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Die Nacht des Verhängnisses

Im Schatten des Scherbenhügels von Sackra war es schon tiefe Nacht, als wir uns den Zelten näherten, unter denen ich Halim Pascha zu finden hoffte. Gespenstisch weiß hoben sie sich von dem Schwarzblau der Bergwand ab, die ihre unförmlichen, eckigen Massen in phantastischen Linien an dem erlöschenden Abendhimmel auf türmte. Ich kann kaum behaupten, daß mir behaglich zumute war. Selbst der Esel schien meine Gefühle zu teilen und machte, in der Dunkelheit stolpernd, zum letztenmal den Versuch, stehenzubleiben, ehe es Zeit war. Aber sein Herr, der Scheich von Maraska, war andrer Ansicht. Der »Sohn eines Fellahs«, wie er sein Tier im Zorn häufig schimpfte, sollte wenigstens im letzten Augenblick und vor dem Pascha anständig auftreten und erhielt deshalb einen krachenden Hieb, der mich fast von dem zerrissenen Strohsäckchen geschleudert hätte, das den Sattel bedeutete. Die belebende Kraft des Keulenschlags anerkennend, bewegte sich das Langohr denn auch nach der Sitte einseitig geprügelter Esel mit großer Gewandtheit wie ein Krebs fast in der Richtung der vollen Breitseite vorwärts. Wie dankte ich's der grundgütigen Nacht, daß sie so schwarz war!

Trotzdem war die nächste Umgebung des Lagers jetzt deutlich zu erkennen. Vor einem der Nebenzelte brannte ein großes offenes Feuer und warf sein unruhiges Licht in den Kreis dunkler Formen und bewegter Gestalten, in dessen Mitte ich das Jagdzelt des Paschas an seinen Doppelmasten und zwei vergoldeten Halbmonden erkannte, die jene statt der üblichen Speerspitzen trugen. Im Halbkreis hinter dieser fürstlichen Behausung waren fünf bis sechs weitere Zelte aufgeschlagen. Eines, beträchtlich länger, aber niederer als das des Paschas, war für die Küche und die dienstleistenden Mamelucken bestimmt. Die andern, kleiner und rund, waren die Schlafstellen der höheren Beamten und Begleiter, die er mit sich führte. Vor Halims Zelt war ein gewaltiger schwarzer Teppich mit bunten Stickereien ausgebreitet, auf dem eine Anzahl roter, ebenfalls reich verzierter Kissen umherlag. Hier saß der Pascha nach Türkenart mit gekreuzten Beinen, die Pantoffeln von den Füßen gestreift, den Tarbusch nachlässig auf den Hinterkopf geschoben, den leichten, schwarzseidenen Stambulrock geöffnet, so daß die brennendrote Schärpe, die er unter demselben trug, sichtbar war. Hinter ihm stand Rames Beys Riesengestalt wie eine Statue aus der altägyptischen Zeit, das unvermeidliche Zigarrenetui und einen Rosenkranz in den gefalteten Händen. Vor ihm saßen zwei weiße, tiefverhüllte Gestalten, die mir den Rücken zukehrten. Die drei Sitzenden rauchten ihre Tschibuks in anscheinend feierlicher Ruhe, während zwei Mamelucken, die vom Feuer herkamen, fingerhutgroße türkische Kaffeeschälchen auf einem silbernen Brett herbeibrachten. Wenige Schritte von dieser Gruppe staken ein paar lange Lanzen im Boden. An diesen waren zwei kleine weiße Pferde angebunden, die mit gesenktem Kopf, aber gespitzten Ohren aufmerksam zuzuhören schienen, was in der Gesellschaft gesprochen wurde. Zwei gewöhnliche Talgkerzen in einer riesigen, aber nichts weniger als eleganten Laterne standen im Boden und kämpften vergebens mit dem roten Schein, der vom Feuer her über das nächtliche Bild flackerte.

»Ah – Herr Eyth!« rief Halim, als mich der erste matte Schimmer der zweifelhaften Beleuchtung traf. »Sie kommen später, als ich erwartete. Aber Sie haben sich doch wieder hergefunden.«

Ich sprang vom Esel, der in fast unerklärlicher Weise sofort in der verdienten Dunkelheit versank. Wenige Sekunden später hörte man seinen fluchtartigen Galopp. Der Scheich von Maraska, sein Herr, verstand besser als ich, das geängstigte Tier in Bewegung zu setzen, und hatte ohne Zweifel keinen andern Gedanken, als sein kostbares Eigentum so schnell als möglich aus der vornehmen Gesellschaft, in die es zu geraten drohte, zu erretten. Es gelang, und noch heute bin ich dem besorgten Mann das Backschisch schuldig, das ich ihm gern gegeben hätte. Doch das ist nun seine Sache. Rasch trat ich auf Halim zu, indem ich nach bestem Wissen und Gewissen tejminisierte, ein Gruß, der sehr viel malerischer ist als das Hutabnehmen, selbst wenn man ihn nicht von einem arabischen Zeremonienmeister gelernt hat, zu dem sich Rames Bey gelegentlich mit Bereitwilligkeit für mich hergab.

»Ich hätte früher hier sein können, Monseigneur,« sagte ich, »aber ein Zwischenfall, der mir überaus peinlich«

»Ich weiß, ich weiß!« unterbrach er mich lebhaft, während ein finsterer Schatten über sein Gesicht flog, aber ebenso rasch wieder verschwand. »Haben Sie die Zeichnungen, die wir brauchen?«

»Gewiß, Hoheit,« antwortete ich, um ein Gutes erleichtert, und zog das kleine Paket aus der Brusttasche. Er nahm es mit der ihm eignen raschen, nervösen Bewegung aus meiner Hand.

»Gut, sehr gut!« sagte er dabei. »Ich habe Sie nicht nach Schubra geschickt, um auf Pferde aufzupassen. Das war die Sache Achmeds, des Mamelucken. Der Bursche kann von Glück sagen, daß heute die Nacht en Nuß min Schaaban ist.« (»Die Lelet en Nuß min Schaaban« heißt wörtlich die »Nacht der Mitte des Schaaban«, des neunten Monats im Jahr; die Ägypter nennen sie wohl auch die »Nacht des Schicksals« und feiern sie als eines ihrer wichtigeren Feste.)

Er schwieg einen Augenblick, wie wenn er etwas verschluckte. Dann fuhr er fort:

»Sie werden müde sein und hungrig. Rames, zeige Herrn Eyth das für ihn bestimmte Zelt! Ihre Sachen habe ich holen lassen. In einer halben Stunde essen wir zu Nacht. Reiben Sie sich den Staub ein wenig ab; Sie sehen nicht übel aus, mein Freund!«

Das muntere, freundliche Lächeln, das mich schon öfter in harten Augenblicken bei frischem Mut erhalten hatte, war zurückgekehrt. Rames Bey winkte mir. Während ich mich verneigte, sah ich zum erstenmal die zwei Paar funkelnden Augen, die mir aus den scheinbar kohlschwarzen Gesichtern der dichtverhüllten, am Boden sitzenden Gestalten nachblickten.

»Achmed kann den Allbarmherzigen preisen,« sagte mein Führer halblaut und vertraulich zu mir, während wir nach meinem Zelt gingen, »und bei Gott, dem Einzigen, du auch. In der Nacht des Verhängnisses verzeiht er jedem, was er im Monat Schaaban gesündigt hat. Es ist ein Gelübde, das er seit zehn Jahren hält. Mir zahlt er pünktlich die Spielschulden, die ich ihm heute gestehe. Allahbuk! Er ist kein schlimmer Herr! Möge der Erzengel des Allgütigen, der im Buch des Lebens in dieser heiligen Nacht die nötigen kleinen Verbesserungen für das nächste Jahr vornimmt, seiner gedenken! Brauchen können wir es alle, und der Gesegnete des Herrn hat es schon einmal für uns getan: heute vor zehn Jahren. Das soll mir niemand ausreden.«

All dies bezog sich auf die eben angebrochene Nacht »en Nuß min Schaaban«, in welcher Allah, soweit dies angeht, seinem himmlischen Geheimschreiber, dem Erzengel Gabriel, kleine Korrekturen diktiert, die dieser sodann in der Urschrift des Buches vornimmt, in welchem das unabänderliche Schicksal jedes Sterblichen seit Uranfang der Dinge verzeichnet steht. »Aber wie ist das möglich?« fragte ich Rames Bey bei einer andern Gelegenheit, denn die Geheimnisse der Nacht beschäftigten den denkenden Tscherkessen nicht wenig. »Weiß der Allwissende nicht schon längst ganz genau, wie alles kommen wird?«

»Oh, diese Ungläubigen!« antwortete mir Rames mit einiger Entrüstung. »Weiß der Allwissende nicht auch, daß er sein Wissen ändern wird? Bist du nicht beschämt, o Baschmahandi? Aber die Ungläubigen verstehen das Einfachste nicht. Möge dich Gott von deinen Irrwegen ablenken!«

Auch geht Allah, wenn er mit dem Buche fertig ist, heute nacht an dem Lotosbaum vorüber, der einsam an der äußersten Grenze des Paradieses steht und auf dessen Millionen Blättern die Namen der Menschen geschrieben sind, die auf der Erde leben. Da sind frische und welke, helle und dunkle; jeder Mensch hat sein Blatt. Diesen Baum schüttelt der Allmächtige mit eigner Hand, und wessen Blatt zur Erde fällt, der wird im kommenden Jahr auch zur Erde fallen. Es ist für jeden Gläubigen eine bedenkliche Nacht, und es war mir nicht möglich, ein Lächeln des Zweifels auf Rames Beys ruhigen Zügen hervorzulocken, was zu andern Zeiten nicht schwierig gewesen wäre.

»Ja,« fuhr er fort, indem er meinen Zeltvorhang aufschlug und ein Streichholz anzündete, um das dunkle Innere zu beleuchten, »heute vor zehn Jahren! Damals hing Halims Blättchen nur noch an einer Faser, und das seines Neffen Abbas Pascha, des Vizekönigs, schien in strotzender Reife zu stehen. Aber der Allgerechte schüttelte, und am andern Morgen hast du Talgkerzen, o Baschmahandi?«

Beim unsicheren Schein eines zweiten Streichholzes entdeckte ich, daß mein gesamtes Gepäck den Boden des Zeltes bedeckte. Rasch war eine Kamelsatteltasche aufgerissen und ein Pfund Kerzen sowie eine arabische Papierlaterne herausgeschüttelt. In kürzester Zeit konnten wir bei festlich beleuchtetem Hause an das provisorische Ordnen und Einräumen meiner Sachen gehen. Meine eiserne Bettstätte war bereits aufgeschlagen; Halim mit seiner gewohnten Aufmerksamkeit, wenn er in Zelten lebte, hatte mir eine Binsenmatte und einen amerikanischen Schaukelstuhl geschickt. Es fing bald an, wohnlich auszusehen.

Rames Bey war einsilbiger als gewöhnlich, während er mir half. Doch erzählte er mir mit unterdrückter Leidenschaftlichkeit, die zwei Männer, die Halim Pascha soeben empfange, seien Schakale, Söhne von Schakalen, aus der Wüste bei Suez! Bedaui vom Stamme der Tiyaha, wenn ich es genau wissen wolle. So oft Halim Pascha in jener Richtung auf die Jagd gehe, kommen sie zum Vorschein, aber so weit ins Delta herein hätten sie sich früher nie gewagt. Es sei eine ewige Bettelei, weiter nichts. Der Tscherkesse hatte offenbar wenig Zuneigung zu den Kindern der Wüste.

»Aber Effendini empfängt die weißen Gentlemen sehr höflich,« sagte ich zweifelnd. »So empfängt man Bettler nicht.«

»Nein; und das ist unser Unglück,« meinte Rames ärgerlich. »Es sind Bettler und Räuber. Räuber lasse ich mir wohl gefallen. Wir sind auch Räuber, wo ich zu Hause war; aber Bettler! Du wirst sehen, ich muß dem Alten, ehe er fortgeht, heute noch zwei oder drei Beutel guter türkischer Pfunde in die Satteltasche stecken, die ich selbst recht gut brauchen könnte. Alles für nichts und aber nichts.«

»Das wohl schwerlich,« warf ich ein. »Einen Grund muß der Prinz wohl haben.«

»Nun ja!« brummte Rames und schlug zornig auf mein Kopfkissen los, denn er war freundlich genug, mir das Bett zu machen, während ich mich wusch. »Du weißt doch, die Fürstin, die Mutter Effendinis, die bei ihm in Schubra wohnt, die letzte Frau des alten Mohammed Ali Friede sei mit ihm! sie war vom Stamm der Tiyaha, und der alte Schakal, der drüben sitzt, er saß nie auf einem Teppich wie heute, sorgt dafür, daß wir es nicht vergessen.«

»Halims Vetter also?«

»Mehr!« flüsterte Rames Bey. »Ich ersticke, wenn ich die weißen Hunde sehe.«

»Aber wie kam das eigentlich? Ein alter Mameluck wie du weiß alles.«

»Es ist eine alte Geschichte; sie spielte vor meiner Zeit. Aber heute nacht erzählt man sich gern alte Geschichten. Das liegt in der Luft der Lelet en Nuß min Schaaban. Warte, bis der Mond aufgeht. Dann geht uns das Herz auf, und die Zunge löst sich. Denn wenn Allah im Buche des Lebens blättert und die Blätter der Zukunft umwendet, so blättern auch wir. Er, der Allwissende, nach vorwärts, wir, die Unwissenden, nach rückwärts. Da war geschrieben, daß Mohammed Ali von Suez nach Kairo reiten sollte und daß eine Tochter der Tiyaha am Wege sitzen mußte, halb entschleiert, in der brennenden Sonne. Der Pascha war durstig, und das Mägdlein hatte eine Kullah (eine ägyptische Wasserflasche) neben sich stehen. Sie gab ihm zu trinken und lachte über sein finsteres Gesicht, denn er hatte böse Nachrichten von Syrien und von seinem Sohn Ibrahim Pascha bekommen, und sie war wie ein Gazellenzicklein, das noch nichts fürchtet.«

»Da sprach der Pascha zu ihr: ›Du gibst mir Wasser, da ich fast vertrocknet war, und du lachst mir wie die Sonne am Festtage der Frühlingslüfte, obgleich es finster um mich ist. Wallah! So soll es bleiben. Nehmt sie mit!«

»Da setzten sie die Mamelucken auf ein Kamel, das mit Glasperlen und Federn geschmückt war, und sie ließ sich's gefallen und weinte nicht. Denn sie war schlau wie alle Tiyahas. Und ein Jahr später beugte sich das ganze Harim des Vizekönigs vor ihr, denn sie war Halim Paschas Mutter geworden, unsre Fürstin. Ich weiß heute noch nicht, wie die Schakale zu der jungen Löwin kamen; denn das war sie. Bist du fertig?«

Er blies die Laterne aus. Wir gingen nach des Paschas Zelt zurück, vor dem sich das Bild mittlerweile kaum geändert hatte. Da die Nacht kühler zu werden begann, hatte sich auch Halim einen weißen Mantel umwerfen lassen. Die drei Gestalten saßen noch immer in würdiger Haltung rauchend auf dem Teppich, hier und da, fast flüsternd, kurze Bemerkungen voller Höflichkeit austauschend. Doch waren sie am Abschiednehmen angelangt. Halim schien ein anderer Mann zu sein als der, den ich auf der Gabeleia oder in den Baumwollfeldern zu Schubra kannte. Seine Bewegungen waren ruhiger, zurückhaltender, seine Rede langsamer und feierlicher, fast schien es, als sei seine Hautfarbe brauner, das machte wohl der weiße Mantel, als glänzte das Weiß seiner Augen wie das seiner Besucher. Das Beduinenblut in ihm war in sichtlicher Wallung.

»Bleibt bis zum Morgen!« sagte er. »Meine Zelte sind eure Zelte! Die Nacht ist dunkel, und die Wege sind schlecht und von Kanälen zerschnitten, die ihr nicht kennt.«

»Wir haben dich in der Nacht des Schaaban gesehen, o Bruder; es ist genug!« antwortete der Ältere, »und du hast meinen Sohn gesehen. Das ist genug! Wenn in einer Stunde das Blatt meines Lebens vom Paradiesesbaum fällt, werde ich nicht klagen. Mein Sohn hat unter deinen Zelten gesessen, und alle Beni Tiyaha werden dir gehorchen, wenn du ihnen rufst. Grüße deine Mutter, unsre Schwester, die Fürstin. Wir lieben Kairo nicht und wissen nicht, wie wir dir nahen sollen, wenn dich Türken und Franken umgeben. Aber hier, am Rande der Wüste und der großen Wasser, bist du der unsre, und die alten Frauen des Stammes wissen, daß deine Mutter ihre Schwester ist. Deshalb rufe, wenn die Franken dich bedrängen oder die Türken dich verraten. Du weißt, wo die Leute deines Stammes wohnen.«

»Wenn ihr gehen wollt – so geht in Frieden!« antwortete Halim fast im gleichen Tone. »Der Rat des Alters wird immer ein offenes Ohr finden; und wenn ich einen jungen Arm brauche oder ein flinkes Pferd, so weiß ich, wo ich es zu suchen habe. Gott, der Einzige, sei gepriesen!«

Der zweite Araber warf sich mit einer impulsiven Bewegung aus der sitzenden Stellung auf die Knie und berührte den Boden mit der Stirne.

»Es ist kein Gott außer Gott!« sagte er dabei halblaut. »Er weiß alles. Er kennt das Herz der Menschen.«

Dann standen alle drei auf, und ein feierliches Gebärdenspiel, das fast komisch anzusehen war und fünf Minuten dauerte, leitete den Abschied ein.

»Wenn ihr heute etwas für mich tun wollt,« sagte dazwischen Halim, »so reitet über Maraska. Es liegt fast auf euerm Wege. Dort findet ihr ein krankes Pferd El Dogan, meinen Liebling. Du kennst ihn, o Ibrahim, und wirst wissen, ob Gott seine Krankheit geschickt hat oder ein Afrit ihn verfolgt. Seht nach dem Tier und schickt es mir gesund zurück.«

»Gott sei gepriesen,« sagte der Alte, »daß er deine Gedanken lenkte und wir dir dienen können. Wenn die Kunst, die die Wüste lehrt, das Tier erretten kann, so siehst du es morgen gesund und munter vor deinem Zelt. Lebe wohl.«

Sie hatten zum zehntenmal schon Lebewohl gesagt und schienen aufs neue beginnen zu wollen, als Halim Pascha seinem Adjutanten Rames Bey, mit dem ich im Schatten der Zelte stand, winkte und drei Finger in die Höhe hob. Rames ging rasch in das Zelt des Paschas, kam mit drei gewichtigen Beuteln heraus, die er zu den Pferden der Beduinen trug und, soweit ich im Lichte der elenden Laternen sehen konnte, in die Satteltasche der größeren Stute steckte.

Jetzt erst wurde es wirklich ernst mit dem Abschied. Die zwei Söhne der Wüste rissen ihre Lanzen aus dem Boden, schwangen sich in ihre Sättel, vermummten sich in ihre Kopf- und Gesichtstücher noch etwas sorgfältiger als zuvor und trabten in die finstere Nacht hinaus. Halim Pascha sah ihnen eine Minute lang nachdenklich nach, warf seinen Burnus von den Schultern, drehte sich auf dem Absatz um, lachte ein eigentümliches, halb verlegenes Lachen und rief, in die Hände klatschend: »Mangeons!«

Im Küchenzelt wurde es lebendig. Die sechs Leibmamelucken eilten herbei, jeder mit einem Teil des erforderlichen Tischgerätes bewaffnet. Die Vorbereitungen zur Mahlzeit nahmen nicht mehr als drei Minuten in Anspruch. Ein achteckiges, zierlich eingelegtes, kaum einen halben Meter hohes Tischchen wurde in die Mitte des Teppichs gestellt, ein rundes Brett aus Messingblech darauf gelegt, auf dieses drei flache, tellergroße Brote und neben dieselben ein hölzerner Löffel und eine kleine goldgestickte Serviette. Einer der Mamelucken reichte uns feierlich ein großes Kupferbecken und goß Wasser über unsere Hände. Es sollte, wie aus all dem hervorging, korrekt arabisch gespeist werden; schon der bedenkliche Mangel an Weingläsern ließ darüber keinen Zweifel. Wir ließen uns vor dem Tischchen nieder.

Ich hatte nicht zum erstenmal die Ehre, mit Halim Pascha in dieser für uns Europäer etwas unbehaglichen Weise die Freuden der Tafel zu genießen. In Schubra wurde nach den Regeln des Westens gesessen und gegessen, wenigstens außerhalb des Harims. Auf der Jagd oder bei seinen Rundreisen im Lande wurde die in mancher Beziehung bequemere Landessitte beobachtet. Halim war hierbei gewöhnlich ein Meister heiterer Liebenswürdigkeit und freute sich an der Ungeschicklichkeit und dem Mangel arabischer Gesittung seiner Gäste aus dem Abendlande. Heute war er ausnahmsweise in sich gekehrt und schien minutenlang auf das lärmende Zirpen der Grillen, das Quaken der Frösche und das ferne Gebell der Dorfhunde zu hören, welche die Nachtstille unter sich verteilt hatten. Rames Bey ahmte seinen Herrn getreulich nach, und so kamen wir an die den Schluß des Mahles bezeichnende unvermeidliche Reisschüssel, ohne daß der Eindruck des nächtlichen Wanderbildes durch Gespräche über französische Kunst, englische Erfindungen oder deutsche und arabische Philosophie gestört wurde, wie dies sonst wohl der Fall war.

Tischchen und Geschirr – die aus Brot bestehenden Teller waren verzehrt – verschwanden ebenso rasch, als sie gekommen waren. Die Mamelucken brachten noch ein halbes Dutzend Kissen und Polster aus Halims Zelt, so daß es sich jeder so bequem als möglich machen konnte. Halims Tschibuk wurde frisch angezündet und glimmte wie ein Glühwürmchen im Dunkel. Rames Bey steckte sich auf des Paschas Wink eine Zigarre an, und ich als eingefleischter Nichtraucher sah zu, wie die volle Mondscheibe riesengroß am fernen Horizont aufstieg. Der etwas erhöhte Standort des Lagers gestattete einen freien Blick über die nächste Umgebung. Es war ein Bild prachtvoller Einsamkeit. Fast taghell lag die gewaltige Fläche vor uns, über deren nördliche Hälfte ein zarter weißer Dunst wie ein Schleier langsam hin und her wogte. Das Minarett von Kassr-Schech schimmerte grünlich aus den dunkeln Sykomoren heraus. Von dort her tönte leises, fernes Händeklatschen. Vermutlich veranstalteten einige Derwische der Gegend mit den Fellahs einen Sikr, einen Gebetstanz zu Ehren der heiligen Nacht. In langen, sanften, bald heißen, bald kühlen Stößen zog die Nachtluft durch das Lager, als ob abwechslungsweise die Wüste und das nahe Meer über uns hinatmete. Es war doch ganz anders hier als in Kairo und Schubra, der unverfälschte, träumerische Orient mit seinem halbschlummernden Leben, seinen geheimnisvollen Kräften, die wir im Westen nur ahnen und nie verstehen werden und die unser Seelenleben trotzdem heute noch beherrschen, meist ohne daß wir es wissen.


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