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IV.

So war das Fest herangekommen.

Schon am Nachmittag bat Hedwig den Pächter, er möchte das große Wohnzimmer verlassen. Irgend etwas Geheimnisvolles bereite sich vor.

Mürrisch und verdrießlich, wie er sich sonst nie gegen das Mädchen betragen hatte, ging Wilms hierauf aus der Stube, ohne ein Wort und indem er es vermied, sie anzusehen. Jedoch mitten in den Vorbereitungen für den Heiligen Abend fiel Hedwig dies Benehmen nicht sonderlich auf, sie rief ihre getreue Dörthe und arbeitete mit ihr hinter verschlossenen Türen.

Unterdessen saß Wilms in seiner Kammer und schrieb an Else einen Brief. Heiß und dringend flehte er sein Weib an, zurückzukehren, sobald es ihre Gesundheit nur irgendwie gestatte. Er freue sich auf ihre Rückkehr, wie auf ein Fest. Überall fehle sie ihm. Alles erinnerte ihn an sie. Ach, wenn sie doch erst da wäre. – Ganz am Schluß erwähnte er auch Hedwig. Sie führe das Hauswesen zu seiner Zufriedenheit, aber sein armes, geliebtes Weib könne sie natürlich doch nicht ersetzen. Er stockte, da er es schrieb. Das Blut sauste und summte durch alle seine Adern. »Gelogen – gelogen,« tönte es deutlich vor seinen Ohren. Hastig schloß er das Schreiben, und saß dann stundenlang in dem immer dunkler werdenden Raum.

Er wußte, daß Hedwig unten einen Christbaum schmücke. Für seine Leute natürlich, suchte er sich einzureden. Jedoch gleichviel. Bald würde sie nach ihm schicken, damit er teilnehmen solle an der allgemeinen, großen Freude. »Und er sollte dann mit ihr zusammen unter den flimmernden Lichtern stehen?« grübelte er, »und dann allein sein mit dem Mädchen, während der Baum seinen kräftigen Tannengeruch verbreitete und die Flämmchen darauf hell und aufrecht in die Höhe züngelten? Würden dann nicht die aufreizenden Gedanken wiederkehren, die ihn gestern bis zum Wahnsinn gepeinigt? – Nein, nein – nur das nicht mehr. – Wie wäre es, wenn er sich still aus dem Hause schliche und den Abend wo anders zubrächte, vielleicht beim Pastor?«

Wie gehetzt erhob er sich, warf seinen Mantel um und tappte leise über die dunkle Treppe nach unten. Er durchschritt den Hausflur, da öffnete sich die Tür des großen Zimmers, eine Gestalt trat heraus.

Wilms fuhr zusammen und blieb unwillkürlich stehen. Die Dunkelheit verhinderte ein Erkennen.

Unsicher näherte sich Hedwig dem Schweigenden.

»Du willst noch ausgehen, Schwager?«

»Ja.«

»Jetzt?«

»Ja, ich hab' noch einen notwendigen Gang.«

»Aber doch jetzt nicht,« drängte das Mädchen und faßte leicht seinen Mantel. »Ich wollte dich ja gerade holen; Wilms, du wirst uns doch am Heiligen Abend nicht allein lassen?«

Der Pächter wand sich hin und her, je mehr sie ihn bat, desto qualvoller glaubte er sich gefoltert: »Mir macht das ja aber alles keine Freude, Hedwig,« brachte er hervor. »Mich peinigt das geradezu.«

»O – nein, nein,« widersprach sie und ergriff seine Hand.

Das verwirrte ihn immer heftiger.

»Hedwig, ich kann's nicht mehr mit ansehen, wenn andere sich freuen und ich allein davon ausgeschlossen sein soll. Laß mich lieber fort, mein Kind, ich will –«

Aber sie hielt ihn noch. Fest lag ihre Hand in der seinen.

»Dazu bist du ja viel zu gut,« sagte sie weich und mitleidig, wie selten ein Mensch zu dem Unglücklichen gesprochen. »Willst du mir denn auch die ganze Freude rauben?«

»Dir auch?«

»Ja natürlich – für dich haben wir doch den Baum geputzt.« Immer noch ruhte ihre Hand in der seinigen, jedoch mit der anderen riß sie jetzt hastig die Tür auf.

Ein breiter, strahlender Lichtschein fiel auf den dunklen Flur und übergoß das eng beieinanderstehende Paar mit seiner Helle.

Groß, dunkelgrün, mit weithin reichenden Zweigen stand der Tannenbaum mitten in der Stube, bunte Papierketten ringelten sich von Ast zu Ast, unzählige Wachskerzen flimmerten, und hinter ihm harrten die Leute des Gehöfts, Männer und Frauen, alle sonntäglich gekleidet, daß der Herr des Hauses das Fest mit ihnen begehen solle. Ganz vorn vor dem Baum aber hatte Hedwig zwei kleine Mädchen aufgestellt, Kinder, die Hofleuten gehörten. Sie hielten rote Papierrosen in den Händen und sangen mit schwachen Stimmen ein Liedchen, das mit den Worten schloß:

»Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.«

Als sie ausgesungen hatten und Wilms in den Lichterglanz hineinsah und in die erwartungsvoll-feierlichen Gesichter seiner Leute, da hielt er sich nicht länger, er legte langsam die Hand vor die Augen und weinte bitterlich.

Und die Hofleute nickten einander zu und stießen sich heimlich an, als wüßten sie, was ihren Herrn bedrücke.

Aber nur wenige Sekunden ließ sich Wilms so übermannen. Dann richtete er sich auf und sah auf das Mädchen, das alles nur für ihn angeordnet hatte. Das Licht flutete über ihre braunen Haare, ihre großen Augen hingen fest und fragend an den seinigen. Sie stand noch immer dicht neben ihm.

»Ich dank' dir, Hedwig,« sagte er einfach und preßte ihre Hand mit verzweiflungsvoller Glut. »So schön haben wir in Wilmshus Weihnachten noch nie gefeiert.« Er ließ sie voranschreiten und folgte ihr dann in die Stube.

Freudig erregt saß der Pächter nachher in seiner Sofaecke und verfolgte Hedwig, wie sie jedem der Hofangehörigen ein kleines Geldgeschenk überreichte, das Wilms für seine Leute bestimmt hatte, und für sich selbst außerdem noch eine Aufmerksamkeit hinzufügte. Dörthe bekam eine Schürze, der alte Krischan einen Tabaksbeutel, die beiden kleinen Mädchen küßte Hedwig und band ihnen seidene Halstücher um.

Hierauf allgemeines Knixen und Handschütteln.

»Ich dank' auch, Herr – schönen Dank auch, Fräulen – ne es is auch gar zu viel – so was hätt' ich mich nich vermutet – Herrje und was die Leinwand schön is.«

Damit entfernten sich die Leute und Hedwig ging mit ihnen.

Wieder saß der Pächter allein und blickte träumerisch in die ruhig brennenden Lichter hinüber.

Da flog die Tür noch einmal auf: »Julklapp,« rief es und dann noch zweimal »Julklapp – Julklapp.«

Drei Pakete polterten in das Zimmer, und da nur Hedwig so frisch und hell rufen konnte, so wußte der Landmann, daß die drei Geschenke für ihn bestimmt seien. Er wartete, ob Hedwig nicht wieder zurückkehren würde, aber als er allein blieb, öffnete er die Schachteln. In der ersten fand er eine Kiste feiner Zigarren, sodann eine Meerschaumspitze, in der letzten endlich einen ledernen Bilderrahmen, auf dem mit Seide ein Kranz blauer Veilchen gestickt war. Ein Zettel war mit einer Stecknadel daran befestigt, darauf stand »von Else«.

War es möglich?

Behutsam nahm der Landmann den Rahmen in die Hand. Und diesen wundervollen leuchtenden Kranz sollte sein armes Weib mit ihren zitternden Fingern hergestellt haben? Ein Zweifel beschlich ihn.

Aber wer sonst?

Hinter ihm näherte sich etwas, ein leises Knistern wurde hörbar, Wilms kehrte sich um und sah in das liebenswürdige Gesicht Hedwigs.

Er hob die Stickerei in die Höhe und fragte erregt: »Wirklich von Else?«

Ein Schatten flog über die Stirn des Mädchens, aber sie bejahte. Allein den Ungläubigen überzeugte sie nicht.

»Hedwig – ich glaub's nicht – Else hat ja so feine Arbeit gar nicht gelernt – nicht wahr – du – von dir?«

Wieder schüttelte sie leise das Haupt.

»So sag's doch,« rief er dringend.

Endlich gab sie es zu: »Nun ja, es ist von mir,« gestand sie, »Else wollte dir gern etwas Derartiges anfertigen, aber sie vermochte es noch nicht. Da habe ich es übernommen.«

»Also auch von dir?« murmelte der Pächter mit zitternder Stimme. Eine Weile stand er in Gedanken versunken unter dem leuchtenden Baum; ohne ein Wort des Dankes zu sprechen. »Und ich,« überlegte er bei sich, »ich habe gar nicht daran gedacht, diesem lieben, reizenden Geschöpf eine kleine Freude zu bereiten. Mit leeren Händen steh' ich vor ihr, als gehörte sie gar nicht in mein Haus! Während sie –«

Es überlief ihn heiß und kalt. Vor Beschämung wagte er gar nicht die Augen zu erheben. Langsam und beklommen drängte es sich über seine Lippen.

»Und die Zigarren und die Spitze, Hedwig, von wem sind die?«

Aus ihren Augen sprühte ein spitzbübischer Funke, um ihren Mund flog ein schelmischer Zug. – Die seltsame Unbehilflichkeit des Mannes ergötzte sie.

»Von wem sie sind? – Wer weiß?«

Sie zuckte die Achseln, aber als sein verstörtes Antlitz sie darüber belehrte, daß er sich härmte und litt, tat es ihr leid, diese verschlossene Natur, deren tiefes Gemüt sie immer stärker und gewaltiger anzog, verletzt zu haben.

Die Lichter brannten noch immer, es war so gemütlich im Zimmer, tiefe Stille umgab die beiden.

Wilms fuhr auf. Er hatte in seinem Hinbrüten nicht bemerkt, wie das schöne Mädchen, nachdem sie lange auf ein Dankeswort geharrt, sich enttäuscht abgewendet und an das Klavier gesetzt hatte.

Sie spielte jetzt. Ganz leise klang unter ihren Fingern ein altes Kinderlied, das sie variierte und umbildete.

»Schlaf, Kindchen, schlaf.«

Der Bauer horchte hoch auf. Wie weich das tönte, wie wenn eine Mutter ihr unruhiges Kind einwiegt. Ja, und dasselbe hatte ja auch seine Mutter ihm vorgesungen. Eine arme Fischersfrau in der Katenhütte am Strand. Ach er sehnte sich so nach Ruhe, sein Herz war müde und wollte schlafen, so traumlos wie damals in Mutters Schoß.

Hedwig spielte immer ernster und gewaltiger. Alle Saiten brausten, wie ein Choral tönte es jetzt, das alte Lied.

Der Pächter schauerte, unwillkürlich fiel sein Blick auf einen einfachen Silberring, den er seiner sterbenden Mutter vom Finger gezogen und seitdem an der Uhrkette trug. Verstohlen küßte er den Reif und trat hinter Hedwigs Stuhl.

Und das Brausen und Donnern löste sich, der gewaltige Orgelton verlor sich in der Ferne, wie ein süßer, gestammelter Kindergruß klang es aus.

Noch spielte sie die letzten ersterbenden Töne, da fühlte sie, wie Wilms seine Hand auf ihr Haupt legte und leise ihr Haar streichelte. – Sachte, sachte, eine scheue, zaghafte Liebkosung.

Sofort brach das Spiel ab, aber sie hob die langen Wimpern nicht auf.

Noch einmal fuhr er ihr leicht über die Flechten, dann – ihr stockte das Herz – dann fühlte sie, wie er ihre Hand ergriff und sanft einen silbernen Ring an ihren Finger schob.

»Da, Heting,« sprach er weich, »du hast so schön gespielt – ich schenk' ihn dir – er is von meiner Mutter.«

Sie zuckte krampfhaft zusammen, blickte mit ihren braunen, ernsten Augen zu ihm empor und wollte etwas erwidern, aber die Zunge war ihr wie gelähmt. Nur eine düsterrote Glut stieg ihr langsam über Hals und Wangen.

Da wurde plötzlich seine Hand, die noch liebkosend auf ihren Haaren ruhte, drückend und schwer, als ob sie sich in Eisen verwandele.

Hedwig hätte aufschreien mögen, so schmerzte es sie.

»Was ist dir, Schwager?«

Oh, es bedeutete nur eine Kleinigkeit, fast gar nichts; es war nur unheimlich, die hervorquillenden Augen zu sehen, die unverwandt auf das Bett starrten. Ganz zufällig war der Blick des Pächters über das reinlich zugedeckte Lager geglitten und da, – da wurde eben seine Hand so schwer, als würde sie Eisen.

In dem Bett lag Else, schattenhaft, abgemagert, blaß und streckte die Arme nach dem Manne aus, der ihre Schwester streichelte.

»Wilms,« rief Hedwig entsetzt und sprang auf. Ihre kräftige Stimme verscheuchte den Spuk.

»Ja, ja – Hedwig – willst du etwas?«

»Um Gottes willen, Schwager – was ist dir? – fühlst du dich krank?«

»Nein – ich? bewahre – mir war nur so – seltsam. – Ich glaubte – es ist lächerlich – mir kam es vor, als läge Else mit einemmal dort drüben in ihrem Bett,« murmelte er einfach, und doch mit hervorbrechendem inneren Entsetzen.

»Else?« stammelte das Mädchen.

Beide starrten sich an, beide versuchten ein Lächeln zu erzwingen, aber die Furcht schüttelte sie, wie wenn ein kaltes, graues Gespenst zwischen ihnen stände.

Das war das erstemal, daß es sie auseinander trieb.

Der Landmann faßte sich zuerst. »Wollen ein Ende für heute machen,« ermannte er sich kurz – »es ist schon spät – gute Nacht, mein Kind.«

Sie reichten sich wie immer die Hände. Die Finger des Mädchens waren eiskalt. Dann trat Wilms an den Baum und löschte die Lichter aus.

Es wurde immer dunkler und dunkler, gleichgültig sah Hedwig zu, wie ein Flämmchen nach dem anderen unter seinen Fingern erstarb, zuletzt brannten nur noch die Kerzen zu beiden Seiten des Instrumentes.

»Gute Nacht,« murmelte Wilms noch einmal, dann hatte er das Zimmer hastig verlassen.

Hedwig war es, als müßte sie ihm nacheilen, sich in seine Arme werfen und Schutz suchen, Hilfe gegen die Traumgestalt dort in dem Bette, das auch sie jetzt aufnehmen sollte.

Wenn sie das Phantom dann ebenfalls bemerkte, wenn es neben ihr läge und sie mit dürren, weißen Armen umfing, um sie zu würgen!

»Warum?«

»Weil du denselben Mann begehrst, der mir gehört – mir.«

Einen leisen Angstschrei stieß Hedwig aus.

»Gib mir den Ring,« klagte es neben ihr weiter. »Er gebührt dir nicht!«

»Licht – Licht.«

Mit zitternden Händen entzündete Hedwig die große Stehlampe und blickte sich um. Rings lag alles friedlich und still, alles in den traulichen Schein der Lampe getaucht. Jetzt lächelte Hedwig und setzte sich an den Tisch, aber es war ein müdes, herzzerreißendes Lächeln, und als das Mädchen den Reif an ihrem Finger fühlte, war es ihr, als ob er sie stäche.

»Weißes Silber bedeutet Tränen, sagen die Leute,« dachte sie.

Ermattet schritt sie wieder zum Klavier und ließ noch einmal die Finger über die Tasten eilen. Leise drangen die Töne durch das Haus, und Wilms, der oben in seinem Bett den Kopf gegen die Wand preßte und den Schlummer herbeiflehte – ihn umschmeichelte plötzlich die liebe, alte Melodie, das Lied, mit dem ihn seine Mutter schon eingesungen hatte:

»Schlaf, Kindchen, schlaf.«

Aber es hatte seine Zauberwirkung verloren. Er fand keine Ruhe mehr, sondern dachte unausgesetzt an das wunderbare, schöne Weib, dem er den Silberring geschenkt.

So endete der Weihnachtsabend in Wilmshus.


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