Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Illustration: Theophile Schuler

III

Als Katel gegangen war, trat Fritz in die Küche und zündete eine Kerze an, denn er wollte seinen Keller inspizieren und einige alte Flaschen Wein für die Feier seines Frühlingsfests aussuchen.

Sein breites Gesicht strahlte vor Zufriedenheit, als er sich vorstellte, wie sich jetzt die schönen Tage bis zum Herbst aneinanderreihen würden: Das Spargelfest, die Kegelpartien im Blumenkorb Wie man später sehen wird, ist Blumenkorb (im Original Panier-Fleuri) der Name einer Gastwirtschaft. draußen vor Hüneburg, die Angelpartien mit Christel, seinem Gutsbauern im Meisental, oder die Bootsfahrt auf der Losser im Wechselspiel von Licht und Schatten unter den Ulmen, die vom Ufer her ihr Laubgewölbe spannen. Dann Christel mit dem Wurfnetz auf der Schulter, der Fritz nahe der Forellenquelle plötzlich »halt!« zuruft und das Netz ringsherum wie ein riesiges Spinnengewebe über dem ruhigen Wasser auswirft, um es voll zappelnder, goldfarbener Fische herauszuziehen. Oder die Abfahrt der lustigen Jagdkumpane in den Buchenwald bei Katzenbach. In wildem Durcheinander wickeln sich die Jäger lederne Gamaschen die Beine hinauf, werfen die Jagdtasche auf den Rücken ihrer grauen Kittel, schnallen Jagdflasche und Pulverbeutel an die Hüften, stellen die doppelläufigen Flinten zwischen ihre Knie in das Stroh auf den offenen Wagen mit Sitzbänken und binden hinten die Hunde an, die wie toll kläffen und heulen. Fritz selbst hält die Zügel, lenkt den Wagen bis zum Haus des Wildhüters Rödig, lässt die Gesellschaft drauflos jagen und wendet sich der Küche zu, um Zwiebelchen anzubraten und Wein in Bottichen zu kühlen. Erst nachts kommen die Jäger zurück. Die einen haben leere Jagdtaschen, die anderen tröten auf dem Jagdhorn.

So zog alles vor seinen Augen vorbei, während er die Kerze anzündete, die Kornmahd, der Hopfenschnitt, die Weinlese, und leise kicherte er: »Hihihi! Das wird schön... das wird schön!«

Schließlich stieg er mit der Hand vor dem Licht hinab, den Schlüsselbund in der Tasche und einen Korb am Arm.

Unter der Treppe öffnete er den Keller. Es war ein alter trockener Weinkeller Auch Emile Erckmanns Vater Philippe unterhielt in seinem Haus an der Place des Acacias in Phalsbourg einen ansehnlichen Weinkeller ( Benoit-Guyod (s. Fußnote 4 zum Vorwort), S. 113). mit Wänden voll kristallin glänzendem Salpeter. Seit einhundertfünfzig Jahren, als Urgroßvater Nikolaus zum ersten Mal Anno 1715 Markobrunner Eine Weinlage im Rheingau. bestellt hatte, war dies der Weinkeller der Familie Kobus, und gottlob hatte sich sein Bestand seitdem unter der weisen Voraussicht der Familie von Jahr zu Jahr vergrößert.

Als Fritz den Keller geöffnet hatte, weiteten sich seine Augen vor Freude. Er stand vor zwei blauen Oberlichtern, die auf den Akazienplatz hinausliefen. Langsam ging er an den eisenbereiften Fässchen vorbei, die auf dicken Balken entlang der Wände aufgereiht waren, betrachtete sie und sagte zu sich:

»Dieser Gleiszeller Ein Weindorf an der südlichen Pfälzer Weinstraße. ist acht Jahre alt; den habe ich selbst vom Hang weg gekauft. Jetzt dürfte er genug gelagert sein, und es wird Zeit, dass ich ihn auf Flaschen ziehe. In acht Tagen werde ich den Küfer Schweyer herbestellen, und dann fangen wir an. Der Steinberg Eine weitere bekannte Weinlage im Rheingau. dort ist elf Jahre alt. Er hat eine Krankheit durchgemacht, ist dickflüssig geworden, aber das sollte nun vorbei sein... wir werden bald sehen. Aha, hier ist mein Forstheimer Dies soll wohl auch ein Weinort sein, der nicht zu weit entfernt von Hüneburg liegt. In Deutschland gibt kein Weindorf mit diesem Namen, dem der Weinort Forst in der Südpfalz wohl am nächsten kommt. Im nördlichen Elsass liegt ein Forstheim – aber Wein liefert es heutzutage nicht. vom letzten Jahr, den ich mit Eiweiß geklärt Setzt man jungem Wein Eiweiß hinzu, so bindet er Hefe und Schwebstoffe und zieht sie zum Fussboden hinunter. Diese geschmacksneutrale und natürliche Methode zur Stabilisierung und ›Schönung‹ des Weins ist noch heute anerkannt. habe. Den muss ich unbedingt verkosten, aber heute will ich mir nicht die Zunge verkleben. Morgen oder übermorgen ist auch noch Zeit.«

Während er so nachdachte, ging Kobus weiter.

An der ersten Ecke, am Eingang zum zweiten und eigentlichen Weinkeller, dem Flaschenkeller, blieb er stehen und stutzte den Docht der Kerze – mit den Fingern, weil er die Dochtschere vergessen hatte. Dann steckte er die Kerze auf den Zapfen eines Leuchters und ging gebückt weiter unter einem kleinen, in den Fels gehauenen Gewölbebogen hindurch. Am Ende dieser Röhre öffnete er eine zweite Tür, die mit einem riesigen Vorhängeschloss gesichert war. Nachdem er die Tür aufgestoßen hatte, richtete er sich freudestrahlend auf und rief:

»Aha, da sind wir also!«

Seine Stimme hallte von einem hohen Gewölbe wider. Zugleich kletterte eine schwarze Katze die Wand hinauf und drehte sich im Oberlicht mit grün funkelnden Augen um, bevor sie zur Brandeckstraße hinaus entfloh.

Dies war der beste Weinkeller von Hüneburg, teils aus dem Fels gehauen, teils mit gewaltigen Quadersteinen aufgemauert. Der Keller maß höchstens zwanzig Fuß in der Länge und fünfzehn in der Breite, aber er war hoch, mit einem festen Lattengitter unterteilt und mit einer Tür verschlossen, die ebenfalls aus Holzlatten bestand. Entlang der Wände waren Regale gezogen, und darauf lagen die Flaschen in tadelloser Ordnung. Sie stammten aus allen Jahrgängen zwischen 1780 und 1840 Im Gegensatz zu den kurzlebigen deutschen Weinen von heute konnten derart alte Weine im Jahr 1847 noch recht gut schmecken, wie Hugh Johnson in seiner Weingeschichte (Berlin und Stuttgart 1990: Hallwag), S. 286-288 und S. 389 unter Berufung auf zeitgenössische Quellen erläutert. Demnach waren z.B. um 1830 in Hochheim im Rheingau der 1775er, 1766er und 1748er als feine alte Jahrgänge ohne weiteres erhältlich, und diese Weine wurden als gehaltvoll, trocken, von feinem Aroma und beispiellos langlebig beschrieben. Diese Eigenschaften sollen nicht nur daher stammen, dass vor den Reblaus- und Mehltauplagen der Wein insgesamt kräftiger schmeckte und robuster war oder dass man damals hohe Qualität bei kleinen Ernten erzielte, sondern auch vom damals üblichen ›deutschen Solera-Verfahren‹: Man zog aus den Weinfässern jedes Jahr einen Bruchteil ab, füllte sofort mit jungem Wein auf und sorgte für luftdichte Lagerung. Dies ergab nach vielen Jahren bemerkenswert aromatische, trockene und haltbare Weine, die nach dem Jahrgang der ersten Füllung des jeweiligen Fasses benannt wurden.. Das Licht von den drei Kellerfenstern brach sich in dem Lattenrost und ließ die Flaschenböden anheimelnd und malerisch funkeln.

Kobus ging hinein.

Er hatte einen Drahtkorb mit viereckigen Fächern mitgebracht, in die je eine Flasche passte. Fritz stellte den Korb auf den Boden, hob die Kerze hoch und ging die Regale entlang. Der Anblick der guten Weine in den Flaschen mit den blauen Siegeln oder Bleikapseln bewegte ihn zu dem Ausruf:

»Wenn doch meine armen Ahnen wiederkämen, die diese Weine seit fünfzig Jahren mit so viel Weisheit und Voraussicht zur Seite gelegt haben! Ich bin sicher, dass sie's gern sehen würden, wie ich ihrem Beispiel folge, und dass sie mich für würdig halten würden, auf Erden in ihre Fußstapfen zu treten. Ja, sie wären alle zufrieden, denn diese drei Regale dort habe ich selbst angelegt, und zwar mit Umsicht, so darf ich wohl sagen, denn ich habe mich stets in eigener Person zu den Weingärten begeben, mit den Winzern vor dem Weinfass verhandelt und mir auch die Arbeit im Keller nicht erspart. Daher mögen diese Weine jünger als die anderen sein, aber bestimmt nicht schlechter. Sie werden reifen und die älteren würdig ablösen. So setzt man gute Traditionen fort, und es gibt in einigen Familien nicht nur Gutes, sondern sogar vom Besten.

Ja, wenn der alte Nikolaus Kobus, Großvater Franzsepp und mein Vater Zacharias zurückkehren und diese Weine probieren könnten, dann wären sie mit ihrem Nachkommen zufrieden, weil sie in mir ihre eigene Weisheit und Tugend wiedererkennen würden. Schade, dass sie nicht zurückkommen können, ach, es ist vorbei für immer! Ich muss sie alle in allem ersetzen. Traurig ist der Gedanke aber schon, dass so kluge Menschen, solche Genießer, nicht einmal mehr ein Glas von ihrem Wein probieren können, um sich daran zu laben und den Herrn für seine Gnade zu preisen! Nun, so ist's eben, dieses Schicksal trifft uns alle früher oder später, und daher muss man die guten Gaben genießen, solange man kann!«

Nach diesen traurigen Überlegungen wählte Kobus die Weine aus, die er zu Mittag trinken wollte, und das besserte seine Laune wieder.

»Wir fangen mit den Weinen aus Frankreich an«, sagte er sich, »die mein würdiger Großvater Franzsepp über alle anderen setzte. Da hatte er wohl nicht ganz unrecht, denn dieser alte Bordeaux ist sicher das Beste, um sich eine gute Grundlage anzutrinken. Ja, wir nehmen erst einmal sechs Flaschen Bordeaux, das wird ein hübscher Anfang, und danach drei Flaschen Rüdesheimer Noch ein bekannter Rheingauer Wein., den mein armer Vater so sehr mochte! Ihm zum Gedenken sagen wir vier. Das macht schon zehn. Die beiden für den Schluss sollten allerdings etwas Besonderes sein, etwas Älteres, was uns zum Singen bringt... Moment mal, das muss ich mir aus der Nähe anschauen.«

Kobus bückte sich, fuhr sacht durch das Stroh auf dem untersten Regal und las die alten Etiketten. »1780er Markobrunner... 1804er Affentaler Eine alte, renommierte Rotweinlage bei Bühl in Baden.... Johannisberger Vermutlich Wein aus der berühmten Lage im Rheingau. von den Kapuzinern, ohne Jahrgang. – Aha! Johannisberger von den Kapuzinern!« sagte er, richtete sich auf und schnalzte mit der Zunge.

Er hob die staubbedeckte Flasche und stellte sie andächtig in den Korb.

»Das kenne ich doch!« sagte er.

Mehr als eine Minute ließ er sich, um daran zu denken, dass die Kapuziner In Phalsbourg gab es seinerzeit ein Kapuzinerkloster. Der junge Emile Erckmann hatte dort Unterricht genommen ( Benoit-Guyod (s. Fußnote 4 zum Vorwort), S. 33 f). von Hüneburg im Jahr 1792 beim Einmarsch der Franzosen unter Custine In ihrem Roman Histoire d'un paysan gehen Erckmann-Chatrian ausführlich auf Adam Philippe (comte de) Custine (1740-1793) ein, der 1789 auf seine Adelsprivilegien verzichtet hatte und unter der französischen Revolution bis zum Kommandeur der Nordarmee aufstieg, bevor er wegen Verrats abgelöst und hingerichtet wurde. Die Passage, die Custine erwähnt, ist übrigens nicht in allen Ausgaben des L'ami Fritz enthalten. geflohen waren und ihren Weinkeller zurückgelassen hatten, aus dem Großvater Franz glücklicherweise zwei- oder dreihundert Flaschen vor der Plünderung Ob Custines Truppen tatsächlich in Phalsbourg oder in der Südpfalz ein Kapuzinerkloster geplündert haben, ist in Histoire d'un paysan (s.o.) nicht berichtet. Sicher ging die französische Revolution nicht gerade zimperlich mit den Kapuzinern um, weil diese sich nach Ansicht der Revolutionäre am Volk bereichert hatten und obendrein offen für die royalistische Reaktion agitierten. rettete. Das war ein goldgelber Wein und so köstlich, dass er wie ein Duft des Orients im Mund zerging.

Daran dachte Kobus mit Vergnügen. Er füllte den Korb nicht ganz und sagte zu sich:

»Das genügt jetzt. Noch eine Flasche Kapuziner, und wir wälzen uns unter dem Tisch. Schon mein tugendhafter Vater sagte stets: Man muss gebrauchen, nicht missbrauchen.«

Damit stellte er vorsichtig den Korb vor das Lattengitter, schloss die Tür, legte sorgsam das Schloss vor und ging zurück in den ersten Keller. Im Vorbeigehen fügte er dem Korb eine Flasche alten Rum hinzu, der seitwärts in einem alten Schrank lagerte, eingerahmt zwischen zwei Pfeilern des niedrigen Gewölbes. Schließlich stieg er hinauf und blieb immer wieder stehen, um die Türen hinter sich zu verschließen.

Als er sich dem Hausflur näherte, hörte er, dass in der Küche die Kochtöpfe klapperten und das Feuer knisterte. Also war Katel vom Markt zurück, alles ging voran, und das gefiel ihm.

Er stieg weiter hinauf, blieb im Flur an der Schwelle der vom Herdfeuer hell erleuchteten Küche stehen und rief:

»Hier sind die Flaschen! Katel, jetzt erwarte ich, dass du dich selbst übertriffst und uns ein Mittagessen kochst, ein Mittagessen...«

»Seien Sie doch still, Herr Kobus«, antwortete die alte Köchin, die sich ungern Vorschriften machen ließ. »Sind Sie in zwanzig Jahren auch nur einmal mit mir unzufrieden gewesen?«

»Nein, Katel, nein, im Gegenteil. Doch du weißt, man kann's gut machen, sehr gut, und ganz und gar gut.«

»Ich tue, was ich kann«, sagte die Alte, »mehr kann man nicht verlangen.«

Kobus erblickte auf dem Tisch zwei Haselhühner, den herrlichen, bereits im Topf rundgelegten Hecht, kleine Forellen als Fischbrät und eine wunderbare Gänsestopfleber. Da wusste er, dass alles geraten würde.

»Ist gut, ist gut«, sprach er und ging weiter, »alles klappt. Hahaha! Werden wir lustig sein!«

Anstatt in das übliche Esszimmer zu gehen, schlug er den kurzen Gang nach rechts ein, stellte den Korb vor einer hohen Tür ab, steckte einen Schlüssel in das Schloss und öffnete. Das war das Galazimmer der Kobus, wo nur bei besonderen Gelegenheiten getafelt wurde.

Die Läden vor den drei hohen Fenstern am Ende des Zimmers waren geschlossen. Der Tag schaute grau herein und zeigte im Halbdunkel alte Möbel, gelbe Sessel, einen Kamin aus weißem Marmor und entlang der Wände große Bilderrahmen, die mit weißen Leinwandtüchern verdeckt waren.

Fritz öffnete zuerst die Fenster und schob die Fensterläden auf, um zu lüften.

Mit seiner Täfelung aus alter Eiche hatte der Saal etwas Feierliches und Würdiges an sich; man verstand auf den ersten Blick, dass dort schon mehrere Generationen bestens gespeist hatten.

Fritz zog die Tücher von den Bildern. Das erste zeigte Nikolaus Kobus, den Geheimen Rat des Königs Friedrich Wilhelm Gemeint ist vermutlich König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der 1713 bis 1740 regierte. im Jahre des Heils 1715. Der Herr Geheime Rat trug eine riesige Louis XIV-Perücke, einen kastanienfarbenen Rock mit weiten Ärmeln, die er bis zu den Ellenbogen hinaufgeschoben hatte, und einen Kragen aus feiner Spitze. Das Gesicht war breit, kantig und würdig.

Das nächste Bild gab Franzsepp Kobus als Fähnrich im Leininger Leiningen war ein Fürstengeschlecht mit einem Herrschaftsgebiet in der linksrheinischen Pfalz. 1803 wurde es von Napoleon Bonaparte aufgehoben. Ob Leiningen ein Dragonerregiment hatte und inwieweit die Uniform authentisch ist, konnte nicht festgestellt werden. Dragonerregiment wieder, in einer himmelblauen Uniform mit silbernen Tressen, einer weißen Schärpe am linken Arm, gepudertem Haar und dem Dreispitz auf dem Ohr. Er konnte damals höchstens zwanzig Jahre alt gewesen sein und sah frisch wie eine Wildrosenknospe aus.

Ein drittes Porträt zeigte den Amtsrichter Zacharias Kobus in einem eckig wirkenden schwarzen Talar. Er hielt seine Tabaksdose in der Hand und trug eine Perücke mit feinem Schwanz.

Die drei Porträts waren gleich groß, alles breite und solide Gemälde. Man merkte ihnen an, dass Familie Kobus stets genug Geld gehabt hatte, um die Künstler üppig zu bezahlen, die sie damit beauftragt hatte, ihre Bildnisse für die Nachwelt festzuhalten. Mit seinen blauen Augen, der gerümpften Nase, dem runden, senkrecht gespaltenen Kinn, dem breitgeschnittenen Mund und dem lebensfrohen Blick sah Fritz den Bildern sehr ähnlich.

Schließlich hing rechts, dem Kamin gegenüber, das Porträt einer Frau. Es war ein Jugendbild von Kobus' Großmutter mit lachendem, halb geöffnetem Mund, der die schönsten weißen Zähne sehen ließ, die man sich vorstellen kann. Ihr Haar war etwa in der Form eines Schiffs toupiert, und sie trug ein himmelblaues, rosa eingefasstes Samtkleid.

Man sah dem Bild an, dass Großvater Franzsepp eine Menge Neider gehabt haben musste. Andererseits war es erstaunlich, dass sein Enkel derart wenig Neigung zur Heirat hatte.

In den Rahmen mit den dicken goldenen Zierleisten hoben sich die Porträts hübsch von der braunen Wand des hohen Zimmers ab.

Über der Tür war auf einem Sims die Entführung der Liebe in einem von drei Tauben gezogenen Wagen abgebildet. Zusammen mit den hohen Schranktüren, der alten Rosenholzkommode für Nadelarbeiten, der Anrichte mit der geschnitzten Täfelung, dem ovalen Tisch mit den geschwungenen Beinen und dem abwechselnd in gelb und schwarz verlegten Eichenholzparkett belegte diese Darstellung die gute Figur, welche die Kobus seit einhundertfünfzig Jahren in Hüneburg gemacht hatten.

Nachdem Fritz die Fensterläden geöffnet hatte, schob er den Rolltisch in die Mitte des Raums und öffnete zwei doppelflüglige Wandschränke, die von der Decke bis zum Boden hinunterreichten. Im einen lag auf einer unendlichen Anzahl von Borden die Tischwäsche, so schön man sie sich nur vorstellen kann, im anderen stand das Geschirr aus herrlichem alten, wohlgeformten, vergoldeten und mit Blumenmustern verzierten Meißner Porzellan; unten die Stapel der Teller und weiter oben diverses Tafelgeschirr, dickbäuchige Suppenterrinen, Tassen und Zuckerdosen, schließlich das gewöhnliche Tafelsilber in einem Korb.

Kobus wählte ein schönes Damasttischtuch und breitete es sorgfältig auf dem Tisch aus, fuhr mit der Hand darüber, um die Falten glattzuziehen, und schlug dicke Knoten in die Ecken, damit sie nicht auf dem Boden schleiften. Dies tat er langsam, gewissenhaft und mit Liebe. Danach stellte er auf das Kaminsims einen Stapel flacher Teller, einen weiteren mit tiefen Tellern und dazu ein Tablett Kristallgläser, die mit dicken Diamanten geschliffen waren. In diesen schweren Gläsern leuchtete der Rotwein wie dunkler Rubin und der gelbliche Weißwein wie Topas.

Schließlich legte er die Gedecke einander genau gegenüber auf, faltete sorgsam die Servietten zu Schiffchen und Mitren und stellte sich einmal rechts, dann wieder links vom Tisch hin, um die Symmetrie abzustimmen.

Als er damit fertig war, trug sein breites Gesicht einen unbeschreiblich andächtigen Ausdruck. Er straffte die Lippen und runzelte die Stirn.

»So geht's«, sagte er leise, »der lange Friedrich Schulz kommt ans Fenster, mit dem Rücken zum Licht, und der Steuereinnehmer Christian Hahn ihm gegenüber. Josef sitzt hier und ich dort... so wird's gehen... so ist's gut. Wenn die Tür aufgeht, werde ich sofort sehen und wissen, was aufgetragen wird. Ich kann Katel winken, dass sie hereinkommen oder warten soll – sehr gut so. Jetzt die Gläser, rechts das für den Bordeaux, den ersten Wein; in die Mitte das für den Rüdesheimer, und dann das für den Johannisberger von den Kapuzinern. Alles muss seine Ordnung haben, und alles zu seiner Zeit. Die Ölkaraffe steht auf dem Kaminsims, Salz und Pfeffer sind auf dem Tisch, jetzt fehlt nichts mehr, mein Kompliment, Herr Kobus! – Ach, es wird schon warm hier! Da gehört der Wein in einem Kübel unter dem Hahn der Wasserpumpe gekühlt, ausgenommen der Bordeaux, der chambriert getrunken wird. Ich werd's Katel sagen. – Doch jetzt bin ich an der Reihe, muss mich rasieren, umziehen und meinen hübschen kastanienfarbenen Rock anziehen. – Es geht voran, Kobus, hahaha! Ein Frühlingsfest... und draußen scheint die Sonne so wunderschön. He! Da geht ja schon der lange Friedrich auf dem Platz spazieren. Jetzt ist keine Minute zu verlieren!«

Fritz ging hinaus. Als er bei der Küche vorbeikam, trug er Katel auf, den Bordeaux zu wärmen und die anderen Weine zu kühlen. Strahlend ging er in sein Zimmer und sang leise: »Trariro, der Sommer kommt ja wieder... juhu!«

Der feine Geruch von Krebssuppe füllte das Haus. Jetzt kam die Köchin vom Roten Ochsen herein, die große Fränzel, die als Tischbedienung bestellt war, denn die alte Katel konnte nicht zugleich in der Küche und im Esszimmer sein.

Von St. Landolf schlug es halb, und die ersten Gäste konnten jeden Augenblick eintreffen.


 << zurück weiter >>