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Mit einem einzigen Tropfen Tinte als Spiegel macht sich der egyptische Zauberer anheischig, jedem, der hineinguckt, weit entlegene Bilder der Vergangenheit zu zeigen. Dasselbe will ich, Leser, für euch versuchen. Mit diesem Tropfen Tinte in meiner Feder zeige ich euch die geräumige Werkstatt von Meister Jonathan Burge, Zimmermann und Baumeister in dem Dorfe Hayslope, wie sie am 18. Juni im Jahre unseres Herrn 1799 aussah.
Die Nachmittagssonne schien warm herein auf die fünf Arbeitsleute, die an Thüren und Fensterrahmen und Täfelwerk eifrig beschäftigt waren. Der Harzgeruch von einem zeltartigen Haufen tannener Bretter vor der offenen Thür mischte sich mit dem Duft der Hollunderbüsche, die den sommerlichen Schnee ihrer Blüten bis nahe an das offene Fenster der Thür gegenüber streuten; die Sonnenstrahlen schienen schräg herein in die durchsichtigen Hobelspäne, die von dem fleißigen Hobel aufflogen, und beleuchteten deutlich die feinen Masern des eichenen Täfelwerks, welches an der Wand aufgerichtet stand. Auf einem Haufen dieser glatten Hobelspäne hatte sich ein rauhhaariger, grauer Schäferhund behaglich gebettet; die Nase zwischen den Vorderpfoten, zog er gelegentlich die Augenbrauen kraus, um einen Blick auf den größten der fünf Arbeiter zu werfen, der eben das Mittelstück zu einer Vertäfelung ausschnitt und seine Arbeit mit einer starken, tiefen Stimme begleitete, welche das Geräusch des Hobelns und Hämmerns übertönte:
»Wach' auf, mein Geist, zu Pflicht und Arbeit auf!
Der Sonne gleich thu' deinen Lauf;
Die dumpfe Trägheit schüttle ab . . «
Hier mußte er etwas an seiner Arbeit genauer nachmessen und sich daher mehr zusammennehmen, und seine wohlklingende Stimme sank zu einem leisen Pfeifen herab; bald aber brach sie mit erneuter Stärke wieder vor:
In allem, was du thust, sei wahr,
Dein Herz wie Mittagssonne klar.
Solch eine Stimme konnte nur aus einer breiten Brust kommen, und die breite Brust war die eines starkknochigen, muskulösen Mannes von fast sechs Fuß, mit einem so geraden Rücken und einem so wohlgesetzten Kopfe darüber, daß, wenn er bei seiner Arbeit sich aufrichtete, um sie besser zu übersehen, er wie ein Soldat außer Reih und Glied aussah. Der bis über den Ellbogen aufgestreifte Ärmel ließ einen Arm sehen, der wohl im Ring- und Faustkampf den Preis gewinnen konnte, aber die lange, feine Hand mit den breiten Fingerspitzen deutete mehr auf friedliche Arbeit. Groß und handfest, machte Adam Bede seinem sächsischen Namen Ehre, aber sein kohlschwarzes Haar, welches gegen die weiße Papiermütze noch besonders scharf abstach, und der scharfe Blick seiner schwarzen Augen, die unter stark gezeichneten, vorspringenden und beweglichen Brauen hervorblickten, verrieten eine Mischung von celtischem Blut. Sein Gesicht war groß und nicht fein geschnitten und hatte im Zustande der Ruhe keine weitere Schönheit, als die eines gutmütigen, ehrlichen, verständigen Ausdrucks.
Der nächste Arbeiter, das erkennt man auf den ersten Blick, ist Adams Bruder. Er ist fast eben so groß, hat denselben Schnitt der Züge, dasselbe Haar, dieselbe Gesichtsfarbe, aber die starke Familienähnlichkeit scheint nur den bedeutenden Unterschied des Ausdrucks in Gestalt und Gesicht noch auffallender zu machen. Seths breite Schultern sind etwas eingefallen, seine Augen sind grau, die Augenbrauen treten weniger hervor und sind ruhiger als die seines Bruders, sein Blick ist nicht scharf, sondern gutmütig und milde. Die Papiermütze hat er abgelegt, und so sieht man, daß sein Haar nicht stark ist und nicht glatt anliegt, wie bei Adam, sondern dünn und gelockt, und die hohe Wölbung des Schädels blickt deutlich hindurch.
Die Tagediebe im Dorfe waren immer sicher, aus Seth ein paar Pfennige herauszubekommen, aber Adam sprachen sie fast nie an.
Das Konzert von dem Geräusch der Arbeit und dem Gesange Adams wurde endlich von Seth unterbrochen, der die Thür, an welcher er fleißig gearbeitet hatte, von seiner Hobelbank nahm, sie an die Wand stellte und sagte: »Da! mit meiner Thür wär' ich also heut fertig.«
Die Arbeiter blickten von ihrer Arbeit auf; Hans Salt, ein dicker, rothaariger Bursch, hielt ein bißchen mit Hobeln inne, und Adam sagte mit einem raschen Blick der Verwunderung zu Seth: »Wie, meinst du, die Thüre wäre fertig?«
»Na gewiß,« sagte Seth, nicht minder verwundert, »was fehlt denn dran?«
Laut schallendes Gelächter von den andern drei Arbeitern war die Antwort, und Seth sah ganz konfus aus den Augen. Adam stimmte nicht in das Lachen ein, aber es spielte doch ein lächelnder Zug um seinen Mund, als er in sanfterem Tone antwortete: »Nun, du hast bloß die Füllung vergessen.«
Von neuem brach das Gelächter aus, als Seth sich vor die Stirn schlug und bis über die Ohren rot wurde.
»Hurrah!« rief der kleine lustige Benjamin, mit Spitznamen Borsten-Ben, und stürzte auf die Thür los: »die Thür wollen wir draußen an der Werkstatt aufhängen und drauf schreiben: »Seth Bede, dem Methodisten, seine Arbeit.« Da, Hans! gieb mal den Farbentopf her.«
»Unsinn!« sagte Adam, »laß das bleiben, Ben; du kannst leicht auch mal so'n Versehen machen und da wird das Lachen dir sauer genug ankommen.«
»Das hat gute Wege, Adam,« erwiderte Ben; »du kannst lange warten, ehe die Methodisten mir so den Kopf verdrehen.«
»Ja freilich, aber das Trinken verdreht ihn dir, und das ist schlimmer.«
Ben hatte aber schon den Farbentopf in der Hand und zog, um seine Inschrift anzufangen, ein großes S durch die Luft.
»Laß das bleiben, sag' ich,« rief Adam aus, legte sein Arbeitszeug hin, ging auf Ben zu und packte ihn bei der rechten Schulter; »laß das bleiben oder ich schüttle dir die Seele aus dem Leibe.«
Unter Adams eisernem Griff bebte der kleine Mann, aber er behielt doch Courage und wollte nicht nachgeben. Mit der linken Hand nahm er den Pinsel aus der rechten, die ihm Adam festhielt, und machte eine Bewegung, als wolle er sich den Triumph der Inschrift so verschaffen. Im Nu aber drehte ihn Adam herum, packte ihn an der andern Schulter und drängte ihn vor sich her an die Wand. Aber nun legte sich Seth ins Mittel.
»Nicht doch, Adämchen, nicht doch; Ben kann mal das Spotten nicht lassen, und hat er denn nicht ein Recht mich auszulachen? Kann ich's doch selbst kaum zurückhalten!«
»Ich lass ihn nicht los,« sagte Adam, »als bis er verspricht, deine Thür in Ruhe zu lassen.«
»Na, denn laß es doch, Ben, mein Junge,« redete ihm Seth zu; »warum sollen wir Streit anfangen über die Thür! du weißt doch, Adam giebt nicht nach; du könntest eben so gut versuchen, mit einem Kärrnerwagen in einem engen Gäßchen zu drehen. Sag' doch nur, daß du die Thür in Ruhe lassen willst, und die Sache ist aus.«
»Ich bin nicht bange vor Adam,« sagte Ben, »aber da du mich drum bittest, Seth, so will ich das Versprechen geben.«
»Das wollt' ich dir auch geraten haben,« meinte Adam lachend und ließ ihn los.
Alle nahmen nun ihre Arbeit wieder auf, aber Borsten-Ben, der eben den Kürzeren gezogen hatte, war entschlossen, sich durch gelungene Spötteleien schadlos zu halten.
»Sag' mal, Seth,« fing er an, »woran hast du eben gedacht, als du die Füllung vergaßest, an der hübschen Methodistin ihr Gesicht oder ihre Predigt?«
»Du solltest mitkommen und sie hören, Ben,« war Seths gutmütige Antwort; »sie predigt heute Abend auf der Gemeindewiese; da bekommst du wohl bessere Dinge zu bedenken als die schlechten Lieder, die dir so im Kopf liegen. Religion könnt'st du da bekommen und einen so guten Verdienst hast du gewiß nie gehabt.«
»Alles zu seiner Zeit, Seth; wenn ich mich mal häuslich niederlasse, will ich's mir überlegen; 'n Junggeselle braucht noch nicht so guten Verdienst. Vielleicht mache ich das Freien und das Frommwerden zusammen ab, so wie – so wie du, Seth; aber, wenn ich mich nun bekehren ließe und dir bei der hübschen Methodistin dazwischen käme und mit ihr durchginge – hm, wie würd' dir das gefallen!?«
»Davor ist mir nicht bange, Ben; sie ist weder für dich noch für mich zu haben, glaub' ich. Komm nur mal erst und hör' sie, dann sprichst du gewiß nicht wieder von ihr so leichtfertig.«
»Na, ich hab's so halb und halb vor, sie mir heut Abend anzusehen, wenn ich im Wirtshaus keine gute Gesellschaft finde. Was wird sie denn für 'nen Text nehmen? Du könnt'st mir's wohl sagen, Seth; 's wäre doch möglich, daß ich nicht früh genug käme. Was meinst du? Etwa: »Was seid ihr hinausgekommen zu sehen? eine Prophetin? Wahrlich, ich sage euch, mehr denn eine Prophetin, – ein ungemein hübsches, junges Frauenzimmer.«
»Ben, Ben!« sagte Adam mit ernstem Ton, »willst du die Worte der Schrift in Ruhe lassen? Du gehst da ein bißchen sehr weit.«
»Was? Du machst auch kehrt, Adam? Bisher glaubt' ich immer, du hätt'st mit dem Predigen der Weiber nichts zu schaffen.«
»Von Kehrtmachen ist hier keine Rede und von dem Predigen der Weiber hab' ich nichts gesagt; ich sage nur, du sollst die Bibel in Ruhe lassen. Du hast ja ein lustiges Geschichtenbuch, denke ich, mit dem du dich immer breit machst; das nimm zwischen deine schmutzigen Finger.«
»Nu wahrhaftig, du wirst eben so 'n großer Heiliger wie Seth. Gehst du auch zu der Predigt heut Abend?! Kannst ja schön vorsingen! Aber, fällt mir ein, was wird wohl unser Pastor Irwine sagen, wenn sein großer Liebling Adam Bede unter die Methodisten geht!«
»Kümmere du dich nicht um meine Sachen, Ben; ich denke nicht daran, Methodist zu werden, ebensowenig wie du, obgleich du wahrscheinlich leider was schlimmeres wirst. Herr Irwine ist viel zu verständig und läßt es die Leute mit der Religion halten, wie sie wollen; das müßten sie mit Gott abmachen, hat er mir oft genug gesagt.«
»Ja, ja; aber die Dissenter liebt er darum doch nicht.«
»Mag sein, ich liebe auch das schwere Bier in unserm Wirtshaus nicht, und dich lasse ich doch ungehindert zum Narren daran werden.«
Dieser Ausfall Adams wurde mit lautem Lachen aufgenommen, aber Seth sagte sehr ernst: »Nein, Bruder, so mußt du nicht sprechen; du mußt keines Menschen Religion mit schwerem Bier vergleichen. Du bist doch überzeugt, daß die Dissenter und die Methodisten im Grunde ebenso den rechten Glauben haben wie die Leute von der Hochkirche.«
»Ganz recht, mein Junge; ich will auch keines Menschen Religion verspotten. Jeder soll nur seinem Gewissen folgen, das ist alles. Nur glaube ich, es wäre besser, wenn ihr Gewissen sie ruhig in der Kirche ließe; da giebt's genug zu lernen. Und dann giebt es noch so'n Ding wie Übertreibung, selbst in geistlichen Dingen; wir haben in dieser Welt noch etwas nötig außer dem Wort Gottes. Sieh dir nur die Kanäle an und die Wasserleitungen und die Maschinen in den Kohlengruben und Arkwrights Mühlen; wer so was machen will, der muß noch etwas anderes lernen, will mich bedünken, als bloß Gottes Wort. Wenn man aber einige von euren Reisepredigern hört, dann sollte man glauben, der Mensch brauche nichts zu thun sein ganzes Lebelang, als die Augen zuzumachen und auf das zu sehen, was in seinem Herzen vorgeht. Gewiß muß der Mensch Liebe zu Gott im Herzen tragen, und die Bibel ist Gottes Wort, das weiß ich. Aber was sagt die Bibel? Sie sagt: Gott habe den Arbeiter, der die Bundeslade baute, mit seinem Geiste erfüllt, so daß er all' die Schnitzereien machen konnte und was sonst eine geschickte Hand erfordert. Und wie ich die Sachen ansehe, so steht's so: Der Geist Gottes ist in allen Dingen und zu allen Zeiten – Werktag so gut wie Sonntag – und in den großen Erfindungen und Berechnungen und den mechanischen Künsten, und Gott hilft uns mit unserm Kopf und unserer Hand so gut wie mit unserm Herzen, und wenn einer ein übriges thut in seinen Freistunden – einen Backofen macht für seine Frau, damit sie nicht mehr zu dem Bäcker zu gehen braucht, oder sein Stück Gartenland bearbeitet, daß zwei Kartoffeln wachsen, wo bisher nur eine wuchs, dann thut er mehr Gutes und ist Gott gerade so nahe, als wenn er hinter einem Prediger herläuft und betet und stöhnt.«
»Bravo, Adam!« sagte Hans, der bei Adams Worten sein Hobeln eingestellt hatte; »das ist die beste Predigt, die ich seit lange gehört habe. Meine Frau ist von demselben Glauben; das ganze Jahr hat sie mich schon gequält, ihr einen Ofen zu setzen.«
»Ja,« bemerkte Seth nachdrücklich, »in dem, was du sagst, ist Grund; aber du weißt doch selbst, daß durch den Besuch der Predigten, auf die du so losziehst, manch fauler Bursch zum Fleiß bekehrt ist. Wer macht die Bierhäuser leer, wer anders als die Prediger? und wenn einer fromm wird, so thut er seine Arbeit darum nicht schlechter.«
»Nur läßt er bisweilen die Füllung aus den Thüren, nicht wahr, Seth?« sagte Borsten-Ben.
»Aha, Ben, da hast du also wieder einen Spott gegen mich, der dir wohl vorhält fürs ganze Leben. Aber die Frömmigkeit hat hier keine Schuld; die Schuld trifft bloß Seth Bede, der immer ein bißchen konfus gewesen ist, und den die Frömmigkeit nicht geheilt hat – leider Gottes!«
»Laß dich das nicht anfechten, Seth,« sagte Borsten-Ben, »konfus oder nicht konfus, du bist von Grund des Herzens ein braver guter Kerl und wirst nicht gleich wild über jeden Scherz, wie gewisse Leute aus deiner Familie, die vielleicht mehr Grütze im Kopfe haben.«
»Seth, mein Junge,« sagte Adam, als beachte er den Spott gegen sich selbst nicht, »es war nicht so böse gemeint, und was ich eben sagte, ging gar nicht auf dich; der eine sieht eben die Dinge anders an wie der andre.«
»Gewiß, Adämchen,« erwiderte Seth, »war es nicht so böse gemeint, dazu kenn' ich dich ja zu gut; du bist wie dein Hund Gyp; bellst mich wohl bisweilen an, aber nachher leckst du mir immer die Hand.«
Alle Arbeiter arbeiteten nun schweigend einige Minuten weiter, bis die Turmuhr sechs schlug. Ehe noch der erste Ton verhallt war, hatte Hans seinen Hobel ruhen lassen und griff nach seiner Jacke; Borsten-Ben ließ eine Schraube halb fertig stehen und warf das Arbeitszeug beiseite; ein dritter, welcher bei der eben geführten Unterhaltung ein stummer Zuhörer gewesen war, ließ den Hammer, mit dem er schon zum Schlage aushob, wieder sinken, und auch Seth richtete sich von der Arbeit auf und faßte nach seiner Mütze. Adam allein fuhr bei der Arbeit fort, als ob nichts vorgefallen wäre. Als er aber die andern Feierabend machen hörte, blickte er auf und sagte entrüstet: »Nun sehe mir einer! Ich kann es nicht ausstehen, daß ihr so euer Handwerkszeug beiseite legt, so wie es Feierabend schlägt, als hättet ihr keine Freude an der Arbeit und wäret bange, einen Schlag zu viel zu thun!«
Seth sah ein bißchen schuldbewußt aus und betrieb seine Vorbereitungen zum Abmarsch etwas langsamer, aber der Stumme brach nun sein Schweigen und sagte:
»Ja, ja, Adam, du sprichst wie es sich für deine Jahre paßt, Junge; wenn du erst sechsundvierzig alt bist wie ich, statt sechsundzwanzig, dann bist du auch nicht mehr so flink zur Arbeit.«
»Unsinn,« rief Adam, noch immer ärgerlich; »ich möchte wohl wissen, was Euer Alter damit zu thun hat; Ihr werdet doch noch nicht steif, sollt' ich meinen. Ich hasse es, wenn einer seine Arme so 'runtersinken läßt, als hätte er einen Schuß gekriegt, ehe noch die Uhr ausgeschlagen hat, grade als hätte er kein bißchen Stolz und Freude an seiner Arbeit. Der Schleifstein dreht sich doch auch noch ein paarmal, wenn man nicht mehr tritt.«
»Papperlapapp, Adam,« rief Borsten-Ben aus, »laß uns damit ungeschoren. Eben bist du noch über die Prediger hergezogen, und jetzt scheint mir, du predigst selbst gern. Du hast die Arbeit lieber als die Erholung, bei mir ist's umgekehrt; das wird dir recht sein, um so mehr Arbeit bleibt ja für dich.«
Mit dieser Schlußrede hielt Ben die Sache für abgemacht, nahm sein Handwerkszeug auf die Schulter und verließ die Werkstatt, Hans und der Stumme rasch hinter ihm her. Seth zögerte noch und blickte aufmerksam auf Adam, als erwarte er von ihm noch etwas zu hören.
»Gehst du vor der Predigt erst nach Haus?« fragte Adam, indem er aufblickte.
»Nein, ich habe meinen Hut und meine andern Sachen bei Will Maskery und werde wohl erst gegen zehn zu Haus sein. Wahrscheinlich bringe ich Dina Morris nach Haus, wenn sie's haben will; von Poysers begleitet sie keiner, weißt du.«
»Dann werd' ich Mutter sagen, daß sie nicht auf dich wartet,« sagte Adam.
»Gehst du vielleicht selbst heute Abend bei Poysers vor?« fragte Seth etwas schüchtern, indem er die Werkstatt verließ.
»Nein, ich gehe in die Abendschule.«
Bis dahin hatte Gyp sein behagliches Lager nicht verlassen, sondern nur den Kopf aufgerichtet und Adam aufmerksam angesehen, als die andern Arbeiter fortgingen. Aber kaum steckte Adam seinen Zollstock in die Tasche und band sich die Arbeitsschürze los, als Gyp aufsprang und seinem Herrn mit einem Ausdruck geduldiger Erwartung ins Gesicht sah. Hätte Gyp einen Schwanz gehabt, so hätte er gewiß damit gewedelt; da ihm aber dieses Mittel der Gefühlsäußerung abging, so teilte er das Schicksal mancher braven Leute, gefühlloser zu erscheinen, als er von Natur war.
»Nun? fertig für deinen Korb? he Gyp?« sagte Adam mit demselben sanften Tone in der Stimme, als wenn er mit Seth sprach. Gyp sprang in die Höhe und bellte einmal kurz; das war seine bejahende Antwort. In dem Korbe pflegten Adam und Seth an Werktagen ihr Mittagessen mitzubringen, und Gyp trug ihn nun im Maule hinter seinem Herrn her, so würdevoll und in sich versunken, wie nur je ein Beamter bei einem öffentlichen Aufzuge.
Als Adam die Werkstatt verließ, verschloß er die Thür, zog den Schlüssel ab und brachte ihn nach dem Hause auf der andern Seite des Holzplatzes. Es war ein niedriges Haus mit einem grauen Strohdach und bräunlichen Mauern, welches im Lichte der Abendsonne still und friedlich dalag. Die kleinen Bleifenster glänzten so blank und die steinerne Schwelle war so rein, wie ein weißer Kiesel zur Zeit der Ebbe. Auf der Schwelle stand eine reinliche alte Frau in einem dunkel gestreiften leinenen Rock, rotem Halstuch und einer leinenen Mütze. Ihr Auge schien etwas trübe zu sein, denn sie erkannte Adam nicht eher, als bis er sagte: »Hier ist der Schlüssel, Dorchen; gebt ihn im Hause ab, ja?«
»Gewiß, Adam, aber wollt Ihr nicht hereinkommen? Jungfer Marie ist zu Hause und Meister Burge kommt auch bald; er behält Euch gewiß gern zum Abendbrot, dafür steh' ich.«
»Ich danke Euch, Dorchen, aber ich muß nach Haus. Guten Abend.«
Mit großen Schritten eilte Adam, und Gyp dicht hinter ihm her, aus dem Hofe die große Straße entlang, die von dem Dorfe abseits in ein Thal hinunterführte. Am Fuß des Abhangs begegnete er einem ältlichen Mann zu Pferde; als Adam an ihm vorbeigegangen war, hielt der Reiter sein Pferd an, wandte sich um und warf noch einen langen Blick auf den stattlichen Arbeitsmann mit der papiernen Mütze, den ledernen Hosen und dunkelblauen wollenen Strümpfen.
Ohne eine Ahnung von der Bewunderung, die er erregte, schritt Adam querfeldein und stimmte das Lied an, welches ihm den ganzen Tag durch den Kopf gegangen war:
In allem, was du thust, sei wahr,
Dein Herz wie Mittagssonne klar;
Denn Gott, der alles sieht, ist nicht verborgen
Dein Thun und Treiben noch dein stilles Sorgen.