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VII.

Der Verlauf dieser Unterhaltung mit Brechert, bei dem es sich offenbar um einen der Rädelsführer des Komplotts handelte, in dessen Pläne er irgendwie eingespannt war, gab Kilian Menke in den nächsten Tagen und Wochen Stoff für neue bohrende Gedankenarbeit. Die Annahme oder Hoffnung, daß er Opfer einer Verwechselung sei, war endgültig als fehlsam erwiesen. Andrerseits stand nunmehr völlig fest, was er bis dahin zwar schon für möglich, aber nicht für sehr wahrscheinlich gehalten hatte, daß jener Vorfall beim Schwimmfest, den er aus dem Geröll seines Gedächtnisses herausgegraben hatte, mit zur Sache gehörte, daß damals das rätselhafte Schicksal seine Fäden um ihn zu spinnen begonnen hatte. So sehr er auch grübelte und sich weiterer Einzelheiten zu erinnern bemühte, nichts, nicht den geringfügigsten Zug, nicht einen kleinsten Umstand vermochte er zu erkennen, wieso er durch sein Auftreten oder sein Verhalten an diesem Sportnachmittag die Aufmerksamkeit seiner Widersacher auf seine Person gelenkt haben mochte.

Viele Stunden saß er so in seinem Ohrensessel und sann; er, der bis dahin kein starker Raucher gewesen war, erfand es als Wohltat für sein geplagtes Gehirn, dabei dem flüchtigen Genuß der Zigaretten frönen zu können, und mit leicht verkniffenen Augen blickte er dem sich kräuselnden Rauche nach, der sich in weißlichen Strichen und in hauchigen Wolken verschlang, in seinem zufälligen Gebräu ihm Bilder und Figuren vorgaukelte, um die seine Gedanken sich ranken konnten. Da er jetzt mehr Anhaltspunkte für Vermutungen hatte und da ihm gesagt war, daß irgendein positives Verhalten von ihm erwartet werde, schien es ihm von großer Wichtigkeit, sich nach besten Kräften Klarheit über den Sinn seiner Gefangenschaft zu verschaffen. So stellte er Theorien und Möglichkeiten auf, teilweise schlechthin phantastische und willkürliche Annahmen, die er bei weiteren Erwägungen wieder als unsinnig verwarf, bis er nach Verlauf von etwa zwei weiteren Wochen bei folgenden Gedankengängen halt machte:

Wenn eine Verwechselung mit der Person seines unbekannten Doppelgängers nicht in Frage kam, so war es dennoch ausgemacht, daß dieser nie gesehene, ihm so ähnlich sehende Mann bei seinem Schicksal eine maßgebende Rolle spielte. Das folgte schlüssig aus dem Verhalten jenes Unbekannten in der Feuerbachstraße, der ihn für den anderen gehalten und dann nach Entdeckung seines Irrtums der Aufklärung behende ausgewichen war. Wer war dieser Unbekannte, der sich nicht sprechen lassen wollte? Es war ein kleiner, ziemlich junger Mensch gewesen, entschieden unter Mittelgröße, im Alter etwa jenem Farchau gleichkommend. Kilian hatte diesen Menschen zwar nur auf größere Entfernung im Abenddämmer einige Augenblicke gesehen, er entsann sich aber dieser Tatsachen ganz genau. Dieser Unbekannte war also weder Brechert noch Wilster noch Farchau – und da! –, genau so ein Erkenntnisfunke wie im Lauf der Unterhaltung mit Brechert zuckte in ihm auf, indes die Schwaden des Rauches vor seinen verkniffenen Augen ihre Gespinste woben – plötzlich wußte er, daß der unbekannte Mann aus der Feuerbachstraße der dritte Kumpan gewesen war, den ihm Wilster in den »Erossälen« als »Sarabanditen« vorgestellt hatte. Den Namen hatte er nicht verstanden, aber die Namen waren ja ohnehin vermutlich sämtlich falsch, auch sein Gesicht hatte er nur durch den Nebel seines Rausches wahrgenommen; aber diese jugendliche, kleine, sportliche Gestalt war ganz genau die gleiche, die ihm in der Feuerbachstraße als Schnelläufer entwischt war. Wenngleich von einem »Wiedererkennen« im landläufigen Sinne natürlich nicht die Rede sein konnte, so stand es für Kilian Menke unbeirrbar fest, daß diese beiden Menschen personengleich seien; genau so, wie er ja auch nicht auf Grund sinnlicher Erinnerungen bei dem Gespräch mit Brechert angenommen hatte, daß dieser mit Farchau zusammen in der Badeanstalt gewesen sei, sondern viel sicherer, in viel weniger dem Irrtum unterworfener Weise diese Tatsache urplötzlich »gewußt« hatte.

Aus dieser Feststellung aber ergab sich zwangsläufig die weitere, daß der unbekannte Doppelgänger Mitglied der Bande war, die ihn festhielt; denn an seinen Doppelgänger wollte ja jener Dritte das Wort richten, übrigens ein vertrauliches Duzwort, wenn sich Kilian Menke recht entsann, er hatte also nahe Beziehungen zu ihm.

Und weiter: Das ergab auch eine höchst natürliche Erklärung dafür, warum dieser Doppelgänger den Irrtum in dem harmlosen Inspektor Michels bekräftigt hatte; er hatte allen Grund, vor Lüneburger Bürgern mit seiner Person Versteck zu spielen, nichts konnte ihm ungelegener sein, als in Lüneburg als Doppelgänger Kilian Menkes bekannt zu werden. Kilian Menke kam also zu der einwandfreien Feststellung, daß es genau umgekehrt sei, als er bisher gehofft hatte: die Verbrecher hatten ihn nicht dingfest gemacht, weil sie es auf einen anderen abgesehen hatten, sondern, weil sie ihn wegen seiner Ähnlichkeit mit jenem anderen für irgendwelche dunklen Zwecke benötigten.

Was für Zwecke konnten das in aller Welt sein? Es dauerte Tage und kostete ganze Schachteln von Zigaretten, ehe Kilian Menkes kreisende Gedanken nach Verwerfung unzähliger unmöglicher Möglichkeiten hier zu einer festen Linie kamen. Ihm schien nur das eine denkbar: Man hatte es auf das Vermögen der Firma Lengfeldt Söhne abgesehen. Sein Doppelgänger war bestimmt, während der Zeit seines Verschwindens seine Rolle bei Lengfeldt Söhne zu spielen, um in einem geeigneten Augenblick Dispositionen zu treffen, die alle flüssigen Vermögenswerte in die Hände der Verbrecher brachten. Ein tolles Stück, ein gewagt-neuartiges Unterfangen! Ein Plan, der unerhörte Geschicklichkeit und Wachheit bei der Hauptperson zur Voraussetzung hatte, ein unglaubhafter Geniestreich, wenn es glückte! Aber die Bande ließ ja an spielerischer Gerissenheit nichts zu wünschen übrig, das hatte er selbst am eigenen Leibe gespürt: mit welcher Raffinesse hatte dieser Wilster sein Vertrauen erschlichen, wie täuschend echt wußte er seine Rolle als Lebemann nicht nur zu spielen, nein, zu leben; wie unglaublich geschickt hatte er ihn bei seinen kleinen Schwächen zu packen gewußt, wie hatte er seine spröde Scheu vor unerbetenen Bekanntschaften überwunden, wie war er auf seine Neigung, in Hamburg unbekümmert zu bummeln, eingegangen! Und dann dieser andere, der sogenannte Brechert, auch er, Kilian Menke konnte nicht umhin, gerechterweise das zuzugeben, ein Bandit von Format, ein Kerl, der sich auf Menschenbehandlung verstand; dabei ein Bursche ohne Furcht und Scheu, der selbst seinem Opfer eine Art von verzweifelter Bewunderung abzulocken verstand!

In der Tat, nur verbrecherische Genies, die, wären sie auf eine andere Bahn geraten, es im Leben zu etwas Bedeutendem gebracht hätten, konnten einen solchen tollen Plan konzipieren, konnten es wagen, ihn auszuführen. Kilian Menke aber kam dazu, seinen Peinigern dieses Meisterstück zuzutrauen, und es war ihm in gewissem Sinne eine Genugtuung und eine Herzstärkung, daß er nicht irgendwelchen bösartigen Tölpeln, sondern diesen Meistern der Verruchtheit ins Garn gegangen war. Das hob sein Selbstgefühl auf willkommene Weise und stempelte ihn in seinen Augen zur tragischen Figur, der niemand ehrliches Mitgefühl versagen, keiner bornierte Gutgläubigkeit nachreden konnte. Aber ungeachtet aller hohen Meinung, die sich von den Qualitäten seiner Gegner in ihm bildete, prüfte er sachlich die Aussichten, die sie auf Verwirklichung ihres Unterfangens hatten. Es bedeutete etwas ganz anderes, einem wenig wachsamen Inspektor Michels bei einem Tanzvergnügen den Glauben einzuimpfen, Kilian Menke vor sich zu haben, als diesen selben Kilian Menke wochen-, vielleicht monatelang in seinem geschäftlichen Wirkungskreis darzustellen. Dazu reichte die bloße körperliche Ähnlichkeit, die sich ja anscheinend auch auf die Sprechweise und sonstige Äußerlichkeiten erstreckte, gewiß nicht aus. Selbst wenn jener andere kaufmännische Fähigkeiten besaß – er war geneigt, ihm auch in dieser Beziehung sehr viel zuzutrauen –, es gab eine solche Fülle von Kleinigkeiten und Umständen, die ein dritter einfach nicht kennen konnte, daß es als ganz unwahrscheinlich gelten mußte, daß er sich nicht früher oder später hierdurch verriet. Da war zum Beispiel diese Betriebsprüfung gewesen; es blieben noch einige Restfragen zu klären, so namentlich sollte noch nachgeforscht werden, ob die Zurückstellung für zweifelhafte Schuldner sachgemäß vorgenommen war. Kilian Menke hatte dem Beamten in dieser Beziehung Erwägungen an die Hand gegeben, er hatte Erörterungen vorgenommen, die außer ihm niemand im Betrieb kannte. Es konnte einfach nicht ausbleiben, daß die Beamten stutzig werden mußten, wenn sie die Besprechungen mit jenem Ersatz-Menke fortsetzten, der von all dem vorangegangenen nicht den leisesten Schimmer haben konnte.

Aber allerdings, einem umsichtig gerissenen Schauspieler, der von unheimlicher Geistesgegenwart und dabei spürsinnig für lauernde Gefahren war, mochte es gelingen, die Entdeckung lange Zeit hinauszuschieben, durch vorgeschützte Krankheit oder durch unaufschiebbare sonstige Geschäfte allen unlösbaren Fragen auszuweichen, und so den vulkanhaften Zustand so lange aufrechtzuerhalten, bis die »Verhältnisse reif« seien, wie sich dieser Brechert ausgedrückt hatte. Und dann: man hatte ihm ja ausdrücklich bedeutet, daß im letzten Stadium seine Mitwirkung in irgendeiner Weise vorgesehen sei! Offenbar brauchte man zum Schluß also sein besonderes Wissen oder sollte etwas unternommen werden, was nur er ganz persönlich vornehmen, wobei kein Doppelgänger ihn vertreten konnte.

Je mehr Kilian Menke über diese Dinge nachdachte, um so größere Sorge befiel ihn um das Wohlergehen seiner Firma Lengfeldt Söhne. Er mußte, wenn es irgend möglich war, ein Warnungszeichen geben, ehe das Unglück geschehen war. Er prüfte alle Möglichkeiten, mit der Außenwelt in Verbindung zu kommen, aber es schien keine zu geben, da er entschlossen war, den törichten Versuch, mit Gewalt zu fliehen, nicht zu wiederholen. Mehrfach schmuggelte er mit dem Eßgeschirr Zettel aus seiner Zelle heraus, auf die er in seiner flüssigen Handschrift Sätze wie: »Kilian Menke ist nicht in Lüneburg, er ist gefangen auf dem Lande!« oder: »Hütet euch vor dem falschen Kilian Menke! der echte ist entführt!« geschrieben hatte. Aber Robert brachte ihm alle seine Zettel nach einigen Tagen wieder und brummte in seinen Bart, er möge solchen Unsinn unterlassen, sonst müsse er ihm das Schreibzeug wieder fortnehmen.

In seiner Überzeugung, daß sein Doppelgänger in Lüneburg seine Rolle übernommen habe, wurde Kilian Menke wesentlich bestärkt durch die Tatsache, daß im Radio seine Person niemals, soweit er es verfolgen konnte, als vermißt gemeldet wurde, und er kam zu der Erkenntnis, daß bisher überhaupt sein Verschwinden noch nicht einmal entdeckt sei, also irgendwelche polizeiliche Nachforschungen noch gar nicht einmal begonnen hatten. Dann aber war ja alle Hoffnung auf Befreiung von außen schlechthin eitel, und zwar endgültig; denn wenn man damit erst jetzt, mehr als vier Wochen nach seiner Entführung, begann, dann waren die spärlichen Spuren, die etwa zu seinem Verwahrungsort führen mochten, völlig verwischt. Alles dieses ließ in Kilian Menke Entschlüsse reifen, die er, sowie er mit seinen Gedankengängen bis zu diesem Punkt gekommen war, zielbewußt in die Tat umsetzte.

Es waren zweieinhalb Wochen seit der Unterredung mit Brechert vergangen, als Kilian Menke an einem Freitag, morgens, als Robert ihm das Frühstück brachte, sich folgendermaßen an diesen wandte:

»Ich bitte Sie darum, Ihrem Vorgesetzten zu melden, daß ich das dringende Bedürfnis habe, die Unterhaltung von neulich mit Herrn Brechert oder seinem Vertreter fortzusetzen. Können Sie mir den Gefallen tun?«

»Gewiß, ich werde das ausrichten.«

»Wann meinen Sie, wird man sich sprechen lassen?«

»Ich glaube, das kann schon übermorgen, Sonntag, geschehen.«

Am Sonntag, übrigens einem herrlichen Frühlingstag im vorgeschrittenen Mai, auf dem Tische prangte ein voll erblühter Fliederstrauch, brachte Robert nach dem üppigen Mittagsmahl ein Mokkagedeck mit zwei Tassen. »Sie bekommen gleich Besuch«, sagte er in seiner wortkargen Art. Und wenige Augenblicke später betrat mit seinem gewinnendsten Lächeln Wüster die Zelle.

»Mich haben Sie wohl nicht erwartet?« begann er aufgeräumt die Unterhaltung.

»Warum nicht? Ich habe mich in Ihrer Schule daran gewöhnt, über nichts mehr zu erstaunen.«

»Das ist ein Fortschritt, zu dem ich Ihnen Glück wünsche. Ich sehe, Sie haben, soweit man es nur verlangen kann, Verständnis für Ihre mißliche Lage bekommen.«

»Nun man macht das Beste daraus und vertraut darauf, daß es noch mal anders kommt. Ich habe eingesehen, daß ich erbarmungslos Ihrer Willkür ausgeliefert bin.«

»Von Erbarmungslosigkeit sollten Sie nicht sprechen, wo Sie hier bei Mokka und Keksen gemächlich plaudern können, und für Ihr Wohlbefinden alles Erdenkliche geschieht.«

»Ich gebe mich keinen Augenblick der Täuschung hin, daß meine schonsame Behandlung Ihrer Menschenfreundlichkeit zu danken sei. Mir ist durchaus bewußt, daß sie nur erfolgt, weil damit ebensosehr Ihren Interessen wie den meinen entsprochen wird.«

»Sehr wohl, ich akzeptiere es, daß unsere Interessen insoweit gleich laufen, und freue mich daher besonders, Sie nicht nur in körperlicher, sondern auch in geistiger Beziehung wohlauf anzutreffen.«

»Ihr Genosse da, Brechert soll er heißen, stellte mir in Aussicht, daß noch mehr zur Erleichterung meines Loses geschehen könne. Ich habe um diese Unterredung gebeten, um solche Lockerungen zu erbitten.«

»Das war an gewisse Bedingungen geknüpft, namentlich an Ihr Versprechen, daß Sie keinen Fluchtversuch unternehmen und keinerlei Gewalttätigkeiten verüben würden.«

»Ich bin bereit, dieses Versprechen in jeder gewünschten Form abzugeben, wenn ich von Ihnen hinsichtlich der Dauer des gegenwärtigen Zustandes andrerseits bindende Erklärungen, die mir genügen, erhalten kann.«

»Auf einen festen Termin können wir uns, wie die Dinge liegen, auch heute noch nicht einlassen, aber wenn Ihnen mit einer annähernden Bestimmung gedient ist ...«

»Mir ist es vornehmlich darum zu tun, die gegenwärtige völlige Unabsehbarkeit meiner Freiheitsberaubung aufzuheben. Mir genügen daher vorläufig auch ungefähre Angaben.«

»Darüber ließe sich reden. Nur, man hat Ihnen ja schon gesagt, daß Ihre Freilassung nicht eher erfolgen kann, als Sie bei Durchführung unserer Pläne auf eine bestimmte Art mitgewirkt haben. Wie steht es mit Ihrer Bereitwilligkeit hierzu?«

Kilian Menke war mit sich zufrieden; er fand, er habe dieses Gespräch recht geschickt bis zu diesem Punkt, um den es ihm ausschließlich zu tun war, gelenkt. Jetzt kam es darauf an, mit der gleichen Wachsamkeit die Worte zu setzen, um von dem anderen so viel wie irgend möglich über die Art der von ihm erwarteten Mitwirkung zu erfahren. Nach einer Pause der Besonnenheit, während deren er Wüster wortlos die Zigarettendose hinhielt und beide mit Feuer versah, sagte er daher ein wenig zögernd:

»Auch insoweit müßte ich, ehe ich mich erklären kann, gewisse Garantien haben.«

»Was für Garantien?«

»Es scheidet für mich um jeden Preis aus, daß ich an illegalen Handlungen direkt oder indirekt in irgendeiner Weise teilnehme. Auch durch Gewalt würde ich mich hierzu, wenn möglich, nicht zwingen lassen.«

»Brechert hat Ihnen doch schon gesagt, daß niemand von Ihnen dergleichen verlangen wird.«

»Gewiß doch, ja, er sprach mit mir davon. Aber ... Nun, er bewegte sich doch nur in sehr allgemein gehaltenen Andeutungen, ich konnte und kann mir kein Bild davon machen, in welcher Art meine Mitwirkung bei Ihrem Vorhaben eigentlich gedacht sein mag.«

»Nehmen Sie an, daß ich befugt oder gewillt sei, Sie in unsre Pläne im einzelnen einzuweihen?«

»Bewahre, nein. Ich lege sogar Wert darauf, Objekt Ihrer Handlungen zu bleiben, und nicht zum Subjekt derselben zu werden.«

»Mein lieber Menke«, schmunzelte Wilster, »ich bin erstaunt, wie Sie durch die Einsamkeit Ihrer Haft an geistiger Kapazität gewonnen haben. Zu Beginn unserer angenehmen Bekanntschaft wären Sie nach meinem Eindruck schwerlich in der Lage gewesen, einen Satz wie den eben gesprochenen zu formulieren.«

»Sie haben gut spotten. Seien Sie versichert, daß ich in all meiner Freizeit über mancherlei Dinge und Zusammenhänge mir weiträumige Gedanken gemacht habe. Es bleibt wohl nicht aus, daß davon das Gehirn geschmeidig wird.«

»Wenn Sie so mit mir schwätzen, tut es mir wirklich ehrlich leid, daß wir hier im Grunde als bitterböse Feinde einander gegenübersitzen, wo doch unsere Beziehungen ...«

»... Damit begannen, daß Sie mir eine Freundschaft vorgaukelten, um mich in Ihre Netze zu locken, nicht wahr? das wollten Sie sagen?«

»Nein, das wollte ich nicht. Aber ich verstehe, daß Sie das Bedürfnis haben, mir ins Wort zu fallen und meinen Satz in dieser Weise zu beenden. Ich möchte nur bemerken, daß Ihre ganze Art mir auch dann sympathisch gewesen wäre, wenn nicht die Verhältnisse mich gezwungen hätten, mir Ihr Vertrauen zu erschleichen.«

»Was soll ich dazu sagen, gesetzt, Ihre Bemerkung ist so ehrlich gemeint, wie sie klingt? Ich habe in den ersten Augenblicken den Verrat, den Sie an mir verübt haben, als besonders bitter und schmerzlich empfunden. Jetzt bin ich darüber längst hinaus.«

»Um so eher besteht die Möglichkeit, daß wir zueinander auf anderer Ebene erneut Vertrauen fassen.«

»Ich wäre cum grano salis dazu bereit. Der erste Schritt dazu könnte sein, daß Sie mir über die Frage, wieso ich in Ihren Plänen eine Rolle zu spielen habe, soviel sagen, wie es mit Ihren Interessen vereinbar ist.«

»Ehrlich gestanden, läßt sich darüber überhaupt noch nichts Genaueres mitteilen; nur soviel ist klar, wir brauchen Sie, wie hätten wir denn auch sonst uns Ihrer Person bemächtigt?! Wie, wann, wozu aber im einzelnen, das hängt von vielerlei Umständen ab, die nicht in unsre Hand gegeben sind und die sich erst entwickeln müssen. Eins aber steht schon heute fest.« Wilster legte eine nachdenkliche Pause ein und goß den Rest des Kaffees in sein Täßchen.

»Bitte, was steht schon heute fest?«

»Daß wir Sie nicht hier an Ort und Stelle, sondern außerhalb gebrauchen werden, daß wir also mit Ihnen zusammen eine Reise antreten müssen, auf der Sie sich unter unserer Bedeckung wie ein freier Mensch zu bewegen haben werden.«

»Das ist ja enorm interessant und, möchte ich hinzusetzen, einigermaßen aufschlußreich. Eine Reise? Wohin?«

»Darüber möchte ich Ihnen, selbst wenn das heute schon möglich wäre, keine klare Antwort geben. Die Reise wird jedenfalls in eine Stadt gehen.«

»Nach Lüneburg, nicht wahr?«

»Vielleicht auch in ihrem weiteren Verlauf nach Lüneburg, das ist nicht ausgeschlossen, aber vorher werden wir vermutlich wo anders Rast machen müssen.« Wilster sprach alles dies zögernd und so, als ob er mit jedem Wort schon mehr sage, als er sagen dürfe. Er fuhr nach einer abermaligen Pause fort: »Aber ich lasse mir hier zu viel von Ihnen herauslocken, Sie haben ja noch gar nicht gesagt, ob Sie überhaupt bereit sind, uns für eine solche Reise zur Verfügung zu stehen. Wie ist das damit?«

»Sie können mir feierlich versichern, daß ich nichts zu tun brauche, was den Gesetzen zuwiderläuft?«

»Diese Versicherung gebe ich Ihnen in aller Form, hier, meine Hand drauf!« Kilian nahm die gebotene Rechte, und während er dem andern prüfend fest in die Augen blickte, antwortete er:

»Ich bin bereit, mit Ihnen die Reise zu machen!«

»Gut, aber noch eins: Es versteht sich von selber, daß Sie auf dieser Reise nicht unter Ihrem bürgerlichen Namen Menke nach außen auftreten können; Sie müssen solange einen anderen Namen annehmen, über den wir noch reden werden, und dürfen sich und uns natürlich unter keinen Umständen verraten, selbstverständlich nicht absichtlich, aber auch nicht infolge Ungeschick, durch Versprechen oder so.«

»Wenn mir nicht zugemutet wird, mit dem falschen Namen Unterschriften zu leisten, also Fälschungen irgendwelcher Art zu begehen, bin ich auch dazu bereit.«

»Unterschriften und Fälschungen werden nicht in Betracht kommen. Überhaupt werden Sie wohl mehr dulden müssen, daß andere Sie mit Ihrem Pseudonym bezeichnen und anreden, als selber davon Gebrauch machen.«

»Das kann mir nur lieb sein. Wann soll die Reise angetreten werden?«

»Halt, so weit sind wir doch noch nicht, Menke! Die Möglichkeiten für eine Flucht sind für Sie, selbst bei strenger Bewachung, unterwegs natürlich viel größer als hier. Ihr Gelübde, keinen Fluchtversuch zu unternehmen, muß sich selbstverständlich vornehmlich auch auf die Zeit der Reise erstrecken.«

»Das ist recht viel verlangt, wenn man mich allein läßt, finden Sie nicht auch?«

»Hm, ja, wenn Sie so in der weiten Welt einsam umherirrten und nicht Miene machen würden, sich von uns zu entfernen, wären Sie in der Tat ein Lamm Gottes. Aber wir werden Sie nicht allein lassen.«

»Dann bedarf es also keines besonderen Versprechens.«

»O doch, allerdings wollen wir es so einschränken, daß Sie sich verpflichten, nicht mit Gewalt oder durch Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit sich Ihrer Bewachung zu entziehen. Als Gewalt gilt dabei auch der Versuch, durch Weglaufen sich von Ihrem Partner zu trennen.«

Kilian Menke dachte eine Weile nach. Er überlegte, daß, wenn er die Absichten seiner Widersacher vereiteln wollte, wenn er insbesondere den Schaden, den Sie schon bisher seiner Firma zugefügt haben dürften, wettmachen wollte, er es unter allen Umständen bis dahin kommen lassen mußte, daß er in Tätigkeit trete; denn nur so konnte er hoffen, hinter die Absichten der Bande zu kommen. Weiter erwog er, daß das von ihm zu gebende Versprechen sich nicht darauf beziehen sollte, die Bande nicht zu verraten. Es schien ihm also klug, zu erwidern:

»Ich bin bereit, auf diese Bedingungen einzugehen. Dabei wollen Sie bedenken, daß manch einer es für eine Dummheit halten wird, daß ich meine Erklärungen so ernst nehme und nicht blindlings alles zusage, was Sie von mir wünschen, mit dem geheimem Vorsatz, mein Wort bei erster sich bietender Gelegenheit zu brechen.«

»Von solchen Leuten, die das für eine Dummheit halten, würden wir überhaupt kein Versprechen entgegennehmen. Wir wissen ganz genau, mit was für einer Person wir es bei Ihnen zu tun haben, Menke, und wir wissen, daß Sie Ihre Versprechungen nach reiflicher Überlegung nur in der Erwartung abgeben, daß wir unsere Gegenzusicherungen ebenfalls pünktlich einhalten. Ich versichere Sie, Sie werden sich in uns nicht täuschen.«

»In der Tat, das erwarte ich, und, so sonderbar es sein mag, ich bringe sogar das Vertrauen auf, daß Ihre Worte diesmal ehrlich gemeint sind. Wir wären dann also im Prinzip über meine Mitwirkung uns einig, vorausgesetzt, daß hinsichtlich des Zeitpunktes mir befriedigende Zusicherungen gemacht werden können.«

»Die Tatsache Ihrer Bereitwilligkeit ist geeignet, den Fluß der Dinge zu beschleunigen. Ich hoffe, Ihnen in Bälde Genaueres sagen zu können, für heute nur so viel, daß bis zu unsrer Reise bestimmt bei weitem nicht mehr so viel Zeit vergehen wird, als Sie schon in unserem Schutz verbracht haben.«

»Das ist immerhin etwas, wenn auch wenig, da mir begreiflicherweise viel daran liegt, Ihres ›Schutzes‹ möglichst bald enthoben zu sein. Und nun, wie ist es mit den erbetenen Erleichterungen?«

»Sie sollen Gelegenheit bekommen, sich unter Bewachung mit unverbundenen Augen im Freien ergehen zu können. Außerdem höre ich, daß Ihre spontane Antipathie gegen unsern Freund Robert auch bei näherer Bekanntschaft sich nicht gegeben hat. Ich wäre bereit, ihn, soweit es meine sonstige Arbeit erlaubt, hier und da zu ersetzen, insbesondere Ihnen meine Begleitung bei Ihren Spaziergängen anzutragen.«

»Das wäre allerdings eine wesentliche Verbesserung gegenüber dem bisherigen Zustand.«

»Ich denke, Sie würden es mir nicht verübeln, wenn ich der Form halber bei diesen Gelegenheiten eine Waffe, natürlich unsichtbar, bei mir trage. Da Ihr Ehrenwort vorliegt, werde ich keine Veranlassung haben, sie zu gebrauchen. Ich möchte nur nicht, daß Sie in dieser Formalie ein Mißtrauen gegen Ihr Wort erblicken.«

»Diese Formalie dürfte durch die gegebene Interessenlage ohne weiteres erklärt sein; ich würde also auch dann darüber hinwegsehen, wenn ich imstande wäre, es zu ändern.«

»Wir verstehen uns. Ich freue mich, daß wir in nächster Zeit also häufiger Gelegenheit zu Zwiesprachen erhalten werden. Dabei fällt mir eines ein: Sollte es nicht zweckmäßig sein, daß wir zur Gewöhnung und Übung uns dann schon des Namens bedienen, den Sie während unserer Reise sich zulegen werden?«

»Ganz wie Sie wünschen. Wie also werde ich heißen?«

»Ihr Name wird Hermann Baskow sein, Hermann Baskow, hinten mit einem W. Wie finden Sie den Namen, lieber Baskow?«

»Nicht viel schöner als Menke. Immerhin scheint es mir erwünscht, daß ich in Zukunft als Baskow mit Ihnen verkehren soll; denn als Kilian Menke habe ich mit Ihnen ja ein Hühnchen zu rupfen. Als Baskow bin ich vorläufig quitt mit Ihnen.«

»Großartig, wie Sie sich ins Unvermeidliche schicken, lieber Baskow. Ich freue mich schon auf unseren gemeinsamen Ausflug. Doch nun leben Sie wohl, Baskow, ich komme sehr bald wieder und hoffe, Sie ebenso guter Dinge wieder anzutreffen, wie ich Sie heute verlasse.«

»Das wird wesentlich davon abhängen, wie bald das sein wird.«

»Morgen nachmittag werde ich Sie bestimmt zu unserem ersten Bummel abholen können; also auf baldiges Wiedersehen, Baskow!«

»Auf Wiedersehn!«


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