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III.

Am frühen Morgen, als Wilms aufstand, hörte er, wie seine Schwägerin den Mägden im Hausflur schon etwas auftrug.

Er sah auf die Uhr. Es war erst sechs. Und noch stockfinster.

Das lockte ihm den Seufzer ab: »Ach, wenn Else das doch auch vermöchte.«

Eine Viertelstunde später, er hatte sich kaum völlig angekleidet, brachte ihm Dörthe Kaffee und Frühstück. Der Landmann erstaunte.

»Soll ich denn hier oben frühstücken?« fragte er.

»Ja, Herr, das Fräulein hat schon unten getrunken.«

»Na, wie sie will. Es is gut.«

Die Obermagd ging.

Wilms saß eine Weile allein und wunderte sich, mit welcher Willenskraft Hedwig ihre neue Aufgabe gleich erfaßte.

Dann fuhr er sich mit der groben Hand unwillig über die Stirn.

Immerfort zwang ihn das Mädchen, sich mit ihr zu beschäftigen. Aber er wollte ihr an Regsamkeit nicht nachstehen. Er hatte ja einige wichtige Geschäfte in der Nähe abzuwickeln, und deshalb wollte er fortreiten, damit er erst gegen Mittag wieder zurückzukehren brauchte.

»Möglichst wenig mit ihr zusammen sein,« dachte er.

Mit diesem Entschluß trat er an das kleine Kammerfenster und sah auf den schneebedeckten Hof herunter.

In einem steinernen Seitengebäude hörte er viele weibliche Stimmen durcheinander sprechen, lachen und plaudern. Es war die Molkerei, die solange auf Hedwig geharrt hatte.

»Sollte sie schon unten sein?« dachte er verwundert.

Als er etwas später über den Hof schritt, um sich im Stall sein Pferd zu satteln, machte er den Umweg am Seitenhaus vorbei und warf einen raschen Blick in den von einer Lampe erleuchteten, ziegelsteingepflasterten Raum.

Richtig – umgeben von ihren Mägden sah er Hedwig vor einem großen Fasse stehen und mit ihren jugendlichen Kräften den großen Klüngel heben und wieder herunterstampfen. Beifällig murmelten die Mägde und versuchten, es ihr an zwei anderen Fässern nachzuahmen.

Sie hatte sich von Dörthe eine gewöhnliche Arbeitsbluse geborgt, an der die Ärmel fehlten, und nun sah der Pächter, wie ihre vollen Arme vor Anstrengung sich röteten. Ihr Atem umdampfte sie in der kalten Küche wie eine Wolke.

Dem Lauscher fiel wieder jener Abend ein, als er sie allein in ihrer Kammer getroffen, und augenblicklich war seine Freude an dem arbeitsfrohen Bild wie fortgescheucht.

Widerwillig murmelte er etwas vor sich hin, schlug dann mit Geräusch die Stalltür auf und ritt nach einiger Zeit grußlos vom Hof herunter. Als er sich auf der Landstraße noch einmal umwandte, glaubte er Hedwig unter der Tür des Seitenhauses zu erkennen, die ihm nachblickte.

§§§

»Was ißt der Herr gerne?« befragte Hedwig die Obermagd, ehe sie die Molkerei verließ.

Dörthe sann nach. Dann gab sie Kartoffelsuppe an. »Und der Herr hat gestern selbst einen Hasen geschossen. Der hängt noch.«

Hedwig war zufrieden. Sie wollte selbst alles zubereiten. Der taube Krischan wurde ins Dorf nach allerlei Zutaten zum Krämer geschickt.

Er hinkte unlustig vom Hof herunter.

Bewundernd lugten die Obermagd und ihre Untergebenen dem Mädchen nach, als sie eilig dem Hause zuschritt.

»Die versteht's,« urteilte Dörthe, »schade, daß die Frau nich auch so is.«

Den ganzen Vormittag über revidierte Hedwig das Haus vom Keller bis unter das Dach. Mit Elsens Schlüsseln öffnete sie alle Schränke, zählte nach und legte zurecht, als ob alles ihr gehöre. Ihre Wangen röteten sich dabei vor Vergnügen. Sie erschien sich wie eine Hausfrau, die für Mann und Heim zu sorgen hat.

Dann waltete sie in der Küche. Zuletzt gab sie Dörthe den Auftrag, eine kleine Tanne schlagen zu lassen.

»Ja, aber Fräulen,« meinte die Magd bedenklich, »der Herr will aber keine.«

»Warum denn nicht?«

»Er sagte, weil er so allein is. – Und – dann – unsre Frau fehlt auch.«

»Sagte er das?«

»Ja, so ähnlich sagte er woll.«

Das Mädchen sah einen Augenblick zu Boden. Dann entschied sie lächelnd: »Ich bin ja da – höre, Dörthe, es muß eine recht schöne Tanne sein. – Haben wir etwas zum Putzen?«

»Ne, Fräulen, daß ich nich wüßte.«

»Nun, dann machen wir es uns heute selbst. – Und für euch auch,« setzte sie hinzu. »Christian soll buntes Papier holen.«

»Sie is zu nett,« sprach die Obermagd dankbar hinter ihr her.

§§§

Wilms merkte bei Tisch, daß gerade seine Lieblingsspeisen gewählt seien, und als er sich in seiner ruhigen Weise dafür bedankte, glitt ein heiteres, selbstzufriedenes Lächeln über Hedwigs schönes Gesicht.

Es bereitete ihr Freude, für die Bedürfnisse eines Menschen sorgen zu dürfen, und namentlich für diesen großen, unbeholfenen Mann, dem das Schicksal schon so grausam mitgespielt hatte.

Freundlich plauderten sie wieder über allerlei. Das Mädchen erzählte von ihren Erfahrungen bei der Molkerei. Wilms sagte ihr, daß er ihre Kraft und Energie bewundere. Dann berichtete er von den Geschäften, die er vormittags betrieben.

Es kam ihm ganz selbstverständlich vor, daß er dergleichen mit Hedwig bespräche. Ja, er glaubte, daß ihm noch einmal so gute Eingebungen kämen, wenn sie ihn mit ihren klugen, aufmunternden Augen dazu anblickte.

Nach Tisch führte er sie in den Pferdestall. Hedwig riet ihm dringend, einige von den Tieren zu verkaufen. Es war in den nächsten Tagen gerade Pferdemarkt in Grimmen, und Wilms gestand, daß er selbst etwas Ähnliches geplant habe.

Dann trennten sie sich.

Als der Landmann zum Kaffee erschien, fand er ihren Platz leer. Er fragte mehrfach nach ihr, endlich erfuhr er von Dörthe, die ein geheimnisvolles Gesicht aufsetzte, daß das Fräulein beschäftigt wäre.

Wilms verstand das nicht und trank mit einem merkwürdigen Gefühl seinen Kaffee allein.

Er wollte sich nicht eingestehen, daß er ihre stets dienstbereite Gesellschaft vermisse.

Zum Abendbrot dagegen erschien Hedwig wieder und zeigte sich so aufgeräumt und heiter wie selten. Sie erzählte allerhand lustige Geschichten und Witze und brachte Wilms oft zum Lachen.

Wenn sie etwas Anzügliches vorbrachte, dann sah ihr Gesicht so reizend aus, um ihren vollen Mund zuckte dann oft ein so feiner, liebenswürdig-frecher Zug, daß ihr Gegenüber unwillkürlich mitlachen mußte.

Und so fremd dem Landmann zuerst dies alles war, so stark fühlte er sich bald davon angemutet. Auch er besaß eine Art derben, tiefen Humors, und es dauerte nicht lange, so ging der Pächter gemütlich auf ihre Scherze ein.

Gelassen nickte er, wenn sie ihn mit seiner groben Unbehilflichkeit neckte.

Nur als er seine große Pfeife in Brand setzte und ein paar mächtige Dampfstöße herausjagte, verzog sie die Brauen.

Wilms hörte auf. »Stört es dich?« fragte er bedauernd.

Ungern hätte er auf dieses Vergnügen verzichtet. »Sollte sie etwa dieselbe Abneigung dagegen empfinden wie meine arme Else?« dachte er ein wenig verstimmt. Allein Hedwig zog ihr parfümiertes Taschentuch hervor und während sie sich Luft zufächelte, äußerte sie leichthin: »Bis morgen darfst du so rauchen, lieber Wilms, aber länger nicht.«

»Bis morgen?« dachte Wilms verwundert.

Er verstand sie wieder nicht.

Ferne, langhinhallende Töne mischten sich in ihr Gespräch. Von der Kirche des Hauptgutes, die fast eine Viertelstunde entfernt lag, begannen wiederum die Glocken zu läuten, zum letztenmal vor dem Fest.

Wie ein feiner, verträumter Silberton zog es durch die Luft. Hedwig erhob sich. Sie trat ans Fenster und zog den Vorhang fort.

Draußen weißer, blinkender Schnee, die graue Luft ganz erfüllt von großen Flocken, die langsam und schwer herabfielen. Wie erstarrt schienen die weichen Daunen manchmal im leeren Raum festhalten zu wollen.

Als sie so in das Gestöber hineinblickte, beschlich das Mädchen eine stille Wehmut: »Morgen ist Weihnachten,« sagte sie leise. Nichts regte sich hinter ihr. Keine Antwort wurde laut. Langsam wendete sie sich zurück.

Am Tisch saß Wilms, den schweren Kopf auf die Hand gestützt, und betrachtete das kleine Goldherz, das er vor kurzem gekauft. Eine Träne war auf das Gold gerollt, gerade auf seinen Namen, der dort eingraviert stand.

Jetzt sah er auf:

»In acht Tagen ist sie wieder bei uns,« sagte er weich, als ob er seine schwere Empfindung zurückdrängen wollte.

»Else?« fragte das Mädchen rasch.

»Ja. – Komm, Hedwig – ich will ihr dieses Herz zum Fest schicken. Wir wollen es einpacken.«

Das Mädchen richtete sich auf. Langsam schritt sie zum Tisch, langsam wog sie das kleine Herz in der Hand. Erst als sie den eingeprägten Namen bemerkte, blickte sie ihrem Schwager, der sich ebenfalls erhoben hatte, fest und nachdenklich in die gutmütigen Augen.

»Sie wird sich freuen,« sagte sie schwer und nachdrücklich.

Das Kästchen wurde verschnürt, Wilms schrieb die Adresse, Hedwig trug ihm Licht und Siegellack hinzu. Er drückte das Petschaft darauf.

Mit seltsam starren Blicken verfolgte sie sein Tun. Ein Atom von dem flüssigen Siegellack fiel auf ihre Hand und lag auf der weißen Fläche, wie ein runder Blutstropfen.

»O« – rief Wilms erschreckt, »ich habe dir weh getan.«

»Mir?«

Sie hatte kaum etwas gemerkt.

»Es brennt nicht mehr,« beruhigte sie den Landmann abwehrend.

Gleich darauf nickte sie ihm freundlich zu und ging zur Tür. – Dabei sah sie wohl nicht, daß er ihr die Hand entgegengestreckt hatte, wie er es immer tat, wenn er ihr »Gute Nacht« bot.

Die Tür schloß sich, bevor sie seinen Wunsch vernehmen konnte. Befremdet blickte ihr der Pächter nach. Dann ging er noch lange in dem großen Zimmer auf und nieder, bis er endlich unter das Fenster trat, genau dort, wo Hedwig vorhin gestanden hatte.

Und ebenso, wie sie, spähte er in das lautlose Schneetreiben hinein, er drückte die Stirn an das eisige Glas und regte sich nicht. Dachte er an sein fernes Weib?

Er stellte sich vor, wie sie sich das goldene Herzchen um den weißen abgemagerten Hals schlingen würde, aber während er sich es ausmalte, wurde draußen das Getriebe immer stürmischer, die Flocken wirbelten und balgten sich immer toller – das verwirrte seine Gedanken.

»Was wohl Hedwig sagen würde,« raunte etwas in ihm, »wenn ich ihr morgen das dünne Kettchen um den Nacken legen würde?« Er wollte den Gedanken abschütteln, aber im Geist beugte er sich und küßte sie auf diesen weißen, blühenden Nacken. Und immer heißer und toller braute seine Phantasie. »Ob sie dann wohl die Arme um ihn schlingen und ihren roten Mund zu ihm erheben würde, wie ein liebendes Weib, das sich an den Mann schmiegt?«

Ein irres Lächeln umspielte seine Lippen.

Plötzlich fuhr er auf und brach in ein gewaltsames, schmerzliches Stöhnen aus:

»Jesus Christus – nicht in Versuchung,« stammelte er, »o Gott, nicht in Versuchung.«

Wie im Krampf faltete er die Hände.

Und draußen klangen noch immer die Glocken, bim – bum – bim – bum, feierlich leise, wie Gesang mahnender Geister, welche die Botschaft vom Heiland auch in dies verlassene, im Schnee versunkene Gehöft trugen.


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