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X.

Am Nachmittag waren die beiden Schwestern allein. Wilms war in die Stadt gefahren, um Herrn Rosenblüt das vorgeschossene Geld zurückzuzahlen.

Es war gerade der achte Tag.

Und so waren die beiden Frauen auf sich selbst angewiesen. Bewegungslos lag die Kranke in ihrem Bett, vor sich die Bibel, auf deren Deckel sie leise hin- und herkratzte, und starrte apathisch auf den Hof hinaus, der sich bereits in Dämmerung hüllte.

Hedwig hatte bis dahin munter und emsig an einer eleganten Seidenstickerei gearbeitet, jetzt aber ließ sie sich ebenfalls am Fenster nieder, und den Kopf auf die Hand gestützt, träumte sie nun, leise eine Melodie summend, in den sinkenden Tag hinaus.

Dunkelrot ging die Sonne hinter der Scheune zur Rüste. Einen Augenblick lang war das ganze Zimmer in magischen Glanz getaucht, selbst das Antlitz der Kranken strahlte in wunderbarer Pracht.

»Wie schön du bist, Hedwig,« murmelte die Liegende, als ihr Blick die Schwester traf, auf deren goldbraunen Haaren die Lichter purpurn, wie in Verklärung spielten. Und gleich darauf wimmerte sie: »Gott – so war ich auch einmal, und nun elend, gelähmt, immer auf fremde Leute angewiesen.«

»Jesus Christus,« schrie sie plötzlich in ekstatischer Glut und hob die abgemagerten Hände in die leuchtende Höhe, daß sie wie mit Blut befleckt erschienen. »Nimm mich doch zu dir, mach doch ein Ende mit mir elendem Krüppel – ich ertrag's ja nicht länger, wenn ich andere sehe, so schön, so jung, und ich – – ach, in dem Bade wird's ja auch nicht besser werden.«

Hedwig rührte sich nicht.

Die Kranke starrte ängstlich nach ihr hin und schien sie etwas fragen zu wollen, aber nur ihre Brust hob sich etwas flüchtiger als sonst.

Da schlich der alte Krischan, der zahnlose, taube Greis, ins Zimmer, legte mit seiner zitternden Hand ein Zeitungsblatt auf den Tisch, und entfernte sich wortlos, wie er erschienen war.

Seit Hedwig auf dem Pachthof weilte, wurde ihr aus der Stadt eine Zeitung nachgesandt; und eilfertig erhob sich das Mädchen deshalb, um die Lampe zu entzünden und einen Blick in das Blatt werfen zu können.

»Hedwig,« rief die Kranke mit zitternder Stimme dazwischen, als das Mädchen bereits ruhig ein paar Minuten im Schein der Lampe die Tagesereignisse verfolgt hatte. Dabei war der Leserin allerdings entgangen, wie ihre Schwester keinen Blick von ihr verwandt hatte, obgleich sie sich erregt hin und her warf.

»Willst du jetzt schon deine Medizin nehmen?« fragte die Gerufene willig, indem sie die Zeitung hinlegte.

»Nein, mein Kind, noch nicht – ich möchte, – setze dich doch her zu mir ans Bett, – – Wenn ich nun doch in das Bad soll, dann werden wir ja nicht mehr lange so sitzen.«

Schweigend folgte Hedwig dem Wunsch der Schwester und setzte sich auf einen Korblehnstuhl, der zu Häupten des Bettes stand.

Die Kranke kauerte sich mit ihrem Kopf ganz in die Nähe der Schwester, ergriff schließlich Hedwigs Hand und legte sie sich auf die Brust.

Deutlich fühlte das Mädchen, wie keuchend und rasch der Atem ging.

Eine Zeitlang verharrte sie so, als jedoch nach einer Weile die Jüngere von neuem nach der Medizinflasche griff, schüttelte Else nervös den Kopf und fragte überstürzt, als ob ihr dies schon lange auf der Seele gelegen hätte:

»Hedwig, ich wollte dich einmal fragen, gefällt es dir denn bei uns?«

Es lag etwas so Ängstliches im Ton der armen Frau, daß Hedwig unruhig wurde.

»Gewiß,« gab sie rasch zurück, »überdies kam ich doch auch nur, um dich zu pflegen –«

Die Kranke richtete sich mühsam auf: »Und was denkst du – von Wilms?« fuhr sie hastig fort, ohne auf das eben Gehörte einzugehen.

Hedwig erschrak. Sie wußte selbst nicht warum. Unwillkürlich mußte sie sich gerade jetzt daran erinnern, wie eisern fest Wilms heute vormittag ihre Hände umklammert hatte. Dem starken Mädchen wurde plötzlich das Alleinsein mit der aufgeregten Kranken drückend und unheimlich.

»Kannst du ihn leiden?« forschte die letztere dringender, und umschlang in ihrer sitzenden Stellung den Hals der Schwester.

»O ja« – murmelte diese verwirrt – »dein Mann macht einen braven, rechtschaffenen Eindruck. Und vor allen Dingen scheint er um dich so aufrichtig besorgt.«

»Glaubst du?« seufzte die Kranke erleichtert auf. – Dann drückte sie sich erregter an die Schwester, so daß ihre Wange an der Hedwigs ruhte.

Schaudernd empfand die Jüngere die Berührung der feuchten fiebergeschüttelten Haut, ja ein leiser Widerwille beschlich sie, als sie von der Kranken jetzt heiß und zärtlich auf die Wange geküßt wurde.

»Ja, Gottlob,« raunte die Ärmste dabei dicht vor dem Ohr der Schwester. »Er liebt mich noch immer. – Aber – aber – o Gott, Hedwig, ich will dir etwas anvertrauen. Sieh, wenn ich dich sehe, so schön und gesund, gerade wie ich jetzt auch sein könnte, wenn ich mir unsere fröhliche Jugendzeit vorstelle, dann ist es mir manchmal, als ob ich Wilms – o Gott – verzeih' mir die Sünde, rechne es mir nicht an, aus mir spricht ja nur das Elend« – wimmerte sie dazwischen – »Hedwig, dann ist es mir manchmal, als ob ich meinen Mann haßte, – hörst du? – der mich zu alledem gemacht hat. Bitter und giftig, wie ich noch nie einen Menschen gehaßt habe. Und dabei – ach, du kannst es ja nicht verstehen – dabei sehne ich mich ja so nach ihm, dabei muß ich immer an die ersten Monate unserer Ehe denken, wo ich so glücklich bei ihm war und wir uns herzten,« sie zuckte zusammen und riß die glänzenden Augen weit auf.

»Nein – nein – nein – ach, du mein Gott, was sag' ich nur alles – das ist ja alles Todsünde – Hedwig, glaube kein Wort davon, ich fiebere – höre nicht darauf.«

Und unvermittelt hob sie laut an zu beten; wirr durcheinander, mit den Worten des Psalms:

»Herr Gott, mein Heiland, wie schreie ich Tag und Nacht vor dir.
Du hast mich in die Grube hinuntergeleget in die Finsternis.
Wirst du unter den Toten nicht endlich ein Wunder tun? –
Erbarm' dich meiner – Sela – Sela.«

Nach diesem Ausbruch fiel sie, wie ein lebloser Stein, schwer und dumpf in ihre Kissen zurück, und blieb mit langsam verlöschenden Augen liegen.

Kalt durchfröstelt, und doch voller Widerwillen gegen diese ekstatische Art flößte Hedwig der Erschöpften, welche die Zähne krampfartig zusammenbiß, einige Tropfen der beruhigenden Medizin ein. Dann wischte sie ihr den Schweiß von der Stirn, was die Leidende alles mit denselben erstarrten, ausdruckslosen Zügen geschehen ließ.

Fast eine Stunde verrann so.

Kein Laut regte sich mehr in dem großen Zimmer. Traulich dämmernd, wie immer, verbreitete die große Stehlampe ihr Licht, und Hedwig saß an dem Bett und sah scheu auf die Frau hin, die ihren Mann als den Zerstörer ihrer Gesundheit haßte und sich zugleich nach ihm sehnte in einer wilden, unreinen Leidenschaft.

»Unrein?«

Mit schwachem Lächeln zuckte die Pflegerin die Achseln und lenkte ihre Gedanken wieder auf sich selbst und jene eine Begebenheit zurück, wo zuerst ein Mann ihren Lebensweg gekreuzt hatte. Nur trat ihr dabei, so sehr sie sich auch Mühe gab, nicht der freche Brachwitz vor Augen – nein, seltsam – beinahe lächerlich – immer fort, und je länger desto deutlicher, drang der starke Wilms auf sie ein, faßte sie an beiden Armen und beugte sich über sie, immer gewaltsamer – mit seinem ehrlichen Gesicht, das doch so roh und zornig blicken konnte. O, es war ein so schmerzhaftes, unselig-frohes Gefühl. – – Und sie sagte sich in ihrem Hinträumen, daß alles nur der Nachklang von Elses Erzählung wäre, und sie stellte sich vor, wie warm und weich ihre Schwester wohl an Wilms Halse gehangen hätte, und dennoch – und dennoch – die Ahnung wurde immer deutlicher, bis sie sich schaudernd aufraffte und sich schüttelte.

Verwirrt strich sie ihr braunes Haar zurecht.

Aus der großen Kastenuhr schlug es achtmal.

»So spät schon? – Wo Wilms nur bleiben mochte?« Und wieder erschrak sie darüber, daß sie ihn erwarte.

Da – sie fuhr auf.

Sprach ihr zur Seite nicht etwas?

»Ach, mir ist viel besser,« flüsterte die Kranke leise sich regend und legte ihre feuchte Hand wieder auf die der Schwester: »Du bist auch so still und sanft, mein süßes Heting.«

Wohl eine Stunde hatte die Ärmste vor Ermattung in tiefem Schlummer gelegen, jetzt erhob sie sich müde und zerschlagen und blickte sich dumpf im Zimmer um.

»Ist Wilms noch nicht zurück?«

»Nein, noch nicht.«

»Wo fuhr er denn hin?«

»Nach Grimmen.«

»So?« murmelte die Kranke in sich zusammensinkend – »Erzählte er dir das?« Und nach einiger Zeit setzte sie gleichgültig hinzu: »Er hat wohl viel Vertrauen zu dir?«

»Ja, ich denke.«

Die Kranke nahm von Hedwigs Hand ihre Medizin, das Mädchen schlug ihr die Kissen zurecht, sodaß sich die Leidende besänftigt und ruhiger als bisher ausstrecken konnte.

Dann lag sie und blickte ihrer schönen Schwester mehrere Minuten lang unausgesetzt und grübelnd ins Gesicht. Hedwig schoß das Blut in die Wangen.

Sie wußte selbst nicht warum.

»Wünschst du etwas?« forschte sie rasch.

»Nein, nein, nichts. Komm, mein Liebling, ich will dich etwas fragen – Ich bin doch deine Schwester, und du bist nun erwachsen – Sieh, da möcht' ich gern wissen, mein Heting, – du darfst es mir aber nicht übel nehmen – ob du – was du dort drüben so in der Pension erlebt hast?«

Es klang ein wenig ängstlich, aber doch mehr zudringlich und neugierig.

Statt einer Antwort lehnte sich Hedwig tief in ihren Lehnstuhl zurück und schloß die Augen. – Es war ihr, als senke sich die Decke des niedrigen Zimmers immer tiefer auf sie herab, als fehle es ihr an Luft, als wäre alles zu eng und öde auf diesem weltverlassenen Pachthofe. – Was wollte nur die Schwester mit dieser albernen Frage? – Wieviel Spießbürgerlichkeit lag darin. Was ging sie das alles an?

»Ah, jetzt verstehe ich dich,« sagte sie endlich mit ihrer klaren Stimme. »Du denkst an das, was Graf Brachwitz gestern erzählte.«

Sie zog dabei die Arme hinter das Haupt und schaukelte mit dem Stuhl leise hin und her.

»Ja, ja,« pflichtete Else bei, »das geht mir gar nicht aus dem Kopf. Und daß gerade die beiden Frauen dabei waren. Es klang alles so dunkel, Hedwig, sag' mir doch, mein Liebling, was hattest du mit dem Grafen?«

»Was ich mit ihm hatte?«

»Ja – du mußt mich recht verstehen – – ach, es regt mich so auf und jagt mir soviel Angst ein – – du bist ja auch noch so unerfahren – – diese schreckliche Unruhe hat mich seit gestern vollständig niedergeworfen. – Wir haben doch beide keine Mutter mehr, Hedwig, und da bin ich –«

»Was ich mit ihm hatte?«

Über das Antlitz der Jüngeren glitt ein kaltes, merkwürdiges Lächeln, das wohl dem häßlichen Ausdruck galt, welchen die Kranke gewählt hatte. Dann dehnte sie ihre volle, im Sessel ruhende Gestalt und schüttelte den Kopf, als wollte sie damit das Gespräch ein für allemal abschneiden.

»Hedwig, peinige mich nicht,« rief die Kranke plötzlich mit spitzer, gereizter Stimme. »Was hattest du mit ihm?«

Die Jüngere wollte aufstehen. Die Gewöhnlichkeit des Ausdruckes stach sie geradezu, aber die Schwüle, die von dieser abgezehrten Frau ausging, die dumpfe Schwere, die bereits den kräftigen Wilms zermürbt hatte, preßte auch sie in ihren Stuhl zurück.

»Willst du mir keine Antwort geben?«

»Ja,« antwortete Hedwig.

»Nun also – ich bitte dich.«

»Ganz einfach, Else. – Der Graf ist, wie du weißt, ein Lebemann –«

»O Gott – und?«

»Du hörtest ja gestern. Deshalb drängte er sich, weil er viele hübsche Mädchen dort vermutete, in unsre Pension ein und versuchte dann allerlei lockere Tändeleien anzuknüpfen.«

»Aber mit dir – Hedwig – mit dir?«

»Mit mir?«

»Ja.«

Ein rascher Atemzug wurde hörbar. Der prachtvolle, junge Leib dieses schönen Weibes wand sich, als ob er eine schmerzhafte Berührung empfände, ein Schauer rieselte beinahe sichtbarlich über sie hin, dann aber stürzte es rasch und wie gehetzt über ihre Lippen:

»Er hat einmal versucht, mich gewaltsam zu küssen – weiter nichts.«

»Weiter nichts?«

Zuvörderst ein langer befriedigter Seufzer der gesättigten Neugier. Dann raffte sich die Kranke mühsam auf und blickte die schlanke, zurückgelehnte Gestalt der Schwester mit furchtsamen, vor Erstaunen, Neid und Bewunderung glühenden Augen an.

»Ja,« schoß es ihr durch die krankhaft erregten Sinne, während sie beinahe gierig nach dieser frischen Jugend hinstarrte, »ja sie ist verführerisch schön, dieses hingestreckte Ding mit den lichtbraunen, goldfunkelnden Haaren.« Und mit heftig erwachender Neigung überflog sie die blühende Gesichtsfarbe der Schwester, entzückte sich an dem verschleierten Leuchten und Blitzen der Augen und empfand, wie vornehm das straffe schwarze Kleid die ganze Gestalt umschloß.

»Heting, mein süßes Kind,« stammelte sie und überdeckte unvermutet die Hand der Überraschten mit brennenden Küssen. Eine irre, praktische Hoffnung dämmerte dabei in ihr auf: »Liebt dich denn der Graf so sehr?«

Hedwig zuckte zusammen und wurde sehr blaß.

Else bemerkte es.

»Laß das,« erwiderte die Jüngere endlich herb, erhob sich und schritt rasch bis zum Tisch, um an der Lampe zu schrauben.

»Nein?« rief Else entsetzt, »ja aber aus welchem Grunde?«

»Er ist einfach frech gewesen.«

»Frech? – Großer Gott – Hedwig, dreh' dich doch um – dann – dann durftest du ja hier gar nicht mit ihm zusammentreffen – wenn ich das gewußt hätt' – – Du hast dich doch damals gewehrt? Nicht wahr?«

»Ja,« flog es halblaut vom Tisch herüber.

Es klang wie von zusammengepreßten Lippen.

»Hedwig, du sollst dich umdrehen. – Ich will dich sehen können,« schrie die Kranke mit durchdringender Stimme.

Und in demselben Augenblick wendete sich das Mädchen, und die Leidende, so erschöpft sie war, sah voller Verwunderung, wie Hedwig, die Medizinflasche in der Hand, mit ihrem sicheren, selbstbewußten Ausdruck und achselzuckend auf das Bett zuschritt.

»Heting, mein Liebling,« flüsterte sie, »beruhige mich doch. Weiter ist zwischen euch nichts vorgefallen?«

»Nichts,« entgegnete die andere, die Augenbrauen zusammenziehend. »Siehst du, daß du doch diese ganze dumme Geschichte viel zu ernst nimmst? Hier trink' deine Medizin.«

»Nein, laß noch – Heting – wirklich weiter nichts? – Weiter nichts?«

War es möglich?

Die Kranke schluchzte, flehte, bettelte plötzlich halb besinnungslos um eine Entgegnung und hob ihren mageren Körper weit in die Höhe.

Eine Pause entstand.

Die Gefragte blickte starr auf sie hin. Dann glitt von neuem ein verächtliches Zucken um die aufgeworfenen Mädchenlippen und kurz und gereizt kam die Antwort: »Ich bitte dich, gib dich nun zur Ruhe. Was soll denn noch alles vorgefallen sein? – Komm', Else, du mußt deine Medizin nehmen.«

So endete dieses Gespräch. Die Krankheit trat wieder in ihre Rechte. Es wurde spät. Jeder Laut auf dem Gute erstarb, und noch immer war Wilms nicht heimgekehrt. Erst als die große Kastenuhr bereits die elfte Stunde gemeldet hatte, hörten die beiden Schwestern seinen Wagen durch den Torweg rollen.

»Wo ist Hedwig?« fragte Wilms noch unter der Tür. Aber er forschte vergeblich.

Beim ersten Geräusch war Hedwig bereits aufgesprungen, hatte die Schwester auf die Stirn geküßt und war dann sofort in ihre Kammer hinaufgestiegen.

»Schon zu Bett,« entgegnete die Kranke matt, und es fiel ihr nicht auf, daß der Pächter, der heute so frisch und froh und stattlich wie selten aussah, zuerst nach dem Mädchen gefragt hatte.

Und siehe – eine Stunde später, da war der frohe Schein von seiner Stirn verschwunden.

Zusammengeduckt saß der große Mann in dem Lehnstuhl, welchen Hedwig vorhin verlassen, und lauschte gedankenlos auf die raschen, röchelnden Atemzüge seines Weibes. Es war ganz dunkel ringsumher. Nur aus einem Glase flackerte ein auf Öl schwimmendes Nachtlichtchen heraus.

Und der Mann saß und dachte an das, was ihm sein armes Weib eben anvertraut hatte.

»Geküßt hatte sie der junge, lebenstrotzende Mensch?«

Es war eine grobe Beleidigung – auch für den Landmann. Aber das fühlte er nicht.

Er nickte und hockte und das Herz drückte ihm etwas weh und wund.

»Ob sie sich wohl gewehrt hat?« dachte er müde.

Ein Ächzen seines Weibes schob sich dazwischen. Er beugte sich leise zu ihr hinüber und fuhr ihr beruhigend mit seiner groben Hand über Wange und Hals.

Und dabei irrten seine Gedanken wieder zu dem jungen Geschöpf, das dort oben unter dem Dach schlummerte, ebenso wie hier sein Weib, und das sich vielleicht sehnte und verlangend die weißen Arme nach dem Verführer ausstreckte.

Halb betäubt vor Müdigkeit sank sein mächtiges Haupt endlich schwer auf die Kissen, so daß Else davon erwachte und zärtlich ihre Arme um seinen Nacken schlang.

Und mit irrer Sehnsucht und verlöschendem Bewußtsein preßte er seine Lippen auf den abgezehrten Arm der Bedauernswerten und stöhnte in verzweifelter Seelenqual tief und markerschütternd auf.

§§§

Aber als die Wünsche des unglücklichen Mannes scheu in das Dachkämmerchen drangen, wo er das schönere jüngere Weib auf seinem Lager ruhend vermutete, da hatte er recht geahnt, beinahe wie wenn sein geistiges Auge die Mauern hätte durchdringen können.

Da lag sie, vor Lebensglut und Herzensangst zitternd, und streckte die weißen Arme aus. Aber nicht nach dem Verführer, nein, nach etwas anderem, Unbekannten, das sie nicht nennen konnte.

Der Schlaf wollte sich nicht einstellen, unruhig, schauernd, sich selbst unerklärlich, warf sie sich herum, stützte den Kopf in die weichen Hände und schaute regungslos durch das kleine Fensterchen zum Sternenhimmel empor. Über das Strohdach, dicht über ihr säuselte der Nachtwind. Sie hörte das heimliche Geräusch, wenn er mit den losen Halmen spielte, und ihr war es, als schlüge wieder die heiße, glühende Stimme des jungen, frechen Edelmannes an ihr Ohr. Ihre Brust ging auf und ab. Und da – da stieg es wieder herauf – da sah sie von neuem das ganze Bild jener unseligen Stunde vor sich, deren Einzelheiten sie vorhin ihrer Schwester so sorglich verborgen hatte.

Da fand sie sich wieder in dem kleinen Pensionsstübchen, ein vor Überraschung und Angst gelähmtes Geschöpf, das von dem liebestollen Eindringling mit Küssen überdeckt wird, – das vor Scham nur leise Bitten hervorstammeln und um Schonung flehen kann, und das, nachdem einmal die Binde roh von seinen Augen gerissen ist, sich wehrt, – wehrt mit verzweifelter, glühender, endlich siegreicher Kraft gegen einen Angriff, von dem sie ahnt, daß er ihr etwas Kostbares, Höchstes rauben muß! Großer Gott, was ist seitdem aus ihr geworden? – Was!! Sie wirft sich nieder und preßt ihr Gesicht in die Kissen. Seitdem ringt sie ja täglich so. Nicht mit dem einen, nein, mit allen, allen. Sie schleicht sich in ihrer Vorstellung an diese Rohen, Verhaßten heran, wie das hungrige Meer dort drüben nahe der Insel, das gegen die Felsblöcke schlägt und donnert, und das die Steine zu sich herabziehen will, um sie zu küssen, zu umarmen und zu ersäufen.

»Großer Gott!« – Sie will beten. Aber sie kann nicht beten. Sie verlacht ja den geoffenbarten Glauben. Das hat sie auch drüben gelernt von ein paar schwedischen Mitschülerinnen, welche ihr all jene Bücher geborgt haben, die wie Sturmwind Nebel und Wolken verjagen, aber auch das Meer der Leidenschaft immer wilder in die Höhe peitschen.

Jetzt schäumt's und brandet's. Hui, der Sturm pfeift.

Großer Gott – Großer Gott.

Und dann stößt sie die Decken von sich, daß der Mond ihre weißen Glieder küßt, und weint bitterlich.

Frühlingsschauer!


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