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VIII.

In den nächsten Tagen bis zur Abreise gestaltete sich das Leben Kilian Menkes, wenn man von den seelischen Beschwernissen absieht, die jede Freiheitsentziehung unvermeidlich mit sich bringt, recht angenehm. Wilster stand ihm fast jeden Tag zur Verfügung, dann und wann nahm er mit ihm eine Mahlzeit in seiner Kemenate, es lebhaft bedauernd, daß es nicht angängig sei, diese Schmausereien in herrschaftlicheren Zimmern, die an sich zur Verfügung stünden, stattfinden zu lassen. Bei den Ausgängen wurde es so gehalten, daß Menke während des Verlassens der Zelle stets die Augen verbunden wurden; dann ging es eine Strecke von einigen hundert Metern im Freien, bis man in einem waldartigen Wildpark angelangt war, der, soweit ein Durchblick durch Gebüsch und Unterholz möglich war, offenbar an allen Seiten von einer übermannshohen steinernen Mauer eingezäunt war; aber das zur Verfügung stehende Gelände war weiträumig und abwechslungsreich; es gab da Steingrotten und Raststätten inmitten von lauschigen Gebüschen oder an einem Bache, der sich mehrfach teichartig erweiterte, so daß diese Gänge im ersten prangenden Frühlingsgrün eine herrliche Erfrischung waren.

Trotz alles inneren Widerstrebens machte Menke bei diesen regelmäßigen Zusammenkünften die Erfahrung, daß ihm die Art und das Wesen dieses sogenannten Wüster einfach sympathisch seien; er mußte sich häufig geradezu krampfhaft ins Gedächtnis zurückrufen, daß er es bei ihm mit einem vermutlich rückfälligen Verbrecher zu tun habe, und daß er ein Opfer seines Frevels sei. Höchst amüsant fand er zum Beispiel die augenzwinkernd-neckische Art, mit der ihn Wilster zu Übungszwecken beharrlich als »Baskow« anredete; er verstand es auch, ihm gewisse Tips und Hinweise in humoristischer Form zu geben, wie er sich als Baskow zu benehmen habe. »Sie müssen erst noch ordentlich baskiert werden«, sagte er in seiner drolligen Art. Auf die Frage aber, ob es denn wirklich einen solchen Baskow gäbe, antwortete er ausweichend, darauf komme es nicht an, sondern nur darauf, daß Menke als Baskow einen bestimmten Typ vertrete, der zu seiner zukünftigen Funktion passe.

Ungeachtet alles Gefallens, das Kilian Menke an diesem Zusammensein beinahe widerwillig fand, war er immer bestrebt, durch die Führung der Gespräche weitere Einzelheiten über die Hintergründe seiner Gefangenschaft in Erfahrung zu bringen. So machte ihn zum Beispiel die Bemerkung Wilsters, daß er »baskiert« werden müsse, stutzig, ob denn damit auch seine Theorie, daß inzwischen sein Doppelgänger seine Stelle einnehme, vereinbar sei. Es gab auch noch andere gelegentliche Äußerungen Wilsters, die nicht ohne weiteres mit seiner Annahme in Einklang zu bringen waren, so die, daß er sich darauf wappnen müsse, in ganz fremdartiger Umgebung sich unbefangen und so zu benehmen, als ob ihm alles seit langem gewohnt und vertraut sei, oder daß er auf keinen Fall sich verraten dürfe, wenn ihn ein x-beliebiger mal mit herzlichem Schulterklopfen als Baskow anspreche. Er nannte ihm eine große Anzahl nichtssagender Redewendungen, hinter denen er seine erste Bestürzung verstecken könne, wie (je nach der Lage) »Nicht so stürmisch« oder »Immer noch auf allen vier Beinen?« oder »Daß du die Nase ins Gesicht behältst« und was dergleichen Schnacke mehr sind.

Da Kilian Menke hierdurch gewisse Bedenken bekam, ob er auch recht daran tue, sich seiner Sache so sicher zu fühlen, wie er zu sein glaubte, beschloß er nach etwa einer Woche bei einem einstündigen Spaziergang Wilster auszuforschen, um sich soweit möglich Gewißheit zu verschaffen. Er nahm daher nach einer Gesprächspause, wie folgt, das Wort:

»Sagen Sie mal, Wilster, ich möchte Sie etwas fragen, und ich denke, Sie werden keine Bedenken zu haben brauchen, mir wahrheitsgemäß zu antworten.«

»Wenn's irgend angeht, bin ich Ihnen gern gefällig, das wissen Sie, Baskow. Um was handelt es sich?«

»Waren Sie mal im Kontor bei Lengfeldt Söhne in Lüneburg?«

»Nein, wieso, wie kommen Sie darauf? Sie können sich ja wohl denken, daß ich keine Veranlassung hatte, mich in Ihrem Geschäft in Lüneburg vorzustellen, wo ich die düstere Absicht hatte, mich Ihrer Person zu bemächtigen.«

»Wer spricht denn von Vorstellung? Als Wilster waren Sie natürlich nicht da. Aber haben Sie nicht einmal als Bannewitz eingeguckt.«

»Als Bannewitz? Und warum das?«

»Um mir von einem flüchtigen Bekannten namens Faustian Grüße zu bestellen?«

»Wie kommen Sie in aller Welt darauf, Baskow?«

»Weil man mir diesen Bannewitz damals ziemlich deutlich beschrieben hat; und alles paßt haargenau auf Sie.«

»Sie haben aber einen Spürsinn, Baskow, alle Achtung! Also gut, dieser Bannewitz war ich. Daß Sie das rausgekriegt haben!«

»Dacht ich mir's doch! Aber Menschenskind, wenn Sie mich damals nun angetroffen hätten, was dann?«

»Dann wäre ich nicht gekommen; ich wußte natürlich ganz genau, daß Sie nach Berlin abgedampft seien.«

»Auch das habe ich mir schon zusammenklabüstert. Aber nun sagen Sie mir bloß, wie kommen Sie auf diesen Wichtikus Faustian?«

»Diesen schwatzhaften Obertrottel habe ich einmal auf einer Bahnfahrt zwischen Bielefeld und Nordheim kennengelernt. Der war nicht so verschlossen wie Sie. Der hat mir sein ganzes Leben erzählt, als gäbe es für mich nichts Interessanteres als diesen Stumpfsinn. Aber ich pflege mir so ein Gequatsche stets mit größter Langmut anzuhören. Auch diesmal wurde meine heroische Geduld belohnt: Sie kamen in seinem Gedröhn auch vor; er war förmlich stolz darauf, mit so einer Kanone wie Ihnen Schulter an Schulter gearbeitet zu haben. Das interessierte mich natürlich; denn damals hatten wir das bekannte Auge auf Sie schon geworfen. Na, und da hatte ich den erwünschten Anknüpfungspunkt.«

»Und was wollten Sie denn eigentlich bei Lengfeldt Söhne?«

»Aushorchen natürlich, was denn sonst? Ich habe mit Ihren Leuten da einen tüchtigen Speech gehalten, sie haben hervorragend ausgepackt, muß ich sagen.«

»Davon hat mir die Blase natürlich nichts gesagt! Da sieht man, wie vernünftig es ist, daß dem Personal solche Schwatzereien verboten sind. Aber das Volk läßt ja das Schnacken nicht, wenn keine Aufsicht da ist.«

»Damit hatte ich allerdings gerechnet, zumal der liebe Gott mir die Gabe einer brauchbaren Unterhaltung nun einmal verliehen hat. Seien Sie Ihren Männern nicht allzu böse, denn schließlich ist es mir ja sogar gelungen, Sie zu meinem Gesprächspartner zu machen. Das war immerhin einigermaßen schwieriger.«

»Hat dieser vorwitzige Faustian Ihnen eigentlich wirklich Grüße für mich aufgetragen?«

»Nicht die Bohne, Baskow. Der hatte ja keine Ahnung, daß ich von Ihnen was wußte oder daß ich in Lüneburg irgendwas zu tun hatte.«

»Soso, da hatten Sie also allerhand über meine Firma erfahren. Mir fällt übrigens ein, daß ich da am Sonnabendnachmittag in Hamburg Ihnen ja auch das ein oder andre von meinen Geschäften erzählt habe. Aber da schienen Sie kein rechtes Ohr dafür zu haben.«

»Das war natürlich, seien Sie nicht böse, nichts als Schauspielerei. Das beste Mittel, jemanden zum Reden über Dinge, die ihm am Herzen liegen, zu veranlassen, ist, völlige Interesselosigkeit zu heucheln.«

Kilian Menke fand durch die Offenherzigkeit, mit der Wilster ihm auf seine Fragen Rede und Antwort gestanden hatte, sein Vertrauen bestätigt. Außerdem schlug er sich nach diesen Offenbarungen jeden Zweifel an der Richtigkeit seiner Theorie aus dem Sinn und war mehr als je überzeugt, daß er durch logische Schlußfolgerungen das Geheimnis seiner Verhaftung entschleiert habe. Es schien ihm daher bedenklich, durch weitere Nachforschungen den anderen auf die Vermutung zu bringen, daß er um die Natur des beabsichtigten Verbrechens Bescheid wisse. Die vielen Unterhaltungen, die er in diesen Tagen noch mit Wilster führte, bezogen sich daher grundsätzlich auf neutrale und allgemeine Dinge, wobei er von dem aufgeschlossenen Wesen und den lebensklugen Ansichten seines Partners möglichst zu profitieren suchte.

Die Lockerung seiner Verwahrung brachte aber noch einen weiteren Umstand mit sich, der sich in der Folgezeit als sehr bedeutsam erweisen sollte. Er trat nämlich in persönliche Beziehungen zu dem Mädchen Elja, das er bis dahin nur als unsichtbares Heinzelmännchen um sich hatte wirken gefühlt. Die erste Begegnung fand im Park statt, als er an einem Sonntag dort nachmittags in Begleitung von Wilster schlenderte. Elja kam auf die beiden Männer zugelaufen und rief Wilster zu, daß er am Telephon verlangt würde. Dieser antwortete mit einem Anflug von Ungehaltenheit:

»Wo ist denn Robert?«

»Vater ist zur Post; er sollte ja ein Telegramm aufgeben.«

»Richtig. Und Ajax?«

»Auf dem Hofplatz. Ich werde ihm pfeifen.« Das Mädchen ließ einen ziemlich leisen Pfiff ertönen, mehr fast ein lockendes Vogelgezwitscher, und im Nu kam in langen Sprüngen der gewaltige Hund herbeigetollt, um an ihr begeistert in die Höhe zu springen. Wüster aber sprach mit einem prüfenden Blick auf Menke-Baskow:

»Führen Sie den Herrn in sein Zimmer. Am Parkrand werden ihm die Augen verbunden. Vor dem Hunde darf ich Sie ausdrücklich warnen, Baskow!« Und im Geschwindschritt machte er sich davon.

»Kommen Sie, wir tun, was er gesagt hat«, wandte sich Menke an das Mädchen, indem er sie genau ins Auge faßte. Es war eine zierliche Dirn mit flachsblondem, gelocktem Haar und himmelblauen Augen, die seinen Blick ein wenig befangen, aber freundlich erwiderte. Sie war festlich-sonntäglich, aber einfach gekleidet und bot mit ihren seidenbestrumpften, schlanken Fesseln, ihren feingegliederten freien Unterarmen und ihrem biegsamen Körper einen rührend-erfreulichen Anblick. Kilian Menke war irgendwie ergriffen, daß sein geheimer Schutzgeist ihm in so anmutiger Gestalt vor die Augen trat; er hatte sich bisher keinerlei Gedanken darüber gemacht, wie das Wesen aussehen möge, das zu der lieblichen Stimme gehörte, die er dann und wann vernommen hatte. Seine Frage kam daher irgendwie erschrocken heraus:

»›Vater‹, sagten Sie? Ist denn dieser Robert Ihr Vater?«

»Mein Stiefvater. Er hat meine Mutter geheiratet; von meinem wirklichen Vater weiß ich nichts.«

»Und Ihre Mutter, wo ist denn die?«

»Sie ist auf und davon, wohin weiß niemand.«

»Warum denn? Wie lange ist das her?«

»Vor acht Jahren, ich war damals zehn Jahre alt, als Vater im Gefängnis war, kam ein Mann und nahm sie mit. Sie hatte es nicht gut mit Vater gehabt, glaube ich. Wir haben nie wieder von ihr etwas gehört.«

»Und Sie? Sie leben seitdem mit Ihrem Vater? Haben Sie es denn gut bei ihm?«

»Mit Vater ist nicht gut leben, er läßt einem keinen Willen. Aber mir tut er nichts. Wenn er gut sein kann, zu mir ist er's.«

»So, wir sind am Parkrand, jetzt müssen Sie mir die Augen verbinden.«

»Sie sind so folgsam. Ich fürchtete, Sie würden mir nicht gehorchen. Kommen Sie, hier ist das Tuch.«

»Ich werde Ihnen doch keine Ungelegenheiten bereiten, liebes Kind. Außerdem hat es für mich im Augenblick auch keinen Zweck, zu fliehen, und schließlich würden Sie ja Ajax auf mich hetzen.«

»Ja, das müßte ich. Aber glauben Sie mir, daß ich es nur sehr ungern täte. Ich bin daher dankbar, daß ich es nicht nötig habe.«

»Ich lasse mich gerne von Ihnen so führen, kleine Elja. Wissen Sie was? Wir wollen Freunde werden, wenn es geht, nicht wahr?«

»Das möcht ich gern ...«

»Wir wollen beide unsern Wärtern, Sie Ihrem Vater, ich Herrn Wüster sagen, daß ich Ihnen ebenso folgen werde wie Ihrem Vater, dann wird man uns schon zusammenlassen.«

»Ja ...«

Sie waren an der Zellentür angelangt. Nach einem herzlichen Händedruck schloß Elja die eiserne Tür hinter sich zu. Innerlich erschüttert, setzte sich Kilian Menke in seinen Ohrensessel und flüsterte vor sich hin: »Nach sechs Wochen der erste Mensch! der erste wirkliche Mensch!!« Nach dem Abendessen an diesem Tage sprach Wüster noch einmal bei »Baskow« vor. Er äußerte:

»Mein lieber Baskow, die erste Probe aufs Exempel haben Sie heute gottlob bestanden. Mir war schauderhaft zumute, als ich Sie da allein mit der Göre zurücklassen mußte; denn es war ja immerhin nicht absolut sicher, ob Ajax ohne männliche Anleitung funktionieren würde. Aber ich sagte mir, daß ich Ihnen Vertrauen schenken dürfe und müsse nach allem, was zwischen uns abgemacht und besprochen ist. Sie haben mich nicht enttäuscht.«

»Ich pflege mein Wort zu halten, auch Ihnen, denn ich habe es Ihnen im Rahmen unserer Beziehungen freiwillig gegeben. Wie Sie wissen, liegt mir alles daran, diese Verbrecherfratze Ihres Robert so selten wie möglich zu sehen. Meine Bewachung ist daher bei dieser Göre ebenso sicher wie bei Ihrem Haupt- und Staatsbüttel, diesem Robert, das kann ich Sie feierlich versichern.«

»Gut, ich will es mir merken. Doch nun etwas anderes und Wichtigeres: Die Dinge kommen jetzt rasch in Fluß. Es ist damit zu rechnen, daß wir unseren Ausflug noch in dieser Woche antreten können. Sind Sie bereit?«

»Selbstverständlich. Wohin soll es denn zunächst gehen, und welches Verkehrsmittel werden wir benutzen?«

»Wo wir zunächst Rast machen, ist noch nicht ganz raus. Die Fahrt wird im Auto vor sich gehen. Natürlich werden da wieder einige Sicherungsvorkehrungen sich vernotwendigen.«

»Wieso? Was für Vorkehrungen?«

»Nun, Sie dürfen natürlich niemals erfahren, wo dieser Ihr Ferienaufenthalt stattgefunden hat. Sie müssen sich also beim Aufbruch und die ersten Stunden danach einschläfern lassen; denn natürlich dürfen Sie nicht merken, wie lange bis zu unserer Ankunft die Fahrt gedauert hat, das liegt ja auf der Hand.«

»Daran habe ich noch gar nicht gedacht und ich gestehe, daß mir das recht unangenehm ist. Läßt es sich auf keine Weise vermeiden?«

»Wenn Sie uns eine andere Methode angeben können, wie es ausgeschlossen werden kann, daß Sie Anhaltspunkte für die hiesige Gegend bekommen, meinetwegen. Aber Sie werden mir zugeben, ein anderes Verfahren, das den gleichen Erfolg hätte, nämlich nicht nur Ihren Gesichts-, sondern auch Ihren Zeitsinn abtötet, gibt es nicht.«

»Das ist ärgerlich. Wer wird das Verfahren an mir anwenden?«

»Natürlich ich, so daß Sie vor jedem Mißbrauch absolut sicher sein können. Wir geben Ihnen einen kleinen harmlosen Ätherrausch, Sie werden vorzüglich schlafen, erfrischt erwachen, und dann geht das Spiel los. Kopf hoch, Baskow! Sie haben schon Schlimmeres durchgemacht!«

»Geben Sie mir die Versicherung ab, daß es sich bestimmt nur um einen relativ kurzen Ätherrausch handeln wird, daß nur Sie persönlich und ganz allein an mir irgendwelche Handlungen vornehmen werden und daß während meiner Betäubung nichts mit mir geschieht oder vorgenommen wird, was Sie mir nicht vorher in allen Einzelheiten angekündigt haben?«

»Hier, Baskow, meine Hand darauf! Ich versichere all das, was Sie eben gefragt haben. Vertrauen um Vertrauen!«

»Gut, dann bin ich auch noch zu diesem bereit.«

In den folgenden Tagen wurden die Mahlzeiten fast regelmäßig durch Elja in die Zelle gebracht. Als sie das erstemal am Montag Mittag kam, sagte sie:

»Das hat fein geklappt, ich darf Ihnen jetzt Ihr Essen bringen. Aber passen Sie auf, draußen auf dem Flur ist Ajax, soll ich ihm mal pfeifen?«

»Das ist nicht nötig, Elja, ich habe versprochen, Ihnen genau so zu folgen wie Ihrem Stiefvater, also kann Ajax von mir aus ruhig fehlen. Ich bin ja so froh, daß Sie zu mir kommen.«

Jedesmal verweilte Elja ein Viertelstündchen bei Menke, während er, angeregt durch freundliches Geplauder, die reichlichen und guten Mahlzeiten verzehrte. Als er, nachdem ein herzlicher Ton zwischen den beiden zur Selbstverständlichkeit geworden war, dazu überging, sie danach auszuhorchen, wo man sich eigentlich befände, und was für ein Verhältnis wohl zwischen Robert und den »Herren« obwalte, sagte sie mit Tränen in den Augen:

»O bitte, das dürfen Sie mich nicht fragen. Ihnen zuliebe würde ich ja gar zu gern alles sagen, was ich weiß. Aber es geht doch nicht! Die sind so schlau, die kriegen das bestimmt heraus, und was wäre die Folge? Ich könnte nie wieder zu Ihnen. Möchten Sie das wohl?«

»Du hast recht, kleine Elja. Wir wollen uns nicht die einzige Freude verderben, die wir beiden Armen unter diesen bösen Menschen hier haben. Komm, sprechen wir von was anderem.«

Wüster war an den ersten beiden Tagen dieser Woche verreist, und, angetan von dem belebenden Umgang mit der holden Elja, vermißte Kilian Menke die geweckten Unterhaltungen mit ihm nicht. Schmerzlich war ihm allein, daß er seine Parkgänge nun wieder Seite an Seite mit dem stockstumm und bärbeißig neben ihm schreitenden Robert verrichten mußte, da man es doch offenbar für unzweckmäßig hielt, ihn hierbei der Bewachung Eljas anzuvertrauen; aber dafür wurde er dann durch die lieblichste Gesellschaft bei den Mahlzeiten entschädigt. Am Donnerstag war Wüster wieder da und ersichtlich in einer Verfassung, die man nur als Hochspannung bezeichnen konnte. Er erklärte bei der Begrüßung:

»Also, Baskow, jede Stunde kann es losgehen, die Zeit ist reif. Das heißt, wir werden hier nur an einem Abend aufbrechen, also tagsüber sind wir vor Überraschungen sicher, aber vielleicht fliegen wir schon heute abend aus.«

»Mir soll es recht sein«, erwiderte Menke, indem er Gelassenheit heuchelte. In Wirklichkeit saß ihm spürbar ein Kloß in der Kehle.

»Ich habe mir das folgendermaßen gedacht. Ehe wir aufbrechen, vergnügen wir uns bei einigen Schlummerpunschen; das bereitet die Peinlichkeit des Einschläferns zwanglos vor, indem Sie förmlich Sehnsucht nach einem gehörigen Schlaf bekommen. Was meinen Sie?«

»Ich bin's zufrieden. Nett, daß Sie mir die Chose möglichst erleichtern wollen.«

Am Freitag dieser siebenten Haftwoche abends gegen sieben Uhr teilte ihm Wilster mit, daß der Aufbruch am gleichen Abend stattfinden solle. Er fand sich nach dem Abendessen bei Menke-Baskow ein; gleichzeitig brachte Elja alles Gerät für viele Schlummerpünsche, und bei einer nervösen und etwas fahrigen Unterhaltung, bei der Wilster zweimal sich versprach und Menke mit seinem richtigen Namen und nicht mit Baskow anredete, kamen beide in eine ausgelassene, weinselige Stimmung. Nach etwa einer Stunde bremste Wilster:

»Wir dürfen uns hier aber kein Räuschlein antrinken, Menschenskind, das geht nicht. Morgen brauchen wir alle beide einen klaren Kopf.«

»Nun sagen Sie mir aber um alles in der Welt, mein Bester, wo geht die Reise eigentlich hin?«

»Das werden Sie sehen, wenn wir da sind.«

»Gewiß doch, aber um so mehr können Sie es mir ja jetzt schon sagen, wenn ich es morgen ohnehin erfahre.«

»Mein bester Menke – verflucht nochmal, Baskow wollte ich sagen –, mein bester Baskow, wenn ich doch aber nur nach meinen Instruktionen handeln darf! Wir fahren eben ins Blaue; mögen Sie keine Blaufahrten?«

»Also dann sage ich es Ihnen: es geht nach Lüneburg, Sie haben es mir ja schon neulich zugegeben.«

»Morgen noch nicht. Wir machen erst an einem anderen Orte Rast. Wir werden in einer höchst komfortablen Pension wohnen, wir beide in einem Zimmer, es wird fidel werden, passen Sie auf!«

»Was wird denn in dieser Pension geschehen?«

»Dort werden wir Nachrichten abwarten, uns unterhalten, essen und uns die Zeit vertreiben. Besondere Arbeit erwartet uns da nicht.«

»Verworrene Geschichte! Und wann geht es weiter?«

»Vielleicht, ja wahrscheinlich noch morgen vor abend, aber das hängt eben von den Nachrichten ab. Doch wo ich nun doch schon zu viel ausgeplaudert habe, kann ich Ihnen ja noch einige weitere Tips geben.«

»Ich bin gespannt. Was für Tips?«

»In der Pension wird man Sie mit Baskow anreden, und so tun, als ob man Sie kenne. Das wird höllisch amüsant! Sie werden darauf ohne jedes Zeichen von Überraschung eingehen und den Leuten da einen Baskow vormimen, der sich gewaschen hat. Daß Sie das nur nicht verpatzen!«

»Wo denken Sie hin? Ich bin doch im Bilde. Hie gut Baskow allewege, hahaha!«

»Es wird ein Mordsspaß, Baskow, ich sehe, Sie werden Ihre Sache vorzüglich machen, zum Totlachen einfach!« Und beide gerieten in ein unbeherrschtes Gelächter, bei dem sie sich fröhlich zuprosteten, indem sie den Rest ihrer Gläser hinunterspülten. Dann aber sah Wilster auf die Uhr und sprach in etwas verändertem Ton:

»Doch nun stop, Baskow. Wir müssen uns bereitmachen, es ist neun durch, wir haben ein verfluchtes Ende zu fahren. Kommen Sie, legen Sie sich auf Ihr Bett, duseln Sie schon ein bißchen ein, ich hol den Äther.«

»Ehrlich gestanden, es ist mir ekelhaft. Aber ich habe ja Ihr Ehrenwort, nochmals die Hand drauf.«

»Hier meine Hand, also los!«

Kilian Menke legte sich auf sein Lager, in kurzer Zeit kam Wilster zurück und drückte ihm die Maske auf die Nase. Ihm schwanden die Sinne.


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