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Jagd und Fischfang

Aber es lag ihnen nicht, Trübsal zu blasen, selbst wenn sie ein wenig hungerten. Am nächsten Tag erwachten sie bei herrlichstem Wetter, voll neuem Lebensmut und guter Laune. Sie aßen wieder Fisch, zwar nicht viel, nur soviel sie zu vertragen meinten. Und da sie nun keine Vorräte mehr hatten, wurde beschlossen, den Tag der Jagd und der Fischerei sowie der häuslichen Arbeit zu widmen.

Jeder ging seinen eigenen Weg. Horst zog auf die Jagd mit der Verpflichtung, mindestens eine Kienwurzel heimzubringen – ein anderes Wild brachte er kaum zur Strecke. Gerd sollte fischen, und Klaus ging ins Innere der Insel mit einer ganz geheimnisvollen Miene. Er hatte den Rucksack und eine leere Konservenbüchse mit.

Er hatte sich in den Kopf gesetzt, Abwechslung in den Speisezettel zu bringen. War er nicht der Koch, galt es hier nicht seine Ehre? Er wollte jetzt zeigen, was er konnte. Sie sollten Fisch und Gemüsesuppe zum Mittagessen haben, und er wollte Brombeerblätter für Tee pflücken.

Der Blumengarten der Insel war sein alleiniges Reich. Horst und Gerd waren einmal dort gewesen. »Oh, wie viele Blumen!« hatten sie gesagt, und waren seitdem nicht wieder hingegangen. Klaus ging alle Tage nach dem Blumenhügel. Es bedeutete für ihn jedesmal eine Feierstunde, wenn er zwischen den Blumen umherging oder dazwischensaß und mit sich selbst sprach. In der Hauptsache war die Insel mit Heidekraut und Moos bedeckt, auch Gebirgspflanzen mancherlei Art fand man hier und da und einige Sumpfblumen, sonst aber nur Weiden, Birken und kleine Föhren. Im Süden, durch den Flaggenhügel nach Norden geschützt, war ein niederer Grashügel, ein leichter Hang, an dem ein kleiner Bach entsprang, oder vielmehr bloß ein Bächlein, das sich bald im Grase verlor. Weiter unten war das Erdreich wieder trocken, und ganz unten war eine Vertiefung, die einer alten Baugrube glich.

Klaus glaubte, daß hier einmal ein Haus gestanden haben müßte, eine Sennhütte oder Baracke, und daß hier Leute gewohnt hätten. Hier wuchsen ein paar Laubbäume, einige Birken mit hohen, geraden Stämmen und ein Vogelbeerstrauch. Der Hang selbst aber war ein Garten voll bunter, leuchtender Blumen, größer und stärker an Farbe und Duft, als Klaus sie je gesehen hatte. Hier standen gewaltige Angelikabüsche und machten sich breit; dazwischen wuchsen große Ginsterstauden mit ihren goldgelben Blüten, der violette Storchschnabel, die blaue Glockenblume. Ganze Flächen waren mit Vergißmeinnicht dicht bewachsen. Auch der gelbe Löwenzahn fehlte nicht und zahlreiche Königskerzen streckten ihre Blütenkolben zum Himmel. Über den Felsen hinab hingen große gelbe und rotbraune Blüten des Steinbrech, und unten beim Wasser, wo das kleine Bächlein plötzlich wieder zwischen Steinen zum Vorschein kam, standen zwei gelbe Bergveilchen – nicht mehr, nur die beiden, und sahen einander an.

Heute stand Klaus mißmutig in seinem Garten – hier gab es leider nichts Eßbares. Schweren Herzens mußte er sich selbst eingestehen, daß er gern die ganze Blumenpracht gegen einen Korb voll Kartoffeln eingetauscht hätte. – Kartoffeln, die fehlten Klaus sehr, zumal sie kein Brot mehr hatten.

Er hatte in letzter Zeit täglich Brombeerblätter gepflückt und in einer Konservenbüchse über dem Ofen getrocknet. Heute aber pflückte er Sauerampfer. Der stand in kleinen Gruppen am Abhang und war eßbar. Er schmeckte fein, das wußte Klaus, er aß ihn ja jeden Tag. Jetzt aber wollte er ihn für den Haushalt verwenden. Ob man ihn fein hacken und in die Suppe tun sollte? Er sah den Sauerampfer an, als könnte der Antwort geben.

Gerd war mit frischgefangenen Fischen in der Hütte gewesen und wieder gegangen. Als Klaus wieder zur Hütte kam, nahm er es besonders ernst mit dem Kochen; er suchte sich einen großen Fisch aus, kochte ihn wie gewöhnlich im Wasser auf dem Ofen und tat etwas Salz dazu. Dann nahm er ihn heraus, verdünnte die Brühe mit mehr Wasser und schüttete mit klopfendem Herzen den vorher fein gehackten Sauerampfer hinein und ließ alles noch ein wenig aufkochen. Dann legte er das Stück Fisch, das sie heute essen wollten, wieder in die Brühe zurück – und nun war das Essen fertig.

Da hörte er auch schon die anderen zurückkommen. Horst brachte eine sonderbare Jagdbeute mit: eine erschlagene Kreuzotter. Es war die erste, die ihnen auf der Insel begegnet war. Auf dem Wege zu seiner Felsplatte am Seeufer hatte Horst auf einem Stein einen jungen Habicht sitzen sehen und wollte sich vorsichtig an ihn heranschleichen, um ihn in Schußweite zu kriegen. Er mußte zu diesem Zweck ein bißchen höher klettern und griff eben mit der linken Hand nach einem Halt, um sich emporzuziehen, als er aus einem Grunde, über den er sich selbst keine Rechenschaft geben konnte, plötzlich die Hand wieder zurückzog – es war etwas auf dem Stein da oben, das ihn stutzig machte. Er umging ihn, packte eine Wacholderwurzel und zog sich daran empor, so daß er den Stein überblicken konnte. Er kam mit dem Kopf genau so hoch, daß er buchstäblich Auge in Auge mit einer großen Kreuzotter stand. Er unterschied die gelbliche Zickzacklinie auf dem Rücken, den blitzschnell erhobenen Kopf mit der spielenden Zunge und der kreuzähnlichen Zeichnung. Nur den Bruchteil von einer Sekunde sah er dies alles, und schon hatte er sich wieder fallen lassen und saß unten, während ihm das Herz weit oben im Halse klopfte.

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Das hätte noch gefehlt, hier auf der Insel von einer Kreuzotter gebissen zu werden – er blickte sich scheu um –, vielleicht gab es hier noch mehr von der Sorte. Vorsichtig erhob er sich wieder, nahm so leise wie möglich einen schweren Stein, wog ihn in der Hand und kletterte langsam schräg aufwärts, bis

er eine Stelle erreicht hatte, die höher lag als der gefährliche Stein, auf dem sich die Otter sonnte. Dann wandte er sich um.

Auf einem andern flachen Fels, ganz nahe dem vorherigen Lagerplatz, ringelte sich die Schlange eben wieder zusammen. Horst suchte sich einen besseren Halt und holte zum Wurf aus. In diesem Augenblick glitt rieselnd ein wenig Sand hinab. Er sah die Schlange ihren Kopf heben und wie ein braunschwarzer Schatten dem nächsten Loch zuschlüpfen. Er wußte später selbst nicht mehr, daß er im gleichen Augenblick nach ihr geworfen hatte. Er sah bloß, daß der Hinterkörper der Kreuzotter nicht mehr verschwand, sondern sich wild krümmte. Vorsichtig ging Horst näher heran. Der Stein hatte ihren Kopf getroffen und zerschmettert, bevor sie in einer Öffnung im Geröll verschwinden konnte.

Lange stand Horst ein wenig zitternd da und blickte auf den Schlangenleib, der sich noch wand und krümmte, dann suchte er zwei Stecken und nahm die Schlange zwischen diese. Noch immer krümmte sie sich unheimlich trotz dem zerschmetterten Kopf. Er konnte sie kaum tragen und mußte sie einige Male hinlegen, aber gewaltig stolz kam er dann mit seinem getöteten Feinde vor der Hütte an.

»Tu das Biest weg«, sagte Klaus, der Koch, unruhig, »ich will es während der Essenszeit nicht hier haben, ich komme jetzt mit dem Essen.«

»Du hast wohl Angst, wir könnten den Appetit auf deine feinen Speisen verlieren«, erwiderte Horst, schmiß die Schlange auf den Boden und setzte sich an den Eßtisch – eine schwere Steinplatte, die Gerd gefunden hatte und die auf kleineren Steinen ruhte.

»Klaus – was ist das für ein merkwürdiges Gebräu?« Gerd betrachtete voll Grausen die eigentümliche Mischung in dem Topf. »Ißt man das mit den Fingern oder mit den Zehen?«

»Mit dem Löffel«, versetzte Klaus mit grimmigem Ernst, die selbstverfertigten Holzlöffel austeilend.

»Ich hätte nicht geglaubt, daß ich auf eine Mahlzeit hier auf unserer Insel so gespannt sein könnte«, sagte Horst, »aber das scheint noch gefährlicher als Kreuzottern zu sein.«

»Habt ihr noch nie Fisch und Suppe gegessen, Herrschaften?« fragte Klaus höhnisch, aber mit ein wenig zitternder Stimme, »mit Gemüsesuppe nämlich.«

»Gemüsesuppe ist gut. Na, mehr als sterben kann man ja wohl nicht davon. Was meinst du, Gerd – was die schwarzen Flecken im Wasser bedeuten sollen?«

Mit rotem Kopfe, aber mit einer wahren Todesverachtung begann Klaus die Suppe zu löffeln.

»Du hast dich ja selbst geschüttelt, ich hab's gut gesehen«, behauptete Horst.

»Das war bloß, weil sie noch so heiß ist –«

»Na, du sollst nicht sagen können, daß ich mich nicht traue«, sagte Horst, »laß uns dem Tod trotzen, Gerd – sorge für Weib und Kinder!«

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Horst nahm von dem dünnflüssigen Teil, der ihm am wenigsten verdächtig vorkam. Er verzog das Gesicht nach allen Richtungen – »au, wie sauer!« zischte er und spukte aus.

Gerd war so vorsichtig gewesen, ein großes Stück Fisch herauszuangeln, das allerdings einen ziemlich merkwürdigen und ganz neuen Beigeschmack hatte. »Das war Fisch, wirklich«, sagte er, »ganz famos«, worauf Klaus ihm einen Blick voll tiefer Dankbarkeit zusandte.

Als endgültiges Ergebnis stellte Horst fest, daß es so ziemlich das Sauerste war, was er je gegessen hatte, daß die Suppe für sich allein nicht hinunterzukriegen war, vielleicht noch der Fisch mit der Suppe als Soße, daß es nicht sicher sei, ob sie daran sterben würden, aber daß es trotz alledem eine angenehme Abwechslung gewesen sei, und daß der Koch alle Anerkennung verdiene – mehr für den guten Willen als für das Erzeugnis.

Horst lag auf dem Rücken im Sande und stellte mit erhobener Stimme diese Betrachtungen an, während ihm Klaus als Dank, sooft er vorbeikam, einen Rippenstoß versetzte. Gerd meinte, die Suppe habe auf alle Fälle die eine gute Wirkung: der saure Geruch vertreibe die Mücken in weitem Umkreis.

Klaus nahm all den Spott mit Ruhe auf; sie hatten trotz allem heute besser gespeist und mehr gegessen als seit langem. Und nun rückte er mit der nächsten Überraschung heraus: ob sie eine Tasse Tee gegen den Durst wollten? Sie starrten Klaus an, und sie starrten auf die Tassen und den Teekessel.

»Los«, sagte Horst, »schenk ein! Ich fürchte mich heute vor nichts mehr, und warum nicht alle Übel zugleich auf sich nehmen!«

Aber der Tee fand allgemeinen Beifall. Gut schmeckte er zwar nicht, darüber waren sich alle einig, ab und zu mußten sie ausspucken. Aber es war gemütlich, auf dem Bauche zu liegen und rieben sich eine Tasse Tee stehen zu haben, die etwas anderes enthielt als Wasser; warm war der Tee, durststillend und erfrischend. Was tat es, daß er ein bißchen bitter schmeckte!

Klaus war gewaltig stolz auf seine Leistungen – und ein bißchen ängstlich, daß einer von ihnen vielleicht dennoch krank werden könnte. Aber der Tag verging ruhig und friedlich. Gerd räucherte Fische – sie hatten jetzt Fische in Menge gefangen – und Klaus mußte heimlich solche, die verdorben waren, eingraben. Gerd mußte ja fischen, was hätte er sonst tun sollen! Horst hatte eine neue, schwere Aufgabe übernommen, er wollte ein Kartenspiel anfertigen. Klaus hatte mit unendlicher Entrüstung den Vorschlag zurückgewiesen, aus dem Tagebuch Blätter herauszureißen, um diese in Spielkartengröße zu zerschneiden. So stellte sie Horst dann aus Baumrinde her.

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Er war gerade mit einem reizenden Bilde der Herzdame beschäftigt, als er plötzlich auffuhr.

»Wüßte ich nicht, daß es unmöglich ist, würde ich darauf schwören, daß ich eben Ruderschläge gehört habe«, sagte er.

Gerd horchte ebenfalls gespannt.

»Mir war es vorhin auch, als hörte ich etwas«, sagte er, »aber das kann ja nicht sein.«

Klaus kam jetzt vom Ufer herauf, wo er Geschirr gewaschen hatte. »Mir war gerade, als hörte ich Ruderschläge, Jungens –«

»Blödsinn«, brummte Gerd, »ich höre nichts. Lauft ihr nur allein hinauf, – ich kann nicht von den Fischen fortgehen.«

Horst und Klaus rannten auf den Flaggenhügel und spähten nach Westen. Von dort war der Laut gekommen. So weit sie blicken konnten, war das Wasser spiegelglatt. Kein Boot war zu sehen, kein Laut vernehmbar.

Einen Augenblick meinten sie jetzt eine Bewegung auf dem Wasser festzustellen, als ob sich drüben am anderen Ufer etwas regte – sie riefen hinüber, aber es kam keine Antwort, und das Wasser war gleich darauf wieder still.

»Es war doch nichts«, sagte Horst, als sie zurückkamen und er die Herzdame wieder in Arbeit nahm. »Heute wollen wir Karten spielen.«

»Nee, hier wird es bald zu üppig und bequem, ich glaube, ich ziehe aus«, sagte Gerd, der noch am Räucherofen stand.

*


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