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Im Sonnenschein

Wir waren auf dem Gipfel des Scherbenhügels von Sackra. Die Sonne war aufgegangen und übergoß das in seiner Einfachheit großartige Bild ringsumher mit ihrem Golde. Ein frischer Morgenwind wehte aus Nordost und hatte die dichten Nebel, die über den Sümpfen des Burlossees lagen, aufgerollt wie einen Schleier. Am Horizont sah man einen langen wasserhellen Streifen, als ob sich dort die ferne Meeresfläche im Blau des Himmels spiegelte. Im Osten lagen die gelben Wüstenhügel mit ihrer Ahnung grenzenloser Weite, die unwillkürlich die Brust ausdehnt und die Lungen freier atmen läßt. Gegen Süden grünte das alte Bild der unerschöpflichen Fruchtbarkeit der Erde, und wie ein liebliches Menschenidyll in der einsamen Natur glänzte die kleine Dorfmoschee von Kassr-Schech hinter ihren Sykomoren hervor.

Der Balsam der Morgenluft hatte die Nacht mit ihren schwülen Erlebnissen weggefegt. Kein Wort war über dieselben gesprochen worden. Es fehlte nicht viel, so hätte ich alles für einen Traum gehalten, und Halim und Rames Bey schien der Morgen in ganz ähnlicher Weise umgewandelt zu haben. Nur der Tscherkesse, der übrigens in Gegenwart seines Herrn stets eine zurückhaltende Ruhe bewahrte, war noch etwas stiller als gewöhnlich. Seine Würde litt allerdings unter dem »Stangenschießen«, das ich ihm in früher Morgenstunde beigebracht hatte und das ihm keineswegs gefiel.

Ein halbzertrümmertes ionisches Kapitell, das aus dem Schutt hervorragte, bildete einen vortrefflichen Tisch, auf dem ich die Zeichnung des Jagdschlößchens ausgebreitet hatte, das auf diesem herrlichen Gipfel erstehen sollte. Es war ein Projekt, an dem man wirklich seine Freude haben konnte. An keinen Stil lassen sich Eisenkonstruktionen so hübsch anpassen wie an den sarazenischen mit seinen schlanken Säulen und seiner Ornamentik hängender Stalaktiten. Dies war der Rahmen, in dem sich französischer Geschmack und englische Behaglichkeit zu überbieten suchten, um eine ideale kleine Wohnstätte für kurze Besuche in dieser entlegenen Wildnis zu schaffen. Ein Untergeschoß, in dem Küche und Keller reichlich Raum fanden, trug das luftige, einstöckige Gebäude, das von einer breiten Veranda umgeben war, die den freien Ausblick nach allen vier Himmelsgegenden gestattete. Es enthielt eine hohe, halbdunkle Mittelhalle mit dem unvermeidlichen Springbrunnen und Stalaktitendom, umgeben von kleinen Zimmern, deren Wände auseinandergeschoben werden konnten, so daß man fast wie im Freien schlafen konnte, wenn die Nacht dazu einlud. Es mußte ein königlicher Genuß sein, nach einem heißen Jagdtage unter dem riesigen Himmelsdom zu ruhen, der sich auf dieser Höhe über dem ungebrochenen, unabsehbaren Kreise unter uns wölbte.

Halim war voll Eifer und Arbeitslust. Die Leibmamelucken liefen mit Pfählen umher, und ein Dutzend Fellachen schlugen sie nach meiner Weisung in den Boden, ebneten hier eine knollige Erhöhung, den tausendjährigen Staub aufrührend, oder füllten dort ein Loch mit den klappernden Scherben, aus denen alte Griechen ihren Zypernwein getrunken hatten. Das Achteck der Grundmauern war bereits abgesteckt. Wir wollten jetzt die Umgrenzungsmauer des Gartens bestimmen, für den auf dem Gipfel noch Raum war.

Schon seit einiger Zeit, während mir Halim seine Ideen bezüglich eines Goldfischteichs und zweier Eckpavillons am Haupteingang deutlich machte, in denen rechts bunte Vögel, links Affen leben sollten, sah Rames Bey abwechslungsweise bald nach Süden, bald nach Osten und begann schließlich mit dem Theodolit zu spielen, der augenblicklich unbenutzt auf dem höchsten Punkt unseres Berggipfels stand.

»Sie sind es!« rief er endlich, wie wenn er trotz der gedämpften Morgenstimmung, in der er sich noch befand, seine Freude nicht länger unterdrücken könnte.

»Wer?« fragte Halim scharf, da er Unterbrechungen ohne Einleitung nicht liebte.

»El Dogan, Hoheit, und der Mameluck Achmed und ein dritter Mann,« antwortete Rames, die Augenlider zusammendrückend. »Wenn ich recht sehe, ist es Sadik Effendi, der Oberschreiber des Nadirs von Schubra. Was will der hier?«

»El Dogan?« rief jetzt auch Halim, sichtlich erfreut. Er richtete den Theodolit nach der Gruppe und sah lange schweigend durch das Fernrohr. »Eine Kreatur, wie es nicht viele gibt, Herr Eyth,« fuhr er nach einiger Zeit lebhaft fort, »unter Tieren und Menschen. Man sieht ihm das Blut auf eine Meile Entfernung an. Wie er ausschreitet! Wie er den Kopf hält! jetzt wiehert er. Bei Allah, es ist ihm wohl.«

»Gott sei gepriesen!« seufzte Rames sichtlich bewegt. »Und dort reitet noch einer, der es eilig hat, nach Kassr-Schech zu kommen.«

»Ein Esel,« sagte Halim, der den Theodolit gegen Osten gedreht hatte, gleichgültig. »Kommen Sie, Herr Eyth, messen wir weiter! Hierher will ich den Fischteich haben. Mit Beton werden Sie mir das wohl machen können.«

»Umsonst ritt er nicht die Nacht durch,« bemerkte Rames nachdenklich, indem er wieder durch das Instrument sah. »Es ist der Nasir von Terranis, verstaubt wie ein Kamel des Mokattam. Sein Sais scheint auch genug zu haben; er hinkt. Nur der Esel ist noch munter.«

Halim Pascha war im eifrigsten Abstecken des Fischteichs versunken. Alles, was ihn an seine Pariser Schulzeit erinnerte, machte ihm noch immer ein fast knabenhaftes Vergnügen. Ich überlegte mir, nicht ohne Sorgen, wo ich das Wasser hernehmen und wie ich es am einfachsten in den künftigen Teich heraufschaffen konnte, in dem die kommenden Goldfische die Aussicht von der Spitze dieses herrlichen Hügels genießen sollten. Auf allen vieren kletternd kamen mittlerweile der Mameluck Achmed und seine Begleiter am steilsten Abhang des Scherbenhügels herauf. Halim ließ sie fünf Minuten lang stehen, ohne sie zu beachten. Dann rief er plötzlich:

»Du bist zurück, Achmed und kannst deinem Schöpfer danken. Wie geht es El Dogan?«

»Er ist so gesund, als er es je gewesen ist,« versetzte der Mameluck gesenkten Kopfes. »Es war ein Afrit; doch, Gott sei Dank, jetzt ist er gebannt.«

»Unsinn!« rief Halim. »Es war deine Dummheit und die Unwissenheit des Baschmahandis.«

»Ich bitte Gott um Vergebung, aber es war ein Afrit, o Effendini,« sagte Achmed mit ungewohnter Bestimmtheit. Er brauchte hierbei jene Form feinster arabischer Höflichkeit, von der wir rohe Europäer nur einen schwachen Begriff haben, indem er nicht den Angeredeten, sondern Gott um Verzeihung bat, daß er widersprechen mußte. Denn kann ein Mensch Sünde vergeben?

»Es wurde mit jeder Stunde schlimmer,« erzählte er auf einen ungeduldigen Wink Halims, »als ich nach Maraska zurückgekehrt war. El Dogan lag auf dem Boden, zitterte am ganzen Leib und verdrehte die Augen, so quälte ihn der Geist. Unser Hakim wußte sich nicht zu raten. Als es um die vierte Nachtstunde nicht besser wurde, saßen wir auf der Erde neben dem Kranken und baten Gott, den Allbarmherzigen, um Gnade; aber wir hofften nicht mehr. Da sandte der Allmächtige Ibrahim Emir, den Beduinen, deinen Freund, und seinen Sohn. Sie sahen das Tier und sprachen: Gott helfe uns, es ist ein Afrit. Dann fragte mich der Alte, wie es begonnen habe. Ich sprach die Wahrheit und sagte: Zu Tanta hat ihn ein Derwisch mit übelm Auge angesehen, dann hat ihn der Baschmahandi, Hoaga Eyth, geritten bis sein Herz stillstand. Und als er schwach war und dem Umfallen nahe, kam der Afrit, sah seine Schwäche und fuhr in ihn. Nun steht es, wie du siehst. Da sprach der Emir: Genug! Ich sehe, was ich sehe. Soll der Fremde, der Nusrani, büßen? Er deutete über seine Schulter nach Kassr-Schech. Ich verstand ihn und sagte: Nein! Du sollst ihm kein Leid tun; mein Herr, der Pascha, würde es nicht dulden. Er braucht ihn. Hat er Freunde? fragte der Emir weiter. Er ist ein Fremder, ein Deutscher; ich weiß es nicht, sagte ich. So hat er Diener? fuhr der Beduine fort. Ich brauche jemand, um den er sich gekümmert hat, seit der Mond des Schaaban am Himmel stand. Diener in Menge, belehrte ich ihn, zu Schubra, zu Terranis; Schmiede, Schlosser, Zimmerleute, Schreiber und Fellachen in Masse! Unser Pascha gibt ihm, was er bedarf, und er bedarf viel. Es ist gut! sprach der Emir; bring mir eine Blutorange oder eine kleine Melone. Wir fanden eine Melone im Garten des Scheichs. Der Mondschein half uns suchen. Er nahm sie und schnitt mit seinem Messer in ihre Rinde zwei Augen, eine Nase und einen Mund, so daß sie aussah wie der Kopf eines Mannes und uns angrinste. Dann sprach er: Nun wendet euch gen Mekka, das heilige, und betet das Glaubensbekenntnis siebenmal. Ich aber werde mich nach Westen wenden, und ihr sollt nicht sehen, was geschieht. Wir taten, wie er es haben wollte, der Hakim und ich; doch konnte ich die Neugier nicht ganz bemeistern, und so sah ich, daß er die Melone auf den Boden legte, vor den Kopf des Pferdes, das angstvoll zusah. Nachdem er ein wenig gebetet hatte, aber nicht gen Mekka, sprach er laut: Leben um Leben, setzte den Fuß auf das Gesicht, das er gemacht hatte, und zermalmte den Kopf, daß er ein Brei wurde. Diesen gab er El Dogan zu fressen. Das arme Tier fraß gierig. Dann brach ein Schweiß in ihm aus, daß es dampfte und das Wasser an seinem Leibe herabfloß. Ibrahim aber sprach: Er wird leben, euer Dogan. Gebt mir ein wenig Kaffee. Ich werde alt und bin matt von diesem Werk. Ich machte ein Feuer und kochte Kaffee, so schnell ich konnte. Als er getrunken hatte, ritt er mit seinem Sohn davon. El Dogan aber schlief schon und schlief ruhig bis zur Morgendämmerung.«

Der kleine Mameluck hatte seinen Bericht mit der pathetischen Beredsamkeit beendet, die mich nicht selten bei den einfachsten Fellachin in Erstaunen setzte, sah sich um wie ein Märchenerzähler, der den verdienten Beifall erwartet, und trat einige Schritte zurück. Halim hatte sein skeptisches Lächeln auf den Lippen, das ihn in Kairo selten verließ. Rames dagegen sah mit gespannter Aufmerksamkeit auf den Erzähler.

»Wallah!« rief er, »es war ein Afrit. Und ein großes Glück ist es gewesen, daß die Beduinen des Weges kamen, El Dogan wäre sicher gestorben. Menschen können Afrits ertragen, jahrelang. Ein Pferd hat eine feinere Seele. Es stirbt aus Schrecken, wenn ein zweiter Geist in seinem Leib wohnen will.«

»Narrheiten, dummer Mameluckenaberglaube!« rief Halim ärgerlich.

»Habe ich nicht in Abbas Paschas Ställen dreimal dasselbe tun sehen, was Achmed sah?« fragte Rames eifrig. »Wir hatten einen alten Beduinen, der die Sprüche kannte, zu keinem andern Zweck in Benha. Abbas Gott sei ihm gnädig glaubte an ihn und bezahlte ihn fürstlich. Wenn unser Hakim nicht mehr helfen konnte, holten wir ihn. Er gebrauchte Blutorangen. Es half immer, wenn es gelang.«

»Du bist ein Narr, Rames!« sagte Halim, nicht unfreundlich. »So weit haben es die Arzte in London und Paris zum mindesten auch gebracht. Sie helfen alle; nur gelingt es nicht immer. – Was willst du?«

Der Pascha richtete die Frage mit einer raschen Wendung an den Begleiter Achmeds, der bis jetzt in demütiger Haltung zur Seite gestanden hatte, nun aber mit einer tiefen Verbeugung vortrat, seinen Turban abnahm und einen langen Zettel aus demselben herausbrachte. Halim ergriff das Papier ungeduldig, wandte sich ab und las. Als er zu Ende war, sah er lange schweigend nach Norden, als ob er etwas am Horizonte suchte. Ich konnte nur sehen, wie sein elegant beschuhter Fuß ungeduldig im Schutt wühlte. Dann las er den langen Papierstreifen zum zweitenmal. Darauf drehte er sich mit jener eigenen nervösen Bewegung um, die Kraft und Schwäche zugleich bedeuten konnte.

»Hier ist etwas für Sie, Herr Eyth,« sagte er. »Vorgestern hat mein Neffe, der Vizekönig, sämtliche Arbeiter bei den Dampfpflügen in Schubra Maschinisten und Pflüger, alles! holen lassen, um sie nach Oberägypten zu schicken, wo er mit seinen eignen Apparaten nicht zurechtzukommen scheint. Die Leute liefen in der Nacht wieder zurück zu Weib und Kind. Man kann sich das denken; eigentlich sind sie auch Menschen. Und nun wurden sie gestern nachmittag, wie man mir schreibt, unter militärischer Bedeckung abgeführt und sofort in Bulak auf Nilbarken gebracht. All Ihre Pflüge stehen still.«

»Aber Hoheit,« rief ich, »das ist ja rein unmöglich!«

»Das ist sicher, mein Lieber. Sie vergessen, daß wir in Ägypten sind,« sagte er mit unterdrückter Leidenschaftlichkeit und fuhr dann leiser fort: »Es ist das alte Lied, das nun wieder beginnt: einer gegen alle, alle gegen einen! das Totenlied des Hauses meines Vaters, mein Freund!«

Er lachte gezwungen; kein gutes Lachen.

»Aber was kann geschehen?« fragte ich entrüstet, denn ich sah im ersten Augenblick das harte Werk von drei Jahren plötzlich zusammenbrechen. »Was kann ich tun, Hoheit?«

»Von vorn anfangen,« erwiderte er ruhig und bestimmt. »Es bleibt nichts andres übrig; und wenn er Ihnen das zweite Kontingent wegnimmt, nochmals von vorn anfangen. Wer weiß, vielleicht ist es auch zu etwas gut, wenn unsere Leute in dieser Weise in alle Gegenden des Landes verteilt werden. jedenfalls kann so Ihre Dampfpflughochschule in Schubra zu ungeahnter Blüte kommen. Sobald wir hier mit dem Abstecken fertig sind, reiten Sie nach Hause zurück und-«

Ein ungewöhnlich lautes Gelächter am Rande des Hügels unterbrach ihn. Wir wandten uns alle mit der Entrüstung, die in einem solchen Falle höfische Höflichkeit gebietet, nach. der Seite, von der der Lärm kam. Die sechs Leibmamelucken zogen lachend ein dickes Männchen über die Kante des Hügels, unter dem die Scherben prasselnd in die Tiefe rollten. Der Kleine war blaurot vor Anstrengung und Schrecken, sein Turban saß schief auf seinem kahlen Kopf. Er erhob sich, tränenden Auges, mit Schmutz und Staub bedeckt. Es war mein Freund, der Nasir von Terranis. Am Fuß des Hügels stand sein Esel und suchte sich schon, frech, wie Fellahesel sind, mit El Dogan zu unterhalten, während sein Herr bei der gefährlichen Besteigung von Sackra in seinem Übereifer fast verunglückt wäre.

Musa el Askari hieß der Wackere, und da er an den Umgang mit Prinzen weniger gewöhnt war als wir, wäre er beim Anblick Halims zum zweitenmal beinahe in den Staub gesunken. Er verneigte sich aufs tiefste, berührte mit der Hand die Erde und dann seine Stirne und versuchte den Saum von Halim Paschas Rock zu küssen, was dieser jedoch mit einer abwehrenden Bewegung verhinderte.

»Ah!« rief er freundlich, »ich kenne dich! Du bist der Nasir von Terranis. Was bringst du mir Schönes?«

»Ich bitte Gott um Vergebung, daß ich dir gute Nachrichten nicht geben kann, o Effendini!« klagte Musa. »Laß es deinen Diener nicht entgelten. Ich komme, um den Baschmahandi zu holen. Die Hand Gottes liegt schwer auf Terranis, o Pascha!«

»Nun was ist es?« fragte Halim etwas ungeduldig, da der Nasir aufs neue Angriffe auf seinen Rocksaum unternahm. »Sprich ohne Umschweife, mein guter Mann!«

»Die Reisfelder verdursteten, und die große Maschine pumpte nichts. Ein Fisch war in die umgekehrte Schüssel geraten, die tipp, tapp macht, wenn die Pumpe zufrieden ist. Dort blieb er stecken; der Baschmahandi weiß es, und Gott wollte es so. Mit dem Wasser aber war es völlig aus, und der Mechaniker Jusef wollte nichts anrühren, solange du, o Baschmahandi, nicht dabei seiest. Nun, gestern abend war unsre Not aufs höchste gestiegen. Ich sah, daß der Reis starb dreitausend Faddan! Da dachte ich: In der heiligen Nacht des Nuß min Schaaban wird uns der Allbarmherzige beistehen‹ und bedrohte Jusef und redete ihm freundlich zu, bis er versprach, den Fisch aus der Schüssel herauszuholen. jetzt ist er auch drin!«

»Was – wer?« rief ich erschrocken.

»Jusef,« sagte der Nasir halb weinend. »Er ging hinunter, willig genug; er war ein braver Moslim und glaubte an den Propheten und das jüngste Gericht. Auch hatte ich fünf Fellachen an den Strick gehängt, die die Schüssel in die Höhe zogen, wie du es uns gelehrt hattest. Aber die Fellachen, die Herde von Schweinen, ließen los und fielen zu Boden und lachten und zappelten, gerade wie wenn ein Afrit in sie gefahren wäre. Drunten im Schacht aber unter der Schüssel bei dem Fisch-«

Der gute Mann heulte.

»Ist er tot?« fragte ich bewegt, obgleich ich wußte, was die Antwort sein mußte.

»Das ist mein einziger Trost,« sagte der Nasir, seine Tränen mit dem Rücken beider Hände trocknend. »Es war mein eigner Schwiegersohn und ein frommer Moslim. Aber es geschah nach dem Willen des Allmächtigen, heute nacht um die fünfte Stunde. Schon seit zehn Stunden ist er im Paradies.«

»Um die fünfte Nachtstunde!« brach der Mameluck Achmed los, nach Luft schnappend; »das war die Stunde, in der El Dogan den Kürbis fraß!«

»Um die fünfte Stunde,« sagte Rames düster, sich abwendend; »das war um die Zeit, als der Pascha mir den Pantoffel an den Kopf warf. Ich war selbst nicht weit vom Paradies zu jener Stunde.«

Wir schwiegen alle. Das heiße, grelle Sonnenlicht des herannahenden Mittags leuchtete ringsumher, von einem Ende des Himmels zum andern. Die ganze Welt lag vor uns schattenlos, in glühender Tageshelle. Und doch zog etwas wie eine unheimliche, düstere Wolke über uns weg, deren fröstelnden Schatten wir fühlten, ich so gut wie der zitternde Nasir, Halim so deutlich als seine abergläubischen Mamelucken.

Halim sprach endlich. Er war wieder der Mann des Tages und der Tat.

»Reiten Sie mit dem Nasir sofort zurück nach Terranis,« sagte er zu mir, »setzen Sie dem Manne die Pumpe in Bewegung; er überschwemmt uns sonst mit seinen Tränen. Dann kommen Sie nach Schubra; dort werden wir sehen, was sich machen läßt. Ich habe mittlerweile meinen Neffen besucht. Ganz in der Tasche hat uns der Vizekönig noch nicht. El Dogan lebt wieder!«

In einer Stunde war ich reisefertig. Während ich mich von Halim Pascha verabschiedete, sagte er leichthin:

»Apropos – Rames hat Ihnen gestern nacht eine Masse dummes Zeug vorgeschwatzt. Sie wissen, in der Nacht des Nuß min Schaaban erzählen wir uns Sachen, aus denen die Schoara ihre Märchen machen. Mehr brauchen Sie sich auch nicht daraus zu machen. Au revoir, mon cher!«

Er lachte etwas gezwungen, wie mir schien, und machte ein Gesicht, aus dem kein Mensch klug werden konnte. Ich versuchte, schon aus Höflichkeit, das gleiche.

Es gelang.

Dann ritt ich durch das Zeltlager, das schon am Boden lag, gen Osten; hinter mir der Nasir auf seinem unerschöpften Eselchen, mein Dragoman Abu-Sa, der Koch auf dem Kamel, mit Bett und Gepäck. Auf dem stillen, achtstündigen Ritt hatte ich Zeit, mir zurechtzulegen, was ich in den letzten vierundzwanzig Stunden gehört und gesehen hatte. Aber es wollte sich nicht alles entwirren. Das ist so mit den Geschichten des Ostens, sonderlich wenn sie auf so dunkeln Blättern stehen.

El Dogan starb im Jahre 1867, zum Glück. nicht infolge meiner Reitkunst, denn ich bekam. ihn nie wieder zu reiten. Rames Bey schwört, er sei an Gift gestorben. Es war das Jahr, in dem der Vizekönig Ismael Pascha Halims Besitzungen konfiszierte und das ägyptische Erbfolgerecht zugunsten von Ismaels Sohn Tiusik geändert wurde. Das Jagdschlößchen für Kassr-Schech ist nie aufgestellt worden. Es liegt, in seine Teile zerlegt, noch heute bei Thalia am Nilufer, im Sand begraben. Dort kann es holen, wer Lust hat; es gehört niemand mehr.


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