George Eliot
Adam Bede - Erster Band
George Eliot

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Dreiundzwanzigster Abschnitt.

Das Festessen.

Als Adam erfuhr, er solle oben bei den großen Pächtern essen, fühlte er sich etwas unbehaglich bei dem Gedanken, so über Mutter und Bruder erhöht zu werden, die unten im Kreuzgange essen sollten. Aber der Kellermeister versicherte ihn, der junge Herr habe es ganz besonders befohlen und werde sehr böse sein, wenn Adam nicht oben erscheine. Adam nickte ihm zu und ging zu Seth heran, der ein paar Schritte davon stand. »Mein Junge,« sagte er, »der Kaptän hat mir sagen lassen, ich solle mit oben essen, und wie der Kellermeister sagt, wünscht er es ganz besonders; ich glaube daher, es wäre nicht recht von mir, wenn ich wegbliebe. Aber ich mag mich doch nicht über dich und die Mutter setzen, als wäre ich besser als mein eigenes Fleisch und Blut. Du nimmst es doch nicht übel?«

»Nein, nein, Bruder!« sagte Seth; »deine Ehre ist unsre Ehre und wenn man dir Achtung erweist, die hast du dir selbst verdient. Je weiter ich dich über mir sehe, desto besser, so lange du mir noch ein rechter Bruder bleibst. Es ist wegen deiner Anstellung bei den Forsten, und darum ist's auch ganz in der Ordnung. Das ist ein Vertrauensposten und du bist jetzt mehr als ein gewöhnlicher Handwerker.«

»Ja,« erwiderte Adam, »aber noch weiß niemand ein Wort davon. Ich habe Meister Burge noch nicht gekündigt und mag mit keinem andern davon sprechen, ehe er es weiß; denn ihn wird's ein bißchen wurmen, denk' ich mir. Die Leute werden sich wohl wundern, wenn sie mich da sehen, und werden den Grund leicht raten und mich ausfragen; man hat ja diese ganzen drei Wochen so viel hin und hergeredet, daß ich die Stelle haben müßte.«

»Nun, du kannst sagen, du wärst dahin bestellt, ohne daß man dir den Grund angegeben hätte. Das ist die Wahrheit. Und Mutter wird sich recht darüber freuen. Ich will gleich hingehen und 's ihr sagen.«

Adam war nicht der einzige Gast, der nicht wegen seines hohen Pachtzinses zur oberen Tafel eingeladen war. Es gab in den beiden Dörfern noch andre Leute, die mehr ihres Amtes als ihres Geldes wegen in Ansehen standen, und einer davon war Barthel Massey. Sein lahmer Gang war heute an dem warmen Tage langsamer als gewöhnlich; Adam blieb daher etwas zurück, als die Eßglocke läutete, damit er mit seinem alten Freund hinaufgehen könnte; denn bei einer so öffentlichen Gelegenheit sich Poysers anzuschließen, dazu war er etwas zu schüchtern. Um an Hettys Seite zu kommen, dazu sollten sich die Gelegenheiten im Lauf des Tages schon finden, und damit gab sich Adam zufrieden; er haßte es, sich mit Hetty aufziehen zu lassen; der große, offenherzige, furchtlose Mann – beim Freien war er sehr schüchtern und zurückhaltend.

»Nun, Herr Massey,« sagte Adam, als Barthel herankam, »ich werde heute mit Ihnen oben essen; der Kaptän hat's so gewollt.«

»Aha!« sagte Barthel, und blieb einen Augenblick mit der Hand auf dem Rücken stehen; »dann ist was in der Luft, dann ist was in der Luft. Hast du etwas gehört, was der alte Herr vorhat?

»Nun ja,« antwortete Adam, »und Ihnen will ich's sagen, weil ich glaube, Sie können Ihre Zunge still halten, wenn Sie wollen, und ich bitte Sie, kein Wort darüber fallen zu lassen, bis es allgemein bekannt ist; ich habe meine besondern Gründe, es jetzt noch zu verschweigen.«

»Verlaß dich auf mich, mein Junge, verlaß dich auf mich. Ich habe keine Frau, die mir ein Geheimnis herauslockt und dann fortrennt und es allen Leuten wiederklatscht. Mußt nur 'nem Junggesellen trauen – nur 'nem Junggesellen.«

»Nun, hören Sie also; es ist gestern soweit abgemacht, daß ich die Forsten unter mich bekomme. Der Kaptän schickte nach mir und bot mir die Stelle an, als ich nach den Kletterstangen und den andern Geschichten sah, und ich habe zugesagt. Aber wenn oben jemand fragt, dann achten Sie nicht drauf und wenden Sie das Gespräch auf etwas anderes; Sie thun mir einen rechten Gefallen. Aber nun müssen wir gehen; wir sind, glaub' ich, so ziemlich die letzten.«

»Keine Angst; ich weiß schon was ich zu thun habe,« sagte Barthel und hinkte weiter. »Auf die Nachricht soll mir das Essen schmecken. Ja, ja, mein Junge, du kommst schon vorwärts. Du hast ein Auge zum Messen und 'nen Kopf zum Rechnen, besser als sonst jemand in der Grafschaft, darauf will ich wetten, und guten Unterricht hast du auch gehabt, das hast du.«

Als sie hinaufkamen, wurde die Frage, welche Arthur unentschieden gelassen hatte, wer nämlich bei Tisch den Vorsitz führen und wer Vicepräsident sein sollte, noch beraten, so daß Adams Eintritt nicht weiter bemerkt wurde.

»Es ist doch wohl verständig,« sagte Meister Casson, »daß unser alter Poyser als der älteste hier bei Tische obenan sitzt. Ich bin nicht umsonst fünfzehn Jahre Kellermeister gewesen, ohne zu wissen, was sich bei Tische paßt.«

»Nein, nein!« erwiderte der alte Martin, »ich habe alles meinem Sohn abgetreten, ich bin kein Pächter mehr; laßt meinen Sohn meinen Platz einnehmen. Die alten Leute haben ihre Zeit gehabt; sie müssen jetzt den jungen Platz machen.«

»Ich sollte meinen, der größte Pächter hätte das Recht, mehr als der älteste,« sagte der Pächter Lucas, der den jungen Poyser wegen seiner Ausfälle nicht liebte; »da ist Meister Holdsworth, der hat mehr Land als sonst jemand auf dem Gute.«

»Ei,« bemerkte der junge Poyser, »wie wär's, wenn wir den obenan sitzen ließen, der das schlechteste Land hat; wer dann die Ehre hat, den wird man gewiß nicht beneiden.«

»O, da ist der Schulmeister!« sagte der Gärtner Craig, der, bei dem Streite nicht persönlich interessiert, nur auf gütlichen Ausgang bedacht war; »der Schulmeister muß uns sagen können, was recht ist. Wer soll bei Tisch obenansitzen, Herr Massey?«

»Nun natürlich, wer die breitesten Schultern hat,« antwortete Barthel; »dann nimmt er andern Leuten keinen Platz weg; und der nächstbreiteste muß untenan sitzen.«

Diese glückliche Art, den Streit zu schlichten, erregte viel Gelächter – freilich dazu hätte der Witz auch weniger gut sein können. Der Gastwirt hielt es indes nicht mit seiner Würde und höheren Einsicht für vereinbar, in das Lachen einzustimmen, bis es sich ergab, daß er der zweitbreiteste Mann war. Der jüngere Poyser übernahm als der breiteste den Vorsitz, und Gastwirt Casson wurde Vicepräsident.

Bei dieser Einrichtung kam Adam, der natürlich am untern Ende der Tafel saß, in die unmittelbare Nähe des Gastwirts, der bisher zu sehr mit der Frage des Vorsitzes beschäftigt, seinen Eintritt noch nicht gemerkt hatte. Herr Casson hielt Adam, wie wir schon wissen, für etwas hochnäsig und fand, es sei nicht gut mit ihm Kirschen essen; nach seiner Ansicht machten die vornehmen Leute von dem jungen Zimmermann viel mehr Aufhebens als nötig war, – sie machten nämlich von Herrn Casson gar kein Aufhebens, obgleich er fünfzehn Jahre lang ein vorzüglicher Kellermeister gewesen war.

»Aha, Herr Bede! Sie gehören zu den Leuten, die allmählich höher steigen,« sagte er, als Adam sich setzte. »Sie haben früher nie hier oben gespeist, so viel ich mich erinnere?«

»Nein, Herr Casson,« antwortete Adam mit seiner starken Stimme, die man über den ganzen Tisch hinhören konnte, »ich habe früher nie hier gegessen, aber ich komme auf den Wunsch des jungen Herrn und hoffentlich ist es niemandem unangenehm.«

»Nein, nein,« riefen mehrere Stimmen zugleich, »wir freuen uns, daß Ihr hier seid. Wer hat denn was dagegen zu sagen?«

»Und nach Tisch singt Ihr uns ›Über die Hügel weit hinweg‹ – nicht wahr?« rief ein anderer; »das Lied mag ich unbändig gern leiden.«

»Pah,« sagte Gärtner Craig, »neben den schottischen Liedern kann es sich nicht sehen lassen. Ich habe mich selbst nicht viel ums Singen bekümmert, ich hatte was besseres zu thun. Wer die Namen und die Art von Pflanzen im Kopfe haben muß, der hält sich nicht leicht eine leere Stelle für Melodien. Aber ein Vetter von einem Vetter von mir, ein Viehhändler, der verstand sich recht auf die schottischen Lieder; er brauchte auch an nichts anderes zu denken.«

»Die schottischen Lieder!« rief Barthel Massey verächtlich aus; »davon habe ich genug auf Lebenszeit. Die taugen zu gar nichts, als die Vögel bange zu machen – ich meine die englischen Vögel, denn die Vögel in Schottland singen wohl auch schottisch. Gebt unsern Jungens einen Dudelsack statt einer Klapper und die Vögel bleiben uns gewiß aus dem Korn.«

»Ja, ja, es giebt Leute, die ein Vergnügen dran haben, alles zu unterschätzen, wovon sie nicht viel verstehen,« bemerkte der Gärtner.

»Die schottischen Lieder sind gerade wie ein zänkisches, keifendes Weib,« fuhr Barthel fort, ohne die Bemerkung des Gärtners einer Beachtung zu würdigen; »sie wiederholen immer ein und dieselbe Geschichte und kommen nie zu einem vernünftigen Ende. Man sollte beinahe glauben, die Schotten richteten bei ihrem Singen immer eine Frage an jemand, der so taub ist wie der alte Taft, und bekämen nie eine Antwort.«

Für Adam war der Platz neben dem Gastwirt um so weniger unangenehm, als er da Hetty sehen konnte, die am nächsten Tisch nicht weit von ihm saß. Aber sie hatte seine Anwesenheit bis jetzt noch gar nicht beachtet, weil sie zu ihrem Ärger sehr viel mit Totty zu schaffen hatte, welche hartnäckig ihre Beine auf die Bank hinaufzog und dabei Hettys hübsches Kleid staubig zu machen drohte. Kaum hatte sie die kleinen, dicken Beine hinuntergeschoben, und schon waren sie wieder oben; denn Totty hatte zu viel zu thun, die großen Schüsseln anzuglotzen und nachzusehen, wo der Plumpudding wäre, als daß sie sich um ihre Beine noch irgendwie hätte bekümmern können. Hetty verlor die Geduld und sagte endlich ganz ärgerlich und fast mit Thränen:

»O, bitte, Tante, sprecht doch mal mit Totty: sie zieht immer ihre Beine so hinauf und beschmutzt mir das Kleid.«

»Was giebt's mit dem Kinde?« fragte die Mutter; »ihr habt immer was mit einander; laß sie lieber zu mir kommen; ich kann schon mit ihr fertig werden.«

Adam sah grade Hetty an und bemerkte ihren Zorn, und wie ihre dunkeln Augen sich vor übler Laune mit Thränen füllten. Die ruhige Marie Burge, die nahe genug saß, um zu sehen, daß Hetty ärgerlich sei und daß Adam sie anblicke, war der Meinung, ein so verständiger Mensch wie Adam müsse sich doch überlegen, wie wenig die Schönheit bei einem Mädchen wert sei, welches so böse Launen habe. Marie war ein gutes Mädchen und sonst durchaus nicht schadenfroh, aber sie sagte sich, da Hetty so launisch sei, so sei es ganz gut, daß Adam es erfahre. Und sicherlich, wäre Hetty häßlich gewesen, so hätte sie in dem Augenblick sehr garstig und unliebenswürdig ausgesehen, und keines Menschen sittliches Urteil über sie wäre im geringsten getäuscht worden. Aber in ihrem eigensinnigen Trotz war wirklich etwas ganz reizendes; er sah bei weitem mehr nach kindlicher Betrübnis als nach schlechter Laune aus, und der strenge Adam empfand keine Mißbilligung, nur eine Art heitres Mitleid, als hätte er ein Kätzchen zornig den Rücken krümmen oder ein kleines Vögelchen seine Federn sträuben sehen. Er konnte nicht herausbringen, worüber sie sich ärgerte; er konnte nur sich eingestehen, sie sei das hübscheste Ding von der Welt, und wenn es nach ihm ginge, sollte sie sich über nichts mehr ärgern. Und in dem Augenblick, so wie sie Totty los war, traf sie sein Blick und ein helles Lächeln überzog ihr Gesicht, als sie ihm zunickte. Es war ein bißchen Koketterie: sie wußte, daß Marie Burge sie beide ansähe. Aber für Adam war das Lächeln wie Wein.


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