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Barbana

Bei einer Tasse Tee saßen wir nach dem Abendessen in dem holzgetäfelten, mit zahlreichen Jagdtrophäen geschmückten Speisesaal des Schlosses am Kamin und streckten unsere Füße gegen das offene Feuer. Es war Spätherbst, und draußen wehte ein eisiger Wind, daß die großen brennenden Buchenscheite unstet flackerten. Die trockene Wärme, die von ihnen ausstrahlte, tat uns wohl, wir hatten bis in den sinkenden Abend hinein einen weiten Weg gemacht und waren gehörig durchgeblasen worden. Um den mit Hirschleder überzogenen weichgepolsterten Lehnstuhl des Freiherrn lagen oder kauerten mehrere seiner Lieblingshunde, die seine steten Begleiter waren. Er war leidenschaftlicher Jäger und huldigte dem Jagdvergnügen in allen erdenklichen Formen. Er jagte im Felsgebirg und im Hochwald, in den Föhrenschonungen und am Flusse, auf freiem Feld und im sumpfigen Moor. Die Gegend war gebirgig mit dazwischengelagertem Hügelland und breiten Niederungen, sie gewährte so ziemlich alles, was ein Jäger sich wünschen konnte. Und der Freiherr war stets mit der gleichen Begeisterung bei der Sache, ob er auf Gemswild birschte oder Hasen schoß, ob er den Dachs grub oder den Auerhahn beschlich oder Wald- und Wasservögeln nachstellte und auf den Schnepfenstrich paßte.

Diesmal hatte er, während die Wetterfahne auf dem Giebel des Schlosses im wehenden Winde ächzte, von seinen Hunden gesprochen und stellte mir einige seiner Lieblinge vor, die treu und aufmerksam an seiner Seite saßen oder zu seinen Füßen lagen und sich an der strahlenden Wärme des offenen Feuers behagen ließen wie wir selbst. Da waren zwei edle, weißbraune Jagdspaniels, Tiere, die ernst und verständig dreinschauten wie kluge Menschen, dann der listige Dachshund »Steffel«, dem die Kalfakternatur auf der Nase geschrieben stand, endlich »Waldmann« und »Waldine« ein paar Prachtexemplare von roten, stichelhaarigen Hochgebirgsbracken.

»In früheren Jahren,« sagte ich, »erinnere ich mich, wiederholt eine unscheinbare, häßliche schwarze Hündin unter Ihren Begleitern gesehen zu haben. Was war das eigentlich für ein Tier? Ich gestehe, ich wunderte mich im stillen, daß Sie unter Ihren prächtigen Hunden einen Köter von so zweifelhafter Herkunft duldeten.«

Der Freiherr lachte.

»Das will ich gern glauben, daß Sie sich darüber wunderten. Aber meine »Barbana« war ein ganz ausgezeichneter Kerl, und ich vermisse sie schwer, seit sie tot ist. Wollen Sie erfahren, wie ich zu dem Tier kam?«

Er tat ein paar Züge aus der Zigarre und fuhr fort: »Das war in der Inselzone des ehemals österreichischen Küstenlandes, in der uralten Patriarchenstadt Grado, der Perle der friaulischen Lagune. Was mich oft dahin lockte, war die Jagd, die Jagd auf Wassergeflügel, die in ganz eigentümlicher Weise in den Lagunen betrieben wird. Man bedient sich nämlich dabei einer Flinte, die eigentlich eine Art Kanone ist. Sie ist doppelt so lang wie ein Mensch und besitzt ein ungewöhnlich großes Kaliber. Man legt sie der Länge nach auf das Boot, so daß dieses gewissermaßen zur Lafette wird, und rudert des nachts oder am dämmernden Morgen in die weite Lagune hinaus, um das Wassergeflügel beim ersten Frühschein zu überrumpeln.

An einem schönen, friedlichen Herbsttag kehrte ich wieder einmal von einem solchen Jagdausflug zurück, schon im sinkenden Abend. Wie wir uns langsam rudernd dem Hafen von Grado nähern, da bemerke ich von meinem Boot aus auf der Ufermauer des Städtchens eine große Menschenansammlung und auf dem Brackwasser davor viele Boote. Und von Zeit zu Zeit sah ich es hoch aufspritzen, gerade als ob schwere Gegenstände von Bootsleuten in die Flut geschleudert würden, und jedesmal, wenn es einen Plumps machte und das Wasser aufspritzte, erhob sich unter den Menschen am Ufer ein Geheul, halb wie Freudengeschrei, halb wie das Wehklagen von Weibern und Kindern.

Mein Ruderer, den ich fragte, was das zu bedeuten hätte, erzählte mir, eine Hundesteuer sei eingeführt worden in Grado, weshalb die Leute sich verschworen hätten, ihre Hunde zu ertränken. Große Steine hätte man ihnen um den Hals gehängt und würfe sie von den Booten aus ins Wasser; nicht ein einziger würde am Leben bleiben, im ganzen Ort!

Ich war empört über eine solche Grausamkeit. Wir hatten uns den Booten genähert, und ich sah jetzt ganz deutlich, wie zwei Männer einen schwarzen Hund an den Beinen in der Luft hin und her schwenkten. Dann ließen sie die Beine los, und das arme Tier platschte ins Wasser. Wieder erhob sich ein Gejohle am Ufer; es schienen die meisten, die dort standen, kein Mitleid zu kennen mit den grausam hingeopferten Tieren.

Der schwarze Hund, der soeben ins Wasser geschleudert worden, kämpfte einen verzweifelten Kampf um sein Leben. Trotzdem ihm ein kindskopfgroßer Stein am Halse hing, hielt er sich doch noch über Wasser. Mit einem Blicke, in dem die Todesangst brannte, spähte er um sich, wohin er sich retten könnte. Und ich bemerkte, daß er gerade auf mein Boot zusteuerte, um seinen Henkern zu entrinnen.

Er schwamm wie ein Seehund, aber die Last am Halse zog gewaltig; keuchend, nach Luft schnappend, näherte er sich: den Blick vergesse ich nie, den er auf mich gerichtet hielt! Es war, als ob ein ertrinkender Mensch in Todesangst mir entgegenschrie: Rette mich, ich will dir dienen und es dir danken mein Leben lang!

Rasch entschlossen befahl ich meinem Bootsmann, ihm entgegenzurudern. Er sank schon unter, da glitt mein Fahrzeug an die Stelle, und mit glücklichem Griff erwischte ich den armen Kerl an einem Bein, das gerade noch einmal zum Vorschein kam, und hob ihn nicht ohne Mühe ins Boot.

Es war ein mittelgroßes schwarzes Tier ohne jede Rasse, eine Hündin. Ich schnitt ihr den schweren Feldstein vom Halse, sie lag erschöpft, triefend und leise wimmernd auf dem Boden meines Fahrzeugs und leckte meine Stiefel. Als ich ans Land stieg, folgte sie mir auf dem Fuße, gerade, als wäre ich immer ihr Herr gewesen. Zu Hause gab ich ihr zu fressen und dachte nach, was weiter geschehen sollte. Der Besitz des Tieres war für mich eine Verlegenheit. Einen so rasselosen, fast lächerlichen Köter konnte ich nicht brauchen. Aber da ich einmal sein Lebensretter geworden war, verfiel ich auf den Gedanken, die Hündin gegen reichliches Kostgeld einem Flickschuster zu übergeben, den ich als gutmütigen und rechtlichen Mann kannte. Der brave Schuster, der eine zahlreiche Familie zu ernähren hatte, ließ sich durch mein Anbot bestimmen und nahm den Hund in seine Obhut. Abgemacht!

Bald darauf hatte ich noch im Morgengrauen einen meiner Jagdausflüge angetreten. Ich befand mich bereits mitten in den Lagunen, als ich etwas Schwarzes unter der Bootsbank liegen sah. Irgendein Kleidungsstück? Ich stieß mit dem Fuße daran. Ein leises Winseln – meine Hündin war es. Im Schutze der Dunkelheit hatte sie sich in das Boot geschlichen und mich so gezwungen, sie mitzunehmen.

Mein Ärger verlor sich aber bald. Denn nun sollte ich etwas ganz Unerwartetes erleben.

Ich hatte langst darauf verzichtet, meine Vorstehhunde in den Lagunen zu verwenden, sie versagten hier völlig. Das Brackwasser war ihnen zu salzig, der Wellenschlag machte sie kopfscheu, ich nahm sie gar nicht mehr mit. Leute in hohen Wasserstiefeln suchten das erlegte Geflügel zusammen, was nicht auf trockene oder ganz seichte Stellen fiel, war verloren.

Welche Überraschung nun, wie nach dem ersten Schuß mein schwarzer Köter mit einem großen Satz über Bord springt und sich in die Fluten stürzt.

Die witternde Nase voraus, durchschnitt er die Wellen, ich war gespannt, ob er das Federwild zerbeißen oder sich sonst irgend etwas zuschulden kommen lassen würde, was nicht weidgerecht ist. Aber nichts davon; er brachte den ganzen Abschuß mit einer solchen Gewissenhaftigkeit an mein Boot, daß ein jeder meiner Bracken sich ein Beispiel daran hätte nehmen können.

Ich hob das Tier nach getaner Arbeit in das Fahrzeug, lobte es und kraute ihm den Kopf. Da sah es mit einem solchen Ausdruck von – fast möchte ich sagen – beglückter Dankbarkeit zu mir auf, daß ich schier ergriffen davon wurde. Und es stand nun fest bei mir, daß ich keinen Versuch mehr machen wollte, die Hündin wegzugeben. War sie auch nicht von adliger Geburt, so verstand sie doch ihre Sache so gut, ja besser als irgendeiner meiner Reinrassigen. Ich behielt sie also bei mir und nannte sie »Barbana« nach der Laguneninsel, an der vor Jahren die Hochflut ein absonderliches Gnadenbild sollte angeschwemmt haben, wie mir auch von denselben Wellen dies sicherlich nicht alltägliche Geschöpf zugetragen worden.

»Barbana« blieb von da ab meine stete Begleiterin auf meinen Jagdausflügen in die Lagune. Ich räumte ihr einen ebenbürtigen Platz an der Seite meiner vornehmsten Jagdhunde ein, und sie hat sich dessen durchaus würdig erwiesen, ja, ich muß gestehen, daß kaum ein andrer von meinen Hunden – ohne dem Waldmann oder gar der Waldine nahetreten zu wollen – die gleiche Fähigkeit besaß, auch meine unausgesprochenen Wünsche zu erraten und mir meine Befehle gleichsam von den Augen abzulesen.

Ich kann den Gedanken nicht los werden, daß sie ihr ganzes Leben lang jenen fürchterlichen Augenblick in der Erinnerung behalten hat, wo sie, den Stein um den Hals, mit dem Tode rang und ich ihr Retter wurde. Dankbarer als mancher Mensch, übertraf sie an Treue und Anhänglichkeit, den Kardinaltugenden des Hundegeschlechts, noch die besten Vertreter der Gattung, die ich in meinem Leben kennengelernt habe.

Wenn ich an sie zurückdenke, so ist mir fast, als erinnerte ich mich eines verstorbenen Menschen, der mir nahestand ...

Sie ist auf einem unserer Jagdzüge ums Leben gekommen ... Und auch ihr Tod war – wenn ich es aussprechen darf, fast heldenhaft zu nennen. Ich will nicht übertreiben, aber das Ende dieses Tieres hatte wirklich etwas mit dem eines Menschen gemein, der in treuer Pflichterfüllung zugrunde geht.

Ich hatte an einer langgestreckten Sandbank gejagt, zwischen Lagune und offenem Meer. In der Mitte ungefähr befand sich eine tiefergelegene Dünenstelle, über die zur Zeit der Flut die Wogen des Meeres in die Lagune hereindrangen. Und sobald Ebbe eintrat, strömte und stürzte das überschüssige Brackwasser mit großer Gewalt über dieselbe Stelle ins offene Meer zurück.

Nun war von den erlegten Wildenten unglückseligerweise eine gerade in diese Eintiefung der Düne gefallen. Ich gab sie verloren, es ebbte stark, von der Sturzwelle einmal erfaßt, mußte sie ins Meer hinausgespült und von den zurückweichenden Wogen entführt werden. »Barbana« indessen hatte die Beute erspäht, schon war sie zur Stelle und nahm den erlegten Vogel zwischen die Zähne.

Ich pfiff und rief, was ich konnte, und »Barbana« hörte mich auch, so wütig der Sturm heulte. Sie blickte zu mir herüber. Es war mir, als ob ein Mensch gesprochen hätte: »Was liegt an mir? Die Beute ist dein, sie soll dir nicht entgehen!« Im nächsten Augenblick sah ich sie mit der erlegten Ente im Maul ins zurückrollende Meer verschwinden. Und dann sah ich »Barbana« nicht wieder.

Eine neue Sturzwelle hatte sich aus der Lagune über die Düne ergossen und das treue Tier in die immer weiter zurückweichende, gleichsam saugende See hinausgespült.«

Der Freiherr schwieg, erhob sich und warf ein neues Scheit in den Kamin, daß eine Garbe glühender Funken aufstob. Dann nahm er wieder Platz und trank einen Schluck Tee. Waldine, eine der roten, stichelhaarigen Bracken, hatte ihren Kopf auf den Schenkel ihres Herrn gelegt und sah mit großen, aufmerksamen treuen Augen zu ihm empor. Der Freiherr kraute sie hinter dem Ohr.

»Man hört oft«, sagte er noch, »mit der größten Kühnheit allerhand Rassentheorien aufstellen. Aber hinsichtlich der Eigenschaften des Geistes und Herzens sollte man sie mit Vorsicht aufnehmen. Reines Blut war es gewiß nicht, das in den Adern meiner »Barbana« floß, und doch edles Blut. Seelisch war sie sicher eine hochstehende Vertreterin ihrer Gattung.«

Ein Lächeln glitt über sein Antlitz, und in völlig verändertem Tone schloß er: »Freunde haben mich manchmal aufgezogen ihretwegen und mich gefragt, was für eine Rasse das sei? Dann ließ ich sie blau anlaufen und machte ihnen weis, das sei eine Seltenheit, etwas ganz Besonderes: ein echter, reinrassiger Lagunenhund!«


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