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Die erste Großmacht unsrer Zeit

Herrn Lawrences Bruder nahm seinen Knotenstock unter den Arm und rieb sich die Hände vor Vergnügen, als wir Longstreets Bureau verließen. »Sehen Sie, das freut mich!« rief er noch unter der Türe. »Seit sechs Monaten gebe ich mir alle erdenkliche Mühe, den Dampfnigger hierherzubekommen. Aber der Kerl will zu viel Geld und verlangt dazu noch Vorausbezahlung. Das geht nicht. Der Erfinder ist kein Südländer, darauf können Sie wetten, und wenn er zehnmal in Vicksburg geboren wäre. Ein kniffiger Yankee, ohne Zweifel, der kein Herz unter den Rippen hat, wie alle. Nun haben wir dafür einen Dampfpflug und Sie! Und Sie Sie sind« er suchte offenbar nach einem schmeichelhaften Ausdruck, doch was ihm einfiel, schien diesem löblichen Streben kaum zu entsprechen, so kam schließlich nicht viel dabei heraus »Sie sind ein vernünftiger Mensch, ein ganz vernünftiger Mensch! Wenn ich etwas für Sie tun kann, Mister Eyth, rechnen Sie auf mich und meinen Bruder, der in vierzehn Tagen zurückkommt. Sie müssen sich die Magnoliaplantage ansehen, wenn Sie Land sehen wollen und Zucker. Haben Sie die hiesigen Zeitungsredaktionen schon besucht?«

»Nein. Wozu?«

»Was! Sie haben die Redaktionen nicht besucht und einen Dampfpflug am Fuße der Tschapatulastraße? Sie sind wohl nicht bei Trost! Das heißt verzeihen Sie Sie kennen dieses große Land noch zu wenig, lieber Freund. Das erste ist, allen Redakteuren von New Orleans Ihre Aufwartung zu machen. Es ist weitaus billiger als jeder andre Weg. Ich werde Sie begleiten.«

»Sehr gütig, Herr Lawrence,« versetzte ich, »aber ich wollte vor allen Dingen nach meinen Kisten sehen und hauptsächlich auch nach einem Monteur, der im Wilden Westen mitgekommen sein muß und sich nicht zu helfen weiß.«

»Das ist alles Nebensache,« erklärte mein hitziger Freund. »Die Redaktionen müssen Sie besuchen, ohne eine Minute zu verlieren. Ich werde Sie vorstellen. Und dann gehen wir zum Sekretär der Landwirtschaftsgesellschaft. Donnerwetter!« er blieb stehen; es schien ihm plötzlich etwas einzufallen »Ich glaube, ich habe Ihnen versprochen, daß die Gesellschaft morgen einen Preis von siebenhundertundfünfzig Dollar für den besten Dampfpflug aussetzen wird. Wir müssen doch wohl eine Komiteesitzung abhalten.«

Der Hickorystock setzte sich in Bewegung. Lawrence, flink wie ein Wiesel, hinterher. Ich folgte fast willenlos: die kleine Verkörperung eines Wirbelwindes riß mich mit. Ich mußte mich zum wenigsten vergewissern, ob es mit der Komiteesitzung ernst werden würde, von deren noch sehr zweifelhaften Beschlüssen meine nächsten Schritte abhingen.

In der St.-Charles-Straße fanden wir das übliche Gewimmel von Menschen und Tieren. Es war kaum möglich, meinem übereifrigen Führer zu folgen. Da plötzlich, hinter dem Rücken eines vierschrötigen Negers, war er verschwunden, als hätte ihn vor meinen Augen die Erde verschlungen, ohne sich zu öffnen. Ich stand etwas erschrocken und völlig ratlos da, ging auf den Fußsteig der Straße, vom Strom der Vorübergehenden geschoben und gestoßen, zehn Schritte weiter, dann zehn Schritte zurück, und wiederholte dies mit wachsendem Staunen. Lawrence blieb verschwunden. War die ganze Landwirtschaftsgesellschaft von Louisiana samt ihrem Ausschußmitglied eine amerikanische Sinnestäuschung gewesen, deren Bedeutung ich noch nicht begreifen konnte?

Plötzlich hörte ich aus dem Dunkel eines kleinen Tunnels, der unmittelbar von der Straße in ein altes, finsteres Gebäude führte, die mir wohlbekannte Stimme: »Wo stecken Sie denn? Hier haust der Picayune! Kommen Sie! Schnell!«

Ich stürzte mich erfreut in die stockfinstre Nacht, in der mein wiedergefundener Freund völlig zu Hause zu sein schien, erwischte ihn am Rockärmel und war entschlossen, ihn nicht mehr zu verlieren, bis der Preis für den besten Dampfpflug schwarz auf weiß ausgeschrieben war.

»Dies sind die Geschäftsräume des Picayune,« sagte er, mich an der Wand des Tunnels vorwärtstreibend; »das älteste Blatt der Stadt. Die größte Zeitung im Süden. Nehmen Sie sich in acht, was Sie sagen. Guter Demokrat. Südliche Sympathien. Der Redakteur ist Oberst, hat in Texas kommandiert, aber nicht viel Schlachten gewonnen. Mehr Federmann. Hier sind wir!«

Es dämmerte in der Wand, die sich teilweise auf meinen Rock übertragen hatte. Seitlich ging es eine schmale, steile Treppe empor, die den letzten Grad der Abnutzung erreicht zu haben schien, den eine Treppe erreichen kann. Mehrere Herren kamen uns hastig entgegen; auch Arbeiter mit Setzkästen. Es war nicht leicht, hinaufzudringen. Oben summten und rasselten die Pressen. Dort in dem schwülen Halbdunkel eines großen niederen Saals wurden in allen Richtungen feuchte Zeitungsblätter von wunderlich zuckenden und rollenden Maschinen in beängstigendem Takte ausgespien. Lawrence zog mich weiter, durch den Setzersaal. Es war jetzt nicht an der Zeit, Maschinenbewegungen zu studieren. In der kleinen, aber fürchterlichen Höhle, die wir ohne jede Zeremonie betraten, hauste der Geist, der diese halb dämonische Welt regierte.

Ein Räuberhauptmann dem Aussehen nach, braun wie ein Mulatte, mit gewaltigem Schnurrbart und einer imponierenden, unzweifelhaft römischen Adlernase, maß uns während des energischen Händeschüttelns mit schwarzen, stechenden Augen, machte jedoch gleichzeitig mit einer nicht unhöflichen Bewegung zwei Stühle frei, indem er die Berge von Manuskripten, Zeitungsschnipfeln und Fahnenabzügen, die sie bedeckten, auf den Boden fegte. Dann deutete er uns mit einer riesigen Schere an, Platz zu nehmen, wenn uns unser Leben lieb sei.

»Mit was ist Ihnen gedient, Mister Lawrence?« fragte er, indem er mit seiner Waffe nach der Wand wies, wo auf einem langen Papierstreifen in roten Buchstaben der Zauberspruch »Time is money!« prangte. Über der Inschrift waren zwei sich kunstreich kreuzende Revolver angebracht, der einzige Schmuck an den im übrigen kahlen Wänden. Man hatte den Eindruck, daß man sich hier nicht am richtigen Ort für ein gemütliches Plauderstündchen befand.

»Ich wünsche, Ihnen diesen Gentleman vorzustellen,« sagte Lawrence eifrig: »Mister Eyth, Mister Rawley; Mister Rawley, Mister Eyth mit dessen Ankunft eine neue Zeit für unsern unglücklichen Süden beginnen wird. Mister Eyth ist der Vertreter der größten und berühmtesten englischen Fabrik für Dampfkulturgeräte: Dampfpflüge, Dampfkultivatoren, Dampfeggen, Dampfwalzen, Dampfsämaschinen, Dampfzuckerrohrschneider und Dampfbaumwollpicker. Sie machen doch auch Dampferntemaschinen jeder Art, Herr Eyth? Versteht sich, natürlich!« wandte er sich an mich im Ton unerschütterlichen Glaubens an seine Inspiration. »Kurzum, Mister Rawley, die Negerfrage existiert nicht mehr, wenn wir Herrn Eyth in Louisiana aufnehmen, wie er es verdient.«

Rawley brummte mürrisch: »Hm! sehr angenehm! Immer noch lieber von England als von jenseits des Potomaks. Sehr angenehm, Mister Eyth. Ich nehme an, daß Ihr Dampfpflug uns besser hilft, als Ihre Landsleute es getan haben. Ah so Sie sind kein Engländer; um so besser! Wie gefällt Ihnen unser schönes Land in seinem jetzigen jammervollen Zustand? Nicht übel wie?«

»Longstreet, der General, hat die Agentur für die Sache übernommen,« fiel Lawrence ein.

»Der General Longstreet, die rechte Hand von Lee? Das ist etwas anderes! Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?« fragte Rawley, während sich seine Räuberhauptmannszüge in etwas menschlichere Falten legten. »Wir werden Sie mit Interesse beobachten, Mister Eyth! Wann soll es losgehen?«

»Was meinen Sie, Herr Rawley?« fragte ich, etwas Mut schöpfend.

»Die Rettung des Südens, das Gepflüge,« versetzte der Redakteur. »Sie geben doch ein Frühstück, um die Sache einzuleiten. Wir werden einen Berichterstatter hinschicken, wenn ich nicht selbst kommen kann. Sie wünschen ohne Zweifel eine redaktionelle Notiz schon vor dem Frühstück? Natürlichl Wollen Sie die Gefälligkeit haben, mir einige Anhaltspunkte zu geben. Wie alt sind Sie? Verheiratet? Glücklich verheiratet? Wo wurden Sie erzogen? Bitte, teilen Sie mir alles mit, was zur Sache gehört. General Longstreet ist mein Freund, ein Mann, den ich hoch verehre. Nehmen wir einen Tropfen Rum echten Jamaika wie, Herr Lawrence?«

Sie winkten sich verständnisinnig. Eine geschäftige Freundlichkeit durchbrach endlich die rauhe Schale des Räuberhauptmanns. Es gelang mir zwar nicht, seine Aufmerksamkeit von meinem Curriculum vitae auf die Vorzüge des Fowlerschen Doppelmaschinensystems zu übertragen. Auch Lawrence half mit, meinem Jugendleben und meinen persönlichen Wünschen und Hoffnungen auf den Grund zu kommen, und fügte, gegen Rawley gewendet, von Zeit zu Zeit die Versicherung bei, daß ich von Kindesbeinen an ein wirklicher Gentleman und unzweifelhafter Demokrat im amerikanischen Sinne des Wortes gewesen sei. In der Sklavenfrage halte ich noch jetzt »mit Zähnen und Klauen« an den geheiligten Gesetzen unsrer Vorfahren fest. Dies brachte mir jedesmal einen stummen, schmerzhaften Händedruck des Redakteurs ein, der seinerzeit selbst fünf Neger besessen hatte. Dazwischen wurde festgesetzt, daß Longstreet ein großes Frühstück geben müsse, zu dem die gesamte zu rettende Gesellschaft Louisianas sowie die Vertreter der Presse, in erster Linie aber des »Picayune«, einzuladen seien. Daran werde sich das Pflügen in würdiger Weise anschließen. Bezahlen werde ich es ja mit Vergnügen; eine solche Einführung des englischen Dampfpflugs sei etwas mehr wert, sollte man denken, als ein paar Dutzend Hummern und das erforderliche Zubehör. Ich selbst mußte dies zugeben und bekämpfte mannhaft eine vorübergehende Trübung meiner Stimmung. »Noch einen Tropfen Rum, Herr Eyth!« rief der finstere Redakteur, indem er nach der steinernen Flasche griff, die neben seinem Tintenfaß stand. »Nein? Das müssen Sie noch besser lernen, wenn Sie uns retten wollen. Das oder Temperenzler werden. Dazwischen liegt nichts. Adieu! Schicken Sie mir, was Sie gedruckt haben wollen, schon vor dem Frühstück!«

Wir gingen. Lawrence nahm im Tunnel den Knotenstock wieder unter den Arm. Ich vermerke es, weil er mich damit heftig in die Magengegend stieß. Es war der Ausdruck seiner Befriedigung. Dann lief er weiter, als ob er feurige Kohlen in den Stiefeln hätte. »Jetzt rasch, solange wir noch warm sind, in die Konkurrenzbude!« sagte er, mehr für sich als zu mir. Unser Ziel befand sich in derselben Straße, nur zwei »Blocks«, zwei Häuserviertel, entfernt; ein prächtiger, noch im Bau begriffener Palast, an dessen Steinfront der Titel der Zeitung: »The Crescent City News« in goldenen riesengroßen Buchstaben prangte. Eine prachtvolle Marmortreppe, deren vergoldete Eisengeländer man anzuschrauben im Begriff stand, führte in die hellen, luftigen Drucksäle. Alles glänzte und funkelte hier, selbst das Maschinengerassel hatte einen schärferen Klang als beim Nachbar. Auch flogen die Abendzeitungen nicht unordentlich aus allen Winkeln heraus wie dort. Ein schwarzgekleideter Herr empfing uns an der Türe eines geräumigen Bureaus, wohlwollend und würdig, so daß ich ihn für einen Geistlichen zu halten geneigt war. Es war Herr Smithson, der erste Redakteur der »Crescent City News«. Er war entzückt, Herrn Lawrence zu sehen, entzückt, daß Herr Lawrence mich mitgebracht hatte, direkt aus England. Er rang mit meiner Hand, als ob er sie aus dem Gelenke schütteln wollte. »Entzückt, Herr Eyth, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ein Deutscher aus England, höchst interessant! Wie gefällt Ihnen dieses herrliche Land?«

Mister Smithson bot uns zwei große, mit braunrotem Leder überzogene Armstühle, aber keinen Rum an. Ich war ihm wahrhaft dankbar dafür, Lawrence dagegen ließ seine Blicke fragend im Zimmer umherschweifen: nirgends die Spur einer Flasche. Die Tatsache war in die Augen springend: Smithson war nicht bloß ein Yankee, er war ein Mäßigkeitsapostel. Zum erstenmal glaubte ich durchzufühlen, daß Lawrences überwallendes Herz ein wenig sank.

Der Redakteur dagegen blieb freudig erregt. »Dampfpflüge!« rief er, mir nochmals die Hand schüttelnd, »und schon auf dem Wege! Sehr schön! Im Begriff zu arbeiten; ausgezeichnet! Dem unglücklichen Neger, dem bedrückten Mitbruder die Last der Arbeit abzunehmen, welch glücklicher Gedanke; welch großes Ziel Ihres Wirkens, Herr Eyth! Die Rasse bedarf der Erziehung; unter uns muß ich dies zugeben. Aber wie kann sie erzogen werden, wenn sie nach wie vor vor den Pflug gespannt bleibt, um der alten verkommenen Aristokratie des Landes Sklavendienste zu leisten? Ich frage Sie, Herr Lawrence, als Mann den Mann, als Christ den Christen: Wie wollen Sie den Neger erziehen, solange er am Pflug zieht? Da kommt Herr Eyth mit seinem Dampfpflug, und die Sache ist gemacht. Große Gesichtspunkte; ich halte mich an große Gesichtspunkte! Nur indem wir an großen Gesichtspunkten festhalten, können wir den fürchterlichen Bürgerkrieg zu einem Segen für unsern teuern Süden ausgestalten. Nur so wird einem Volke von Brüdern die Kraft wiederkehren, das sternbesäte Banner der Union über dem unteilbaren Kontinent zu schwingen.«

»Das war Mister Eyths Ansicht schon von Kindesbeinen an!« rief Lawrence mit Überzeugung.

Smithson drückte auch ihm die Hand. »Dampfpflüge!« fuhr er fort, fast ohne Atem zu schöpfen. »Ich habe sie längst mit Spannung erwartet. Allerdings habe ich noch nie einen gesehen, aber in unserem Norden, in Philadelphia, in Cincinnati, in Chicago sind in diesem Augenblick Hunderte in Gang! Meine Landsleute, Herr Eyth, sind ziemlich erfinderisch und warten gewöhnlich nicht darauf, was sie drüben in der Alten Welt machen; Hunderte!«

»Das heißt«, begann ich, bestrebt, ein paar Worte einzuschalten, kam aber nicht weiter.

»Das soll uns natürlich nicht hindern, den vortrefflichen Apparat gebührend zu würdigen, den Sie uns bringen. Sie wünschen natürlich eine präliminare, eine hervorragende präliminare Anzeige Ihrer Bestrebungen im redaktionellen Teil der Crescent City News. Vortrefflich! Fünfzig Cents die Zeile. Die Sache muß diesen Herren im Süden eindringlich ans Herz gelegt werden. Wie alt sind Sie? Wo sind Sie geboren? Sind Sie verheiratet?«

Ich kämpfte abermals, und sichtlich ebenso vergebens, gegen diese Art, die Dampfkultur dem Publikum näherzubringen. Auch hier ließ mich Lawrence völlig im Stich und hetzte den sprachseligen Redakteur nur noch tiefer in seine Forschungen nach meinem Stammbaum und nach anderen Einzelheiten, die für ihn von Interesse gewesen wären, wenn ich seine Tochter hätte heiraten wollen. Ich ergab mich, schließlich und erzählte ihm alles, was mir aus meinen Jugendjahren einfiel. Er schien befriedigt.

»Sehr schön! Höchst interessant!« rief er schließlich. Als ich selbst im besten Zuge war und ihm die Herkunft meiner Mutter aus einer Schweizer Adelsfamilie erklären wollte, glaubte er genug zu wissen und steuerte plötzlich rückwärts. »General Longstreet steht an der Spitze der Sache, wie Sie mir sagen; ein vortrefflicher Mann, der leider auf die falsche Seite geraten ist. Nehmen Sie sich ein wenig in acht, Herr Eyth, daß Ihr Dampfpflug nicht allzu konföderiert wird. Mister Lawrence versteht mich; er kennt beide Seiten; ein vortrefflicher Mann, Mister Lawrence! Also Longstreet wird ein großes Frühstück geben, ehe Sie zu pflügen anfangen. Ausgezeichnet! Wir werden einen Berichterstatter schicken, wenn ich nicht selbst kommen kann. Ich hoffe, ich werde selbst kommen können! Doch möchte ich um Limonade bitten; nur Limonade für mich! Adieu, Herr Eyth. Time is money! Die Rechnung für die heutige redaktionelle Anzeige werde ich Ihnen schon morgen zusenden können. Es war mir höchst angenehm! Adieu! Adieu!«

Damit komplimentierte er uns durch die Druckerei.

»Verfluchter Yankee!« brummte Lawrence schon auf der Prunktreppe. »Trinkt nur Wasser und schwatzt wie ein altes Brunnenrohr. Vor dem müssen Sie sich in acht nehmen, Herr Eyth: der regelrechte Reisesackpolitikus. Aber es hilft nichts, wir brauchen sie alle, solange sie mit Kind und Kegel auf unserm Land herumsitzen wie die Heuschrecken. Uff! Mister Eyth, wenn Sie vor fünf Jahren zu uns gekommen wären, hätten wir anders mit dem Herrn geredet. Aber wir brauchen sie, Gott sei's geklagt, wir brauchen sie alle!«

Lawrence schleppte mich weiter. Wir besuchten die hochdemokratische, das heißt aristokratische »Biene«, die republikanische »Louisiana Times«, die neutralen, leicht nach Süden hängenden »Commercial News«. Mein treuer Führer schien unermüdlich, bis sie alle wußten, wie alt ich sei, wo ich geboren wurde und daß ich mich vorläufig nicht zu verheiraten gedenke. Zuletzt kamen wir auch über die Kanalstraße, in das alte französische Viertel der Stadt. Dort, vor einem unansehnlichen Hause in der St.-Louis-Straße, blieb er stehen, wartete, bis ich ihn erreicht hatte, denn er war mir gewöhnlich zehn Schritte voraus, und sagte:

»So! da können Sie allein hinaufgehen, Herr Eyth. Hier hausen Ihre Landsleute, die Deutsche Zeitung. Ich muß jetzt nach meinem Komitee und nach Ihrem Preis sehen. Die Sache bekommt Hände und Füße, wenn Sie noch ein paar Stunden fortmachen.«

Er trocknete sich den Schweiß von der Stirne, und wahrhaftig, er hatte das Recht dazu. Es war glühend heiß geworden. Sein Eifer hatte mich jedoch angesteckt. Ich wußte jetzt, wie man Redakteure besucht, und machte mir nichts daraus, auch meinen Landsleuten die offenbar landesübliche Aufwartung zu machen.

»Und glauben Sie wirklich, daß Sie das Preisausschreiben seitens Ihrer Gesellschaft so rasch zustande bringen werden?« fragte ich Lawrence, ehe wir uns trennten. Ich konnte meine Zweifel immer noch nicht loswerden; es ging alles so verblüffend geschwind. »Man muß doch wohl eine Art Programm ausarbeiten, Bedingungen beraten, eine Prüfungskommission aufstellen«

Er unterbrach mich: »Verlassen Sie sich darauf, Herr Eyth! Morgen früh lesen Sie das Ausschreiben in allen Zeitungen. Was wetten Sie?«

Dies zu hören war mir außerordentlich lieb. Wenn ein Amerikaner so fragt, ist ihm die Sache ernst.

»Zehn Dollar!« sagte ich deshalb ohne langes Bedenken.

»Sie scheinen kein großes Vertrauen in Ihre Zweifel zu haben,« versetzte er lachend und fuhr dann mit einer gewissen Feierlichkeit fort: »Gut, zehn gegen zehn! Sie lesen das Preisausschreiben morgen in allen Zeitungen der Stadt, die täglich erscheinen. Eine ehrliche, geradlinige Wette. Ich kann sie verlieren, wenn ein Drucker Dummheiten macht oder ein Redakteur zu tief in die Whiskyflasche sieht, anders nicht. In Hunderten wäre mir die Wette lieber gewesen.«

Er machte mit einem Bleistift von einem halben Zentimeter Länge eine Notiz auf eine seiner Zuckertüten und war schon um die Straßenecke verschwunden, als ich die mit Papierfetzen reich geschmückte Treppe der »Deutschen Zeitung« hinaufkletterte und mit einer Beilage um das linke Bein oben anlangte. Es war alles etwas klebrig im Hause, trotz der Hitze. In der Druckerei, die kleiner war als die andern, die ich heute kennengelernt hatte, standen die Maschinen still. Dagegen schien eine Art Volksversammlung stattzufinden. An einen Setztisch gelehnt, stand eine teutonische Gestalt von echtem Schrot und Korn, mit blonden, wallenden Haaren, blauen Augen, einem mächtigen roten Bart. Auch der Schnitt ihres Anzuges, namentlich die Weite der Beinkleider, verriet etwas vom deutschen Studenten der älteren Generation, die noch Ideale kannte. Der Herr schien mitten in einer Volksrede für fünftausend Zuhörer zu schwimmen und ließ sich durch mich, der ich etwa der sechzehnte war, nicht unterbrechen.

»Ich wende mich an Sie, meine Herren,« rief er, »vertrauensvoll, schmerzbewegt! Wir haben ein gemeinsames Ziel: unsere Grundsätze der Wahrheit und Freiheit der deutschen Welt unseres großen neuen Vaterlandes täglich zu verkündigen, das Panier der Gleichheit und Brüderlichkeit, ohne Ansehen der Farbe unsrer Leser, im Süden voranzutragen. Wir haben dieselben Freuden, dieselben Sorgen. Im Schweiß unseres Angesichts haben wir wieder vierzehn Tage lang der großen Sache gedient. Die Zahl unserer Abonnenten ist um fünf gestiegen; das Ergebnis des Straßenverkaufs hat jedoch bedauerlicherweise abgenommen, da unser tätigster Austräger samt seinen Freitagsexemplaren spurlos verschwunden ist; Fritz Kleile ist mit einem kleinen Vorschuß aus unsrer Mitte geschieden, ich fürchte, für immer. Sie, meine Herren, waren schon gestern berechtigt, den sauer verdienten Lohn für Ihr aufopferungsvolles Wirken aus meiner Hand zu empfangen. Ich mußte Sie auf heute vertrösten. Meine Herren, auch heute ist unsre Kasse« der Redner hob ein Blechkästchen, das neben ihm stand, in die Höhe, öffnete es feierlich und zeigte nach allen Seiten das glänzende Vakuum seiner Innenseite »diese unsre Kasse ist leer! Wollen Sie sich gefälligst selbst überzeugen,« fügte er in vertraulichem Tone bei, indem er sich an seine nächsten Nachbarn, einen grimmigen alten Setzer und zwei schmächtige zwölfjährige Jungen, wandte, die ihn hungrig ansahen.

»Aber wo zum Teufel ist das Geld von gestern?« fragte einer der fünfzehn, dessen trockene Kehle eigentümlich krächzende Laute hervorbrachte. Der Mann war sichtlich übermäßig durstig.

»Sie haben ein Recht, diese Frage aufzuwerfen, verehrter Freund!« entgegnete der Redakteur mit einem mitleidigen Blick auf den Sprecher. »Ich werde sie beantworten. Wir hatten das Unglück, gestern abend den Besuch des Geschäftsführers unseres Papierlieferanten zu empfangen. Ich stand vor der peinlichen Gewißheit, der heutigen Ausgabe der Deutschen Zeitung von Louisiana papierlos entgegensehen zu müssen. Ich hatte die Wahl, den nicht ganz unberechtigten Forderungen des unerbittlichen, ich darf sagen, herzlosen Geschäftsmenschen zu trotzen und damit uns alle zu vernichten, oder ihm den Inhalt unsrer Kasse einzuhändigen. Da gedachte ich Ihrer Seelenstärke, meine Herren, gedachte der deutschen Treue, die sich in schweren Zeiten seit zwei Jahrtausenden bewährt hat. Besser, sagte ich, noch einmal ohne Geld vor meinen Freunden zu erscheinen als ohne Papier. Und nun« der Ton des Redners wurde um eine halbe Oktave tiefer, seine Stirne legte sich in Falten und sein blonder Haarbusch schien in die Höhe zu steigen »und nun, meine Leidensgenossen, frage ich Sie. Sie selber werden entscheiden. In Ihre Hand lege ich das Panier unsrer großen Sache. Wollen Sie – ja oder nein wollen Sie nochmals zwei Wochen ungelohnt in alter Treue ihre Pflicht erfüllen? Oder wollen wir gemeinsam das sinkende Schiff verlassen und jeder für sich an unbekanntem Strande eine zweifelhafte Rettung suchen? Im ersteren Falle« er verfiel plötzlich wieder in den gemütlichen Gesprächston, in welchem er alle wichtigeren Teile seiner Rede vorzutragen schien »im ersteren Falle bekommen Sie vorläufig allerdings noch einmal nichts, aber es wird ohne Verzug weitergedruckt. Im zweiten Falle schließe ich die Bude, und Sie bekommen auch nichts.«

»Weiterdrucken!« riefen die zwei hungrigen Jungen mit vor Begeisterung glänzenden Augen.

»Abstimmen!« stöhnte der Durstige.

»Abstimmen!« riefen noch drei oder vier der Älteren, und so kam es nach den besten Regeln eines in Trübsal geläuterten Parlamentarismus zur namentlichen Abstimmung. »Herr Faktor Müller?« »Weiterdrucken!« »Herr Setzer Kunze?« »Der Teufel hole die ganze Bude samt dem Herrn Redakteur; schließen!« »Der nächste?« »Weiterdrucken!« »Weiterdrucken!« »Schließen!« »Weiterdrucken!« und so weiter.

Die Abstimmung war rasch beendet. Der Redakteur tat einen tiefen, theatralischen Atemzug und begann wieder: »Meine Herren und Freunde! Das Ergebnis unsrer Abstimmung ist das erwartete. Die deutsche Treue hat auch auf fremder Erde abermals glänzend gesiegt. Sieben Stimmen sind für den Schluß der Bude, acht fürs Weiterdrucken. Die gute Sache ist gerettet. Wie ein Phönix wird das Panier der Deutschen Zeitung von Louisiana aus der Asche dieser vorübergehenden Prüfung erstehen und Arm in Arm mit dem sternbesäten Banner dieses großen und freien Landes« er hielt plötzlich an, wie wenn ihm etwas Wichtiges eingefallen wäre »Meine Herren! Ich bitte die Herren Setzer, sich an ihre Plätze zu begeben. Es ist die höchste Zeit, wenn die Abendzeitung rechtzeitig auf die Straße kommen soll. Und, bei Gott, wir müssen heute abend etwas Geld haben. Was eingeht, wird verteilt. Rasch an die Arbeit, meine Kinder! Was wünschen Sie?!«

Das galt mir. Der kleine Bienenkorb war in einer halben Minute in voller Tätigkeit. Der Redakteur, Herausgeber und Eigentümer der »Deutschen Zeitung in Louisiana« trocknete sich den Schweiß von der Stirne und gab mir vorsichtig die Hand. Ich war ein Landsmann. Sollte ich gekommen sein, ihn anzupumpen?

»Sie kommen in einem nicht ganz glücklichen Augenblick, verehrter Herr!« sagte er, ohne jedoch im geringsten verlegen zu sein. »Das nennen wir den Kampf ums Dasein. Er ist ihnen vielleicht aus den neuesten Schriften eines gewissen Darwin bekannt. Hier sehen Sie die Theorien des großen Naturforschers in natura.«

»Es war mir höchst interessant, und ich wünsche Ihnen Glück zu Ihrem Siege,« sagte ich höflich. »Ich verstehe und würdige Ihre freudige Erregung, denn auch ich, Herr Doktor«

Er nickte freundlich.

»– auch ich bin damit beschäftigt, im Kampf ums Dasein ein kleines Gemetzel vorzubereiten.«

»Was? Doch nicht hier bei uns?« rief der Redakteur. »Sie haben gehört, wie es augenblicklich bei uns steht. Augenblicklich? Der Zustand ist chronisch, Verehrtester. Ich kann Sie nicht brauchen!«

»Vielleicht doch,« entgegnete ich zuversichtlich und erklärte ihm, um was es sich handle. Jetzt erst schüttelte er mir die Hand nach gut amerikanischer Art und dann beide Hände wie ein Deutscher, der seinen längst erwarteten Schutzengel gefunden hat. Um fünfzig Dollar wollte er meinen Dampfpflug über alle Himmel erheben. Um die Hälfte, wenn ich sofort bar bezahle. Zwei Artikel von je zwei Spalten, die ich morgen selbst liefern könne, wenn ich wolle. Dies war in der Tat billig. Die Zeitung hatte ohne Zweifel wenig Einfluß und keine Abonnenten. Aber wer weiß? ein geschickt geschriebener Artikel aus dem Süden ging in andre Zeitungen über. Man war gegenwärtig in der ganzen Union neugierig, was in New Orleans vorging. Ich legte fünfundzwanzig Dollar auf den Tisch, lud den Redakteur zum kommenden Dampfpflugfrühstück ein und hatte in Doktor Wurzler nach seiner Versicherung den treuesten Freund gewonnen, den ich in diesem ebenfalls nach Doktor Wurzler gottverfluchten Süden finden konnte.


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