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III.

Wie er sie verlassen, ebenso lag Else noch jetzt. Mit der linken Hand hatte sie die Bibel umklammert, die rechte fingerte nervös an der Wand, und ihre krankhaft leuchtenden Augen waren auf das Fenster gerichtet. Die ungewohnte Bewegung auf dem Hof, das Knarren der Torflügel, das jetzt laut werdende Grunzen der Schweine, alles störte sie. Sie war ganz aufgeregt, und als Wilms sich neben ihr Bett setzte, forschte sie atemlos nach dem Grund all dieses Lärms. – – Ja der Grund –

Durfte ihr der Mann die wahre Ursache verraten? Konnte er gestehen, daß man jetzt den besten Teil seines Besitztums forttriebe, daß andere Trümmer bald folgen, und alle Pfosten seines Hauses um ihn zusammenbrechen würden, um ihn, den starken, kräftigen Mann, der nun schon seit Jahren, wie gelähmt, an dieses Bett geschmiedet war, so fest, daß alle Bewegungsfähigkeit gehemmt schien? – Merkwürdig, ihm war es, als wäre sein Weib gesünder, als er; und er selbst gebrochen, ausgezehrt, kraftlos, ein toter Mann, der in dem großen Lehnstuhl hockte und vor sich hinstarrte.

»Was hantieren sie denn dort draußen so laut?« klagte das Weib und klappte nervös mit dem Deckel der Bibel – »soll denn gar nicht ein bißchen Rücksicht auf mich genommen werden, Wilms?«

Der Landmann raffte sich zusammen. Nur schonen die arme Frau, war sein einziger Gedanke. – Der Gedanke, der ihm die Not ins Haus gerufen.

»I, Elsing, das wird wohl bald wieder aufhören.«

»Ja, aber was machen sie denn?«

»Ach, Rosenblüt ist bloß da und – und kauft mir Vieh ab.«

»Der Jude?« rief die Kranke und richtete sich auf. – »Sieh – sieh da,« stotterte sie und zeigte gerade aus, »da steht er vor dem Fenster – und guckt hinein, gerade auf mein Bett.« Entsetzt fiel sie zurück und zog die Decke hoch, so daß sie nicht mehr bemerken konnte, wie Rosenblüt mit allerlei Grimassen ihren Mann hinauswinkte. »Wilms, ich kann den Juden einmal nicht leiden – was hast du auch immer mit ihm. Immerfort was. Der Herr Pastor sagt auch, daß du dich zuviel mit ihm abgibst.«

»Still, Elsing, ich hab' schon manch gutes Stück Geld an dem Mann verdient.«

»Ach wo – die betrügen ja alle. Du verstehst bloß die Wirtschaft nicht.« – Das war ein böses Wort.

Wilms zuckte zusammen und griff nach seiner Brust. Draußen winkte Herr Rosenblüt immer energischer.

»Ich muß jetzt aber doch einen Augenblick auf den Hof, Elsing,« ermunterte sich der Mann endlich.

»Schon wieder?«

Sie warf ihm einen flehenden Blick zu und ergriff seine Hand: »Du bist ja eben erst hereingekommen. – Und dann – mir ist immer so wohl, wenn du bei mir bist, sobald du mich aber allein läßt, dann überfällt mich wieder die schreckliche Angst – du weißt ja – als ob mir was auf der Brust säße« – sie keuchte – »nicht wahr, du bleibst?«

Er blieb und sank ohne eine Antwort in dem hohen Lehnstuhl zusammen. Das war das Bild seines Lebens. – Die Last zog an ihm und zog ihn abwärts.

Jetzt sprach und fragte sie immer hastiger weiter. Wie es mit der Wirtschaft stünde? – Doch gut? Und der Pastor hätte ihr eine Annonce gebracht, in der ein beweglicher Krankenstuhl nicht allzu teuer angepriesen würde. 150 Mk. »Nicht wahr, das ist nicht zu viel? – Das erübrigst du doch für deine Frau? Du hast mich doch lieb? Nicht wahr?« – Und dann kamen die Erinnerungen. Wie sie noch frisch und gesund in ihrem Hauswesen herumgesprungen wäre, und wie furchtbar verliebt Wilms sich als junger Ehemann gebärdete. Hinter jeder Tür, wo es die Leute nicht sehen konnten, hätte er um einen Kuß gebettelt. »Ach, küsse mich noch einmal so. – Ich bin doch eigentlich noch so jung.«

Halb betäubt sank sein Haupt an ihre Brust. Er war so zerschmettert, daß er für nichts mehr das volle Verständnis besaß.

Da wurde an die Tür geklopft. Erst leise, dann energisch, und schließlich trat Herr Rosenblüt ins Zimmer und blickte sich verdutzt in der Krankenstube um. Die dumpfe Luft und das Bild der beiden sich umschlungen haltenden Gatten ließ ihn einen Moment verstummen, eine Art Rührung zuckte in den Zügen des Händlers auf, dann aber drängte die Zeit gar zu gewaltig, und er räusperte sich stark: »Guten Morgen – Frau Wilms – ich bitte um Entschuldigung – wie geht es Ihnen? – aber es ist die höchste Zeit, Herr Wilms – ich muß mit Ihnen reden, jetzt sofort. Der Kerl ruiniert Ihnen ja die ganze Wirtschaft.«

Die fremde Stimme traf Else wie ein Schuß.

»Großer Gott, wer ist das?« stammelte die Kranke, als sie den Eindringling, der ihr eine linkische Verbeugung machte, gewahrte, und über ihr Gesicht flutete eine brennende Röte: »Was will er hier? – Wilms, mein Zimmer ist doch nicht zu Geschäften da? Warum gehst du mit dem Herrn nicht in die Wohnstube?«

Es war ein unfreundlicher Gruß, und Herr Rosenblüt stand wie angedonnert. Erst als Wilms ihn unter den Arm faßte und begütigend aufforderte, ihm zu folgen, hatte sich der Händler soweit gefaßt, daß er energisch den Hut schwenken und gereizt auffahren konnte:

»Wozu? Da kann ich ja auch gehen. Adieu auch, Herr Wilms, empfehle mich Ihnen, verehrte Frau.« Aber Wilms ließ ihn nicht, und mit vielen Bitten und Entschuldigungen schob er ihn durch eine braunlackierte Tür, in deren Mitte ein großes, ovales, durch eine Gardine verdecktes Guckfensterchen angebracht war, aus dem Zimmer. In der Wohnstube standen einfache grüne Ripsmöbel, gestickte Deckchen prangten auf dem Sofa, und mitten durch die Zimmerdecke zog sich ein großer, tapetenüberklebter Balken. Hier fiel Wilms in einen der Polsterstühle nieder, stützte seinen Kopf in die Hand und fragte endlich den Geschäftsfreund nach dessen Begehr, aber es klang alles so zerstreut, so fern und tonlos, als ob der Geist des Mannes auf düsteren Irrpfaden wandele. Und dieses Gebrochensein, dieses vollständige Einschlafen einer ehemals großen Kraft erschütterte den andern. Mitleidig halb, und halb furchtsam, trat er auf ihn zu. Dann berührte er mit seinem Stock die Schulter des Sitzenden, und während er ihm nun unaufhörlich leise auf die Achsel schlug, redete er eindringlich auf ihn ein. Es war ein langer Vortrag, aber Wilms hörte nur eins heraus, und das war etwas Hoffnungsfreudiges, mitten in seiner trostlosen Nacht, ein Frührotschimmer, ein aufblitzendes Licht. – Herr Rosenblüt war über die Pfändung empört. – Der Beamte hätte gewiß das Doppelte des Werts aus der Wirtschaft gezogen, die schönsten Stücke Vieh, ohne die der Besitzer gar nicht weiter existieren konnte. Seine Entrüstung war zu ehrlich, es sprudelte nur so aus ihm. – »Was soll das heißen? – Daran verdient der Graf ja ein Heidengeld? – Die besten Tiere – Kunststück. – Wilms, wissen Sie was? Ich zahle Ihnen die 3600 Mark, und Sie stellen mir dafür die gepfändeten Stücke beiseite. Und wenn Sie in acht Tagen die Summe nicht an mich zurückerstatten können, dann, nun dann gehört alles mir. – Das ist 'ne Spekulation. – Ich bin ein Geschäftsmann – das ist 'n Geschäft – wollen Sie?«

»Ja, ja.« O, es war ja dem Verschmachtenden, als hätte ihm eine freundliche Hand einen Trunk kalten Wassers nach staubiger Wanderung gereicht. Er fühlte förmlich, wie ihn etwas erfrischend, wohlig durchrieselte. Langsam stand er auf und reckte sich. – Acht Tage Zeit – noch eine ganze Woche? – Ja, bis dahin mußte ja Rettung kommen, irgend woher, gleichviel, jedenfalls war vorläufig die entsetzlichste Last von seiner Seele gewälzt. Tief atmete er auf, seine Brust hob und senkte sich rasch.

»Ja, alter Freund, natürlich, ich nehme es an, mit tausend Freuden, geben Sie her.«

Der Händler jedoch hielt noch einen Augenblick mißtrauisch inne.

»Herr Wilms, nehmen Sie mir's nicht übel, ich habe noch eine Bedingung.«

»Ach wohl wegen der Zinsen?«

»Bewahre – das wird sich schon finden, versteht sich, Zinsen auch. Nein, es betrifft etwas anderes, aber das sag' ich Ihnen später. Jetzt gehen Sie raus, und machen Sie Ihre Sache mit dem Blutsauger da draußen ab. – Vorwärts.«

Damit zählte er eine Anzahl Kassenscheine auf den Tisch. Wilms griff danach und schritt ohne ein weiteres Wort auf den Hof hinaus, wo der Vollzugsbeamte in dem Viehstall sein Werk gerade beendet hatte.

In wenigen Minuten hielt der Überraschte die fragliche Summe in der Hand, schrieb noch im Stehen eine Quittung, schüttelte Wilms die Hand, sprang auf seinen Wagen und rasselte vom Hof herunter.

Das Werk eines Augenblicks, es war alles wie ein verfließender, böser Traum. Wilms und Rosenblüt standen unter dem morschen Tor und blickten dem entschwindenden Gefährt nach. Als es jedoch hinter dem Tannenschlag in einer Senkung der Chaussee untergetaucht war, pflanzte sich der Händler vor seinem ernsten Geschäftsfreund auf, steckte die eine Hand in die Tasche und klapperte mit seinem Stock an den Stangen des Zaunes hin und her.

»Hören Sie mal, alter Freund,« begann er endlich unruhig und spie vor sich hin. »Jetzt will ich Ihnen auch sagen, was ich von Ihnen verlange. Wenn ich um mein Geld unbesorgt sein soll, dann müssen Sie sich wieder ausschließlich um Ihre Wirtschaft kümmern. – Und das können Sie nur, wenn Sie sich bei Ihrer Frau eine Vertretung anschaffen. 'ne Pflegerin, oder so was Ähnliches. Es gibt ja Krankenschwestern genug. Auch kann ich mich ja mal in Grimmen danach umsehen.«

Wilms strich mit der Hand über die Stirn. Das, was er eben vernommen, klang wie eine eherne Anklage in ihm fort. »Ja, ja,« murmelte er halb für sich, »ich habe ja auch schon daran gedacht – aber es geht doch nicht.«

»Geht nicht?«

Herr Rosenblüt fing an, sich zu ärgern.

»Ja, warum denn nicht?«

»Weil meine Frau keine Fremde im Hause dulden will. – Ich muß ihr den Willen tun, dem armen, gequälten Weib.«

»Zum Teufel, dann lassen Sie doch eine Verwandte kommen. – Und ja – hören Sie mal« –

Der Redende richtete sich plötzlich auf und schlug dem Hofbesitzer energisch auf die Schulter – »Donnerwetter, da fällt mir etwas ein. Wilms, Ihre kleine Schwägerin ist ja vor ein paar Tagen aus Stralsund zurückgekommen. Ich sah sie gerade aus dem Wagen steigen, als sie in das Haus Ihres Schwiegervaters ging. Ein strammes Ding, so groß« – Herr Rosenblüt zeigte eine gigantische Höhe – »die nehmen Sie sich – die wird hier schon Ordnung schaffen. Na, und wenn Sie wollen, will ich selbst in Grimmen mit dem Alten ein paar Worte reden. – Na also?«

Wilms war gepackt. Fest starrte er den Händler mit seinen überbuschten, blauen Augen an und sann nach. Zwar kannte er die jüngere Schwester seiner Frau kaum. Als er damals um Else freite, war die kleine Hedwig ein sechzehnjähriges, schweigsames scheues Mädchen gewesen, dem er nicht viel Beachtung geschenkt hatte. Ja, er besann sich, daß ihr eigentümlich lauerndes, verschlossenes Wesen ihn manchmal verdrossen, aber doch – – der praktische Händler hatte offenbar das Rechte getroffen.

Gegen ihre Schwester konnte Else nichts einwenden. Und vor allen Dingen: er wurde frei, frei und unbehindert für sein mühseliges Gewerbe. – Noch einen Augenblick schwankte er, noch einmal überflog er kurz das Fenster der Krankenstube, dann erklärte er dem Händler entschlossen, daß er seinen Rat befolgen würde. Noch heute sollte ein Brief an den Schwiegervater des Landmanns, den alten Rendanten Schröder zu Grimmen, abgehen.

»Bravo! – ein Mann ein Wort, Herr Wilms,« mahnte der Kaufmann dringend, als er seinen harrenden Wagen bestieg, »nicht wahr?«

Der Angeredete nickte mit dem gewaltigen Haupt:

»Seien Sie unbesorgt, Herr Rosenblüt.«

»Und wenn ich wiederkomm', sieht es hier anders aus,« rief der Scheidende zurück, dann ein Händedruck, und auch der zweite Wagen rollte davon.

Wilms aber stand mitten auf der Landstraße und sah ihm nach.

Eine seltsame, beklommene Freudigkeit befiel ihn. Und langsam und sinnend schritt er in sein Haus zurück.


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