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XIX.

Als Dr. Klotze davon erfuhr, daß seine Schwägerin sich dazu bereitgefunden hatte, einen Privatdetektiv heranzuziehen, grollte er zunächst ein wenig, und meinte, diese Cherlock Holmes hätten bisher in der praktischen Kriminalistik nur Unheil angerichtet und seien lediglich als Romanfiguren genießbar. Er besänftigte sich etwas, als man ihm sagte, dieser Wundermann aus Berlin habe maßgebenden Wert darauf gelegt, von Anfang an in engster Fühlung mit der Polizei zusammenzuarbeiten und Oberinspektor Jarmer habe seine Mitarbeit, nachdem er Dr. Roller kennengelernt und einen Einblick in seine Methoden bekommen habe, geradezu mit Begeisterung zur Verfügung gestellt. Als er dann aber hörte, daß Dr. Roller dahintergekommen sei, daß Kilian Menke irgendwelchen Anteil an dem Monstrediebstahl zum Nachteil des Millionärs Schlünz gehabt habe, trumpfte er auf:

»Siehst du, liebe Sibylle, habe ich es nicht von Anfang an gesagt, daß mit deinem geliebten Kilian nicht alles in Ordnung sein kann. Wenn mir nur der langweilige Jarmer auch berichtet hätte, daß es sich bei diesem Diebstahl des angeblichen Barkow oder wie der hieß, für den Menke sich ausgab, um Millionen handelte, also um weit mehr, als Menke dir jemals veruntreuen könnte, wäre ich auch schon auf die richtige Spur gekommen. Ich sage dir, deinen Menke bist du los, der ist mit dem Raube längst über alle Berge. Jetzt bleibt uns für ihn und dich nur die Hoffnung, daß sie ihn nicht mehr zu fassen bekommen. Denn seine Verurteilung wäre für deine Firma ja ein recht übler Schlag.«

»Mein lieber Max, du weißt, wie dankbar ich dir für alle deine aufopfernde Mühe bin, du darfst es mir daher nicht verübeln, wenn ich dir folgendes antworte: Daß all dein angespannter Eifer leider ohne Erfolg geblieben ist, kommt nach meinem sicheren Gefühl nur daher, daß du an die übernommene Aufgabe mit einer vorgefaßten Meinung herangetreten bist. Du warst und bist immer nur auf der Suche nach dem ›dunklen Punkt‹, worunter du ein Menke belastendes Geheimnis verstehst; du wolltest etwas finden, was Menke ungünstig ist, und da es so etwas nicht gibt, gingst du notwendig in die Irre. Sag mir doch bitte, was du gegen unseren Kilian Menke hast, wie es kommt, daß du so prädisponiert bist, bei ihm Schlechtigkeiten zu vermuten.«

»Was sollte ich wohl gegen Kilian Menke haben? Er hat mir nie etwas getan. Ich wüßte nicht ...«

»Nein, etwas Persönliches ist es natürlich nicht, Kilian Menke tut ja keinem Menschen etwas. Aber es muß ein Zug in seinem Wesen, irgend etwas in seinem Gehaben sein, was dir, vielleicht unbewußt, mißfällt.«

»Auch da wüßte ich nichts anzugeben. Menke ist dein treu bewährter Geschäftsführer, er hat deinen lieben Mann im Geschäft tatsächlich vollständig ersetzt, und das will schon etwas heißen. Er hat deine Firma und ihr Ansehen gehoben, er ist von Erfolg zu Erfolg geeilt, er ist dir unentbehrlich. Was kann man gegen einen solchen Menschen auf dem Herzen haben?«

»Siehst du, dieses gerade ist es, was dich sicher unbewußt beeinflußt, Max. Kilian Menke war dir gar zu erfolgreich, so etwas verträgt die menschliche Umgebung schlecht; sie sucht bei denen, denen alles zum Besten schlägt, nach dem ›dunklen Punkt‹, denn sie möchte, daß Licht und Schatten gleichmäßig verteilt seien.«

»Wenn du damit mir nicht bewußten Neid unterstellen willst – ich glaube wirklich, frei davon zu sein –, kann ich dir wohl folgen. Und wirklich, wenn ich darüber nachdenke, diese erfolgvertrauende Selbstsicherheit, dieses, bildlich gesprochen, Schwimmen im eigenen Fett der Unwiderstehlichkeit hat mich bei Menke dann und wann gestört. Ich fand dann wohl, ein kleiner Dämpfer würde seiner Menschlichkeit nicht abträglich sein.«

»Nun, den Dämpfer, wenn er ihn verdient hat, hat er denn jetzt ja bekommen; klein ist er gewiß nicht gewesen, hoffen wir aber, daß er mit dem Leben davonkommen wird.«

»Ich bewundre deine Sicherheit, daß du auch jetzt noch, wo du weißt, daß Menke doch bei diesem Millionendiebstahl irgendwie seine Hand im Spiele hat, annimmst, es habe sich nur um einen schicksalhaften Dämpfer gehandelt, daß du scheinbar gar nicht in Erwägung ziehst, daß Menke mit angeschmutzter Seele aus diesem Abenteuer hervorgehen könnte.«

»Man muß vielleicht Frau sein, um so etwas unbeirrbar zu wissen; denn wir Frauen sind ja wohl wesentlich weniger von der Führung des Verstandes und damit auch von seiner Irreführung abhängig, als ihr Männer. Es ist unmöglich, daß mein Gefühl für Kilian Menke mich trügt.«

»Entschuldige die Indiskretion, Sibylle, dann liebst du ihn also?«

»Ich weiß nicht, was du unter Liebe verstehst. Wenn du an so etwas denkst, das in den Hafen der Ehe münden könnte, wäre es einfach lächerlich, von Liebe zu sprechen. Auch Mutterliebe würde kaum ganz das Richtige treffen, wenngleich ich Kilian Menke immer als Mentor mit meinen beiden Söhnen in eins erblicke. Er ist mir ans Herz gewachsen, das möchte ich sagen, er hat mein Gefühl berührt, er gehört irgendwie zu mir. Deshalb vertraue ich auf ihn wie auf wenige Männer, nur soweit ich mich in mir selber täuschen kann, kann ich mich in ihm täuschen.«

»Dann möchte ich dir mit meinen Vermutungen über die Beteiligung Menkes an dem Verbrechen bei Schlünz nicht weiterkommen. Hast du von Dr. Roller und Jarmer schon Näheres gehört?«

»Sie sind vorgestern, Donnerstag, morgens von Dortmund abgefahren, nachdem der Mann, den sie im Verdacht hatten, glücklich der Polizei entwischt ist. Gestern waren sie zunächst auf dem Wilseder Berge und riefen mich abends von Soltau aus an. Ich habe keine Ahnung, was es da in der Heide nachzuforschen gibt. Wenn nicht was dazwischen kommt, wollten sie heute nachmittag herkommen. Du bleibst zum Kaffee, nicht wahr? Ich denke und hoffe, dann triffst du sie hier gleich mit an.«

Wirklich stellten sich kurz vor vier Uhr Dr. Roller und Jarmer ein. Frau Lengfeldt fühlte ein schwaches Gefühl in den Knien, als sie ihnen zur Begrüßung mit beiden ausgestreckten Armen entgegenschritt:

»Was bringen Sie mir, meine Herrschaften? Ich warte schon sehnlichst auf Sie.«

»Nur Gutes, aber leider noch nicht die endgültige Lösung, und insbesondere Kilian Menke noch nicht«, entgegnete Dr. Roller. Er und Jarmer berichteten abwechselnd von dem, was sie in Dortmund und Essen in Erfahrung gebracht hatten und erklärten, daß die Spur gefunden sei, daß alles genau nach der Theorie des Herrn Dr. Roller stimme, daß man überzeugt sein könne, daß Menke den Diebstahl nicht begangen habe, daß noch ungeklärt sei, wodurch er veranlaßt worden sei, in Dortmund sich als Baskow auszugeben, daß sie mit einem der Haupttäter, Brechert, eingehend gesprochen hätten, dem sie aber bis zu seiner Flucht noch nichts Schlüssiges hätten beweisen können, dessen Mitschuld aber jetzt eben infolge seiner Flucht, die sie übrigens erwartet hätten, für jedermann feststünde. Leider sei darüber, wo Kilian Menke vom Tage seiner Freiheitsberaubung bis zum Attentat bei Schlünz verwahrt worden sei, und wo er sich seitdem befinde, noch nichts festgestellt.

Als Dr. Roller gerade auseinandersetzen wollte, welche Vermutungen man in dieser Richtung auf Grund des bisherigen Befundes hegen könne, wurde Jarmer an das Telephon gerufen, weil sein Vertreter ihn ganz dringend in der Angelegenheit Kilian Menke zu sprechen wünschte. »Na nu, was kann es denn so Dringendes geben?« murmelte Jarmer vor sich hin, als er sich an den Apparat ins Nebenzimmer begab. Alle waren auf das Äußerste gespannt und lauschten, was am Fernsprecher gesagt würde. Sie hörten:

»Hier Jarmer. Bitte ja? Ein Telegramm? woher? Aus Freiburg in Breisgau, jawohl, ich verstehe: Breisgau. Wer ist da verhaftet? Ich verstehe den Namen nicht. Ach, so! Müller, der Schauspieler Theodor Müller ist dort festgestellt und verhaftet. Was haben Sie veranlaßt? Hertransport? Ich rufe sofort wieder an, antworten Sie noch nichts. Jawohl, bis gleich.«

»Mein Gott, Theodor Müller ist verhaftet! Sowas! Was fangen wir mit dem an?« sagte Jarmer ganz kleinlaut, als er sich langsam und versonnen an seinen Platz zurückbegab.

»Natürlich sofort freilassen«, rief Dr. Roller.

»Ich weiß doch nicht, ich würde ihn kommen lassen, der Mann war doch immerhin ...«, bemerkte Dr. Klotze.

»Auf alle Fälle müssen wir den Steckbrief gegen ihn sofort aufheben«, meinte Jarmer, »das beste wird sein, ich setze mich sogleich mit Kriminalrat Sack in Verbindung, der mag entscheiden.«

Während Jarmer im Nebenzimmer die erforderlichen Telephongespräche führte, berichtete Dr. Roller weiter:

»Es steht unumwunden fest, daß man Kilian Menke nur deshalb geraubt hat, weil er das Unglück hat, diesem Baskow zum Verwechseln ähnlich zu sehen, damit er ihm ein Alibi beschaffe. Der Plan ist glänzend angelegt und durchgeführt. Vor diesem Rädelsführer Brechert habe ich alle Hochachtung, das ist ein Gegner, wie ihn der Kriminalist sich wünschen mag. Die zeitlichen Parallelen, wie man die beiden Opfer monatelang umlauert hat, dort Schlünz, um ihn zu berauben, und hier Menke, um ihn zu mißbrauchen, passen bis auf das I-Tüttelchen. Man könnte beinahe das Datum feststellen, wann der Plan zuerst erwogen, wann er entworfen und wann seine Ausführung beschlossen ist. Über alles dieses habe ich jetzt eine völlig klare Vorstellung, die in geringfügigen Einzelheiten noch der Korrektur bedürfen mag, aber in allem Wichtigen unbedingt zutreffend ist.«

»Es mutet geradezu wie ein Wunder an, wie Sie, Herr Doktor, alles dieses in ganz kurzer Zeit ermittelt haben. Wenn man bedenkt, daß wir erst am letzten Montag hier zusammensaßen und Sie damals das erstemal mit diesem Geheimnis sich befaßten, und was wir heute am Sonnabend an Erkenntnissen gewonnen haben, so weiß ich nicht, wie man Ihnen mit Worten danken soll.«

»Gnädige Frau, sehr verbunden, aber das Rätsel liegt allein darin – und dahinterzukommen war die Hauptschwierigkeit –, daß man zwei völlig getrennte Tatsachengruppen, die örtlich und zeitlich weit voneinander getrennt schienen, unter ein und demselben Gesichtswinkel betrachten mußte. Man brauchte nur diesen Versuch zu machen, und die Enträtselung fiel einem wie eine reife Frucht in den Schoß.«

»In der Tat, ich gebe mich geschlagen«, sagte Dr. Klotze, »vielleicht hätten wir auch dahinterkommen müssen, aber auf den Gedanken, daß man einen x-beliebigen nur deshalb rauben könne, weil er einem anderen ähnlich sieht, bin ich einfach nicht verfallen; Sack und Jarmer übrigens auch nicht, darf ich zu meinem Troste hinzufügen.«

»Nun, wir sind ja bedauerlicherweise noch nicht am Ende und würden uns freuen, Herr Landgerichtsrat, wenn Sie bei der Ermittlung des Ortes, an welchem Kilian Menke gefangengehalten wird, uns Ihre guten Dienste leihen würden. Über unsere Erwägungen zu diesem Punkt möchte ich folgendes anführen: Zunächst, lebt Kilian Menke noch? Dagegen könnte sprechen, daß er den Verbrechern eine Last sein mußte von dem Tage an, wo er ihnen zu ihrem Raub verholfen hatte. Wenn Kollege Jarmer und ich dennoch mit Entschiedenheit der Meinung sind, daß er nicht getötet sei, so beruht dies zunächst auf der Erwägung, daß jemand, der einen steinreichen Mann um Liebhaberwerte, selbst dann, wenn es sich um Millionen handelt, bestiehlt, deshalb ohne zwingende Not noch lange kein Mörder ist. Diesem Brechert, den wir ja kennengelernt haben und der ein durchtriebener und schlauer Kerl ist, kann man einen Mord a priori keineswegs zutrauen. Entscheidend dagegen aber spricht die Tatsache, daß der Häuptling der Bande bis vor wenigen Tagen noch nicht verschwunden war; hätte er sein Gewissen mit einem Morde belastet, so hätte er sich ganz zweifellos inzwischen längst von dannen gemacht, wozu er seit zwei Monaten jeden Tag Gelegenheit hatte. Daß dies nicht geschehen ist, spricht dafür, daß es für ihn im Inland noch Wichtiges zu erledigen gab; dabei wird es sich um die Sicherung des Raubes, aber vermutlich auch um die weitere Verwahrung Kilian Menkes gehandelt haben.«

Während dieser Erörterungen war Jarmer in das Zimmer zurückgekommen. Sack habe angeordnet, daß Müller in Freiburg polizeilich vernommen werden solle und wenn sich herausstelle, daß er im April nicht in Deutschland gewesen sei, zu entlassen sei. Im übrigen erklärte Jarmer, daß er in allen Punkten den Ausführungen Dr. Rollers nur zustimmen könne; es komme vielleicht in Betracht, daß die Täter versucht haben könnten, Kilian Menke unter der Maske Baskows über die Reichsgrenze in das Ausland zu schmuggeln, aber das wäre doch wohl ein reichlich schwieriges und gefährliches Unterfangen gewesen, so daß man diese Möglichkeit als unwahrscheinlich vorläufig besser außer acht lasse.

»Also, meine Herrschaften«, ergriff Dr. Roller wieder das Wort, »die zweite Frage ist, wo lebt Kilian Menke? Seit bald vier Monaten halten die Räuber ihn jetzt in Haft. Wir wissen, die Zentrale der Banditen war Dortmund, aber es ist undenkbar, daß Menke dort verwahrt worden ist; denn sämtliche Mitglieder der Bande, wie Baskow, ein Mann namens Farchau, Brechert, die in Dortmund sich aufhielten, haben dort ein durchaus friedliches Leben geführt, streng bürgerlich und seßhaft, angeblich ganz ihren Geschäften als Handelsmakler hingegeben. Es ist im hohen Maße abwegig, anzunehmen, daß sie sich nebenbei mit der Bewachung eines Gefangenen abgegeben haben sollen. Nichts ist darüber festgestellt, daß der eine oder andere von ihnen jemals zeitweilig unaufgeklärte Wege gegangen oder Beziehungen unterhalten hat. Man hat das alles recht gründlich untersucht, weil man ja immerhin drei Tage lang einen scharfen Verdacht auf Baskow geworfen hatte. Hinzukommt aber, daß es in unseren heutigen deutschen Großstädten, wo es Elends- und Verbrecherviertel kaum mehr gibt, ein nahezu unmögliches Unternehmen bedeutet, widerrechtlich einen Menschen länger als ein Vierteljahr gefangenzuhalten, ohne daß Nachbarn oder Passanten das geringste auffällt.«

»Auch die Dortmunder Kripo«, ergänzte Jarmer, »hält es für ausgeschlossen, daß dort irgendwo seit vierzehn Wochen ein Mensch gegen seinen Willen gefangengehalten sein soll.«

»Nun erscheint uns aber erwiesen, daß ein Mann namens Wilster Mitglied der Bande ist. Er war guter Bekannter aller Leute um Baskow; er war es, den Baskow auf seiner angeblichen Reise in den Teutoburger Wald – über diese Reise hat man leider keine näheren Nachforschungen angestellt –, es handelt sich um den Ausflug, den er unmittelbar vor dem Raube ausgeführt haben soll –, also dieser Wilster war es, den Baskow auf dieser Reise getroffen hat. Er hat aber, wie wir ja wissen, damals überhaupt nicht Baskow, sondern Kilian Menke ›getroffen‹, jedenfalls ist er mit Menke und nicht mit Baskow am Tatmorgen in Dortmund eingetroffen. Dieser Wilster, seines Zeichens angeblich Kaufmann, Branche unbekannt, hat seit Februar häufiger tageweise in der »Pension Kröchel« logiert, dann immer eng liiert mit Baskow und Farchau. Sonst soll er häufig in ›der Heide‹, nämlich in unserer Lüneburger Heide, gewesen sein. Insbesondere die letzten Wochen vor dem Diebstahl war er gar nicht in Dortmund, angeblich auf Reisen, meistens wiederum in der Heide. ›Brustkrank‹ sei er gewesen, gab Brechert uns gegenüber an, nun für Tuberkulose gibt es ja noch gesündere Aufenthalte als unsere Heide. Was hatte er hier zu schaffen? Uns scheint der Schluß nicht allzu gewagt, daß er sich nicht weit von dem Ort aufgehalten hat, wo auch Menke sich befand. Wir haben daher in Soltau mit unseren Nachforschungen eingesetzt, waren auf dem Wilseder Berg, wo übrigens Wilster im vorigen Herbst, von Mitte August bis Ende September sechs Wochen lang, zeitweilig zusammen mit Brechert, Farchau und einem gewissen Stieler, sich aufgehalten hat. Seitdem ist er dort, wie man glaubt, höchstens zweimal wieder ausflugsweise erschienen, ohne zu übernachten. Man meint, er habe sich irgendwo in der Heide angesiedelt. Wir haben nun gestern und heute morgen die Gegend zwischen Soltau, Wintermoor, Amelinghausen und Ülzen abgeklappert, auf allen Gendarmeriestationen Nachfrage gehalten, aber ohne jeden Erfolg. Der Name Wilster ist überall völlig unbekannt.«

»Es war und bleibt eine mühselige Arbeit«, fügte Jarmer hinzu, »denn die Heide ist endlos weit, und einsame Gegenden gibt es nord- wie südwärts. Ich habe an sämtliche in Frage kommenden Polizeiverwaltungen eine Rundfrage erlassen, insbesondere auf einsam gelegene Anwesen außerhalb der Ortschaften aufmerksam gemacht. Ob wir aber mit einem raschen Erfolg rechnen können, steht dahin.«

In diesem Augenblick klingelte das Telephon; nach wenigen Augenblicken meldete das Dienstmädchen, daß es sich um einen Fernanruf handele, soweit sie verstanden habe aus Münster. »Wer kann mich denn nur aus Münster anrufen?« überlegte Frau Lengfeldt auf dem Weg ins Nebenzimmer. Sie nahm den Hörer in die Hand. Sie wurde aus Munster verlangt, und rief in das Nebenzimmer: »Es handelt sich um Munster, Munster in der Heide, nicht Münster, mein Gott, was mag das sein?« Es dauerte eine Weile, bis das Amt den Anrufer erreicht hatte. Dann hörte Frau Lengfeldt die Worte: »Hier ist Kilian Menke.« »Was, wie? Sie, Kilian Menke?« konnte Frau Lengfeldt noch sagen, dann sank ihr der Hörer aus der Hand. Jarmer setzte das Gespräch fort. Kilian Menke meldete, daß er mit Hilfe eines Mädchens, das bei ihm sei, heute morgen endlich sich selbst habe befreien können. Er spreche von der Gendarmerie in Munster aus. Er sei völlig mittellos und bitte, ihn mit dem Auto abzuholen. Sonst ginge es ihm gut.

Es war einhalbsieben Uhr, als Jarmer und Dr. Klotze mit dem Lengfeldtschen Wagen Lüneburg verließen, um den lange Vermißten heimzuholen. Frau Lengfeldt, die sich von dem freudigen Schreck rasch erholt hatte, blieb mit Dr. Roller zurück. Zu den beiden gesellte sich um sieben Uhr Uwe Menke, der die letzten Tage an der Ostsee verbracht und sich zum Abendessen angemeldet hatte. Er wollte seinen Ohren nicht trauen, als er erfuhr, daß man mit dem Abendessen bis gegen halbneun Uhr warten müsse, da sich noch ein neuer Gast, nämlich sein Bruder Kilian, angemeldet habe. Er gab als erstes ein Telegramm an seinen Bruder Raimund auf: »Kilian gefunden, wird heute abend in Lüneburg sein. Glückstrahlend Uwe.«


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