, waren ja doch alle Sicherheitsventile nutzlos. Die Engländer hatten, wie ich nachher entdeckte, in aller Ruhe das gleiche getan.

Ein dreifacher Pfiff verkündete, daß es halb elf war. Emsig keuchend stießen die Maschinen ihre weißen Dampfwolken in den tiefblauen Himmel und begannen die mächtigen Pflüge in den Boden zu ziehen. Es knirschte und krachte, daß es eine Freude war. Für mich war dies alles natürlich ein alltägliches Vergnügen. Der Acker mit seinen fürchterlichen Kämmen und Wasserfurchen in dem steinharten Boden, die der Baumwollbau mit sich bringt, war eines der Durchschnittsfelder, wie ich sie jeden Tag aufzubrechen hatte. Wie ein Schiff im Sturm schwankend glitt der Pflug vorwärts; etwas zu schnell, so daß man ihm nur halb im Trabe folgen konnte. Die fünfzig Piaster wirkten, und mächtige Schollen, kleinen Felsblöcken gleichend, wurden wild auf die Seite geschleudert. Ich ließ den Pflug die dreihundert Meter lange Strecke zwischen den beiden Maschinen ein paarmal hin und her laufen und ermahnte die Maschinenwärter, nichts zu überstürzen. Es war nicht nötig, überschnell zu arbeiten. Dann konnte ich Howards Apparat einen Besuch abstatten.

Schon bei seiner ersten Bewegung von einem Acker zum andern war der Pflug zweimal stillgestanden. Das eine Mal hatte der Anker in dem steinharten Boden nicht gefaßt und sich dem Pfluge entgegen in verzweifelten Sprüngen auf die Wanderschaft gemacht. Beim zweiten Stillstand hatten die Engländer mit der Ruhe, die sie nie verläßt, einen der vier Pflugkörper des Gerätes abgeschraubt und auf diese Weise den Vierfurchen- in einen Dreifurchenpflug verwandelt. So ging es besser, wenn auch noch immer langsam und in gewaltigen, stoßartigen Zuckungen. Die Maschine war sichtlich zu schwach für einen derartigen Boden.

»Nun, Herr Bridledrum,« fragte ich meinen Freund und Gegner, »wie gefällt Ihnen Ägypten? Sie bemerken wohl, es ist nicht alles Sand hier?«

»Heißen Sie das Erde? Verfluchte Backsteine!« antwortete er grimmig. Er war offenbar an der Grenze seiner Spannkraft angelangt. Ich wußte es aus Erfahrung: Es ist keine Kleinigkeit, lächelnd die Vorteile eines Systems zu preisen, während man jeden Augenblick erwartet, ein Seil reißen oder einen Anker in die Luft fliegen zu sehen. Halim war zu den Fowlerschen Maschinen hinübergegangen. Bridledrum konnte Atem holen und sich mir gegenüber etwas gehen lassen.

»Ich glaube, Sie haben das härteste Feld im ganzen Nilland für uns ausgewählt,« fuhr er mit einem Lächeln fort, unter dem es kochte. »Macht nichts, Herr Eyth, macht nichts! So haben wir es am liebsten. Wir werden Ihnen schon zeigen, was pflügen heißt. – Der verteufelte Anker!!«

Am fernen Ende war der Eckanker wieder ausgerissen. Bridledrum trippelte ungeduldig in der keineswegs musterhaften Furche herum. Der Gang des Pflugs war zu unstet, um eine regelmäßige Tiefe einhalten zu können. Doch war ich zu höflich, darauf hinzuweisen; es war klar, ich konnte unbeschadet des Endergebnisses alle Rücksicht auf die Gefühle meines Gegners nehmen. Wir sahen, während der widerspenstige Anker zurückgeschleppt und wieder in den Boden eingelassen wurde, nach Fowlers Pflug hinüber, der ruhig, aber mit gefährlicher Geschwindigkeit durch das Feld segelte. Aus der Ferne sah sich dies vortrefflich an, namentlich für die ahnungslosen Zuschauer, welche nichts von den zitternden Schrauben und Zapfen wußten, die, wenn die höllischen Mächte es wollten, jeden Augenblick eine Katastrophe herbeiführen konnten. Der Pflug jagte jetzt förmlich, in eine haushohe Staubwolke eingehüllt. Ich nickte Bridledrum ermunternd zu und beeilte mich, nach meinen Maschinen zu kommen.

»Langsam, ya salaam, langsam!« rief ich Achmed schon aus weiter Ferne zu. Es half nichts. Er konnte mich in dem Lärm nicht hören. Seine Maschine brauste und klapperte weiter, schwankend und bebend. Beide Sicherheitsventile sandten senkrechte Dampfstrahlen gen Himmel. Die Heizer schaufelten die Kohlen in die Feuerbüchse, als wären sie besessen.

»Langsam, langsam!« schrie ich; »wo ist mein Dragoman?«

Keuchend kam Abu-Sa auf seinem Esel übers Feld. Er hatte auch bei Howard hospitiert und erhielt eine Ohrfeige. Da er ein Christ und ein Schriftgelehrter war, kam dies selten vor und verstimmte ihn ein wenig. Doch blieb er jetzt an meiner Ferse hängen wie mein Schatten und schimpfte in meinem Namen mit löblicher Energie. Aber all unsre Bemühungen schienen keinen merklichen Einfluß auf das stürmische Tempo des Pflügens zu gewinnen. Stand ich auf dem Tender hinter Machmud, dem Führer der ersten Maschine, so jagte die zweite am entfernten Feldende, als wäre sie toll geworden. Eilte ich dorthin und riß Achmed den Steuerhebel aus der Hand, so schien Machmud entschlossen, die verlorenen Sekunden wieder einzubringen, auch wenn alles in die Luft fliegen sollte. Erst nach zehn Minuten dieser nicht zu bändigenden Raserei wurde mir die Ursache von Abu-Sa erklärt. Während meines Besuches bei Bridledrum war Halim Pascha auf den Fowlerschen Maschinen gewesen. Das Feuer des Wettkampfes hatte ihn gepackt. Er hatte beiden, Achmed und Machmud, einen Theresientaler in die Hand gedrückt und mit seinem verstohlenen Lächeln zu den Leuten gesagt: »Oh, ihr Gläubigen! Wenn ihr heute diese Engländer da drüben besiegt, so erhaltet ihr ein Backschisch! – ein Backschisch!! ein englisches Pfund, jeder, der mitgearbeitet hat!«

»Inschallah!« hatten sie alle inbrünstig gerufen und waren bereit, mit den Maschinen in die Luft zu fliegen. Tut nicht Allah, was er will, auch mit den Dampfmaschinen?

Ganz wie ein Mensch muß sich auch ein Pflug an seine Arbeit etwas gewöhnen, ehe er zeigen kann, was in ihm ist. Howards Gerät lief jetzt besser und stetig, wenn auch nur halb so schnell als das unsre. Ein stattlicher schwarzbrauner Streifen frischgepflügten Landes lag schon hinter uns, schätzungsweise zweimal so breit als der am andern Feldende, und anzusehen, als ob ein Afrit die Erdklumpen umhergeschleudert hätte. Hübsch gepflügt konnte man es nicht nennen. Aber wer weiß in Ägypten, oder wer will wissen, was hübsch gepflügt ist? Staunend und den Propheten anrufend liefen die aufgeregten Türken des Vizekönigs den letzten Furchen entlang und sprangen, ihre Pluderhosen zusammenraffend, entsetzt zur Seite, wenn der Pflug in seiner Staubwolke knirschend und prasselnd an ihnen vorüberglitt. Beinhaus und Heuglin gingen ernst und schweigend auf und ab. O'Donald gestikulierte heftig mit Bridledrum, der sich vergebens bemühte, seinen Leuten ein anderes Tempo beizubringen. Beide wußten nicht, daß die Wackeren stumm und ingrimmig taten, was irgend möglich war.

Zweiundvierzig Minuten unsrer Stunde waren abgelaufen. Ich stand auf Machmuds Maschine, als ein kleiner Fellahjunge, von Achmed kommend, atemlos über das Feld gelaufen kam und zu mir heraufkletterte. »O Baschmahandi!« schrie er mir in die Ohren, »komme eiligst, Achmeds Vapor ist erkrankt.«

Vapor ist neuarabisch für alles, was vom Dampf getrieben wird. – »Der Kuckuck! Dacht' ich mir's doch!« rief ich wütend, sprang von der Maschine und rannte über das Feld. Abu-Sa hinter mir her, die beiden Esel nachschleppend. Doch es rauschte und brauste noch alles in scheinbar bester Ordnung. Nur noch fünfzehn – nur noch zwölf Minuten!

Achmed stand neben seiner Maschine, die im Augenblick nichts zu tun hatte, da die andre den Pflug zog. Er war mit der Speisepumpe beschäftigt, immer ein schwacher Punkt des Ganzen, und schraubte an dem Ventilkasten herum, der zwischen dem Kessel und der Pumpe sitzt. Die Dichtung der Flansche desselben hatte nachgegeben, und ein dünner Wasserstrahl schoß aus der haarfeinen Öffnung heraus, die sich durch kein Festschrauben schließen lassen wollte. Das Schlagen des Ventils war nicht mehr hörbar: die Pumpe versagte. Konnte dies nicht wieder in Ordnung gebracht werden, so mußten wir in einigen Minuten aufhören, wenn wir aus Wassermangel den Kessel nicht fünf Minuten später in die Luft sprengen wollten. Ich drückte mit einem Schraubenschlüssel einen Putzlappen auf die entstandene Spalte, so daß der Wasserstrahl, der immer größer und heftiger hervorschoß, zurückgehalten wurde, und sofort hörte man das tröstliche Schlagen des Ventils, welches bewies, daß das Speisewasser wieder seinen richtigen Weg in den Kessel fand. Nur dauerte es nicht lange. Der Wasserstrahl fand seinen Weg an dem Schlüssel vorbei, unter dem Schlüssel durch; das Ventil hörte wieder auf zu schlagen. Doch Achmeds Augen funkelten. Er hatte einen Gedanken; nur war keine Zeit, darüber zu sprechen. Mit einem Riß hatte er beide Ärmel seiner zerlumpten Bluse abgerissen, ließ sich von seinem Heizer Werg und Putzlappen, die reichlich vorhanden waren, um beide Hände und Arme wickeln und mit den Fetzen seiner Bluse umbinden. Dann drückte er, eine Hand auf die andre gestützt, mit aller Kraft gegen die haarfeine Spalte unter der heißen Ventilflansche. So war der Wasserstrahl fast gänzlich gehemmt. Die Pumpe arbeitete mit lautem Schlagen. Der Pflug war am andern Ende angekommen. »Bravo, Achmed!« rief ich, »vorwärts da droben!« Der Heizer verstand die Handgriffe so weit, um die Maschine in Bewegung zu setzen, die jetzt rasselnd und klappernd den Pflug heranzog. Die augenblickliche Gefahr war vorüber. Man konnte weiterpflügen.

Achmed hielt fest. Die Pumpe arbeitete. Aber das Wasser fing an, ihm zwischen den Fingern durchzulaufen. Man sah in seinem Gesicht, daß es siedend war. Die Lumpen um seine Arme dampften. Zum Glück kam soeben ein Wasserwagen angefahren. Ich ließ einen Blecheimer füllen und schüttete selbst dem Helden des Augenblicks einen Strom kalten Wassers über Hände und Arme. »Gut! Gut!« sagte er und hielt fest. Dieses Verfahren war rasch organisiert. Zwei Eimer waren zur Stelle; der eine wurde gefüllt, während ein Fellah mit dem andern fortwährend Achmeds Hände und Arme beschüttete. Zwei-, dreimal rief er aus dem Dampf heraus, in dem er fast verschwand, nach seinem Propheten: »ya nabbi! ya salaam!« Aber er hielt aus. Ich wagte nicht, ihn zu ermuntern. Die Pumpe arbeitete; das Wasser im Kessel, das gefährlich nieder gestanden hatte, war schon um zwei Zentimeter gestiegen. Es war ein wirkliches und wahrhaftiges Heldenstück, von der Mucius-Scävola-Gattung. Schweißbedeckt, selbst naß bis auf die Haut und halb betäubt, sah ich endlich wieder nach Howards Maschine hinüber. Und mit einem Mal – hallo, was war das? –

Ein kleiner dumpfer Knall, bis herüber hörbar, ein lautes, wütendes Zischen, eine ins Riesige wachsende Dampfwolke, welche die ganze Howardsche Maschine einhüllte, aus der ein halbes Dutzend Türken, sich überpurzelnd, herausstürzten! Ihr Pflug aber stand mitten im Feld plötzlich stockstill.

»Festhalten, Achmed! Nur noch drei Minuten festhalten!« rief ich, sprang auf meinen Esel und galoppierte der neuen Unglücksstätte zu. Was geschehen war, wußte ich im ersten Augenblick; es bedeutete nichts Gefährliches, aber doch das Ende der heutigen Prüfung. Ich kannte den Knall. In jeder anständigen Feuerbüchse befindet sich ein sogenannter Sicherheitspfropfen aus Blei, der ausschmilzt, wenn das Wasser im Kessel zu nieder steht. Durch das hierdurch entstehende Loch strömt der Dampf in den offenen Feuerraum, löscht das Feuer aus und verhindert so eine wirkliche Explosion, die durch das Überhitzen der Kesselbleche bei niederem Wasserstand stattfinden würde. Aus irgendwelchen Ursachen – vielleicht war auch bei Freund Bridledrum die Speisepumpe des heftigen Arbeitens müde geworden – war das Wasser zu tief gesunken, so daß der Kessel seine eigne Rettungsvorrichtung in Tätigkeit gesetzt hatte. Es muß in einem solchen Fall ein neuer Bleipfropf eingeschraubt, der Kessel frisch mit Wasser gefüllt und aufs neue Feuer und Dampf gemacht werden, ehe man weiterarbeiten kann. Das heißt: der kleine Unfall kostet einen Stillstand von drei bis vier Stunden.

Als ich bei der verunglückten Maschine ankam, stand der englische Maschinenwärter vor seiner noch immer wild zischenden Dampfwolke, die Wasser und Feuer spie, stumm, grimmig, einen Strohhalm kauend. Im Felde hatten sie schon das Seil vom Pfluge losgehakt. Bridledrum explizierte Halim Pascha mit feuriger Beredsamkeit die unbezahlbaren Vorzüge eines Bleipfropfs in der Feuerbüchse. Die arabischen und türkischen Würdenträger hatten sich mit etwas unziemlicher Hast in ihre Wagen geflüchtet und waren bereits in der Schubraallee und auf dem Wege nach Kairo. Fowlers Pflug lief noch immer über das Feld, als ob dort alles in schönster Ordnung wäre.

»Ich denke, wir können aufhören, Herr Eyth,« sagte der Prinz zu mir, um sich dem Redestrom Bridledrums zu entziehen. Er sah auf seinen Riesenchronometer, den er bisher gewissenhaft in der Hand gehalten hatte, und gab ihn Rames Bey, der das kostbare Kunstwerk ohne Umstände in den bodenlosen Taschen seiner grünen Hosen versinken ließ.

»Siebenundfünfzig Minuten!« fuhr Halim fort, in dem er die Zahl mit einer goldenen Bleifeder in ein vergoldetes Miniaturtaschenbuch eintrug. Er hatte nicht umsonst in der Ecole Centrale zu Paris zwei Jahre lang Technologie studiert. »Sieben – und – fünfzig – Minuten! Null – Komma – fünf – sieben Stunden! Das heißt, das ist wohl nicht ganz korrekt. Wie, Herr Eyth? – Messen Sie jetzt die gepflügten Flächen und legen Sie mir morgen das Ergebnis vor. Herr Bridledrum wird Ihnen Gesellschaft leisten. Sehr hübsch, Herr Bridledrum, sehr hübsch! Die Sache hat mir wirkliches Vergnügen gemacht. Ihr Apparat hat einige Vorzüge, namentlich für englischen Boden, der ohne Zweifel leichter aufzubrechen ist als unser alter Nilschlamm. Adieu, meine Herren!« Er sprang in seinen Korbwagen, Rames Bey ihm nach, die Zigaretten hervorholend, und fort waren die Herrschaften. Auch Abu-Sa, der Dragoman, hatte, auf meinem vielgeprüften Esel querfeldein reitend, die Fowlerschen Maschinen erreicht und schon unterwegs mit Händen und Füßen und lauter Stimme »Stop! Stop!« telegraphiert. Der Pflug war am Ende seiner letzten Furche angelangt und hielt stille. Die Prüfung war zu Ende.

Als auch ich Achmeds Maschine erreichte, um nach dem Burschen zu sehen, lag er mit geschlossenen Augen auf einem Kohlenhaufen und rührte sich nicht. Er schien ohnmächtig geworden zu sein. Mein erster Pflüger Ibrahim, sein noch jugendlicher Schwiegervater, kniete vor ihm und sagte von Zeit zu Zeit: »Malisch! malisch!« zu dem Dutzend Fellachen, die die Gruppe umstanden. Ich wollte nach Öl und Verbandzeug schicken. Ibrahim schüttelte den Kopf und beschäftigte sich eifrig damit, in einem Wassereimer aus einer aufgeweichten Erdscholle einen zähen Lehmbrei zu kneten, den er zolldick um die verbrühten Hände und Arme des Daliegenden klebte. »Gut! sehr gut!« rief das Fellahpublikum, sichtlich bestrebt, mich über die hervorragenden chirurgischen Erfahrungen Ibrahims aufzuklären. Achmed öffnete die Augen, richtete sich auf und sah nicht ohne Befriedigung die zwei Klumpen Erde, die ihm statt der Arme am Leibe hingen. Dann stand er auf, sagte ebenfalls »Malisch« und ging nach der Maschine, um sich von seinem Heizer aus dem notdürftig gereinigten Eimer einen gewaltigen Trunk Wasser reichen zu lassen. Als sein Kopf wieder aus dem Eimer herauskam, sah er erfrischt und vergnügt aus und sagte: »Wo ist das Backschisch, o Baschmahandi?« Ich hatte ein neues englisches Pfund schon seit einer Viertelstunde nervös zwischen den Fingern hin und her gedreht und steckte es jetzt in den Lehm, der seine Hand umgab. »Gut! sehr gut!« rief das entzückte Publikum. »Mir auch – mir auch! Wo ist unser Backschisch?«

»Morgen bekommt ihr euer Teil, wenn ihr es verdient und euch Allah den Sieg verliehen hat,« ließ ich durch Abu-Sa verkündigen.

»Morgen – Inschallah – morgen!« riefen sie alle wie ein Theaterchor. »Er ist gut, unser Baschmahandi, er wird uns ein großes Backschisch geben.« Und dann begann eifriges Beraten, was mit dem großen Backschisch zu machen sei, und lustiges Geplauder, wie das von Kindern um die Weihnachtszeit, während im nächsten trockenen Graben die Vorbereitungen für das äußerst einfache Mittagsmahl der Gesellschaft getroffen wurden.

Bridledrum, O'Donald, meine zwei deutschen Freunde und ich maßen nun mit vereinten Kräften die gepflügten Flächen, Bridledrum in gereizter Stimmung, aus der er sich gelegentlich aufraffte, um O'Donald die Ursachen auseinanderzusetzen, die heute seinen Apparat verhindert hatten, das zu leisten, was er unzweifelhaft sonst überall leistete. Bei der Multiplikation der Länge und Breite der Feldstücke machte er zweimal den Versuch eines ausgleichenden Rechnungsfehlers, aber in diesem Punkte war das rechnerische Gewissen O'Donalds unerbittlich, während Beinhaus dem Agenten über die zuckenden Schnurrbartspitzen einen seiner blutdürstigen Blicke zuwarf, der ihn völlig aus der Fassung brachte. Über die Pflugtiefe wurde wie gewöhnlich heftig gestritten; schließlich schien doch das Ergebnis festzustehen: Fowlers Apparat hatte in der Stunde 8350 Quadratmeter 30 Zentimeter tief, Howards 3800 Quadratmeter 22 Zentimeter tief gepflügt.

»Theorie!« rief Bridledrum verächtlich, als beim dritten Versuch das Multiplizieren keine besseren Früchte tragen wollte, klappte sein Notizbuch zu und rief nach seinem Wagen. Meine Einladung zum Frühstück lehnte er mit finsterer Höflichkeit ab. Die drei andern waren klüger. In einer halben Stunde lagen wir in meinen dunkeln kühlen Zimmern auf den Diwans herum, mischten eiskaltes Nilwasser mit Ungarwein und ließen Deutschland, England und Ägypten, Halim Pascha, Fowler und Howard und selbst Bridledrum hochleben.

Ein harter Morgen war vorüber.


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