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X.

Im Einvernehmen mit der Hamburger und der Lüneburger Kriminalpolizei machte sich Dr. Klotze daran, das Vorleben und die Beziehungen Kilian Menkes bis in die geheimsten Winkel zu durchleuchten. Gleichzeitig übernahm es Kriminalrat Sack, den bisher in völliges Düsternis gehüllten Spuren, die Kilian Menke bei seinen vielfachen Hamburger Besuchen hinterlassen haben mochte, nachzugehen, während die Lüneburger Dienststelle, getreulich der von ihr vertretenen Theorie, durch Rundfragen bei allen erdenklichen Stellen im ganzen Lande und durch Sonderermittelungen den gegenwärtigen Aufenthalt Kilian Menkes auszuforschen versuchte.

Die Tätigkeit Kriminalrat Sacks führte nach drei Wochen, also etwa sieben Wochen nach dem Verschwinden Kilian Menkes, zu einem vorläufigen Endergebnis, und zwar zu einem so mageren Ergebnis, daß keine Anhaltspunkte für weitere Nachforschungen sich boten. Die eingehende Befragung des Personals im »Hotel Windsor« ergab, daß Kilian Menke in den letzten zwei Jahren dort reichlich ein dutzendmal logiert hatte, nur vor Jahr und Tag einmal zwei Nächte hintereinander, sonst stets nur für eine Nacht. Er war in dem Hotel ein gern gesehener, angenehmer Gast gewesen, mit dem es niemals die kleinsten Anstöße gegeben hatte. Über seinen Umgang wußte man im Hotel so gut wie nichts, er sei, wenn man nicht irre, ausnahmslos allein im Hotel gewesen. Bestimmt habe er in den Räumen des Hotels nie Verkehr mit Frauen gehabt; daß er solche mit in sein Zimmer genommen habe, komme bei dem Charakter des Hotels überhaupt nicht in Betracht. Da er, erklärtermaßen, meistens zu Vergnügungszwecken in Hamburg verweilt habe, sei es das natürlichste von der Welt gewesen, daß er nachts meistens erst spät, manchmal auch sehr spät, heimgekehrt sei; dann sei er aber stets höchstens animiert und immer in durchaus einwandfreier Verfassung gewesen. Bekannt war, daß er häufig das Hansa-Theater besuchte; davon, welche Lokale er sonst etwa bevorzugen mochte, wußte man im Hotel nichts. Im Hansa-Theater war der Name und die Person Kilian Menkes unbekannt; nur eine Platzanweiserin glaubte in der vorgelegten Photographie einen des öfteren gesehenen Besucher wiederzuerkennen. Der Betreffende war wohl immer ohne Begleitung gekommen, zuletzt etwa Mitte April; auch damals sei er, meinte die Platzanweiserin, allein gewesen, als er ihr ein Programm abkaufte.

Kriminalrat Sack ließ es sich nicht verdrießen, in allen in Betracht kommenden Vergnügungsstätten und Nachtlokalen – und in sonstigen Betrieben stichprobenweise – nachfragen zu lassen, ob der Name Menke oder sein Gesicht dort bekannt sei. Den Namen kannte niemand, seiner Gesichtszüge glaubte sich der eine oder andere Oberkellner vornehmerer Gaststätten vermutungsweise zu erinnern, ohne aber sonst die geringsten Angaben machen zu können. In allen fragwürdigeren Lokalen, besonders in solchen in St. Pauli oder in Altona, wurde sein Bild vergeblich vorgezeigt. Das schloß natürlich nicht aus, daß er in einem der Etablissements einmal gewesen sei, aber daß er dort nicht wiederholt oder gar regelmäßig verkehrt hatte, stand danach fest. Das einzige, was der Spürsinn des Herrn Sack auskundschaftete, war, daß Kilian Menke an jenem Sonnabend von etwa 10 Uhr bis nach Mitternacht im »Nachtasyl« gewesen war. Zwei Verkehrsdamen des Kabaretts erkannten ihn mit voller Bestimmtheit wieder und wußten, daß das Zusammentreffen an einem Sonnabend im April stattgefunden habe. Er sei sehr animiert und vergnügt gewesen. Betrunken? Nein, das nicht, angetrunken aber könne man wohl sagen. Bei ihm sei ein gleichalteriger Herr gewesen, mit dem er schon gekommen sei. Das sei ein gut aussehender, aber nach dem Urteil der Mädchen recht hochnäsiger Kavalier gewesen, weiter beschreiben könnten sie ihn nicht. Dieser andere sei Arzt gewesen, die Herren seien plötzlich gegangen, weil er zu einer Operation abberufen worden sei, bei der übrigens Menke habe assistieren müssen. Woher sie das wüßten? Das habe Menke selbst gesagt. Wie denn, Menke, nicht etwa jener andere habe das gesagt? Jawohl, bestimmt, Menke, wenn er so heiße; der andere habe sich überhaupt nicht verabschiedet. Ob das ernst gemeint gewesen sei? Das könnten sie nicht wissen, darüber hätten sie sich keine Gedanken gemacht; das ganze sei jedenfalls in animierter Stimmung berichtet worden. – Das war alles. Was war damit anzufangen?

Ähnlich nichtig, nach der Meinung der Polizei, war das Ergebnis der Ermittlungen Jarmers. Nirgendwo in aller Welt war ein Mensch namens Kilian Menke aufgetaucht, und kein Polizeibüro wußte zu melden, daß man an der Hand des Lichtbildes ihn entdeckt habe. Nur aus Dortmund wurde zu Beginn der siebenten Woche nach dem Verschwinden Kilian Menkes gemeldet, daß die dortige Bahnhofswache eine Person gestellt habe, die der abgebildeten ähnlich zu sehen scheine. Dieser Mann habe sich aber einwandfrei ausweisen können und sei auch durch einen in seiner Begleitung befindlichen Bekannten eingezeugt. Daß dieser Mann aber nicht Kilian Menke sein könne, ergäbe sich ohne weiteres aus der Tatsache, daß er schon seit längerer Zeit und schon wochenlang vor dem Verschwinden Kilian Menkes seinen regelmäßigen Aufenthalt in Dortmund habe. Der Betreffende sei übrigens im Besitz einer Rückfahrkarte von Dortmund nach Essen gewesen. – Das war in dieser Beziehung alles, und auch damit war unmöglich etwas anzufangen.

Um so erhöhtere Bedeutung erhielten die Nachforschungen Dr. Klotzes, die er bis in die erste Hälfte des Juni hinein, als diese Fehlergebnisse vorlagen, schon fleißig, wenn auch keineswegs mit günstigeren Ergebnissen gefördert hatte. Da es ihm naheliegend schien, daß der »dunkle Punkt« nicht gar zu tief in der Vergangenheit liege – denn sonst wäre dieser Zwischenfall wohl eher eingetreten –, so ging er nach dem Plane vor, das Leben Kilian Menkes von hinten an aufzurollen, und begann daher mit seinen Nachforschungen in Lüneburg.

Seine unablässigen Erkundigungen bei der Haushälterin Menkes, Frau Dünning, führten dazu, daß diese treffliche Person in großer Ungehaltenheit sich diese ewigen Schnüffeleien verbat, wobei sie schnippisch den Hinweis sich erlaubte, daß Dr. Klotze froh sein sollte, wenn er an Ehrenhaftigkeit und Unbescholtenheit es mit Kilian Menke aufnehmen könne. Ihre Auffassung wurde durch die genaueste Durchsicht aller persönlichen, übrigens musterhaft geordneten Schriften, die Menke in seiner Wohnung und zu einem kleinen Teil auch im Kontor aufbewahrte, bestätigt. Es war da rein gar nichts, was auf irgendein »Geheimnis« hindeutete, nicht der geringfügigste Fingerzeig, nicht der dürftigste Anhaltspunkt. Die Akribie seiner Untersuchungen trieb Dr. Klotze so weit, daß es sogar auffiel, daß bei, den handschriftlichen Entwürfen der Jahresberichte, die Menke für die Inhaberin anfertigte und zu Hause aufbewahrte, derjenige des vorletzten Geschäftsjahres sich nicht anfand, eine Entdeckung, die man zur Kenntnis nehmen, aber sonst unmöglich verwerten konnte.

Durch diese Versager nicht im mindesten abgeschreckt, durchforschte mit zäher Gründlichkeit Dr. Klotze den vielverzweigten persönlichen Verkehr, den Kilian Menke unterhalten hatte. Er führte Unterhaltungen mit den meisten Mitgliedern der Vereinigungen, denen Menke angehörte, so mit seinem Fachverband, dem Schwimmverein, dem Briefmarkenklub, der Kegelgemeinschaft, einem Stammtisch im Ratskeller, wo Kilian Menke gelegentlich verkehrte. Überallher klang ihm das gleiche herzliche Bedauern über das rätselhafte Schicksal, von dem der Vermißte betroffen sein mußte, entgegen, kaum einer hielt es für möglich, daß Menke sich freiwillig von Lüneburg fernhielt. Aber Dr. Klotze war nicht gesonnen, sich mit allgemeinen Redensarten abspeisen zu lassen; er bohrte mit lästiger Beharrlichkeit weiter, er bat ausdrücklich darum, sich auch vielleicht nebensächlich anmutender Geringfügigkeiten zu erinnern, die auf Menke Bezug hätten. So brachte er an den Tag, daß Kilian Menkes Nervosität in den letzten Wochen mehrfach aufgefallen sei; dieser oder jener wollte beobachtet haben, daß er letzthin ein etwas verändertes Wesen gehabt habe, nämlich verschlossener und unfreundlicher. Manch einem war aufgefallen, daß er in den Wochen vor seinem Verschwinden für seine Bekannten weniger Zeit als sonst gehabt, daß er manchmal ein gemütliches Beisammensein durch unvermittelten Aufbruch unterbrochen habe; ein besonders gesprächiger Briefmarkensammler, ein Lehrer namens Kahl, wollte sogar wissen, daß sein Wesen in den letzten Tagen irgendwie bedrückt gewesen sei, als mache er sich Sorgen oder leide an einem verborgenen Kummer. Beziehungen, Beziehungen? Nein, über Beziehungen konnte keiner etwas vermelden, es sei denn, daß man folgendes als eine »Beziehung«, die Kilian Menke berührte, ansprechen wollte:

Ein Mitglied des Kegelklubs, ein Bankvolontär mit Namen Frauböse, der an einem Mittagstisch in der inneren Stadt zu speisen pflegte, hatte dort in den letzten Monaten dann und wann einen Gast unbekannten Namens getroffen und mit ihm häufiger Unterhaltungen gepflogen. Dieser Gast, der immer von außerhalb gekommen sei, übrigens ein sehr gewandter Gesellschafter, habe sich für alle möglichen Lüneburger Angelegenheiten interessiert und mit viel Aufmerksamkeit sich von dem Stadtklatsch, den Frauböse zum besten zu geben wußte, berichten lassen. Dabei sei die Unterhaltung dann und wann natürlich auch auf Kilian Menke gekommen, der ja Kegelfreund Frauböses war. Jetzt, nachträglich, sei es ihm, Frauböse, aufgefallen, daß dem Fremden diese Mitteilungen über Menke besonders wichtig gewesen sein könnten; denn er habe unauffällig in dieser Richtung manchmal gewisse Nachfragen gehalten und zwanglos das Gespräch auf Kilian Menke gebracht. Wann war denn das zuletzt? Genau konnte Frauböse das nicht angeben; aber, wenn ihn nicht alles täuschte, sollte es noch in der letzten Woche vor dem Verschwinden Menkes einmal gewesen sein, er glaube am Tage nach dem Kegelabend, also am Mittwoch; denn er habe nach seiner Erinnerung dem anderen noch von jenem Kegelabend irgend etwas erzählt. Nein, seitdem sei der Fremde bei dem Mittagstisch nicht wieder erschienen. Eine Nachfrage ergab, daß dieser Fremde wohl acht- bis zehnmal an jenem Mittagstisch gespeist haben mochte. Sein Name ließ sich nicht ermitteln. Das war bis auf den letzten Rest alles, was Dr. Klotze aus Frauböse herausquetschen konnte. Ein Fingerzeig? Ein Anhaltspunkt? Das stand dahin.

Übrig blieb das Kontor, wo das ganze Personal von Herrn Schwarz bis zum letzten Lagerarbeiter und jüngstem Lehrling in Kilian Menke einen besonders kameradschaftlichen Betriebsleiter verehrte. Mit seiner Theorie, daß Kilian Menke aus irgendwelchen Gründen entflohen sei, hatte Dr. Klotze dort einen unmöglichen Stand; wenn er diese Meinung auch nur andeutete, wurde er aufsässig und verschlossen behandelt. Der Stand der Geschäfte ließ auf das klarste erkennen, daß Kilian Menke, wenn er absichtlich nicht zurückgekehrt war, in keiner Beziehung seinen Ausfall vorbereitet hatte. Der Stand der Kasse zeigte, daß alles auf Heller und Pfennig stimmte; das persönliche Konto Menkes wies aus, daß er schätzungsweise fünfhundert Reichsmark mit auf die Reise nach Hamburg genommen hatte, daß es ihm aber ohne Schwierigkeit möglich gewesen wäre, viertausend Reichsmark an eigenen Mitteln flüssig zu machen, wenn er sich für längere Zeit fernhalten wollte. Geheimnisvolle Beziehungen? Man lachte Herrn Dr. Klotze einfach aus. Das war ja lächerlich, so etwas gab es bei Kilian Menke nicht, was er trieb und vorhatte, mit wem er umging und wen er kannte, das war niemandem verborgen, daraus hatte er all sein Lebtag kein Hehl gemacht. Dr. Klotzes Untersuchungseifer fühlte sich hier im Kontor auf so schwankem Boden, daß er sich instinktiv hütete, allzu bohrende Fragen zu stellen, weil er besorgen mußte, daß die Antworten ihm das stolze Gebäude seiner Theorie unterhöhlen könnten.

Also, was gab es denn sonst? Hatte man sich an Menke herangemacht? War jemand ungebeten an ihn herangetreten? Wie war das mit jenem Mann vom Mittagstisch, hatte er Beziehungen zu Menke, dem Manne seines besonderen Interesses, angeknüpft? Davon war nichts bekannt. Beziehungen unerwünschter Art gab es auch nicht, wieso denn? In Hamburg hatte Kilian Menke Anschluß gefunden, das hatte er offen und ehrlich, wie es seine Art war, seinen Mitarbeitern vor seiner letzten Reise nach Hamburg erzählt. Mit diesem Unbekannten vom Mittagstisch, von dem man im Kontor zum erstenmal hörte, hatte das bestimmt nichts zu tun, es war ja eine Hamburger Bekanntschaft! Dr. Klotze würde gut tun, dorthin sein Augenmerk zu richten, statt hier im Kontor unbegründete Verdächtigungen gegen den beliebten Chef auszusprechen. Nichts da von Verdächtigungen! Es sei ja sehr wohl möglich, daß an Menke ein infames Verbrechen verübt sei. Nur möglich? Das stehe außer jedem Zweifel, statt hier die Zeit zu vertrödeln, solle man den Verbrechern nachjagen. Gewiß, das solle ja geschehen, aber erst müsse man sie kennen, ehe man sie fassen könne; darum, nochmals: War da nie etwas gewesen, was auffällig gewesen sei? Jetzt endlich kam man damit heraus, daß einmal ein Fremder – wie hieß er doch noch? Dennewitz oder so ähnlich – im Kontor Menke verfehlt habe, und ihm Grüße von einem Bekannten ausrichten wollte. Der Name des Bekannten, der Name, man habe darüber noch mit Menke gesprochen, der Name –richtig! –, der Name sei Faustian gewesen; Menke habe erwähnt, er sei Angestellter in Salzderhelden. Mit jenem Fremden habe man einige Worte gewechselt, es könne eine gute Viertelstunde gewährt haben – also doch wohl mehr, als ein paar Worte! –, der Fremde habe sehr bedauert, sei aber nicht wiedergekommen. Eine ausreichende Personalbeschreibung dieses »Dennewitz« konnte Dr. Klotze nicht bekommen. Die Vermutung, daß dieser Fremde und der Mann vom Mittagstisch die gleiche Person sei, fand keine weitere Nahrung.

Sieben Wochen waren seit dem Verschwinden Menkes ins Land gegangen, als Dr. Klotze bis zu diesem Punkt gediehen war, und sich eingestehen mußte, daß weder seine noch die Ermittelungen der Polizei zur Enträtselung auch nur ein Atom beigetragen hatten. Zusammenfassend ließ sich nur sagen, daß die Wahrscheinlichkeit, daß Menke Opfer eines Verbrechens geworden sei, wesentlich zugenommen hatte. Hierüber waren sich die drei Beamten einig. Da also die Besorgnis, daß man durch eine öffentliche Nachforschung Menke warnen könne, in den Hintergrund treten mußte, so beschloß man, nunmehr die Öffentlichkeit anzuspannen und durch Anschläge und Bekanntmachungen auf den Vermißten aufmerksam zu machen. Des weiteren aber sollte Dr. Klotze seine Nachforschungen im Vorleben mit unvermindertem Eifer fortsetzen, und nunmehr die zurückliegenden Zeiträume durchforschen, also zunächst in Hannover mit Hilfe der dortigen Polizei das Erforderliche veranlassen. Dr. Klotze nahm für zwei Wochen Urlaub und reiste, begleitet von den besten Wünschen seiner Schwägerin, nach Hannover.

Er kam dort am Dienstag Mitte Juni an und war am Freitag mit seinen Ermittelungen in dieser Stadt fertig; denn es ergab sich: auch hier war schlechterdings nichts Bedeutsames in Erfahrung zu bringen. Alles andere, was man ihm in der dortigen Firma oder von Seiten der drei Logiswirtinnen, bei denen Menke während seines Aufenthaltes gewohnt hatte, mitteilte, erwies sich als unfruchtbar und gegenstandslos; nur das Verhältnis, das einige Monate Kilian Menke an Elli Beining geknüpft hatte, barg die Möglichkeit weiterer Verwicklungen. Er führte darum zwei eingehende Unterhaltungen mit dieser, die inzwischen einen Ingenieur Welcker geheiratet hatte und der es höchst unangenehm war, an diese erledigte Geschichte erinnert zu werden. Das Gespräch verlief daher beim erstenmal sehr einseitig, da Elli auf alle Fragen nur mit knappsten Andeutungen antwortete, die man ihr kunstvoll entlocken mußte. Dr. Klotze gab daher nach stundenlanger Bemühung diese Quälerei zunächst auf, indem er erklärte, wiederzukommen. Die zweite Unterredung begann er mit dem Hinweis-, daß man Elli Welcker als Zeugin gerichtlich unter Eid vernehmen lassen müsse, wenn sie sich nicht bereit finden lassen wolle, ihm in einer Privatunterhaltung Rede und Antwort zu stehen. Das half: Die junge Frau berichtete so eingehend, wie man nur erwarten konnte, von ihrer ernsten Liebesbeziehung zu Kilian Menke, den sie als einen unbedenklich rechtlichen und gradlinigen Menschen lieben gelernt hatte. Unter Erröten erklärte sie, daß die Heirat nicht an ihr gescheitert sei, sondern nur daran, daß die Gefühle, die Kilian Menke ihr entgegengebracht hätte, wohl keine richtige Liebe gewesen seien. Das habe sie damals schmerzlich empfunden, gewiß doch, sie habe es ihm geraume Zeit nachgetragen, wie es eben bei getäuschter Liebe nicht ausbleiben könne. Aber ein Makel falle deshalb bestimmt nicht auf Kilian Menke, und Rachegelüste seien auch nicht einen Augenblick in ihr aufgestiegen, um Gottes willen, nein! Seit fünf Jahren wisse sie nun nichts mehr von und über Kilian Menke, ihre Wunde sei längst vernarbt, sie sei jetzt glücklich verheiratet, und bedaure sehr, daß Kilian Menke ein Unglück zugestoßen sei. Daß er ein Verbrechen begangen habe, scheine ihr vollständig undenkbar, das könne niemand glauben, der ihm je im Leben nähergetreten sei. Dr. Klotze hatte genug; es stand fest, mit dieser jungen, netten Frau hatte das Geheimnis Kilian Menkes nichts zu tun.

Er fuhr weiter nach Bremen, und die Aussicht, daß er nun noch zu irgendwelchen Ergebnissen kommen könne, schien ihm immer mehr ins Nebelhafte zu schwinden. In der Bremer Firma wußten sich überhaupt nur noch ein Inhaber und zwei ältere Angestellte an den früheren Lehrling Menke zu entsinnen. Geheimnisse? Bei solchen jungen, unbedarften Leuten kamen Geheimnisse nicht vor, jedenfalls keine ernsthaften, denn mit dem Kinderkram, den die Halbstarken im Kopf hatten, wollte er doch wohl kaum etwas zu tun haben. Auf diesen Ton waren die Antworten gestimmt, die Dr. Klotze im Kontor und bei den Pensionsmüttern erhielt, die er mit erheblicher Mühe, soweit noch vorhanden, aufgetrieben hatte. Aufhorchen ließ Dr. Klotze nur, was ihm der Prokurist Tomscheck sagte, als er sich zuerst nach Kilian Menke erkundigte:

»Von Kilian Menke ist die Rede? Aber den habe ich doch vor einigen Tagen, warten Sie mal: richtig! am letzten Sonnabend gesehen.«

»Unmöglich! Wo denn?«

»In Dortmund im ›Stadtpark-Restaurant‹.«

»Bitte, erzählen Sie das ganz genau.

»Ich aß da allein auf der Terrasse zu Mittag – ich war geschäftlich dort – und einige Tische rechts von mir entdecke ich plötzlich ein Gesicht, das mir bekannt vorkommt! Ich konnte mich zuerst nicht recht besinnen; ich habe Menke ja immerhin vor zehn Jahren zuletzt gesehen.«

»Natürlich ja, das verändert den Menschen. Bitte weiter.«

»Dann zogen Regenwolken auf und alles drängt ins Innere des Lokals. In dem Gedrängel geriet ich zufällig heben den Mann, und, wie ich sein Gesicht so dicht neben mir sehe, da fällt mir im selben Moment ein, daß das Kilian Menke sein muß.«

»Ja, und da?«

»Ich rede ihn also erstaunt an und frage ihn, ob er nicht Kilian Menke sei.«

»Na, und er, was erwiderte er?«

»Er stammelte irgend etwas, schien mich dann aber zu erkennen, doch im gleichen Augenblick wurden wir auseinandergedrängt, und ich verlor ihn aus den Augen.«

»War er allein?«

»Nein, er saß da in einer lustigen Männergesellschaft von sechs bis acht Personen, meistens junge Leute.«

»Und Sie haben ihn nicht wiedergesehen, er hat Sie nicht an Ihrem neuen Tisch aufgesucht?«

»Das war alles, ich habe dann die Angelegenheit, die ja nicht weiter wichtig war, aus den Gedanken verloren.«

»Würden Sie beschwören können, daß Sie bestimmt Menke und niemandem anderen begegnet sind?«

»Beschwören? Das wäre ein wenig viel verlangt; ich glaubte, Menke vor mir zu haben, das könnte ich beschwören. Aber, ob er es auch wirklich gewesen ist, das weiß ich nicht.«

»Dann führt uns diese Geschichte leider nicht weiter; denn in Dortmund lebt irgendeiner, der unserem Kilian Menke ziemlich ähnlich sieht; das wissen wir aus einem Dortmunder Polizeibericht.«

»Ein Doppelgänger? Ja, das könnte möglich sein, daß ich den gesehen habe.«

Diese Unterhaltung mit dem Prokuristen Tomscheck war das einzige Berichtenswerte, was Dr. Klotze von seinem Besuch in Bremen mitnahm. Aber auch dies schien ihm nur ein Kuriosum und kein Fingerzeig zu sein.


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