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Fischfang

Sie lasen zusammen, was noch übrig geblieben war, und Klaus schüttete erbittert seinen schönen Keller, den er so mühsam gegraben hatte, wieder zu. Was ihnen übrigblieb, waren ein Laib Brot, Tee, Zucker und Salz und zwei Fleischkuchen – davon sollten sie leben, vielleicht viele Tage lang. Sie sahen einander fragend an. Nun hieß es beileibe einfach keinen Hunger haben – – sie seufzten schwer, denn gesunden Hunger, den hatten sie ja gerade alle drei. Wie lange konnten sie noch aushalten, und würden sie imstande sein, sich durch eigene Hilfe Nahrung zu verschaffen?

Schluchzend und wutentbrannt trug Klaus alles Eßbare zusammen. Er schwur dem Wiesel heilige Rache, wann und wo er es auch treffen würde.

Gerd mußte lachen. »Das Wiesel läßt sich nicht bloß so mit den Händen greifen von dir«, meinte er.

Aber Klaus biß die Zähne zusammen – Rache mußte sein. Der Friede der Insel war gebrochen.

Nun war keine Rede mehr vom Essen. Es war erst ein Uhr und mehr als drei Mahlzeiten am Tage konnte man sich nicht leisten. Es hieß standhaft sein. Und es hieß arbeiten.

Der Rest der Lebensmittel wurde in die Hütte gebracht und in einem Rucksack verstaut. Nun hatten sie plötzlich Verwendung für den großen Nagel. Er wurde in den obersten Balken eingeschlagen und der Eßsack daran aufgehängt – da hing er sicher!

Nun war der Fischfang erste Lebensnotwendigkeit geworden. Ob nun Windstille oder Sturm war, Fische mußten gefangen werden. Übrigens breitete sich das leichte Gekräusel des Wassers beständig gegen das Land zu aus.

.

Gerd war der erste, der die Angel auswarf. Sein Gesicht war ganz verbissen von Energie. Er stand bis über die Knie im Wasser und warf die Angel schräg dem Schilfe zu. Aber er erreichte das Gekräusel nicht, und es war kein Anbeißen zu spüren, worüber er sehr verärgert war.

Horst versuchte es ein Stück weiter östlich – mit ebensowenig Glück. Es sah ziemlich hoffnungslos aus.

Klaus aber rannte den Strand entlang; er wußte, was er wollte. Er war so aufgeregt, daß ihm das Herz bis zum Hals hinauf schlug. Vielleicht war er es, der die anderen retten und ihnen beweisen konnte, daß sie den Hungertod nicht zu fürchten hätten.

Als er an seine von ihm auf dem Rundgang entdeckte fischreiche Bucht kam, schlich er vorsichtig am Ufer hin. Dort, sieh doch – ein kleines Gekräusel erreichte genau die ersten Schilfhalme – könnte er nur mit einem feinen Wurf seine Angel bis dorthin schnellen!

Er warf zuerst ein paarmal im Umkreis der Schilfgräser aus, um die Angelschnur lang genug aufzurollen. Dann warf er mit kräftigem Schwung den Köder weit hinaus. Und schon riß es an der Schnur!

Er wurde so aufgeregt, daß er den Fisch anschrie: »Na, du, du, du, willst du wohl hängen bleiben –, daß du mir ja nicht auskommst, hörst du«, und gleichzeitig ging er am Ufer zurück, um den Fisch nicht durch das Schilf ziehen zu müssen, wo er vielleicht hängenbleiben konnte. Und gleich darauf zog er einen fetten, etwa zwei Pfund schweren Fisch ans Land.

Er fühlte sich vor lauter Aufregung so schwach in den Knien, daß er sich setzen mußte. Er legte den Fisch andachtsvoll vor sich hin, sah ihn an und nahm ihn wieder auf. O ja, sie würden sich schon zu helfen wissen auf der Insel!

Er fing in kurzer Zeit noch vier Fische dazu, kleinere freilich, aber schön und feist waren sie, und nun wollte er heim und das Mittagsmahl bereiten. Seine Beute legte er auf einen Stein und ging ein paar Schritte bachaufwärts, um sich einen Weidenzweig zu schneiden, mit dem er die Fische heimtragen konnte.

Während er etwas erhöht stand und eine Melodie vor sich hin trällerte – er sang zwar falsch, aber aus frohem Herzen –, vernahm er ein leises Geräusch, und es war ihm, als wenn sich hinter einem Steinhaufen etwas Braungelbes blitzschnell bewegt hätte. Plötzlich war es dicht neben den gefangenen Fischen; nicht einen Schritt weit davon entfernt erhob sich ein kleines Tier auf seine zwei Hinterbeine, sah zu ihm herüber mit zwei schwarzen, glänzenden Äuglein, bleckte mit weißen Zähnen und horchte mit zwei großen, aufgestellten Ohren. Klaus sah einen weißlichen Bauch und einen kleinen Schwanz mit einer schwarzen Spitze –, dann machte es einen Sprung und stieß einen Schrei aus, der ihn selbst erschreckte. Das Tierchen warf sich herum – es war wie ein braunes Leuchten – und fort war es. Klaus stand da mit klopfendem Herzen und hing die Fische an den Weidenzweig – ja, das wußte er bestimmt, das Wiesel war sein Todfeind hier auf der Insel, gegen diesen weißbraunen Satan mußte er Krieg führen. »Wart' nur!« sagte er und drohte mit der geballten Rechten nach der Richtung, wo der listige Gegner verschwunden war.

Er trottete heimwärts, während er immer wieder seinen Fang begeistert betrachtete. Auf halbem Wege begegnete ihm Gerd, der bloß drei kleine Fische gefangen hatte und es jetzt aufgab – es sei auch so gar kein richtiges Fischwetter heute. »Aber wart' bloß ab«, sagte er fast drohend, »wart' du nur, bis wir hier eines Tages richtiges Fischwetter haben, – ein bißchen Wind und Sonne, dann kannst du was erleben!«

Nun hatten sie ja für heute mittag und für den Abend genug zu essen, so daß also für diesen Tag gesorgt war.

Bei der Hütte fanden sie Horst, der das Fischen längst aufgegeben hatte, damit beschäftigt, unter einem vorspringenden Fels einen großen offenen Herd zu bauen, der dazu dienen sollte, Fische zu räuchern. »Wir müssen Abwechslung in die Kost bringen, sonst können wir Zahnfäule kriegen«, sagte er ernst. »Na, hör mal«, erwiderte Gerd, »Zahnfäule kriegt man doch bloß von zuviel Süßigkeiten.«

Horst zuckte nur mit den Schultern über diese Unwissenheit. Im übrigen hatte er etwas ganz besonderes vorbereitet. Oh, sie sollten heute was Leckeres zu Mittag haben, er hatte einen kleinen Streifzug unternommen, nein, er war nie müßig, er sorgte für alle. Mit geheimnisvoller Miene ging er in die Hütte und erschien wieder, in der Hand den Kochtopf mit irgendeinem grauen Wasser gefüllt, in dem etwas ganz Unbestimmbares schwamm. Mit derselben geheimnisvollen Miene goß er davon in die Tassen.

»Was ist das für ein Zeug?« fragte Gerd höchst mißtrauisch.

»Kostet erst!«

Sie versuchten.

»Na, und?« fragte Horst. Gerd und Klaus sahen sich verständnislos an.

»Was soll das eigentlich vorstellen?« fragte Klaus.

»Das ist Kümmelsuppe«, war Horsts begeisterte Antwort.

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Gerd schüttete mit großer Ruhe seine Tasse aus.

»Du verdientest Hungers zu sterben«, erklärte Horst wütend; »Kümmelsuppe ist ebenso gut wie gesund.«

Klaus versuchte noch einmal.

»Bist du sicher, daß das Kümmelsuppe ist?« fragte er vorsichtig und freundlich.

»Das mußt du doch schmecken.« »Ich kann es eben leider nicht schmecken!« Klaus schnupperte in die Tasse hinein. »Hättest du sie nicht ein wenig salzen sollen?«

»Ja, freilich. Und dann hättest du sie mit Fischbrühe kochen sollen. Ich finde, sie schmeckt vor allem nach heißem Wasser. Und überhaupt glaube ich nicht, daß das Kümmel ist.« Er stellte die Tasse vorsichtig ab, aber so schief, daß das meiste des Inhalts herausfloß.

»Ich werde doch wohl Kümmel kennen«, sagte Horst gekränkt; »aber ihr seid eben Leckermäuler. Glaubt ihr, auf einer öden Insel darf man so schleckig sein? Mir wenigstens schmeckt es.«

»Es ist zwar noch lange nicht das Allerärgste«, gab Klaus zu, tat so, als trinke er die Tasse leer und nahm den Topf, um die Fische zu kochen.

»Ich habe es genau gesehen, daß du deine Tasse ausgegossen hast«, sagte Horst, während er die seine heldenmütig austrank.

Das gab eine kleine Mißstimmung, und der Rest des Mahles verlief unter allseitigem Schweigen. Es gab gesottene Fische – herrlich! – aber ohne Brot. Dazu tranken sie Tee. »Wenn man jetzt ein Glas Milch hätte!« bemerkte Klaus. Horst aber sagte verächtlich: »Na, danke; das wollen Männer sein!«

Während sie aßen, war die große weiße Wolke grau geworden und hatte sich über den halben Himmel ausgebreitet. Unerwartet und pfeifend strich plötzlich ein kalter Wind über die Insel. Sie klaubten ihre Kleider zusammen und trugen sie schnell in die Hütte. Gerd machte sich daran, die Wände mit Moos abzudichten, während Klaus und Horst an dem Räucherofen weitermauerten.

Plötzlich ließ Horst einen schweren Stein, den er gerade herantrug zur Erde fallen. Er blieb stehen und lauschte gespannt. Klaus sprang auf; auch er horchte.

Weit, weit drüben auf dem Festland, war ein Schuß gefallen. Der scharfe Wind trug das schwach rollende Echo herüber.

»War das Donner?« fragte Klaus.

Horst schüttelte den Kopf. Gerd erschien in der Türe, das Gesicht starr vor Spannung. Da fiel wiederum ein Schuß – fern rollte das Dröhnen über das Land.

Und nun rannten sie – von dem gleichen Gedanken gepackt – hinauf zum Flaggenhügel. Atemlos standen sie droben, dicht aneinandergedrängt, und starrten und lauschten.

Wieder ein Schuß in der Ferne – allerdings in weiter, weiter Ferne.

Galt es ihnen? Suchte man nach ihnen?

Sie schrien, jodelten – der Wind verschluckte es.

»Hört nur auf«, sagte Gerd, »es ist zu weit, wo geschossen wird; glaubt ihr, es nützt etwas, wenn wir schreien?«

»Wir wollen ein Feuer anzünden«, schlug Horst vor.

»Vielleicht sind sie auf einer Anhöhe und können es bis dorthin sehen.« In rasender Eile sammelten sie alles an trockenem Gras, Reisig, Zweigen, was sie finden konnten, und machten ein Feuer an. Eine bleiche Flamme schlug empor in die Luft und der Rauch trieb über die Insel.

Sie horchten gespannt. Es fielen keine weiteren Schüsse mehr. Horst brachte noch einen schweren, dürren Föhrenast angeschleppt und warf ihn über das Feuer. Die Flamme züngelte empor und bald brannte er lichterloh.

Wenn nun wirklich jemand da drüben wäre, irgendwo im Umkreis, und nach ihnen suchte!

Aber über die Berge des Landes kamen schwere Regenwolken angezogen, Nebel verhüllte alle Kuppen und Höhen, und wenn wirklich jemand auf der Suche nach ihnen war, so sah er jetzt nicht weit. Die drei Jungen starrten entmutigt hinaus auf das Wasser.

Da kamen die ersten Regenschauer. Es blies eiskalt über den Flaggenhügel, das Feuer erlosch, der Rauch trieb niedrig über den Boden.

Mit gekrümmtem Rücken liefen sie schnell hinab zur Hütte.

Mißmutig und enttäuscht saßen sie auf der Pritsche beisammen. Ab und zu sprachen sie darüber, wer wohl um diese Zeit in den Bergen geschossen haben könnte. Jäger oder Leute, die nach ihnen suchten?

Sie aßen bald ihr Abendbrot – zwei Stücke Brot für jeden, ein wenig Fisch und eine Tasse Tee. Dann legten sie sich gleich auf die Pritsche und sprachen nicht mehr miteinander.

Draußen strömte der Regen nieder und heulte der Sturm.

*


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