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Illustration: Theophile Schuler

V

Am nächsten Morgen gegen neun Uhr saß Fritz Kobus mit schwermütigem Blick auf der Kante seines Betts, zog langsam seine Stiefel an und hielt sich eine Moralpredigt.

»Das war zu viel Bier gestern Abend«, sagte er und kratzte sich am Ohr. »Dieses Zeug kann einem die Gesundheit ruinieren. Ich hätte lieber eine Flasche Wein mehr und vier oder fünf Biere weniger trinken sollen.«

Dann hob er die Stimme.

»Katel, Katel!«

Die alte Magd erschien auf der Türschwelle, sah ihn gähnend, rotäugig und mit zerwühltem Haarschopf dasitzen und sagte:

»Hihihi, haben Sie einen Kater, Herr Kobus?«

»Ja, und das kommt vom Bier. Wenn ich das noch einmal anrühre...«

»Immer dasselbe Lied«, lachte die Alte.

»Was kannst du mir vorsetzen, damit mir besser wird?« fuhr Fritz fort.

»Wollen Sie Tee?«

»Tee! Sag lieber gute Zwiebelsuppe zum Frühstück. Und dann, warte mal...«

»Ein Kalbsohr mit Essigsoße?«

»Ja genau, ein Kalbsohr mit Essigsoße. Wie kann man nur so viel Bier trinken! Ach was, es ist vorbei, Schwamm darüber. Nun geh schon, Katel, ich komme gleich nach.«

Katel ging lachend in die Küche zurück, und nach einer Viertelstunde hatte Kobus sich endlich fertig gewaschen, gekämmt und angezogen, obwohl er kaum Arme und Beine heben konnte. Schließlich warf er seinen Rock über, ging ins Speisezimmer und setzte sich vor eine gute Zwiebelsuppe, die ihm wohltat. Er aß ein Kalbsohr mit Essigsoße und trank einen kräftigen Schluck Forstheimer dazu, der ihn aufmunterte. Dennoch war sein Kopf noch etwas schwer. Er döste zu den Fenstern hinüber, wo die Sonne hereinschien.

»Was ist Bier doch für ein unheilvolles Getränk«, sagte er, »man hätte diesem Gambrinus Die Erfindung des Bierbrauens wird Gambrinus, einem flandrischen Sagenkönig aus karolingischer Zeit zugeschrieben, der auch als der Schutzherr der Bierbrauer gilt. den Hals umdrehen sollen, als er auf den Gedanken kam, Malz mit Hopfen zu verkochen. Ist doch abartig, Süßes und Bitteres zu mischen. Die Männer sind verrückt, dieses Gift zu schlucken. Der Rauch ist auch schuld, denn ohne die Pfeife wäre das Bier kein Problem. Na, Schluss jetzt – Katel!«

»Was ist, Herr Kobus?«

»Ich gehe aus, frische Luft schnappen. Ich muss einen großen Spaziergang machen.«

»Kommen Sie mittags heim?«

»Ja, werde ich wohl. Jedenfalls deckst du den Tisch ab, wenn ich bis ein Uhr nicht wieder hier bin, denn dann bin ich in einem Nachbardorf zum Essen.«

Damit setzte Kobus seinen Filzhut auf, holte seinen Gehstock mit dem Elfenbeinknopf aus der Kaminecke und stieg zum Hausflur hinab.

Katel zog das Tischtuch ab und kicherte vor sich hin.

»Morgen wird er als erstes nach dem Mittagstisch in den Großen Hirschen gehen. So sind die Männer eben, sie bessern sich doch nie.«

Draußen schritt Kobus gravitätisch die Hildebrandtstraße hinauf. Das Wetter war herrlich, und alle Fenster waren dem Frühling geöffnet.

»Hallo, guten Tag, Herr Kobus, jetzt kommt das warme Wetter«, riefen ihm die Hausfrauen zu.

»Ja, Bärbel... ja, Kathrin, es sieht gut aus«, sagte er.

Die Kinder tanzten, sprangen und lärmten an allen Türen. Es konnte keinen froheren Anblick geben.

Nachdem Fritz die Stadt durch das alte Hildebrandttor verlassen hatte, wo die Frauen bereits überall an den alten Bastionen ihre Wäsche und ihre roten Röcke in die Sonne hängten, stieg er die Böschung zum Vorwerk hinauf. Im Schatten der Wehrgänge schmolz der letzte Schnee, und soweit der Blick reichte, sah man rings um die Stadt junge zartgrüne Triebe überall an den Hecken, in den Obstbäumen und an den Pappelalleen längs der Lauter Fluss in der Südpfalz, dessen Unterlauf stellenweise die Grenze zu Frankreich bildet.. Weit in der Ferne trugen die Gipfel des blauen Wasgenwalds Das im Originaltext gebrauchte französische Wort Vosges und der alte Name Wasgenwald für den südlichen Pfälzer Wald stammen von derselben Wurzel. noch einige kaum wahrnehmbare weiße Flecken, und darüber breitete sich der weite Himmel aus, auf dem leichte Wölkchen ins Unendliche davon trieben.

Selig ließ Kobus den Blick in die Ferne gehen und dachte:

»Wenn ich dort drüben am Ginsterhang wäre, dann hätte ich nur noch eine halbe Meile Die Meile war in Deutschland je nach der Region unterschiedlich festgelegt. Alle Maße lagen jedoch zwischen 7 und 7,6 km. Die französische lieue maß ca. 4 km. bis zu meinem Landgut im Meisental Der nachfolgend beschriebene Weg zum Meisenthâl gleicht in etwa dem, der Emile Erckmann zu seinem Lieblingsausflugsziel führte, einem Weiler namens Hammerweyer im Tal der Zinsel, nordöstlich von Phalsbourg ( Benoit-Guyod (s. Fußnote 4 zum Vorwort) S. 38 f, 114 und 257 f.) Aus Liebhaberei erwarb Erckmann 1868 die dortige Sägerei.. Dort könnte ich mit dem alten Christel über das Geschäft sprechen und die junge Saat und das weiße Kälbchen besehen, von denen mir Susel gestern erzählt hat.«

Als er sich so gedankenverloren umschaute, flog ein Schwarm Ringeltauben hoch über den fernen Hang hinweg zum Buchenwald.

Fritz blinzelte ihnen nach, bis sie in der endlosen Ferne verschwunden waren, und beschloß sofort, ins Meisental zu gehen.

Soeben kam der alte Gärtner Bosser mit der Hacke auf der Schulter durch das Vorwerk.

»Hallo, Vater Bosser«, rief Fritz.

Der andere hob die Nase.

»Da Sie auf dem Weg in die Stadt sind, machen Sie mir doch bitte die Freude und sagen Sie Katel, dass ich ins Meisental gehe und nicht vor sechs oder sieben Uhr zurück sein werde.«

»Ja gut, Herr Kobus, ich werd's erledigen.«

»Danke, Sie tun mir einen Gefallen.«

Bosser entfernte sich, und Fritz schlug den Fußpfad nach links ein, der hinter dem Posttal hinab ins Blickental führt und gegenüber den Ginsterhang hinauf.

Der Pfad war schon trocken, aber weiter unten auf der großen Wiese des Gresseltals kreuzten sich tausend Schmelzwasserbächlein und glänzten wie Silberadern in der Sonne.

Während Kobus den Gegenhang hinaufstieg, erblickte er zwei oder drei Waldturteltaubenpärchen, die an den grauen Hupefelsen entlang schwirrten und auf den Felsleisten mit aufgefächerten Schwanzfedern schnäbelten. Es war ein Vergnügen zu sehen, wie sie geräuschlos durch die Luft glitten, und man hätte meinen können, dass sie keinen Flügelschlag nötig hatten, weil die Liebe sie trug. Unzertrennlich turtelten sie bald im Schatten der Felsblöcke, bald im hellen Licht, wie Blumensträuße, die flatternd vom Himmel fallen. Wem diese hübschen Vögel nicht gefielen, der musste herzlos sein, und Fritz, der sich gegen seinen Stock gelehnt hatte, sah ihnen lange zu. Er hatte sie nie so gut beim Schnäbeln gesehen, denn die Waldturteltauben sind sehr scheu. Schließlich bemerkten sie ihn und flogen davon. Da nahm er in Gedanken seinen Weg wieder auf, und gegen elf Uhr stand er oben auf dem Ginsterhang.

Von dort aus sah Hüneburg mit den alten gewundenen Straßen, der Kirche, dem St.-Arbogastbrunnen Nach der Encyclopédie de l'Alsace, Vol. 11 (Strasbourg 1985: Publitotal), S. 6620, war Arbogast ca. 550-560 erster fränkischer Bischof von Straßburg (ebenso Otto Wimmer / Hartmann Melzer / Josef Gelmi: Lexikon der Namen und Heiligen (6. Auflage Innsbruck und Wien 1988: Tyrolia), S. 145). Er wurde zum Hauptpatron des Bistums Straßburg erhoben ., der Kavalleriekaserne und den drei alten verfallenen Stadttoren, von denen Efeu und Moos hingen, wie in blau auf den gegenüberliegenden Hang gemalt aus. Alle Fensterchen und Dachluken blitzten in der Sonne. Die Trompete der Husaren, die eben zum Appell rief, klang wie das Gebrumm einer Wespe. Durch das Hildebrandttor kam es wie ein Ameisenzug, und Kobus fiel ein, dass am Vorabend die Hebamme Lehnel gestorben war. Jetzt wurde sie beerdigt.

Nach diesem Rückblick durchquerte er mit gutem Schritt die Hochfläche. Dort, wo der Sandpfad sich senkte, tauchten vor ihm plötzlich auf dem Grund des Meisentals, unten am Fuß des Abhangs, das große, mit grauen Ziegeln gedeckte Dach des Landguts und die zwei kleineren Dächer des Schuppens und des Taubenschlags auf.

Es war ein altes, nach herkömmlicher Art errichtetes Landgut mit einem großen viereckigen Hof, den ein Mäuerchen aus Natursteinen umgab und in dessen Mitte ein Brunnen stand. Vor dem grünlichen Trog war die Tränke, die Vieh- und Pferdeställe standen rechts, links die Scheune und der Taubenschlag mit dem spitzen Türmchen darauf, und in der Mitte war das Wohnhaus. Dahinter lagen die Brennerei, das Waschhaus, die Kelter, der Hühnerstall und die Schweineställe.

All das war hundertfünfzig Jahre alt, denn Großvater Nikolaus Kobus hatte es gebaut. Zehn Morgen Altes Flächenmaß, in Bayern 34,07 a, in Preußen 25,5 a. Der französische arpent maß – je nach Region – 20 bis 50 a. Naturweide, fünfundzwanzig Morgen urbares Land, ein Hang voller Obstbäume und, in einer sonnigen Ecke, ein Hektar Rebland mit gutem Ertrag verliehen diesem Landgut ansehnliche Einkünfte und begründeten seinen großen Wert.

Während er den Serpentinenpfad hinunterstieg, erblickte Fritz Suselchen, die am Brunnen bei der Wäsche war, die Tauben, die in Schwärmen zu zehn bis zwölf Tieren um den Schlag turtelten, und Vater Christel, der mit der großen Peitsche in der Hand die Ochsen von der Tränke wegführte.

Das ländliche Bild regte Fritz an. Er genoss das Gekläff des Hundes Mopsel und die Schläge des Wäscheklopfers, die durch das stille Tal klangen, und das Gebrüll der Ochsen, das bis in den Buchenwald gegenüber schallte, wo am Fuß der Bäume noch einige gelbliche Schneeflecken übriggeblieben waren.

Das größte Vergnügen hatte er jedoch an Susel, die sich über das Waschbrett gebeugt hatte und die Wäsche einseifte, um sie dann wie ein gutes Hausfrauchen zu schlagen und zu wringen. Jedes Mal wenn sie das Wäscheholz hob, das vor Wasser und Seife glänzte, schien die Sonne darauf und schickte einen Lichtstrahl den Hang hinauf.

Als Fritz zufällig einen Blick auf den Grund der Schlucht warf, wo die Lauter sich durch die Wiesen schlängelte, sah er oben auf einer alten Eiche einen Bussard sitzen. Er lauerte auf die Tauben, die um den Hof turtelten. Als Fritz mit seinem Stock auf den Vogel anschlug, strich der sofort ab und schickte ein wildes Miauen ins Tal hinunter. Auf diesen Kriegsruf hin flohen alle Tauben zum Schlag.

Da lachte Fritz vor sich hin und lief weiter den Pfad entlang, bis ein helles Stimmchen rief:

»Herr Kobus! Da kommt Herr Kobus!«

Das war Susel, die ihn eben bemerkt hatte und jetzt die Scheune entlang rannte, um ihren Vater zu rufen.

Kaum hatte Fritz den Fahrweg am Fuß des Hangs erreicht, als der alte Mennonit Erckmann-Chatrian setzen hier den Mennoniten (im Originaltext Anabaptistes) ein Denkmal. Nachdem ihre erste Gemeinde 1523 in Zürich entstanden war, fand ihre Forderung nach der Erwachsenentaufe vor allem in Norddeutschland und Holland Anklang. Bald verschrieben sich diese Spättäufer oder Täufer der Lehre Ihres Predigers Menno Simons (1492-1559), der zu Friedfertigkeit, einfacher, tiefer Frömmigkeit und harter Arbeit auf dem Lande aufrief. Gewalttaten einzelner Fanatiker hatten jedoch die gesamte Glaubensgemeinschaft in Verruf gebracht, und die deutschen Landesherren vertrieben die Mennoniten, die man polemisch Wiedertäufer nannte. Einige fanden im 16. und 17. Jahrhundert Zuflucht im Oberrheintal. Vor allem im 19. Jahrhundert sind die ›Stillen im Lande‹ in so großer Zahl ausgewandert, dass sie heute in Deutschland als Religionsgemeinschaft keine herausragende Rolle mehr spielen. und Bauer mit dem breiten Vollbart, dem Hut aus Rosshaar und der grauen Wolljacke mit den Messingspangen ihm freudestrahlend entgegenkam und gutgelaunt ausrief:

»Willkommen, Herr Kobus, willkommen. Sie machen uns sehr froh, denn wir haben Sie nicht so früh erwartet. Der Himmel sei gelobt, dass Sie sich heute entschieden haben und gekommen sind.«

»Ja, Christel, ich bin's«, sagte Fritz und schüttelte dem braven Mann die Hand, »der Gedanke kam mir ganz plötzlich, und schon bin ich da. Hihihi, schön, dass Sie immer noch gut beieinander sind, Vater Christel.«

»Ja, der Himmel hat uns die Gesundheit bewahrt, Herr Kobus. Es ist die größte Gabe, die wir uns wünschen können; er sei dafür gesegnet! Hier ist meine Frau, Susel hat sie hergerufen.«

Richtig, die gute Mutter Orschel Im Originaltext Orchel, also wohl die in Südwestdeutschland gängige Form des Vornamens Ursel. kam auch herbeigeeilt. Sie war dick und fett, trug eine schwarze Tafthaube und eine weiße Schürze, und aus den Ärmeln der Bluse ragten ihre dicken runden Arme. Susel folgte ihr.

»Ach Herrgott, Sie sind's, Herr Kobus«, sagte die Gute lachend. »Schon so früh? Ist das aber eine schöne Überraschung.«

»Ja, Mutter Orschel. Das ist ja die reinste Augenweide hier. Ich habe einen Blick auf die Obstgärten geworfen, alles wächst nach Wunsch; und als ich eben das Vieh von der Tränke kommen sah, fand ich, dass es gut im Futter ist.«

»Ja, alles ist in Ordnung«, sagte die dicke Bäuerin.

Man sah ihr an, dass sie Kobus gern umarmt hätte, und auch Susel machte ein frohes Gesicht.

Zwei junge Knechte im Hemd fuhren gerade mit dem Pflug im Geschirr hinaus. Sie hoben ihre Kappen und riefen:

»Guten Tag, Herr Kobus!«

»Guten Tag, Johann, guten Tag, Kaspar!« sagte er freundlich.

Er stand jetzt vor dem Hofgebäude, dessen alte Fassade mit einem Spalier bedeckt war. Sechs oder sieben dicke, knotige Weinranken kletterten dort bis unter das Dach hinauf. Die Knospen waren noch kaum sichtbar.

Rechts vor dem runden Türlein stand eine Steinbank, und weiter vorn, unter dem Schutzdach der Scheune, das zwölf Fuß über die ebene Erde vorsprang, waren Eggen, Karren, Strohhäcksler, Sägen und Leitern durcheinander aufgestapelt. Auch sah man an der Tür des Schuppens ein großes Fischernetz und darüber, zwischen den Tragebalken des Schuppens, hingen dicke Strohballen, in denen sich Spatzen eingenistet hatten. Mopsel, ein kleiner Schäferhund mit eisengrauem Fell, dickem Bart und hängendem Schwanz rieb sich eben an Fritz' Bein, der ihm mit der Hand über den Kopf strich.

Unter Gelächter und heiterem Schwatz, zu dem die Ankunft des guten Kobus alle anregte, gingen sie in die Diele und weiter in die Wohnstube des Guts. Es war ein großer, kalkweißer, acht bis neun Fuß hoher Raum mit einer von braunen Balken durchzogenen Decke. Drei Fenster mit achteckigen Gläsern liefen auf das Tal und ein kleineres Fenster nach hinten zum Hang hinaus. Vor der Fensterreihe stand ein langer Tisch aus Buchenholz mit xförmigen Beinen und einer Bank auf jeder Seite. Links hinter der Tür erhob sich pyramidenförmig der Kachelofen, und auf dem Tisch standen fünf oder sechs Becher und ein Steinkrug mit blauem Blumendekor. Vervollständigt wurde das Mobiliar des Raums durch alte Heiligenbilder, die mit Zinnober aufgehellt und schwarz gerahmt waren.

»Herr Kobus«, sagte Christel, »Sie essen doch bei uns, nicht wahr?«

»Selbstverständlich.«

»Gut. Orschel, weißt du, was Herr Kobus mag?«

»Ja, sei nur ruhig. Wir haben erst heute Morgen Nudelteig gemacht.«

»Also, setzen wir uns. Sind Sie müde, Herr Kobus? Möchten Sie Ihre Schuhe ablegen und meine Holzpantinen anziehen?«

»Sie scherzen, Christel, ich habe die zwei Meilen zurückgelegt, ohne es zu merken.«

»Umso besser. Susel, sagst du denn nichts zu Herrn Kobus?«

»Was soll ich ihm denn sagen? Er sieht doch, dass ich hier bin und dass wir froh über ihn sind.«

»Sie hat recht, Vater Christel. Wir zwei haben uns gestern schon genug unterhalten. Sie hat mir über alles hier berichtet, und ich schätze sie sehr, denn sie ist ein liebes Mädchen. Wissen Sie, was wir tun sollten, während Mutter Orschel uns Nudeln kocht? Lassen Sie uns doch hinausgehen und ein wenig die Felder, die Obstbäume und den Garten besehen. Ich bin so lange nicht draußen gewesen, dass mir der Weg hierher nicht genug Auslauf war.«

»Gern, Herr Kobus. Susel, du kannst deiner Mutter helfen, wir kommen in einer Stunde zurück.«

Während Fritz mit Vater Christel hinausging, sah er im Vorbeigehen vom Gang zum Hof her den Schein des Feuers hinten in der Küche. Die Bäuerin knetete schon den Teig im Becken.

»In einer Stunde, Herr Kobus«, rief sie ihm zu.

»Ja, Mutter Orschel, in einer Stunde.«

Sie gingen hinaus.

»Diesen Winter haben wir viel Obst gekeltert«, sagte Christel, »wenigstens zehn Fass Nach Prof. J. Etlin (s. Fußnote 10 zum Vorwort, Anhangsband, S. 11) meint das an dieser Stelle im Originaltext gebrauchte Wort mesure ein Hohlmaß von ca. 150 l. Apfelmost und zwanzig Fass Birnenmost. Most erfrischt bei der Kornmahd besser als Wein.«

»Er ist auch gesünder als Bier«, fügte Kobus hinzu. »Weder muss man ihn verstärken noch mit Wasser strecken; er ist ein natürliches Getränk.«

Sie gingen eben an der Mauer vor der Brennerei entlang. Durch ein Fensterchen warf Fritz einen Blick ins Innere.

»Haben Sie Kartoffeln gebrannt, Christel?«

»Nein, Herr Kobus, Sie wissen ja, dass sie letztes Jahr nichts hergegeben haben. Wir müssen auf eine große Ernte warten, damit's sich lohnt.«

»Das stimmt. He, ich meine, dass Sie mehr Hühner haben als letztes Jahr, und hübschere?«

»Ach ja, Herr Kobus, es sind Cochinchinahühner. Davon gibt's seit zwei Jahren viele im Land. Ich hatte sie bei Daniel Stenger auf dem Lauterbachhof gesehen und wollte auch welche haben. Es ist eine ansehnliche Rasse, aber ich möchte erst noch sehen, ob diese Cochinchinesischen gut im Eierlegen sind.«

Sie waren vor dem Gatter des unteren Hofs, wo viele große und kleine Hühner mit dickem Kopfputz und breiten Klauen Bei einigen Haushuhnrassen – auch beim Cochinchinahuhn – schließt das Federkleid an den Beinen nach unten mit seit- oder abwärts gerichtetem Gefieder ab, das bis auf den Boden hinunterragen kann und breit ausläuft. im Schatten standen, mittendrin ein prächtiger Hahn mit fuchsroten Augen. Sie spähten und horchten herüber und putzten sich mit dem Schnabel. Einige Enten waren auch dabei.

»Susel, Susel!« rief der Bauer.

Das Mädchen kam sofort.

»Ja bitte, Vater?«

»Mach doch bitte das Gatter auf, damit die Hühner Auslauf haben und die Enten ans Wasser gehen können. Wenn das Gras gewachsen ist, kann man sie ja wieder einschließen, damit sie im Garten nicht alles herausreißen.«

Susel öffnete eifrig das Gatter, und Christel ging die Wiese hinunter, Fritz hinterher. Hundert Schritte vor dem Fluss hielt der Mennonit an, weil der Boden tief wurde, und sagte:

»Sehen Sie, Herr Kobus, seit sechs Jahren gibt dieser Fleck nichts als Weidengeflecht und Pfeilkraut her, kaum genug, um eine Kuh darauf zu weiden. Diesen Winter haben wir den Hang ausgeglichen, und jetzt läuft das Wasser schneller ab. Noch vierzehn Tage Sonne, und alles ist trocken. Dann können wir säen, was wir wollen, Klee, Süßklee oder Luzernen. Ich sage Ihnen, das gibt gutes Futter.«

»Das nenne ich eine ausgezeichnete Idee«, sagte Fritz.

»Ja, Herr Kobus, aber ich muss noch etwas anderes ansprechen. Wenn wir zum Hof zurückkehren und an der Stelle sind, wo der Fluss eine Schleife macht, werde ich's Ihnen erklären, dort verstehen Sie's besser.«

Bis gegen Mittag gingen sie weiter durch das Tal spazieren. Christel legte Fritz seine Pläne offen.

»Hier«, sagte er, »werde ich Kartoffeln anpflanzen, und dort werden wir Korn säen. Nach dem Klee ist der Boden darauf gut vorbereitet.«

Fritz verstand nichts von Fruchtwechsel, gab sich aber den Anschein, als ob er sich auskenne, und der alte Bauer fachsimpelte gern.

Es wurde heiß. Bei jedem Schritt durch fetten, tief umgepflügten Boden bleibt ein Erdklumpen am Hacken hängen, und Kobus bemerkte schließlich, dass ihm der Schweiß den Rücken hinunterlief. Als sie oben auf dem Hang standen und Atem holten, dröhnte in seinen Ohren das Gebrumm der Insekten, die in den ersten schönen Tagen aus der Erde steigen.

»Hören Sie, Christel«, sagte er, »was für eine Musik ... nicht wahr? Es ist doch erstaunlich, dass das Leben als lauter Raupen, Maikäfer und Fliegen aus der Erde steigt und von einem Tag auf den anderen die Luft füllt. Das hat etwas Großartiges!«

»Ja, sogar zu großartig«, sagte der Mennonit. »Wenn's nicht zum Glück die Spatzen, Buchfinken, Schwalben und die hundert anderen Arten von Vögelchen gäbe, die Stieglitze und die Grasmücken, die all das Ungeziefer kurz halten, dann wären wir verloren, Herr Kobus, dann würden uns die Maikäfer, Raupen und Heuschrecken alles wegfressen! Zum Glück hilft uns der Herr. Man müsste die Jagd auf kleine Vögel verbieten. Ich habe auf dem Hof stets das Ausrauben der Spatzennester untersagt, denn die Spatzen stehlen zwar viel Korn, retten uns aber noch mehr.«

»Ja«, antwortete Fritz, »so geht's auf Erden zu. Die Insekten fressen die Pflanzen, die Vögel fressen die Insekten, und wir essen die Vögel mit allem anderen darin. Seit Anbeginn ist alles so eingerichtet, dass wir alles essen. Dafür haben wir zweiunddreißig Zähne, die einen spitz, andere schneidend, und wieder andere, die Backenzähne, zum Zerkauen. Das zeigt, dass wir die Herren der Welt sind. – Ach, hören Sie doch, Christel, was ist das?«

»Das ist die dicke Glocke von Hüneburg, die Mittag schlägt. Der Schall dringt bis in dieses Tal hinein, dort hinten, beim Turteltaubenfelsen.«

Sie stiegen wieder hinab. Hundert Schritt vor dem Hof blieb der Mennonit am Flussufer erneut stehen und sagte:

»Herr Kobus, jetzt komme ich zu dem Einfall, von dem ich vorhin sprach. Sehen Sie, dass der Fluss hier flach ist? Jedes Jahr zur Schneeschmelze und wenn's im Sommer stark regnet, tritt der Fluss hier übers Ufer, in dieser Richtung mindestens hundert Schritt weit. Wenn Sie letzte Woche gekommen wären, hätten Sie ihn voll Schaum sehen können. Sogar jetzt ist der Boden noch ganz feucht.

Ich habe mir gedacht, wenn wir in diesem Bogen fünf oder sechs Fuß Flussbett ausheben, dann haben wir zunächst zwei- oder dreihundert Karrenladungen fetten Boden, der auf dem Hang guten Humus bildet, denn dafür gibt's nichts Besseres als eine Mischung aus Lehm und Kalkboden. Dann fassen wir den Fluss mit einem festen Mäuerchen und haben den besten Teich, den man sich wünschen kann, um darin Forellen, Barben, Schleie und alle anderen Arten von Fisch zu halten, die in der Lauter vorkommen. Das Wasser läuft durch eine Schleuse mit Gittern hinein und auf der anderen Seite durch ein enges Flechtwerk ab. In dem strömenden Wasser fühlen sich die Fische zu Hause, und man muss nur das Netz hineinwerfen, um herauszuholen, was immer man haben mag.

Derzeit gibt's kaum Fisch hier, zumal seit der Hüneburger Uhrmacher und seine zwei Söhne den lieben langen Tag angeln und jeden Abend die Forellen säckeweise davontragen. Was halten Sie davon, Herr Kobus, Sie mögen doch lebendfrischen Fisch so sehr? Jede Woche könnte Ihnen Susel den mit der Butter, den Eiern und den anderen Sachen bringen.«

»Also«, sagte Fritz im Brustton der Bewunderung, » das ist ein herrlicher Gedanke. Christel, Sie sind ein gescheiter Mann. Ich hätte schon längst an diesen Teich denken sollen, denn ich esse gern Forelle. Sie haben recht. Ja, ja es ist völlig richtig! Gleich morgen fangen wir an, hören Sie, Christel? Heute Abend gehe ich nach Hüneburg und hole Arbeiter, Wagen und Karren zusammen. Der Architekt Lang muss auch kommen, damit alles richtig gemacht wird. Wenn wir fertig sind, setzen wir Forellen, Barsche und Barben aus, wie man Kohl, Radieschen und Rüben im Garten aussät.«

Kobus lachte laut, und der alte Mennonit war sehr zufrieden, als er sah, dass Fritz seinem Plan zustimmte.

Als sie wieder beim Hof waren, sagte Fritz:

»Christel, ich werde acht, zehn oder vierzehn Tage bei Ihnen wohnen, um die Arbeit zu überwachen und voranzutreiben, denn ich möchte alles mit eigenen Augen sehen. Da unten am Fluss bauen wir aus gutem Kalk eine feste Mauer mit einem guten Fundament, und für den Boden des Teichs brauchen wir Sand und Kies, denn so mögen's die Fische im Strom. Schließlich soll der Bau lange halten.«

Dann kamen sie in den großen Hof vor der Scheune. Susel stand in der Tür.

»Wartet Mutter schon auf uns?« fragte sie der alte Mennonit.

»Noch nicht, sie deckt gerade erst den Tisch.«

»Gut, dann haben wir noch Zeit, um den Stall zu besichtigen.«

Er überquerte den Hof und öffnete ein Fensterchen. Kobus sah in einen weißgekalkten, mit Bruchsteinen gepflasterten Stall mit einer leicht angeschrägten Ablaufrinne der Mitte. Im Schatten reihten sich die Ochsen und Kühe aneinander. Als die guten Tiere ihre Köpfe zum Licht drehten, sagte Vater Christel:

»Die beiden großen Ochsen da vorn sind seit drei Monaten in der Mast. Der jüdische Schlachter Isaak Schmul will sie haben, er war schon zwei- oder dreimal hier. Die sechs anderen genügen dieses Jahr für die Feldarbeit. Sehen Sie doch einmal dieses kleine Schwarze, Herr Kobus, es ist so hübsch, dass es mir leid tut, davon kein zweites zu haben. Ich bin schon durch das ganze Land gereist, um noch eins zu finden. Mit den Kühen ist's übrigens genau wie im Vorjahr. Rösel gibt Milch, und ich lasse sie ihr weißes Kälbchen großziehen.«

»Gut«, sagte Kobus«,ich sehe, es ist alles in Ordnung. Jetzt wollen wir essen, denn ich bekomme allmählich Appetit.«


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